Göttinger Predigten im Internet
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4. Sonntag nach Epiphanias, 28. Januar 2007
Predigt zu Matthäus 17, 1-9, verfaßt von Inger Hjuler Bergeon (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Damals, als Gott Mose auf dem Berg Sinai die Gesetzestafeln übergab, musste die Übergabe wiederholt werden. Zuerst rief Gott Mose auf den Berg Sinai und offenbarte seine Herrlichkeit vor ihm, jedoch ohne sich vor ihm zu zeigen. Und dann versprach er, mit Mose und dem Volk einen Pakt zu schließen, und der Anteil des Volkes an dem Pakt sollte sein, dass sie die Gebote und Verordnungen, die Gott gab, erfüllen sollten. Und als Mose vom Berg wieder herabstieg, trug er die zwei steinernen Tafeln, die von Gottes eigenem Finger beschrieben waren, wie es heißt. Aber als er zu seinem Volk herabkam, ja, da tanzten sie um das goldene Kalb. Sie waren ungeduldig geworden. Sie hatten lange gewartet. Es geschah ja nichts. Und am Ende hatten sie ihr Gold gesammelt und sich ein Kalb aus Gold gegossen, um das sie tanzten, denn was Gold ist, das weiß man. Gott ist nicht so sicher. Lieber Gold als Gott, das war es, was Mose sah, als er mit Gottes Steintafeln herabkam, mit den Anordnungen und Geboten Gottes für ein gerechtes Leben.

Mose wurde so wütend, dass er die Tafeln auf die Erde warf, so dass sie zerbrachen.

Nach einer ordentlichen Standpauke stieg er wieder auf den Berg zu Gott, und diesmal bekam er keine fertigen Steintafeln. Er musste sie selbst schreiben, wie wir in unserem ersten Text von heute aus dem 2. Buch Mose gehört haben. Gott sagt zu Mose: Schreibe diese Worte auf, denn auf der Grundlage dieser Worte schließe ich einen Pakt mit dir und mit meinem Volk.

Mose hat also die Tafeln, die er beim zweiten Mal vom Berg mit herabbringt, selbst beschrieben. Im Verlauf von 40 Tagen des Fastens hat er von Gott empfangen und aufgeschrieben. Es sind die Worte Gottes, aber durch Menschenhand, oder sogar, so könnten wir auch sagen, in Menschenmund. Es ist die Botschaft Gottes, aber weitergegeben durch einen Menschen.

Hier liegt die ganze Freiheit in unserem Glauben, – dass Gottes eigene Gesetzestafeln zerbrochen wurden und Mose selbst aufschreiben musste. In der Erzählung liege die Freiheit, von neuem zu interpretieren und zu verstehen, hat ein jüdischer Theologe einmal gesagt. Die Freiheit, Gottes Wort im Licht unseres Lebens und unser Leben im Lichte des Wortes Gottes zu interpretieren. Die Worte Gottes in Menschenhand und Menschenmund.

Und dies teilen Juden, Christen und Moslems: eine Freiheit zu interpretieren und zu verstehen, immer aber in einem Kampf mit sich selbst und seinen Eigenen, denn es gibt immer eine Versuchung, irgendwann einmal zu sagen: „Ja, aber Gott hat gesagt”, oder „ja, aber es steht geschrieben…”

Mit dieser Versuchung, im Namen Gottes zu sprechen und darauf zu verweisen, dass man Gottes eigenes Wort hat, mit dieser Versuchung wird also Schluss gemacht, als Mose die Steintafeln zerbricht und wieder hinauf muss und fasten und warten muss; und erst nach 40 Tagen kann er mit neuen, handgeschriebenen Tafeln wieder hinabsteigen.

Dass diese Steintafeln dann später in die Bundeslade gelegt und durch die Wüste getragen wurden und im Offenbarungstempel standen und später nach Jerusalem überführt wurden – mit König David nackt und aus Übermut und Freude vor der Bundeslade tanzend – und wiederum später ihren Platz im Allerheiligsten von Salomos Tempel erhielten, ja, das ist natürlich ein Irrweg, der nahe daran war, sich dem Fundamentalistischen zu nähern. Denn warum sollte man diese Tafeln als etwas Selbständiges verehren? Hatte Gott nicht gerade deshalb einen Menschen, Mose benutzt, um weiterzugeben, auszudrücken, was sein Gesetz beinhaltete? Deshalb wird diese Verehrung der Steintafeln denn auch immer wieder gesprengt, wenn verschiedene Propheten sich erlauben, das ein und andere Mal das Wort zu ergreifen – in Menschenmund -, um zu erzählen, was der Sinn der Gebote der Steintafeln sei. Immer wieder eine Auslegung der Gebote, ein lebendiger Ausdruck für das, was der Sinn der Gesetzes war.

Damit wollte ich heute beginnen, weil die Verklärung auf dem Berg heute unser Evangelium ist. Die Erzählung davon, dass Jesus auf einen Berg steigt, wie Mose, und seine drei Freunde folgen ihm. Und sie werden von einer Vision überwältigt, von einem Licht, für das sie keine anderen Worte haben, als dass es Licht ist, so hell, dass es das Ganze durchleuchtet und transzendiert. Und in dem Licht sehen sie Jesus stehen und mit Mose und Elia reden; also mit dem Mose, der zweimal mit den Tafeln herabkam, sie beim ersten Mal zerbrach, und sie beim zweiten Mal selbst schreiben musste. Und dann der Prophet, den Gott sich auserwählte, damit das Volk verstünde, dass sein Wort Leben für sie ist. Dass Gottes Wort keine Buchstabenwörter sind, sondern Geist und Sinn und Leben. In unserem Leben.

Mit diesen beiden spricht Jesus dort oben auf dem Berg, umgeben und durchstrahlt von Licht. Drei Gestalten, die Gottes Wort in ihrem Munde führen. Drei Menschen, die Gott dazu benutzt, seinen Worten Leben zu geben, damit sie unter Menschen verständlich werden.

Und deshalb lauten auch die letzten Worte, die von der Wolke kommen: Hört ihn!

Die Jünger sehen, dass die drei da stehen und miteinander reden, Mose, Elia und Jesus. Es besteht eine Fortsetzung, eine Kontinuität, zwischen den dreien. Und dann ist da eine Übertragung. Die Stimme vom Himmel, die sagt: ‚Dies ist mein Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe’, kann ja sowohl als Worte an die Jünger als auch als Worte an Mose und Elia verstanden werden. Wie wenn Gott zu seinen alten guten Dienern sagt: Jetzt gebe ich die Aufgabe weiter. Ich übertrage mein Wort an meinen Sohn, und ihr seid Zeugen dafür.

So könnte man diese Verklärung auf dem Berg sehr gut sehen, dieses Gespräch zwischen den dreien. Nicht als einen Neuanfang, der das Alte beiseite fegt, sondern als eine Fortsetzung dessen, dass Gott Menschen in seinem Dienst gebraucht. Und dass er jetzt die Stafette weitergibt, von Mose und Elia an Jesus. Vom Gesetz und den Propheten zu seinem Auserwählten.

Es ist eine Verklärung, von der die Jünger überwältigt werden, keine Erklärung. Sie erleben ein Licht und eine Durchleutung, so dass eine Wolke sie überschatten muss und sie sich dazu noch schützen müssen, indem sie auf ihr Angesicht fallen, in Deckung gehen, ihre Augen verdecken und nicht aufsehen. Sie begreifen etwas, was sie ahnen, aber sie verbergen sich und bedecken ihr Angesicht, denn das ist zu viel auf einmal für sie. Und deshalb ist es eine Verklärung, deren Zeugen sie sind, etwas Rätselhaftes, Unfassbares, Verwunderliches. Und nur einen Zipfel begreifen sie. Es ist keine Erklärung, denn es ist fast nicht zu fassen. Eine Erklärung pflegt etwas zu sein, was das verständlich und begreifbar macht, was man nicht verstanden hat. Aber eine Verklärung ist etwas, was sowohl ein neues Verständnis gibt als auch zugleich alles Verstehen sprengt, so dass man sich wundert, überwältigt von Verwunderung. Sie sahen und sahen, Licht im Licht, sie mussten von einer Wolke überschattet werden, und sie mussten in Deckung gehen mit dem Gesicht auf der Erde. Etwas Neues war geschehen, und es gab Antworten, aber es gab noch mehr Fragen. Es sprengte alle Grenzen. Es war noch rätselhafter als zuvor, das Ereignis, dessen Zeugen sie waren. Sie hatten keine steinernen Tafeln, um es darauf wiederzugeben, sie hatten keine Absprache, auf die sie hätten hinweisen können, sie hatten allein diese offene Aufforderung: Hört ihn! Welch eine Freiheit, die man erhält – und die man weitergeben kann.

Sowohl Mose als auch Jesus müssen wieder von dem Berg herabkommen.

So gebraucht Gott seine Diener: wieder runter vom Berg. Wieder herunter zur Wirklichkeit, oder hinaus in die Wirklichkeit, wie wir sagen würden. Petrus war im übrigen bereit, dort oben zu verweilen und Hütten für die drei Großen zu bauen. Es wäre ja auch ganz angenehm; man stelle sich vor: diese drei Großen zu bedienen, ihr Schatten zu sein, mit dem Leben dort unten nicht konfrontiert zu sein...

Eine Konfrontation bahnt sich nämlich an. Und das wissen die Jünger. Denn vor sechs Tagen hatten sie zum erstenmal, so erzählt Matthäus, Jesus sagen hören, dass er nach Jerusalem gehen müsse, um dort zu sterben. Und Petrus hatte gesagt: „Das darf nicht geschehen!“, und Jesus hatte ihm geantwortet: „Geh weg von mir, Satan!“ Es war nicht zu begreifen. Es gab alle möglichen Gründe, dies zu verhindern. Es war ein so epochales Ereignis, dass Matthäus von da an die Tage zählte. Und deshalb beginnt unser kleiner Abschnitt aus seinem Evangelium für heute mit den Worten: „Und nach sechs Tagen...“ Ja, wonach? – nachdem Jesus gesagt hatte, dass er sterben müsse. Dann hat Petrus ja wohl seine Gründe, auf dem Berg Hütten bauen zu wollen, nicht wieder hinabsteigen zu wollen. Er tut, was er kann, was er für das Beste hält. Er begreift nicht.

Als Mose zum ersten Mal mit den Gesetzestafeln herabkam, tanzte das Volk um ein goldenes Kalb. Den lebendigen Gott, der spricht, hatten sie durch ein goldenes Kalb ersetzt.

Als Jesus herabkommt, geht es auch um einen Konflikt, diesmal um eine Heilung. Ein Mann fällt weinend auf die Knie, um zu bitten, ob Jesus nicht seinen Sohn heilen kann, denn die Jünger konnten es nicht. Und Jesus macht ihnen Vorwürfe wegen ihres Kleinglaubens und ihrer Verirrung.

Das sind also, offenbar, die Umstände für denjenigen, der von dem Berg herabkommt, dass er auf verirrte Menschen trifft, die entweder um goldene Kälber tanzen oder aus Mangel an Vertrauen aufgegeben haben.

Als die Jünger Jesus fragen, ja, wie hätten wir denn das Böse austreiben können, antwortet er, dass es allein durch Beten und Fasten geschehen kann. Beten und Fasten, ja, wir müssen erst viele Schichten abtragen, ehe wir diese beiden Begriffe verstehen können. Denn für uns ist es oft etwas, was man leisten muss, ein Opfer, das man bringen muss, ein Verzicht, den man durchleben können muss. Eigentlich aber bedeutet Beten und Fasten: zu warten. Also auf Gottes Wort zu warten, auf Gottes Mitteilung. Fasten ist abzulassen, abzulassen von den Bedürfnissen des Alltags, Gebet ist, von seinen eigenen Worten abzulassen und zu schweigen. Gebet und Fasten sind also keine Leistungen, die wir zu erbringen hätten, um in die Nähe der Höhe Gottes zu gelangen. Es geht eher darum, zu warten, sich abwartend zu verhalten, es zu wagen, dass man abwartet, um zu hören, worum es geht, und was wir sollen.

Und auf diese Art und Weise hängt das, was am Fuß des Berges geschieht, mit dem zusammen, was dort oben geschieht. Hört ihn! So lautete es klar im Licht, obgleich sie bedeckt waren. Unten, in der Wirklichkeit, sollte es gelebt werden. Und dort erhalten sie als Richtschnur: Gebet und Fasten. Also: Lasst ab und zu von eurem Eigenen und euren eigenen Bedürfnissen ab, und wartet. Hört und wartet.

Amen

Pastorin Inger Hjuler Bergeon
Finsens Allé 25
DK-5230 Odense
tel..: ++ 45 – 66 12 57 05
e-mail: ihb@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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