Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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3. Sonntag nach Epiphanias, 21. Januar 2007
Predigt zu Johannes 4, 5-14, verfaßt von Reinhard Schmidt-Rost
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Öffentlicher Gottesdienst im Olga-Lechler-Saal des Paul-Lechler-Tropenkrankenhauses in Tübingen Zentrum des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission)

Wochenspruch:
Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden,
die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes. Lukas 13, 29

Predigttext: Joh. 4, 5 - 14

Da kam er in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das aJakob seinem Sohn Josef gab. Es war aber dort Jakobs Brunnen. Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich am Brunnen nieder; es war um die sechste Stunde. Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Essen zu kaufen. Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du bittest mich um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine samaritische Frau? bDenn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. - 1Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn, und der gäbe dir clebendiges Wasser.

Spricht zu ihm die Frau: Herr, hast du doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du dann lebendiges Wasser? Bist du mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat? Und er hat daraus getrunken und seine Kinder und sein Vieh. Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.


Liebe Gemeinde!

Am Brunnen vor dem Tore …

Vertraut klingt Schuberts Lied in den Ohren aller, die dieses Volkslied je gehört haben; man braucht nur den Titel zu nennen.

Am Brunnen vor dem Tore ..
ein Lieblingslied aller Männerchöre, in Silchers Satz für vier Stimmen –
vertraut, aber auch voller Sehnsucht ...

ein Lied von Liebesleid und trauriger Erinnerung an freundlichere Maientage. Ein Stück aus dem Liederzyklus „Die Winterreise“ des Dessauer Dichters Wilhelm Müller, der mit den Worten beginnt: „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“
Auf sehnsüchtige Erinnerung gestimmt, das Lied vom Lindenbaum, aber es besänftigt die Sehnsucht, obwohl es an den Realitäten nichts ändern kann ... es tröstet - und deshalb ist es zum Volkslied geworden, kaum 200 Jahre alt. ..

Der Brunnen vor dem Tor ist im deutschen Volkslied wie in der Geschichte aus dem Johannes-Evangelium alles andere als ein idyllischer, anheimelnder Ort, es ist der Ort der Fremde, ... ist nicht der Marktbrunnen, in Tübingen oder Bonn, oder wo immer Marktplätze im Stil des mittelalterlichen Städtebaus die Jahrhunderte überdauert haben. Draußen vor dem Tor ist nicht der Brunnen auf dem Dorfplatz, an dem sich abendlich die jungen Leute versammeln, um miteinander zu scherzen und die Alten tagsüber im Schatten sitzen,

Draußen vor dem Tor, das ist der Brunnen, der auch vergiftet sein kann, auf den kein waches Auge schaut, an dem kein Hund bellt und kein Hahn kräht, eine sumpfig-schattige Wasserstelle oder ein verstaubtes Wasserloch, mit einem Olivenbaum vielleicht ...

Draußen vor dem Tor ist der Ort der Fremde, ein ungeschützter Brunnen, ungeschützt, aber auch unbeobachtet, an dem sich zwei Fremde treffen können, ohne Aufsehen zu erregen, zumal in der Mittagshitze, - die jungen Frauen gehen nur morgens und abends hin, um sich ihre Haut nicht zu verbrennen im Sonnenbrand des Tages; hier können sich zwei Fremde zufällig treffen, diese Frau, die im Dorf jeder kennt, und deshalb ist sie fremd, sie hat wenig Kontakt, sie hat mehrere Partner gehabt, befremdlich, zumal in einem kleinen Ort damals, deshalb geht sie um diese Zeit zum Brunnen, allein – und trifft auf den Wanderer, den hier keiner kennt, auch sie nicht; der gehört hier auch gar nicht hin, Jude ist er, stammt aus Galiläa, nicht von hier, nicht aus Samarien, auf dem Heimweg, auf der Durchreise von Jerusalem in seine Heimat Galiläa … hat er, der hier nicht hingehört, hier überhaupt etwas zu suchen?

Nun ja, er sucht nichts Besonderes, nur etwas Wasser eben, wie auf einer Raststätte, auf der Durchreise, kleine Erfrischungspause, etwas trinken, bevor die Reise weitergeht, die Mitarbeiter besorgen etwas zu essen, der Chef ruht einen Moment … alles ganz alltäglich …

… aber der Frau ist die Sache trotzdem nicht geheuer: Was bittet ein Mann eine Frau um Wasser, ein Mann aus Judäa eine Frau aus Samarien, auf offener Straße, wenn auch an einem Brunnen? Sie hat eben ihre Erfahrungen. Da werden Schranken durchbrochen, Frau und Mann, der nationale und der religiöse Gegensatz. Will dieser Mann etwas von ihr? Was will er wohl?

Er will eigentlich gar nichts, außer eben einen Schluck Wasser, aber dass die Frau stutzt, bringt auch ihn auf andere, grundsätzlichere Gedanken, lenkt ihn ab von seinem Durst in der Mittagshitze. Er denkt wieder an seinen Auftrag, weshalb er überhaupt unterwegs ist … das läßt sich erklären, das kann er auch dieser Frau klar machen, und das Brunnenwasser erleichtert ihm die Erklärung:

Er ist ein Reisender in Religion. Seinen Markenartikel nennt er „lebendiges Wasser …“

Nein, keinen Pharmavertreter hat die Frau vor sich, keinen Kurier eiliger Arzneimittel, etwa aus dem städtischen Kurbetrieb zu Jerusalem, aus den Hallen vom Teich Bethesda, aber mit Heilung, sogar mit Heilwasser hat es schon etwas zu tun ...

„Lebendiges Wasser“ ... das sogar die inneren Quellen eines Menschen wieder zum Sprudeln bringt ...

es klingt fast wie ein moderner Werbespot: Sie müssen nie mehr schöpfen , Sie werden selbst zu einer dauerhaft erfrischenden Quelle für andere Menschen. Die Probe ist kostenlos. Risiken und Nebenwirkungen … keine Angaben …

Im Vergleich mit moderner Werbung kann man nur sagen: Übertrieben ist das nicht, wie der Fremde hier am Brunnen vor dem Tore seinen Markenartikel anpreist …
Und die Frau scheint ihn ziemlich schnell verstanden zu haben ... nein, es geht nicht wirklich um Wasser, keine Kanne, die sich immer wieder füllt ...

sondern: Worte, Worte, die den Lebensdurst stillen, die Sehnsucht nach Leben besänftigen, ... und Lebensdurst hatte die Frau reichlich, und sie suchte nach einem Menschen, der ihr diesen Lebensdurst stillen konnte, und das in einer Dorfgemeinschaft, die solchen Lebensdurst wohl kaum verstand… sozial saß sie vollkommen auf dem Trockenen … dabei suchte sie doch so sehr …

Da wären einfühlsame, besänftigende Worte, wenn sie denn helfen, ein richtiges Labsal, daß sie zur Ruhe kommt, ...nicht ruhelos von einem zum anderen Menschen wandert, um sich selbst zu spüren ... an den Reaktionen der anderen ... Worte, daß sie vielleicht den Wärmestrom in sich wahr nimmt und ernst nimmt, den Strom der unerfüllten Liebe, der in ihr wohl stärker strömt als in anderen Menschen. Vielleicht spürt sie die Wirkung schon in den freundlichen Fragen des Fremden; die Ahnung von Erfüllung ihrer ungestillten Sehnsucht.

Liebe Gemeinde!
Sollten Worte nicht so heilsam sein können? Die Erfahrung der Menschen in Jahrhunderten und Jahrtausenden spricht jedenfalls nicht dagegen, davon kann man auch in diesem Krankenhaus manches erzählen. Auch in den Krankenzimmern unter diesem Dach hat das lebendige Wasser freundlicher Worte schon heilsam, besänftigend gewirkt.

Viele Ärzte und Therapeuten haben sich dieser alten Erfahrung schon bedient: Worte stillen den Lebensdurst. Und so wie das Lied vom Lindenbaum die Menschen allein durch Melodie und Worte im Zusammenklang in ihrer Sehnsucht beruhigen und besänftigen kann, ... so hat es offenbar auch Jesus vermocht, die Menschen mit seinen Geschichten und guten Worten zu besänftigen, ihnen ein Zentrum zu vermitteln …

Liebe Gemeinde,
Menschen, die sich um solche Worte bemühen, wissen: Es ist nicht so einfach:
Es kostet Kraft, es laugt aus, kann misslingen, und wenn viele an einem Helfer hängen, Hilfe erhoffen, gerade auch anspruchsvolle oder ziemlich unersättliche Menschen wie diese Frau, vielleicht, dann können die Kraftquellen versiegen, von „burn out“ reden die Fachleute heute, vom Ausbrennen der Kraftreserven, der Strom der heilenden Worte trocknet aus …

Aber gerade dies ändern nichts an der Grunderfahrung: Gute Worte geben Kraft und Grund …
Das ist ganz menschlich, nichts Besonderes. Übermenschliches. Göttliches.

Nichts, das ist das Bedenkenswerte, nichts ist an dieser Begebenheit, was nicht auch unter Menschen vorkommen könnte, auch das Ende der Geschichte verläuft ganz schlicht und vorstellbar: Jesus bleibt zwei Tage in diesem Dorf, und die Leute sind hinterher von seiner göttlichen Autorität genauso überzeugt, wie die Frau nach ihrer Begegnung mit Jesus. Er hat sie alle mit seinen vielen guten Worten gefüllt, gefüttert, gesättigt, geheilt, mit seinen Geschichten und Gesichten, mit seinen Gleichnissen vom Himmelreich, von einer Sphäre, in der alle belasteten Menschen aufatmen können, er hat neue Hoffnung gesät in den Herzen …

Liebe Gemeinde, Jesus tut etwas, was alle könnten … weil alle einen Mund zum Reden haben und ein Herz, um die Zunge zu lenken, daß sie andere Menschen stärkt. Wenn das nicht wäre, gäbe es kein Leben auf dieser Erde. Es ist wirklich eine Geschichte aus dem Volk, die hier erzählt wird, von der Heilkraft aller Menschen durch ihre Fähigkeit zu sprechen, und es fängt bei Mutter und Kind an; wie eine Mutter ihr Kind durch ein Abendlied tröstet und besänftigt. Da halten es alle Menschen für ganz natürlich.
Bei Erwachsenen aber nicht mehr, da gilt solche belebende Zuwendung als nicht mehr altersgemäß, da ist Konkurrenz normal, den anderen klein machen, nicht groß; dabei tut es so gut, wenn mich ein anderer aufbaut, ob Partner, Freundin, Pfleger, Ärztin, wer immer …

Gewiß, es ist nicht leicht für Erwachsene, sich einem anderen ganz zu öffnen, so für andere da sein, wer hat die Geduld, wie die Mutter mit i h r e m Kind – und es ist nicht ohne Risiko, sich vertrauensvoll zu öffnen.

Dies ist die übermenschliche, aber eben gerade nicht übermächtige Seite allen Vertrauens: es verlangt eine Kraft, die nicht an ihren Neben-, sondern an ihren Hauptwirkungen ganz alltäglich spürbar und wirksam wird, die alle kräftigt und sättigt, die davon kosten, in der kleinen Gemeinschaft am Brunnen und im Dorf, wie in der weltweiten Gemeinschaft, wenn die Menschen aus aller Herren Länder zusammenströmen und zu Tisch sitzen, ob hier im Tropenkrankenhaus oder einst im Reich Gottes … Wann wird das sein? Wann wird Christus unter uns mit seinem Auftrag wieder heilsam wirken, wann werden die Völker zusammen an einem Tisch sitzen …in Frieden und Eintracht?

Ich weiß es nicht, niemand weiß es, ob jemals das Vertrauen als Grundklima die Erde erfüllen wird, so daß niemand mehr sterben müsste an sozialer Kälte und dem Frost der Gleichgültigkeit, ein Frost, der auch die erkältet, deren Herz im Wärmestrom des Lebens glühte.

Denn wo solches Vertrauen die Menschen und die Erde füllt, da werden seine Risiken, aber vor allem auch seine Wirkungen sichtbar: Die Risiken sind, daß das Vertrauen enttäuscht und die Kraft der Liebe verbraucht wird, ohne dass man sie auffüllen kann, ja, daß der draußen vor dem Tor – auf Golgatha – umgebracht wird, der für dieses Vertrauen geworben hat, - am Brunnen vor dem Tore, wie im Tempel, am See Genezareth, wie in seiner Heimatstadt Nazareth.
Er hat sich von keiner Ablehnung oder Zustimmung von seinem Auftrag abbringen lassen. Denn die Wirkungen sind wunderbar: Sie machen die Alten im Herzen wieder jung, die Kranken erfüllen sie mit Hoffnung, die Bedrückten lassen sie aufatmen und tauen die Erkälteten auf, manchmal lindert Vertrauen auch Konkurrenz und Feindschaft.
Von solchen Wirkungen träumen wir, darum bitten wir alle Tage.
Herr, erbarme Dich. Amen.


Lieder: 69 – 293 – 66, 7-9 - 449, 8 + 10 + 12

Psalm 86

Universitätsprediger Prof. Dr. Reinhard Schmidt-Rost
r.schmidt-rost@ev-theol.uni-bonn.de



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