Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes

Sonntag/Feiertag: 2. Advent
Datum: 7.12.1997
Text: Jakobus 5,7-8
Verfasser/in: Elisabeth Tobaben, Moringen


Predigttext Jakobus 5,7-8

"So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe."

Vorbemerkung

Ich gehe beim Jakobus'brief' von einem Text aus, der als lehrhafte Abhandlung in Briefform zu verstehen ist. Adressat dürfte wahrscheinlich keine konkrete Gemeinde sein, sondern eher die Christenheit als ganze (1, 1). Ähnlich wie Paulus in den paränetischen Teilen seiner Briefe setzt der Verfasser die Grundaussagen christlicher Verkündigung voraus. Es handelt sich demzufolge nicht um eine Missionsschrift. Thema ist vielmehr die christliche Lebensführung angesichts der Hebung auf den wiederkommenden Christus, dessen Ausbleiben und dem Druck der Umgebung.

Predigt

Liebe Gemeinde!

Ein Aufruf zur Geduld - mitten im Advent!? Eigenartig!
Gut - daß diese Zelt im Jahr besonders geprägt ist vom "Warten" und von der Vorbereitung, das leuchtet mir ein. Ich sehe, daß jetzt die Weihnachtsplanungen überall auf Hochtouren laufen. Das bevorstehende Fest nimmt bereits seit Wochen alle Gedanken und Kräfte in Anspruch.

Das ist in den Familien so, in den Läden und Geschäften schon lange, aber auch bei uns in der Kirche: Krippenspiele und weihnachtliche Musik werden eingeübt; es gibt Adventsbasare, Kaffeenachmittage, Brot-für-die Welt - Aktionen - zu tun ist genug! Und schließlich geht es in den Texten der Gottesdienste im Advent darum, wie wir uns denn vorbereiten könnten auf den menschwerdenden Gott.

Und einer dieser Texte legt uns heute das Stichwort von der Geduld "vor die Füße"! Ich merke: Es kommt mir eigentlich schon entgegen mit meiner Sorge, daß viele in dem vorweihnachtlichen Streß untergehen, sich übernehmen könnten. Immer noch mehr, immer noch perfekter! Geduld - das klingt für mich im ersten Moment nach dem Motto: Nun bleib doch endlich mal stehen, gönne dir die Ruhe, die du brauchst! So könnte das "Seid geduldig... mir einleuchten!

Doch zugleich fällt mir das Sprichwort ein: 'Hoffen und Harren macht manchen zum Narren'. Mir ist die Geschichte von dem jungen Soldaten noch in lebhafter Erinnerung, die vor Jahren durch die Presse ging: Er war auf seinem Posten vergessen worden, man hatte ihn nicht abgelöst, und er harrte tagelang aus, ohne aufzubegehren oder einfach wegzugehen. Ist das die Geduld, die wir brauchen??

Ich frage also noch einmal grundsätzlich - was soll diese Ermahnung hier? Beschreibt sie wirklich angemessen, was wir jetzt vor Weihnachten brauchen? Auch das Bild von dem wartenden Bauern legt mir nahe: Du kannst eigentlich nichts tun, und all deine Anstrengungen sind sowieso umsonst, wenn nicht gar schädlich.

Das mag für die damalige Landwirtschaft gestimmt haben: Gutes Wetter und wachsen lassen - alles Nachhelfen zerstört bloß die kleinen Pflänzchen... Aber in der Landwirtschaft hat sich vieles geändert bis heute. Es ist nicht mehr damit getan, die Saat in den Boden zu bringen und auf den Regen zu warten! Komplizierteste Berechnungen über die nötigen Düngermengen sind zu machen, Wetter und Boden genau im Blick zu behalten, um festzustellen, ob Bewässerungen nötig werden oder Beregnungen um die empfindlichen Apfelblüten vor Frost zu schützen.

Ändert sich mit solchen Veränderungen der Zeit vielleicht auch der Umgang mit dem Wort "Geduld"?

"So seid nun geduldig ..."
Mir fällt ein, daß der Advent die Haupt-Einsatzzeit im Engagement für andere ist; die Zeit, in der mir die meisten Spendenaufrufe auf den Schreibtisch flattern. Advent ist die Zeit, in der die meisten Angebote von Schulklassen, Chören und Blockflötengruppen für Einsätze im Krankenhaus, bei Alten und Einsamen oder auf Seniorenweihnachtsfeiern kommen. Selten im Jahr ist zugleich die Sehnsucht so stark nach Lösung von womöglich lange schwelenden Konflikten, die Suche nach Frieden und Zufriedenheit, der Bedarf an klärenden Gesprächen,

Dieses Nebeneinander hilft mir zu erklären, weshalb die Adventszeit in mir immer so zwiespältige Gefühle hervorruft:

Einerseits mag ich "vorweihnachtliche" Teestunden mit Adventskranzkerzenschein, Keksen und Liedern. Andererseits hege ich auch durchaus Sympathien für den Mann, von dem ich im letzten Jahr in der Zeitung las, daß er kurz vor Weihnachten in einem Wutanfall seinen Fernseher aus dem Fenster geworfen habe. Er hatte die Weihnachtsstimmung der anderen einfach nicht mehr ausgehalten.
Einerseits mag ich das Gedränge auf den Weihnachtsmärkten, andererseits packen mich in dieser düsteren Zeit manchmal Fluchtgedanken und die Sehnsucht nach Sonne und Palmen und Meer.

Und wieder die Frage. Wie paßt dazu der Aufruf zur Geduld? Wie paßt er zu den zwiespältigen Gefühlen, die ich in dieser Zeit bei anderen verstärkt wahrnehme? Bei denen zum Beispiel, die in dieser Zeit intensiv über ihre Zukunftsperspektiven nachdenken?

Oder wie paßt das Geduldigsein zu den Glitzerschaufenstern mit Lichterblinkketten und teuren Auslagen und den davorsitzenden Obdachlosen, um die die meisten Passanten einen großen Bogen machen, und denen die Hoffnungslosigkeit im Gesicht steht? Es kann jedenfalls nicht darum gehen, alles geduldig hinzunehmen, vielleicht noch mit dem weitverbreiteten Satz: "Wir können nichts ändern" und die Hände in den Schoß zu legen!

Wieder: zwiespältige Gefühle.
Ich glaube inzwischen, daß genau diese Zwiespältigkeit eben nicht ein bedauerlicher Irrtum ist, ein unangenehmes Gefühl, das unbedingt zu vermeiden ist oder das es jedenfalls sofort zu beseitigen gilt, wenn es denn leider aufgetaucht ist.

Nein, diese Zwiespältigkeit ist etwas, was gerade ganz wesentlich in den Advent hineingehört! Und das hat dann allerdings mit der GEDULD zu tun! Denn auch in ihr steckt bereits die Zwiespältigkeit.

Das Problem scheint mir zu sein, daß jahrhundertelang Geduld 'an sich' zu einer 'christlichen Tugend' hochstilisiert worden ist. Es galt als besonders fromm, Leiden geduldig und ohne Klage zu tragen, egal worum es sich handelte. Die Frage, ob an dem Bedrängenden und Quälenden etwas zu verändern wäre, durfte nicht gestellt werden, war per se unchristlich! Martin Luther hat noch versucht, die aufständischen Bauern zur Raison zu bringen. Sie hätten sich geduldig in ihr von Gott auferlegtes Los zu schicken, sagte er ihnen, statt sich zu wehren und nach weltlichen Dingen zu streben.

Ob für uns nicht hilfreicher wäre, was der Kirchenvater Augustin über die Hoffnung gesagt hat? "Die Hoffnung hat zwei gar liebliche Töchter, den Zorn und den Mut." Wir brauchen durchaus manchmal die heilsame und heilige Ungeduld, die sich gerade nicht zufriedengibt mit dem, was ist, - die auch mutig und, wenn es sein muß, zornig, Mißstände beim Namen nennt. Das Wort, das Luther mit "geduldig sein" wiedergibt, heißt auch "einen langen Atem haben", hat also viel zu tun mit Ausdauer, mit Training und Übung wenn man so will.

"So seid nun geduldig" das müßte dann beides beinhalten, das stille zurückgezogene, meditative Warten wie auch die angespannte Aktivität!
Wie das aussehen könnte? Ich finde interessante Anregungen dazu in der anderen Aufforderung: "... stärket eure Herzen!"

Das Herz ist in der Bibel der Sitz der tiefsten Empfindungen des Menschen, steht für sein Wesen, den innersten Kern. Alle wesentlichen menschlichen Fähigkeiten werden dem Herzen zugeschrieben. Es kann lieben und trotzig sein, denken und wünschen, beben, zerbrechen, fröhlich sein, klagen, Ruhe finden, sich verändern.

Ein gestärktes Herz - das hieße dann daß ich ungefährdeten Zugang finde zu den Grundlagen meiner wichtigsten Lebensäußerungen;
- daß ich die vielleicht verschütteten Quellen meiner Lebenskräfte wieder freilegen kann!
- daß ich wahrnehme, was ist, und was ich wirklich brauche.

Das wäre ein Adventsprogramm!

Es wird viel gesucht nach solcher Orientierung in unserer Zeit! Die Annoncen in einschlägigen Psycho- und Alternativ-Zeitschrlften sprechen eine deutliche Sprache. Der Zulauf zu orientierenden Kursen aller couleur ist groß, der zu religiös eindeutigen Gruppen ebenso, und der Esoterik-Markt quillt vor Angeboten über.

Manchmal fürchte ich, daß es stimmen könnte, was manche vermuten, daß dagegen bei uns in der Kirche diese Suche noch Orientierung, nach Antworten auf Lebensfragen aufgehört hat - oder jedenfalls kaum noch stattfindet. Ich beobachte oft eine große Ratlosigkeit, was die Gestaltung des eigenen Glaubens angeht. Vieles andere ist so viel interessanter, so viel bunter und unkomplizierter und damit reizvoller.

Dann allerdings wäre die adventliche Mahnung um so wichtiger! "Stärket eure Herzen" Das bleibt nicht als fordernde Parole stehen, sondern die Begründung wird mitgeliefert: "Der Herr ist nahe." Die Zukunft liegt nicht einfach im Dunkel oder im Nichts, sondern sie hat ein Ziel.

Eigentlich ist es Gott, der die Geduld mitbringt, Geduld mit dir, mit mir.

Wir haben es mit einem lebendigen Gott zu tun, der uns nicht ein für allemal festschreibt, sondern uns zutraut daß wir unser Leben vor ihm verantworten können; der mitgeht auch durch die zwiespältigen Erfahrungen unseres Lebens, der uns selbst stärkt und trägt.

Gott ist gegenwärtig, ist zu finden in seiner Welt, zwischen seinen Menschen, uns zur Hoffnung. Er ist längst da, auf den wir noch warten und nach dem wir rufen: "Nun komm, der Heiden Heiland".

Amen.

Pastorin Elisabeth Tobaben, Kirchstr. 13, 37186 Moringen, Tel. 05554- 39 06 80, Fax: 05554 - 86 68