Göttinger Predigten im Internet
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Letzter Sonntag nach Epiphanias, 28. Januar 2007
Predigt zu Johannes 12, 34-36, verfaßt von Jörg Egbert Vogel
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


34 Die Menge hielt Jesus entgegen: Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Messias bis in Ewigkeit bleiben wird. Wie kannst du sagen, der Menschensohn müsse erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn?
35 Da sagte Jesus zu ihnen: Nur noch kurze Zeit ist das Licht bei euch. Geht euren Weg, solange ihr das Licht habt, damit euch nicht die Finsternis überrascht. Wer in der Finsternis geht, weiss nicht, wohin er gerät.
36 Solange ihr das Licht bei euch habt, glaubt an das Licht, damit ihr Söhne des Lichts werdet. Dies sagte Jesus. Und er ging fort und verbarg sich vor ihnen.


Liebe Gemeinde,
als ich vor 16 Jahren nach dem Fall der Mauer zwischen Ost und West zum ersten Mal nach Taizè fahren konnte, war das ein sehr prägendes Erlebnis. Ich hatte schon viel über Taizé gehört und gelesen und die Gesänge waren mir längst vertraut, aber das persönliche Erleben in dieser einen Woche übertraf alle Erwartungen. Die Begegnung mit dem damals noch blutjungen 76 jährigen fr. Roger gehörte dazu, aber vor allem ein Gottesdienst, ein Gebet, das ich so bis dahin noch nie erlebt hatte und in das ich also unvorbereitet hineingeriet, am Ende der Woche, am Samstagabend, die Nacht der Lichter.
Mitten im Gebet verteilten Kinder mit ihren Kerzen, die sie an der Kerze in der Mitte der Kirche angezündet hatten, das Licht unter den vielleicht 3000 Anwesenden, die alle am Eingang eine weisse dünne Kerze erhalten hatten.

In der sonst recht dunklen Kirche wurde es immer heller während sich das Licht ausbreitete und Bénissez le Seigneur – Preist den Herrn! gesungen wurde.
Ich kann mich gut erinnern, wie es mir dabei kalt den Rücken herunter lief.
Inzwischen habe ich unzählige Male die Nacht der Lichter gefeiert, in Taizé und noch öfter an anderen Orten. Und noch immer ist mir die Symbolik des sich ausbreitenden Lichtes eine der wichtigsten Symbole des christlichen Glaubens: dort wo geglaubt wird, wo Gott vertraut wird, wo die Liebe Gottes sich ausbreiten kann, wird aus Finsternis Licht, die Dunkelheit wird erhellt, die Nacht wird zum Tag.

Als Jesus gefragt wird von den sich neugierig um ihn scharenden Menschen, wer denn der Menschensohn sei, von dem er immer spricht, gibt er eine etwas rätselhaft ausweichende Antwort und sagt:

Nur noch kurze Zeit ist das Licht bei euch. Geht euren Weg, solange ihr das Licht habt, damit euch nicht die Finsternis überrascht. Wer in der Finsternis geht, weiss nicht, wohin er gerät.
Solange ihr das Licht bei euch habt, glaubt an das Licht, damit ihr Söhne des Lichts werdet.


Jesus beantwortet die Frage, wer der Menschensohn sei oder warum er sich selbst als Menschensohn tituliert nicht, jedenfalls nicht direkt, aber er bezeichnet sich in seiner Antwort als das Licht, ähnlich wie an anderer Stelle als das Licht der Welt.
Und der Glaube an ihn, das Licht, führt die Glaubenden dazu, selber Söhne und Töchter, Kinder des Lichts, zu werden.
Der Menschensohn ist das Licht und der Glaube an das von Gott kommende Licht, macht die Glaubenden zu Kindern des Lichts.

Vielleicht fragen Sie sich auch manchmal, liebe Gemeinde, warum nun der christliche Glaube in den 2000 Jahren seiner Geschichte, so wenig Licht in die Finsternis dieser Welt gebracht hat.
Ja das Christentum scheint in Vergangenheit und Gegenwart immer wieder ursächlich und aufs Engste mit Gewaltherrschaft und Krieg verbunden zu sein.

Wie siehst es denn aus am Anfang des 3. Jahrtausends?
Nach der Entspannungsphase nach dem kalten Krieg in den 70iger und 80iger Jahren und dem hoffnungsvollen Untergang des Kommunismus in den 90igern, muss man jetzt den Eindruck gewinnen, als würde die Kriegsgefahr tagtäglich anwachsen und die Gewalt nähme immer mehr zu.
Wie ist das möglich?

Das praktisch allen Religionen und vor allem dem Christentum innewohnende Friedenspotential ist in der Geschichte bisher kaum wirksam geworden.
Und auch jetzt muss man objektiv betrachtet den Religionen den Friedenswillen doch deutlich absprechen, wenn man sich in der heutigen Weltsituation umschaut.
Die Folge ist, dass die Religionen als gesellschaftliche Friedensgestaltungskraft nicht mehr ernst genommen werden, weder von den Politikern, noch von den Menschen.

Die Juden haben und hatten zur Zeit Jesu eine klare Vorstellung davon, wie es aussehen wird, wenn der Messias kommt und sein Friedensreich errichtet.
Und deshalb fragen sie Jesus: Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Messias bis in Ewigkeit bleiben wird. Wie kannst du sagen, der Menschensohn müsse erhöht werden?

Die Erwartung ist ganz klar: Der Messias wird kommen und in der Welt weltlich sichtbar für alle Welt seine Friedensherrschaft errichten. Dann brauchen sich die Menschen nicht mehr selber um den Frieden zu bemühen, nicht mehr selbst Verantwortung für die Welt und die Menschheit übernehmen. Nach dem Motto: Der Messias wird’s schon richten!

Die Problematik dieser Erwartung ist damit schon angedeutet und Jesus weist sie deshalb auch zurück und korrigiert sie.
Nur noch kurze Zeit ist das Licht bei euch. Geht euren Weg, solange ihr das Licht habt, damit euch nicht die Finsternis überrascht. Wer in der Finsternis geht, weiss nicht, wohin er gerät.
Der Messias ist nicht der innerweltliche Herrscher, der alles in Ordnung bringt, was der Mensch vermasselt.
Er ist die Lichtspur Gottes in der Dunkelheit der Welt, der es zu folgen gilt, damit es immer und immer heller wird in der Welt, wie es immer heller wird in der dunklen Kirche, wenn eine Kerze nach der anderen sich entzündet.

Der Schlüsselsatz ist für mich: Geht euren Weg, solange ihr das Licht habt.
Wir müssen den Weg des Lichtes gehen, oder es geschieht nichts.
Auf den Messias zu warten wie die Juden, oder auf den wiederkommenden Christus, hat nur theoretischen Wert, wenn wir nicht begreifen, dass jedes auch noch so kleine Engagement für den Frieden, für die Versöhnung, für die Ärmsten der Armen, für den Nächsten ein Licht aufleuchten lässt in der Finsternis und dass wir, jeder von uns, immer und immer wieder solche kleinen Lichter anzünden, dort wo wir es können, in unserem Lebensbereich.

Dann wird es auch allmählich in der übermächtig erscheinenden Finsternis immer heller werden.

In Taizé gibt es jede Woche ein interkontinentales Treffen, bei dem Jugendliche aus aller Welt von ihren persönlichen Engagements für Andere berichten. Jeder dieser Berichte zeigt solch ein Licht, das irgendwo in der Welt leuchtet und die Welt heller macht.
Auch, dass wir uns als Gemeinde zum Beispiel für Schulen im Nahen Osten einsetzen, in Palästina, Libanon, Jordanien und Israel, und Schülerpatenschaften für bedürftige Kinder übernommen haben, macht die Welt ein wenig heller.

Es gibt sie überall, diese Lichtspuren Gottes, die die Friedensherrschaft des Messias jetzt schon anzeigen.

Manchmal, wenn wir wieder von Bombenanschlägen in Bagdad oder Raketenangriffen auf Israel oder Gaza hören und Politiker dies rechtfertigen, als gehöre es zum Alltag, mag uns die Finsternis erdrückend scheinen.

Doch überall, wo Menschen an des Licht glauben, werden sie selber zu Kindern des Lichts und lassen Licht in der Finsternis scheinen.


Pfr. Jörg Egbert Vogel, Basel
j.e.vogel@zipor.eu


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