Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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2. Sonntag nach Epiphanias, 14. Januar 2007
Predigt zu Markus 2, 18-20, verfaßt von Ján Grešo (Slowakei)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"Und die Jünger des Johannes und die Pharisäer fasteten viel; und es kamen einige, die sprachen zu ihm: Warum fasten die Jünger des Johannes und die Jünger der Pharisäer, und deine Jünger fasten nicht? Und Jesus sprach zu ihnen: Wie können die Hochzeitsgäste fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist? Solange der Bräutigam bei ihnen ist, können sie nicht fasten. Es wird aber die Zeit kommen, dass der Bräutigam von ihnen genommen wird; dann werden sie fasten, an jenem Tag."

Um diesen Abschnitt zu verstehen, muss man wenigstens etwas von den jüdischen Fastenvorschriften und Fastenbräuchen in der Zeit Jesu kennen. Fasten bedeutete – wie heute – sich der Speise und der anderen sonst angenehmen Dingen zu enthalten. Bei einem kurzfristigen Fasten ging es um das vollständige Sich-enthalten, bei einem langfristigen um das Sich-enthalten gewisser Speisen.

Die Juden unterschieden das Pflichtfasten und das freiwillige Fasten. Das Fasten war für alle Pflicht an dem großen Tag der Versöhnung, weiter an den Trauertagen, zum Beispiel bei der Erinnerung an die Vernichtung des Tempels am Anfang des 6. Jahrhunderts vor Christus, dann in der Zeit der allgemeinen Bedrohung: Dürre, Heuschrecken, Krieg u. ä. Außerdem gab es ein freiwilliges Fasten, das gewisse religiöse Gruppen auf sich nahmen, zum Beispiel die Jünger des Johannes des Täufers und die Pharisäer. Im Gleichnis von dem Pharisäer und dem Zöllner erfahren wir, dass die Pharisäer zweimal in der Woche fasteten – es ging um ein freiwilliges Fasten.

Jesus hat um sich eine Gemeinschaft seiner Nachfolger gebildet. Die Leute in der Umgebung erwarteten es als eine Selbstverständlichkeit, dass Jesus seine Nachfolger zu einem freiwilligen Fasten führe. Mit Überraschung und Ärgernis beobachteten die Leute, dass Jesus das nicht getan hat. Sie stellen Jesus die Frage, die zugleich Vorwurf ist, und Jesus beantwortet sie.

Im Alten Testament und im Judentum gab es viele verschiedenartige Gedanken und Vorstellungen darüber, welche Bedeutung das Fasten hat. Es wäre ganz interessant diese Gedanken ausführlich kennen zu lernen. Jetzt wollen wir nur ein charakteristisches Merkmal erwähnen, das uns hilft, die verlesenen Worte besser zu begreifen. Das Fasten war unter anderem ein Ausdruck der Trauer. Aber zugleich ist es wichtig zu wissen, dass es verboten war am Sabbat und an den meisten Feiertagen zu fasten, weil das die Tage der Freude waren, und diese Freude durfte nicht gestört werden.

Auf diesem Hintergrund der Gedanken vom Fasten sollen wir die Worte Jesu verstehen: „ Wie können die Hochzeitsgäste fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist? Solange der Bräutigam bei ihnen ist, können sie nicht fasten. Es wird aber die Zeit kommen, daß der Bräutigam von ihnen genommen wird; dann werden sie fasten, an jenem Tage.“ Die Hochzeit ist ein Bild des Reiches Gottes. Das Gleichnis von der Hochzeit des Sohnes eines Königs versteht Jesus als ein Gleichnis vom Himmelreich. Die Worte Jesu darüber, dass der Bräutigam bei den Hochzeitsgästen ist, wollen wohl sagen, dass Jesus bei seinen Jüngern ist. Es geht nicht nur um eine statische Anwesenheit, sondern um eine rege Tätigkeit. Das endgültige Kommen des Himmelreiches ist zwar die Sache der eschatologischen Zukunft, aber die Gründe der Reiches werden schon in der Gegenwart Jesu gelegt. Als Jesus sagte: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“, hat er wohl an sich selbst gedacht, und an alles, was er getan hat. Nachdem er einen besessenen blinden und stummen Menschen geheilt hat, hat er dazu eine wichtige Erklärung hinzugefügt: „Wenn ich die bösen Geister durch den Geist Gottes austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.“ In den Evangelien gibt es mehrere Andeutungen, die zeigen, dass Jesus seine helfenden, rettenden, vergebenden Taten als einzelne Akte des sich realisierenden Reiches Gottes aufgefasst hat. Wenn es auch um einzelne, isolierte Ereignisse geht, so doch nach dem Verständnis Jesu geht es um keine Kleinigkeiten, sondern um sehr wichtiges Tun Gottes.

Die einzelnen Ereignisse der Verwirklichung des Reiches Gottes sind in den Evangelien mit Freude verbunden. Vor allem soll man die Freude von Jesus sehen, die auf eine einzigartige Weise ausgedrückt ist: „Zu der Stunde freute sich Jesus im heiligen Geist und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart. Ja, Vater, so hat es dir wohlgefallen.“ Nicht nur Jesus, sondern auch die Menschen, die die Wirkung des Reiches Gottes erreicht hat, auch die empfinden eine spontane Freude. Von der Freude des Menschen, der das Himmelreich gefunden hat, spricht Jesus im Gleichnis: „ Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker.“ Dieser Mensch freute sich sehr darüber, was er gefunden hat. Seine grosse Freude hat ihn sofort motiviert, viele Dinge aufzugeben, und zwar zugunsten des Gottesreiches. Zachäus stieg eilend von dem Baum und nahm Jesus auf mit Freuden. Auch ihn hat seine grosse Freude zu einer überraschenden Tat motiviert. Alle, die in der Zeit Jesu, in seiner Anwesenheit die Gemeinschaft mit ihm erlebt und an dem Neuen, was er gebracht hat, teilgenommen haben, sind von grosser Freude erfült gewesen.

Ihre Freude war so gross, dass in dieser Situation das Fasten als ein Ausdruck der Trauer überhaupt nicht angemessen wäre. Erinnern wir uns noch einmal, dass die Juden am Sabbat nicht fasten durften. Wir können sogar sagen, dass Jesus sein Wirken und das Annehmen seiner Botschaft als ein grosses Fest verstanden hat, als ein Hochzeitsmahl. Wenn wir dies alles bedenken, begreifen wir besser, was der Inhalt der Antwort Jesu ist: „ Wie können die Hochzeitsgäste fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist? Solange der Bräutigam bei ihnen ist, können sie nicht fasten.“ Er sagt nicht nur: Sie sollten nicht fasten, sondern: Sie können nicht fasten. So gross und stark soll die Freude sein, die durch Nähe von Jesus bewirkt ist.

Jesus setzt aber auch eine andere Situation in der Zukunft voraus: „Es wird aber die Zeit kommen, daß der Bräutigam von ihnen genommen wird; dann werden sie fasten, an jenem Tage.“ Diese Worte erinnern uns direkt an die Leidensgeschichte Jesu. Die Ereignisse des Karfreitags waren ein Schock für die Jünger. Der Bräutigam ist auf eine grausame Weise von ihnen genommen worden. Anstatt der grossen Freude ist die grosse Trauer gekommen. In solchen Situationen ist es nicht nötig, sich zum Fasten zu nötigen. Diese schreckliche Situation hat nur einige Tage gedauert. Dann ist eine neue, genauso unerwartete Überraschung gekommen. Diesmal eine sehr schöne Überraschung: die Auferstehung, das neue Leben. Aber dann ist eine neue Trennung gekommen. Die kurzen Worte in der Apostelgeschichte ermöglichen uns ein wenig in die Seelen der Jünger einschauen: „ Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.“ Der Herr ist von ihnen wieder genommen worden – diesmal auf eine andere Weise und für eine lange Zeit. Das wird eine schöne, aber zugleich eine schwierige Zeit auch für sie sein. Nach den Worten Jesu ist dies die Situation, in der auch das Fasten zur Sprache kommt.

Was ist die Bedeutung des Fastens in dieser Situation? Wir sprechen nicht nur von der Situation der Jünger Jesu, sondern auch von der Situation seiner Nachfolger heute. Das Fasten darf nicht ein mechanisches oder sogar verdienstliches Werk sein. Das Fasten kann einen Sinn nur dann haben, wenn damit ein angemessenes Denken verbunden ist. – Das Fasten kann ein Ausdruck dessen sein, dass wir die unmittelbare, sichtbare Gegenwart Jesus sehr vermissen. Wir haben zwar sein Versprechen: „ Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Das hat auch ein Paulus gewusst, er hat ja geschrieben: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Aber auch bei diesem intensiven Bewusstsein der Gemeinschaft mit Christus hat er seine Sehnsucht nach der endgültigen Gemeinschaft mit Christus ausgedrückt: „Ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein.“ – Das Fasten kann ein Ausdruck dessen sein, dass wir dieses Leben und diese Welt nicht als unsere definitive Aufenthalt betrachten, sondern dass wir uns nach unserem endgültigen Heim sehnen. Durch das Sich-Enthalten von verschiedenen Dingen könnenn wir uns in dem inneren Abstand von verlockenden Sachen dieser Welt üben. – Das Fasten kann ein Ausdruck dessen sein, dass wir uns nach dem endgültigen Kommen des Reiches Gottes sehnen, wie wir darum in den ersten drei Bitten des Gebets des Herrn bitten. – Das Fasten kann ein Ausdruck dessen sein, dass wir bereit sind, für die Treue unserem Herrn gegenüber auch das Leiden zu tragen. – Das Fasten kann ein Ausdruck dessen sein, dass wir bereit sind, uns der gewissen Sachen des eigenen Bedarf zu enthalten, um dadurch solidarisch den anderen helfen zu können. – Alle Formen des Fastens sollen auf das endgültige Zusammentreffen mit dem Herrn Jesus Christus, mit unserem Bräutigam, ausgerichtet sein.

Aber auch in der Situation des sehnsüchtigen Erwartens können und sollen wir die Zeiten der festlichen Freude erleben. Die Freude, von der Jesus in unserem Predigttext spricht, darf in unserem Leben nicht fehlen. Auch in diesem zeitlichen Leben ist uns ja gegeben, die Freude an dem lebendigen Herrn Jesus Christus zu erleben, der heute lebt und dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben worden ist. Auch in diesem zeitlichen Leben können wir gewisse Ereignisse des sich realisierenden Reiches Gottes sehen, wenn sie auch nur einen fragmentarischen Charakter haben. Wir selbst können und sollen uns bemühen, möglichst viel von dem zukünftigen Reich zu verwirklichen. Und das alles soll in uns eine spontane Freude erwecken, wie wir dazu ermahnt werden: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!“ Eine solche intensive Freude an dem Herrn Jesus Christus und zugleich auch ein ernstes Bewusstsein dessen, dass wir noch nicht am Ziel sind, dass kann unserem Leben richtige Proportionen geben und uns lehren, uns auf die Vollendung in der Ewigkeit zu freuen. Amen.

Dr. Ján Grešo, Bratislava
greso33@gmail.com

 


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