Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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2. Sonntag nach Epiphanias, 14. Januar 2007
Predigt zu Markus 2,18-22, verfaßt von Peter Wick
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18 Und die Jünger des Johannes und die Pharisäer fasteten viel; und es kamen einige, die sprachen zu ihm: Warum fasten die Jünger des Johannes und die Jünger der Pharisäer, und deine Jünger fasten nicht?
19 Und Jesus sprach zu ihnen: Wie können die Hochzeitsgäste fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist? Solange der Bräutigam bei ihnen ist, können sie nicht fasten.
20 Es wird aber die Zeit kommen, daß der Bräutigam von ihnen genommen wird; dann werden sie fasten, an jenem Tage.
21 Niemand flickt einen Lappen von neuem Tuch auf ein altes Kleid; sonst reißt der neue Lappen vom alten ab, und der Riß wird ärger.
22 Und niemand füllt neuen Wein in alte Schläuche; sonst zerreißt der Wein die Schläuche, und der Wein ist verloren und die Schläuche auch; sondern man soll neuen Wein in neue Schläuche füllen.

Liebe Gemeinde,

Fasten hat eine lange Tradition im alten Israel und im Judentum. Doch alles hat seine Zeit spricht der Prediger. Dies gilt auch für uns im Glauben. Gott hat uns seine Gnade geschenkt. Und doch ist für uns nicht alles gleichzeitig, wie es auch für die Jünger Jesu verschiedene Zeiten gab, Zeiten zum Fasten und Zeiten, um auf das Fasten zu verzichten. So gibt es Tätigkeiten, die zur einen Zeit richtig, zur anderen aber falsch am Platz sind. Es gibt Zeiten für die Kirche Jesu Christi, in denen Traditionen und Ordnungen das Zusammenleben der Gemeindeglieder regeln, sichern und das Glaubensleben tragen. Es ist für uns gut, wenn unser Alltag durch feste Zeiten des Gebets gestaltet wird. Viele Menschen haben das Tischgebet verloren und dies ist ein großer persönlicher, kirchlicher und gesellschaftlicher Verlust. Es ist gut, wenn Sonntag für Sonntag in fester Abfolge dieselben Gebete zur selben Zeit im Gottesdienst gesprochen werden. Es ist gut, wenn uns Pfarrern Sonntag für Sonntag in einem mehrjährigen Zyklus festgelegte Predigttexte vorgeschlagen werden und es ist gemäß unserem so vorgegebenen Text eine evangelische Möglichkeit, dass Menschen regelmäßig fasten, auch wenn diese Möglichkeit in evangelischer Tradition selten wahrgenommen wird.

Auch Jesus fastete vierzig Tage gemäß den Evangelien in der Wüste. Er ließ sich dort trotz Hunger nicht vom Satan dazu bringen, gegen die Ordnungen der Schöpfung aus Steinen Brot zu machen. Er widerstand der Versuchung, am Tempel, dem Ort der institutionalisierten und verdichteten Gottespräsenz sein Glauben zu demonstrieren. Er stürzte sich nicht von der Zinne des Tempels. Er widerstand auch dem Angebot des Satans, Herrscher über alle Reiche der Welt zu werden.

Als er aus der Wüste zurückkehrte und seine Jünger berief, traten alle alten Ordnungen in den Hintergrund. Da gab es kein Fasten mehr. Ja, im Gegensatz zu anderen frommen jüdischen Gruppen verrichtete Jesus mit seinen Jüngern auch keine Gebete, wie der Paralleltext bei Lukas zeigt: Weshalb fastet Jesus mit seinen Jünger nicht und weshalb verrichtet er mit ihnen keine Gebete? Jesus betete stets für sich alleine. Erst als er unterwegs nach Jerusalem war, hielten die Jünger das nicht mehr aus und baten ihn, er solle sie doch beten lehren. Jesus lehrte sie daraufhin nach Lukas das Vaterunser in einer noch einfacheren und kürzeren Version, als wir es heute im Gottesdienst beten werden.

Jesus war für seine Jünger da. Die alten Ordnungen traten in den Hintergrund. Gebet und Fasten spielte keine besondere Rolle mehr. Es war eine besondere Zeit. Der Bräutigam war leiblich präsent. Gebet und Fasten sind in der Bibel immer auch Mittel, um den Willen Gottes zu beeinflussen. Jetzt trat ihre Bedeutung zurück, denn Jesus selbst war bei seinen Jüngern. Sie mussten nicht wie die Bewohner Ninives im Buch Jona durch Fasten das Gericht Gottes abwenden. Der Bräutigam war bei ihnen. Die Jünger sind – wörtlich übersetzt – die Söhne des Bräutigams, dass heißt, sie gehören zu ihm. Sie müssen also nicht wie in der Lutherübersetzung die Hochzeitsgäste sein, sondern sie können auch diejenigen sein, die mit ihm die Verlobung feiern. Denn den Lesern bleibt noch verhüllt, wer die Braut ist und der Bräutigam wird nicht bleiben, sondern weggehen. Dann werden seine Anhänger auch fasten.

Das Johannesevangelium und die Offenbarung malen das Bild der Hochzeit viel deutlicher aus. Jesus ist der Bräutigam, wie Johannes der Täufer sagt. Er hat die Braut. Jünger und Jüngerinnen, die Gemeinde, die Kirche ist die Braut. Doch die Hochzeit, die Hochzeit des Lammes wird erst am Ende der Tage stattfinden. Jetzt ist die Verlobungsfeier mit den Jüngern. Mit Tod, Auferstehung und Himmelfahrt geht Jesus hin, um alles für seine Braut vorzubereiten. Bei der Wiederkunft wird nach diesem Bild die Hochzeit gefeiert. Liebe Gemeinde, wir leben zwischen Himmelfahrt und Wiederkunft, zwischen Verlobung und Hochzeit. Wir leben in der Zeit, in der wieder gefastet werden kann. Wir leben in der Zeit, in der es sinnvoll ist, Traditionen zu haben, feste Gebetszeiten, Rituale, Gottesdienstordnungen.

Die Apostelgeschichte berichtet über das Wirken der Apostel nach Himmelfahrt. In keinem neutestamentlichen Buch wird so viel gefastet wie hier. Paulus erwähnt im zweiten Korintherbrief in der harten Auseinandersetzung mit den „Überaposteln“, dass er viel gefastet habe. In der korinthischen Gemeinde wirkten immer wieder solche, die behaupten, jetzt sei den Gläubigen schon das ganze Heil gegeben. Jetzt seien sie schon von den Toten auferstanden oder anders gesagt, mit unserem Bild gesprochen: Die Hochzeit habe bereits stattgefunden. Paulus bekämpft diese Irrlehre dadurch, dass er von seinem Leiden für Christus und seinem Fasten spricht.

Jesus verkündigt in den Evangelien mit großer charismatischen Vollmacht, dass jetzt das Himmelreich nahe herbeigekommen ist. Viele alte Ordnungen treten dadurch in den Hintergrund. Aber er kündet auch an, dass eine Zeit kommen wird, wo viele dieser Ordnungen wieder neu aufgenommen werden und dass das kein Verrat an seiner Verkündigung ist, sondern dass das gut und richtig ist. Jesus verkündete das Reich Gottes, gekommen ist die Kirche. Das ist Gottes Wille und gut so.

Liebe Gemeinde, wir können nicht in der charismatischen Aufbruchsstimmung jener Verlobungszeit leben. Ein Mann in den Evangelien steht dafür ganz besonders: Josef von Arimathäa.

Josef von Arimathäa wird in allen Evangelien erwähnt, weil er Jesus vom Kreuz abgenommen und in seinem eigenen Felsengrab bestattet hat. In den Evangelien steht er für das positive Aufeinanderprallen von Charisma und Institution, von geistbewegter Freiheit und den Verpflichtungen des Lebens. Jesus rief eine Geist erfüllte, charismatische Bewegung ins Leben, die in freier Distanz zu den Traditionen und mit großem Interpretationsspielraum gegenüber den geltenden Ordnungen in Israel wirkte. So wollte einer, der von Jesus aufgefordert wurde, ihm nachzufolgen, zuerst gemäß Gebot und Sitte seinen eben gestorbenen Vater begraben. Jesus erwiderte: „Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes“ (Lk 9,60).

Josef von Arimathäa war im Gegensatz zu Jesus ein Vertreter der Institution. Er war ein reicher und frommer Ratsherr. Wahrscheinlich war er Mitglied des Sanhedrins, des hohen Rats der Juden, der in Jerusalem im Tempelbezirk tagte. Er ließ für sich bereits im Voraus eine eigene Grabkammer aus dem Felsen hauen. Offensichtlich konnte er sich das finanziell leisten und teilte nicht die Vorbehalte Jesu, der solches den „Toten“ überlassen wollte.

Das Johannesevangelium berichtet, dass er aus Furcht verheimlicht hat, dass er ein Anhänger Jesu war. Sympathien mit solch einer charismatischen, radikalen Bewegung könnten dem Ruf eines Ratsherrn schaden. Doch nach dem Tod von Jesus wagte er es, den römischen Statthalter Pilatus um den Leichnam zu bitten. Bei der Grablegung half ihm Nikodemus, ein anderes Mitglied der jüdischen Oberschicht (Joh 19,38-42). Offensichtlich waren schon damals Mitglieder der gesellschaftlichen Eliten eng miteinander verbunden und die Wege zueinander waren für sie kürzer als für andere Menschen

Am Abend des Hinrichtungstages bestattete er den toten Jesus in seinem unbenützten Felsengrab. Da Jesus zwar seinen Tod angekündigt, aber keinerlei Vorbereitungen für die Bestattung getroffen hatte, war seine Anhängerschaft auf diese Dienste des Ratsherrn angewiesen.

Keine Bewegung kann auf die Dauer frei und ungebunden bleiben. Entweder sie schafft Ordnungen für das Neue, das ihr gegeben ist, oder sie löst sich auf. Mit dem ordentlichen Begräbnis Jesu durch den Amtsinhaber Josef von Arimathäa fängt die Institutionalisierung der Reich-Gottes-Bewegung Jesu gewissermaßen in den Evangelien selbst an. Das institutionell verfasste Kirchen ihr Existenzrecht aus den Evangelien ableiten können, verdanken sie solchen Person wie Josef von Arimathäa. Alle Evangelisten haben ihm ein kurzes „Denkmal“ geschaffen, weil er den toten Jesus begraben hatte.

Liebe Gemeinde, wir leben - anders als Jesus und seine Jünger, bevor er gekreuzigt worden ist - in einer Zeit, wo es zu den Stärken der Kirche gehören muss, ordentlich, gut und sinnstiftend zu bestatten. Es wird eine Zeit kommen, wo es keinen Tod, keine Träne und kein Klagen mehr geben wird, doch soweit sind wir noch nicht. Wir leben noch nicht in dieser „hohen Zeit“. Wir können fasten, wir sollen zu fest gesetzten Zeiten beten. Es gibt viele Ordnungen, die für uns gut sind.

Dennoch gab es in der Kirche immer wieder Zeiten und Bewegungen, wo die Präsenz Gottes stärker spürbar war, wo es radikale Aufbrüche gab, die die alten Ordnungen in Frage stellten, wo der Bräutigam näher schien. Eine dieser unzähligen Bewegungen war diejenige von Franz von Assisi, der Jesus so wörtlich nachfolgte, dass er damit radikal in Frage stellte, wie seine Zeit und die Kirche mit Geld und Ehre umging. Ein weiser Papst gab dieser Bewegung einen Freiraum und integrierte sie dadurch in die Kirche. Dies ist für die katholische Kirche bis heute fruchtbar gewesen. Zur Reformationszeit verpasste die Kirche, den radikalen Aufbruch, der vom Augustinermönch Luther ausging, zu integrieren. Wenn die Katholische Kirche dieser Bewegung einen Freiraum gegeben hätte und innerhalb weniger Jahre das integriert hätte, was sie bis heute von der Reformation übernommen hat, wäre es vielleicht nicht zu diesem Bruch gekommen.

Liebe Gemeinde, wie gehen wir als Kirche mit neuen Aufbrüchen um. Gibt es überhaupt Raum für solche. Es ist nicht unsere Aufgabe, Aufbrüche zu schaffen. Das kann nur Gott. Wir sollen unseren Glauben ordentlich leben und das ist schon sehr, sehr viel. Doch wir können Freiräume schaffen. Gerade jetzt, wo viele Kirchen und Gemeindehäuser geschlossen werden müssen, könnten manche auch als Freiraum für einige Jahre zur Verfügung gestellt werden, bevor sie abgebrochen oder umgebaut werden. Es gibt so viele von Gott talentierte junge Menschen an unseren theologischen Fakultäten, denen die Kirchen keine geordnete Anstellung bieten können. Die Kirchen signalisieren ihnen dann oft, dass sie sie nicht wollen oder noch schlimmer, durch fragwürdige Auswahlverfahren wird ihnen nach vielen Jahren Studium gesagt, dass sie gar nicht geeignet und begabt sind, nur um sie nicht in die alten Ordnungen aufnehmen zu müssen, die sich jetzt als viel zu starr erweisen. Dabei könnte man sie wenigstens für einige Jahre, mit wenig Mittel, ohne Beamtenstatus aber mit großer Freiheit und Enthusiasmus als Gemeindegründerinnen und Gemeindegründer aussenden. Die meisten wachsenden Kirchen machen uns das weltweit erfolgreich vor. Sind wir zu vornehmen, um von ihnen zu lernen? Sind dies eben nur Freikirchen, die nicht die Ehre und die würdigen Ordnungen unserer großen institutionellen Kirchen haben? Dabei gibt es in vielen Ländern wie zum Beispiel der USA nur Freikirchen. Und schon in der Schweiz sind auch die Lutheraner eine Freikirche. Liebe Gemeinde, es muss uns allen elend werden, wenn wir nur die schwindenden Privilegien verwalten dürfen. Sicher, dies muss ordentlich geschehen. Doch wir können um neuen Wein beten, ja sogar dafür fasten. Doch dieses Gebet hat keinen Sinn, wenn wir den neuen Wein dann direkt in unseren alten Schläuchen haben wollen. Das geht nicht. Wir müssen Freiräume zur Verfügung stellen, in denen nicht alle Ordnungen von uns sofort eingehalten werden, in denen auch mal ein alter Schlauch zerreißen darf.

22 Und niemand füllt neuen Wein in alte Schläuche; sonst zerreißt der Wein die Schläuche, und der Wein ist verloren und die Schläuche auch; sondern man soll neuen Wein in neue Schläuche füllen.

Solches dürfen wir durch unser Gebet, mit Großzügigkeit und Segen begleiten, selber aber dürfen wir getrost unseren Glauben in unseren Ordnungen leben. Denn auch unsere alten Kirchen und Ordnungen haben ihren unschätzbaren, einzigartigen Wert für viele Menschen. Nach Lukas beschließt Jesus die Bibelworte der heutigen Predigt mit folgendem weiteren Satz:

Lk 5,39 Und niemand, der vom alten Wein trinkt, will neuen; denn er spricht: Der alte ist milder.

Und dies gilt auch für unser Leben. Wir müssen nicht um jeden Preis jugendliche Frische demonstrieren und die Aufbrüche aus unserer Pubertätszeit immer und immer wieder wiederholen. Das ist nur peinlich. Es ist viel mehr an uns, die guten Ordnungen, die unser Leben erhalten und gestalten, zu pflegen und zu fördern und eine Milde gegenüber unseren Nächsten wachsen zu lassen. Aber in dem allem dürfen wir hoffen, dass der Heilige Geist auch in uns und unserem familiären, beruflichen und gemeindlichem Umfeld immer wieder kleine Aufbrüche schenkt. Lassen Sie uns diese nicht durch allzu starre Ordnungen ersticken.

Amen

Prof. Dr. Peter Wick
wickpebe@ruhr-uni-bochum.de

 


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