Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Epiphanias, 6. Januar 2007
Predigt zu Jesaja 60, 1-6, verfaßt von Traugott Koch
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Der Abschnitt aus dem prophetischen Teil des Alten Testaments, der dieser Predigt zugrunde liegt, steht in einem der letzten Kapitel des Buches Jesaja, im Kapitel 60, in den Versen 1 bis 6 und lautet:

„Mache dich auf, werde licht! denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir. Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Und die Heiden werden in deinem Lichte wandeln und die Könige im Glanz, der über dir aufgeht. Hebe deine Augen auf und siehe umher: diese alle versammelt kommen zu dir. Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter auf dem Arme hergetragen werden. Dann wirst du dein Lust sehen und ausbrechen, und dein Herz wird sich wundern und ausbreiten, wenn sich die Menge am Meer zu dir bekehrt und die Macht der Heiden zu dir kommt. Denn die Menge der Kamele wird dich bedecken, die jungen Kamele aus Midian und Epha. Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des Herrn Lob verkündigen.“

Soweit die Rede aus dem Buch Jesaja. Gott gebe uns zum Reden und Hören und zum Verstehen seinen Geist. Amen.

Was für eine Vision, liebe Gemeinde! Welch eine großartige Schau in die Zukunft wird uns da aufgetan in einem der letzten Kapitel des Buches Jesaja. Angesprochen sind „die in Zion“ (Jes. 59, 20): die Einwohner in Jerusalem, der Hauptstadt der Juden, mit ihrem Tempel, dem Wohnsitz Gottes. Ihnen, der „Tochter Zion“ wird zugerufen: „Mache dich auf, werde licht! denn dein Licht kommt“, dein Licht ist schon im Kommen. - Und nun wird die ganze große Schau in die Zukunft entfaltet. Aufgezeigt wird zunächst, was ist: Finsternis bedeckt die Erde, Dunkel lagert über den Völkern. Und dann wird vorausgesagt: „aber über dir“, Zion, über dir Jerusalem, zeigt sich Gott, „geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“ Wenn das geschieht, wenn Gott aufgeht über Jerusalem wie eine unvergängliche Morgensonne, wenn „dein Licht kommt“, dann werden die Heiden, die Völker der Welt, in deinem Licht wandeln. Die Völkermenge am Meer wird sich „zu dir bekehren und die Macht der Heiden zu dir kommen.“ Die kommen, das werden so viele sein, daß deren Kamele das ganze Land um Jerusalem herum bedecken werden. Aus fernen Ländern werden sie sich auf den Weg machen, aus Midian und Epha und aus Saba. Sie werden kommen, Gold und Weihrauch mitbringen und Gottes Lob „verkündigen“. Und die versprengten Israeliten, die zu Jerusalem gehören, werden heimkommen: die Söhne werden die Töchter ‘auf dem Arme tragen‘. Und bei dir, bei denen in Jerusalem, wird die reine Lust ausbrechen.

Fragen wir: Was wird das für ein Licht sein, das von Jerusalem ausgeht und alle Völker erleuchten wird? Nun, es wird das Licht sein, das vom Tempel in Jerusalem ausgeht und alle Welt erleuchten wird, indem es alle Finsternis vertreiben wird. Und das wird Gottes Weisung sein, sein unwandelbarer Wille, so wie er ihn in seinen Geboten, in seinen Vorschriften, in seinem Gesetz kundgetan hat.

Noch einmal: Welch eine grandiose, großartige Schau! Die ganze Welt wird von Gott durchdrungen, alle Völker und Menschen werden von Gott bestimmt sein. Da wird keine Finsternis mehr sein, keine Dunkelheit und kein Nichtwissen. Stellen wir uns vor: Um keinen, um keine von uns, wird es je dunkel, nie wird es sein, daß ein Mensch nicht mehr weiter weiß. Erleuchtet werden alle sein. Licht wird sein, hell strahlendes, wärmendes Licht.

Ach, liebe Gemeinde, wir alle kennen solche Sehnsucht nach unvergänglichem und darum gerade in bitterster Not scheinendem Licht. Wir kennen die Sehnsucht nach dem Licht, das alle Finsternis vertreibt - die des eigenen Herzens vorweg. Der französisch schreibende Schriftsteller, Philippe Jaccottet, hat ein ganzes Buch geschrieben über den Traum von einem anderen Zustand: einem Leben immerwährender Fülle, Wärme und Helligkeit der ersten Stunde, wie einer reinen Geburt - und warum uns das nur auszusprechen, nicht möglich ist. Und hierzulande bei uns: In den zurückliegenden Wochen um Weihnachten, wieviel Lichter, Kerzen wurden angezündet, wieviel Glühbirnen eingeschaltet, nur damit Licht sei, und es nicht so total finster ist.

Die Christen, seit es das Christentum gibt, seit 2000 Jahren, haben gesagt: Gott ist gekommen, er ist da. Das Licht, das alle Finsternis vertreibt, scheint in der Welt, hell und klar. „Was der alten Väter Schar höchster Wunsch und Sehnen war und was sie geprophezeit, ist erflüllt in Herrlichkeit.“ (EG 12,2) Es sind ja auch die „Könige aus Saba“ (Ps. 72, 10) gekommen, haben „Gold und Weihrauch“ und Myrrhe mitgebracht und das Kind in der Krippe angebetet (Matth. 2, 11). Die Kirche feiert seit alters das Dreikönigsfest.

Aber die prophetische Schau im Jesajabuch ist christlich sehr viel anders in Erfüllung gegangen, als im vorgelesenen Text des Buches Jesaja steht. Weltweit herrscht nicht Gottes Wille, Gottes Weisung oder Gebot - und auch bei uns nicht einfach so. Noch immer „bedeckt“ Finsternis den Erdkreis „und Dunkel die Völker.“ Auch wenn „Gott in tiefer Nacht erschienen“ ist, „kann unsre Nacht“ sehr „traurig sein“. Anderes zu behaupten, ist einfach nicht wahr. Vielmehr: Jesus ist anders aufgetreten und öffentlich erschienen, als im Alten Testament vorausgesagt. Er ist aufgetreten als einer, der um die Menschen geworben hat, der sie selbst gewinnen wollte für das Reich Gottes: für eine Gemeinschaft miteinander versöhnter und mit Gott einiger Menschen. Menschen wollte er erwecken für eine Gemeinschaft von Menschen, die Liebe oder Achtung haben noch den Anderen gegenüber, die „Feinde“ sind deren Verhalten sie nicht akzeptieren. Menschen suchte er für das Reich Gottes, die wahr sind und Wahrheit reden, deren Worte „Ja, ja und Nein, nein“ sind und nichts dazwischen oder darüber hinweg. - Und dieser Jesus wurde hingerichtet. Qualvoll starb er am Kreuz.

Und folglich ist die einzige Frage, die wirklich interessiert: Ist denn kein Licht in der Welt? Sage niemand, es gäbe einen Menschen, den diese Frage nicht interessiert. Wer Christ ist, der ist überzeugt: Und doch, und doch ist Licht! Trotz allem Trüben, Dunklen, allem Lug und Trug entgegen, trotz Mord und Todschlag - ist ein Licht. Ja, es ist nicht irgendwo ein Lichtlein, ab und an aufflammend. Es ist kein unbestimmtes Licht: unklar, wo es ist, wo es zu finden ist. Sondern das Licht, das hell macht, uns und unser Leben vorweg hell macht, das uns auch die Anderen sehen läßt und auch die ganze Natur in ihrem Licht: dies alles erhellende, aufschließende Licht hat einen Namen und eine Geschichte, ist eine Person - und ist Jesus von Nazareth. Und so kann man das Licht kennen, dauerhaft kennen und immer wieder aus dem Dunklen zu ihm zurückkommen. Jesus ist nämlich nicht untergegangen. Er hat den Tod bestanden. Er hat in seinem Sterben, in seinem Tod durchgehalten eine unbedingte, nicht aufgebende Liebe, auch noch zu seinen Feinden. So hat er Gottes unendliche Liebe bewiesen. Und so ist er Christus. So ist er Gottes Licht in der Welt. Christen erkennt man daran, daß sie überzeugt sind: Es ist ein Licht in der Welt, das verbürgt, daß nicht alles stockdunkel und zur Nacht des Todes bestimmt ist. Es ist ein Licht, an das man sich halten kann, an dem man sich ausrichten kann in allem, was im Leben geschieht, im Leben und im Sterben, und selbst wenn es dunkel um einen wird. Christen sind überzeugt, daß selbst noch im Tod ein Licht ist.

Wo und wie ist das Licht zu sehen? Jesus hat zu denen gesagt, die ihm zuhörten: „Ihr seid das Licht der Welt“ (Matth. 5, 14), ihr alle, wir alle. Es ist auch zu uns gesagt: Ihr, du und ich und wir alle, ihr seid das Licht der Welt. Und wir sind es, jeder an seinem Ort, jede an ihrem Ort, wenn wir Zeugen der Wahrheit sind, daß Licht ist, unvergängliches Licht, auch wo Finsternis in uns und um uns ist. „Tragt in die Welt nun“ dieses „Licht“, jeder an seinem, jede an ihrem Ort Ja, tragt es, tragen wir es, zu allen, denen wir begegnen. Und fördern wir alles, was Christen tun, damit es in freier Überzeugung zu allen Menschen kommt, weltweit: auch zu den Muslimen und den Menschen etwa in Afrika. Doch es wird ein Licht nur sein, wenn es aus eigener Überzeugung und in Achtung vor der Gewissenhaftigkeit des Anderen ausgesprochen ist.

Jedoch, Zeugen der Wahrheit, daß bleibend Licht ist und wir nicht im Trüb-Dunklen herumtappen - wie oft sind wir solche Zeugen leider nicht. Oft so müde, so gleichgültig verdunkeln wir eher die Wahrheit, das Licht, als daß wir es leuchten lassen vor den Anderen. Weil es so bei uns ist, aber damit wir nicht mutlos werden, die Wahrheit nicht aufgeben, sagt Jesus im Johannes-Evangelium: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh. 8, 1). Er sagt gleichsam:

‘Haltet euch bei allem Schwankendwerden an mich‘. Auf ihn, auf Jesus Christus, können wir immer wieder zurückkommen. Wie er lebte, litt und starb und den Tod bestand, das leuchtet! Also: „Mache dich auf, werde licht, denn dein Licht“ ist gekommen!

Amen.

Prof. Dr. Traugott Koch, Hamburg


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