Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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1. Sonntag nach Epiphanias, 7. Januar 2007
Predigt zu Lukas 2, 41-52, verfaßt von Hanne Drejer (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Wenn ein Knabe von 12 Jahren plötzlich seine eigenen Wege geht und seine Eltern ihn erst finden, nachdem sie 3 Tage lange nach ihm gesucht haben, dann sind die Eltern natürlich voller Angst und Besorgnis; aber sie werden sich zugleich auch darüber im Klaren sein, dass die Pubertät jetzt im Ernst begonnen hat – und dass die kommenden Jahre sicherlich von den bekannten und zermürbenden Konfliken zwischen dem Kind und den Erwachsenen geprägt sein werden.

Heute ist es faktisch Jesu Pubertät, von der das Evangelium erzählt, damals als er 3 Tage lang verschwunden war und seine Eltern ihn nicht finden konnten – und als sie ihn schließlich doch fanden, da führte er freche Widerrede.

Heute hören wir also zuerst etwas über das Erwachsenwerden und über das Sichselbstfinden.

Und die Pointe ist ja nicht die einfache und bekannte, dass man nie richtig erwachsen wird, wenn man sich nicht rechtzeitig mit seinen Eltern auseinandersetzt.

Und gerade wenn man es rechtzeitig tut, dann kann man wieder in das Haus seiner Kindheit zurückkehren, und zwar jetzt als Erwachsener.

Findet die Auseinandersetzung nicht rechtzeitig statt, dann endet das Ganze damit, dass man entweder nie richtig von zuhause loskommt, sondern all das, was man zuhause bekommen hat, übernimmt und beibehält – aber es wird niemals echt, denn man kann ja nicht das Leben seiner Eltern leben – oder aber es endet damit, dass die Auseinandersetzung mit der Kindheit so ernst und durchgreifend geschieht, dass man nie wieder als Erwachsener nachhause kommen kann, weil man jetzt alles ablehnen muss.

Oft hat man wohl die Erzählung von dem zwölfjährigen Jesus im Tempel interpretiert und verstanden als die Geschichte von dem frommen Kind Jesus, der mit seinen Eltern schön in die Kirche ging. Und so sollten deshalb auch wir handeln.

Aber waren es auch wirklich diese Gedanken, die Joseph und Maria bewegten, als sie nachhause kamen? – Nein, Maria reagiert, wie jede Mutter es in dieser Situation tun würde: Mein Kind, warum hast du uns das angetan? Denn sie kann wie alle Mütter nur schwer verstehen und sich daran gewöhnen, dass ihr Kind jetzt allmählich erwachsen wird.

Es ist, als hätte Maria beinahe vergessen, was der Engel damals vor 12 Jahren bei der Verkündigung zu ihr gesagt hatte – dass sie den Sohn des Höchsten gebären werde – dass Jesus also nicht Josephs und ihr Sohn sei, sondern zu etwas Größerem und zu mehr auserwählt sei.

Man wundert sich nicht darüber, dass Maria es fast vergessen hatte, hatten sie doch jetzt Jesus 12 Jahre lang gehabt, und sie hatten ihm das Leben und die Erziehung gegeben, die jeder jüdische Junge damals bekam.

Und wie es Brauch war, hatten sie ihren Sohn bei hohen Festen sicher auch mit in den Tempel genommen – aber vor allem auf diese Reise, als der Junge 12 Jahre alt war, hatten sie sich so sehr gefreut. Es war nämlich die Reise, die Eltern traditionsgemäß ihrem Sohn schenkten als eine Art Konfirmationsgeschenk, sozusagen.

Und sie hatten natürlich keine Anstrengung gescheut, weder an Geld noch an Kleidung und guten Ermahnungen – aber jetzt meinten sie, alles sei umsonst gewesen, angesichts der Art und Weise, wie der Knabe sich benahm.

Schon als Jesus 12 Jahre alt war, zeigte sich also, dass er nicht ganz so gewöhnlich war – denn er konnte mit den gelehrten Juden auf gleicher Ebene reden – er war etwas Besonderes! Und er wollte bei seinem Vater sein – oder im Haus seines Vaters – wie es in einer früheren Übersetzung hieß – das war der Sinn seines Lebens, und deshalb muss es auch zwischen Jesus und seinen irdischen Eltern zu einem Bruch kommen.

Wusstet ihr nicht, dass ich bei meinem Vater sein muss? – sagt Jesus.

So erzählt das Evangelium heute von Jesu Auseinandersetzung mit seinem Zuhause und seiner Kindheit – aber dann hören wir auch vom Tempel, wir könnten sagen: von der Kirche – wir hören, dass die Kirche nicht nur das Haus Gottes ist, sondern vor allem mein anderes Zuhause – denn dort ist mein himmlischer Vater.

So wollen wir heute an diesem Sonntag überlegen, wozu wir überhaupt eine Kirche haben, und was die Kirche soll!

Ja, die Kirche soll wohl unsere religiösen Fragen beantworten?

Aber kann das Evangelium, das Wort Gottes, überhaupt auf die Fragen antworten, mit denen wir in die Kirche kommen?

Denn die Kirche ist ja nicht der Ort, wo wir eine direkte Antwort oder einfache Lösung für unsere Probleme bekommen. Die Kirche ist vielmehr der Ort, an dem das Evangelium zu uns spricht – und das Evangelium besteht aus Worten, die wir nicht selbst gewählt oder erfunden haben. Aber andererseits können wir in diesen Worten uns selbst und unser Leben spiegeln.

Ja, aber bekomme ich dann überhaupt keine Antwort auf die Fragen, die ich stelle? Nein, keine direkte Antwort – wohl aber eine indirekte Antwort, weil uns Wahrheiten gesagt werden über uns selbst und unser Leben, über die wir selbst nachdenken und die wir umsetzen sollen.

Aber für viele hat es keinen Sinn, in die Kirche zu gehen! – Ist das so, weil sie keine Antwort bekommen auf die Fragen, mit denen sie sich herumschlagen? Oder vielleicht, weil sie nicht die Antwort bekommen, die sie am liebsten haben möchten?

Oder weil es zu langweilig ist? – Dass sie es also als Zeitverschwendung empfinden – dass das, was hier in der Kirche geschieht, nichts ist, was man in seinem Leben gebrauchen kann? Und schließlich gibt es Menschen, die nicht in die Kirche gehen, weil sie meinen, hier säßen nur die frommen Heuchler, die glauben besser zu sein als die anderen, weil sie in die Kirche gehen. „Denn man kann ja wohl ein guter Christ sein, ohne in die Kirche zu gehen, wie man so sagt!“ Und damit meint man, das alltägliche Leben erzähle mehr darüber, ein wie guter oder schlechter Christ man ist, als die Frage, ob man in die Kirche gehe oder nicht.

Und das stimmt ja auch!

Denn außerhalb der Kirche – im Alltag – zeigt sich doch, wie gute Christen wir sind. Aber leider zeigt sich da gewöhnlich ja auch, dass eigentlich niemand von uns ein besonders guter Christ ist – wenn denn Christsein bedeutet, ein anständiger und guter Mensch zu sein.

Ja, aber geht es nicht gerade darum?
Gewiss – aber nicht nur darum.

Denn dass wir gut sein sollen, können wir alle gutheißen, und um das zu hören, brauchen wir nicht in die Kirche zu gehen.

Wird der sonntägliche Gottesdienst vielleicht deshalb als überflüssig empfunden, weil man sich einbildet, dass eben dies in der Kirche gesagt werde? Wenn das so ist, sollte man jetzt dem Gottesdienst eine neue Chance geben, denn hier ist ja nicht von Moralpredigt die Rede.

Denn wenn wir hier in der Kirche tun, was wir zu tun haben: das Wort Gottes predigen, so gut wir es vermögen, dann ist das Evangelium ja niemals eine schöne Ermahnung, dass wir daran denken sollen, ein anständiges und ordentliches Leben zu führen.

Das Evangelium ist vielmehr die Botschaft, dass wir leben dürfen, obwohl wir niemals der großen Tatsache zu entsprechen vermögen, dass Gott uns zu seinen Kindern gemacht hat. Dass wir also immer glauben dürfen, dass wir in der Welt nicht allein sind, sondern auch zu Gott gehören. So wie Jesus es uns gelehrt hat, hier und heute, wo er Gott seinen Vater nennt – und vor allem später, als er uns das Gebet des Vaterunsers gegeben hat, das uns ja gerade gestattet, Gott zu allen Zeiten unseren Vater zu nennen.

Ja, aber können wir nicht einfach daran glauben, ohne in die Kirche zu gehen?
Und wieder: können wir nicht ausgezeichnete Christen sein, ohne in die Kirche zu gehen?

Ja und nein! Denn selbstverständlich ist Gott größer als die Kirche, und er ist nicht nur in der Kirche – denn Gott begegnen wir ja an jedem einzelen Tag, jeden Augenblick, nämlich in den Menschen, mit denen wir zusammen leben – also in den Anforderungen, die das Leben an uns stellt, in der Verantwortung und in den Aufgaben, die wir täglich zu bewältigen haben.

Aber das alles ist etwas, was von uns gefordert wird.

Und woher nehmen wir die Kraft, all das zu tun – und woher nehmen wir vor allem Lust und Stärke, auszuharren und wieder von vorn zu beginnen, wenn etwas schief gegangen ist – und wenn das Leben für mich völlig sinnlos geworden ist?

Also, obschon Gott natürlich größer ist als unsere Kirchen – nicht an einen Ort gebunden ist, so haben wir als Menschen Gottes Haus und seine Kirche nötig – wir brauchen einen Ort, zu dem wir kommen können und wo wir dem Schöpfer und Herrn unseres Lebens alles vorlegen können, was uns erfüllt – alles Große und Schöne, aber auch alles Schwere und Unerträgliche.

Denn hier in der Kirche erklingt das Wort von Gott, der selbst Mensch wurde, um uns zu helfen, Mensch zu sein.Hier können wir deshalb abladen – und hier können wir Proviant fürs Leben bekommen, hier können wir auffüllen, so dass wir den Alltag bewältigen können – ja, denn wäre Gottes Liebe und Vergebung nicht größer als die Liebe und Vergebung, die wir selbst zwischen Menschen kennen, dann wären wir völlig verloren.

Aber das Evangelium spricht zu uns eben in der Kirche mit der frohen Botschaft, dass du hierher kommen kannst – wie du bist – ohne dich zu verstellen, wie du es sonst andernorts tun musst – denn Gott kennt dich – als den, der Gottes Liebe und Vergebung nötig hat. Und als den, der sie hier in der Kirche erhält, völlig umsonst.

Und nächstes Mal, wenn du Gottes Vergebung nötig hast, kannst du einfach wiederkommen.

Diese Begegnung zwischen Menschen und Gott ist die Aufgabe der Kirche und des Gottesdienstes. Und deshalb gehen wir in die Kirche, wie es im Eingangsgebet heißt: um zu hören, was du, Gott, mir sagen willst.

Es geht um die Begegnung zwischen Gott und Mensch.
Nicht um Gottes willen feiern wir den Gottesdienst, sondern um unser selbst willen.

So können wir mit Jesu Worten an Maria damals im Tempel in einer Abwandlung für uns heute sagen: warum sucht ihr nach Gott an allen möglichen und unmöglichen Orten – in der Natur, in eurem eigenen Inneren oder in einer Geistigkeit, die glaubt, dem Alltag hier auf Erden entfliehen zu können, oder wo auch immer wir einen Gott zu finden versuchen – das ist alles vergebens, denn ich bin da nicht, ich bin im Haus meines Vaters. Und Gott ist auch unser himmlischer Vater, und in Gottes Haus haben wir alle unsere Heimstatt.

Amen

Pastorin Hanne Drejer
Kirkestræde 1
DK-5466 Asperup
Tel.: ++ 45 – 64 48 10 82
e-mail: hdr@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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