Göttinger Predigten im Internet,
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Sonntag/Feiertag: Ewigkeitssonntag
Datum: 23.11.1997
Text: Matthäus 25, 1-13
Verfasser: Johannes Neukirch, Geversdorf


Wegweiser

  1. Predigttext
  2. Exegetisch-homiletische Überlegungen
  3. Predigt


Predigttext Matthäus 25, 1-13

"Dann wird das Himmelreich gleichen zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus, dem Bräutigam entgegen. Aber fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit. Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen, samt ihren Lampen.
Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen! Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig.
Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unser Lampen verlöschen. Da antworteten die klugen und sprachen: Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein; geht aber zum Kaufmann und kauft für euch selbst. Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen.
Später kamen auch die andern Jungfrauen und sprachen: Herr, Herr, tu uns auf! Er antwortete aber und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.
Darum wachet! Denn ihr wißt weder Tag noch Stunde."


Exegetisch-homiletische Überlegungen

[Literaturhinweis: Die Beschreibung der fünf Jungfrauen im Magdeburger Dom ist fast wörtlich übernommen aus: Gottesdienst Praxis Serie A, hg. von H. Nitschke, I. Perikopenreihe Bd. 3, Gütersloh 1991, S. 166]

Das Gleichnis verführt zu allegorischer Auslegung, die man nicht übertreiben sollte. Es geht um die richtige Einstellung zum Kommen Gottes. Wichtig ist für mich die Überlegung, daß hier eine Warnung ausgesprochen wird, und deshalb rigorose Züge (die fünf klugen geben nichts ab, die Tür bleibt trotz Bitte verschlossen) in dem Gleichnis zu finden sind. Die Warnung hat ihr Ziel in dem Augenblick erfüllt, in dem sie ausgesprochen wird. Deshalb sollte man das Öl, die Zahlen fünf+fünf, die verschlossene Tür nicht in den Vordergrund stellen. Töricht sind die fünf Jungfrauen wohl vor allem deshalb, weil sie in dem Augenblick des Kommens etwas anderes zu tun haben und gar nicht da sind.

Die Predigt ist für eine ländliche Gemeinde geschrieben, in der der Kasus "Ewigkeitssonntag" mit der Verlesung der Verstorbenen eine relativ große Rolle spielt.


Predigt

Liebe Gemeinde!

Wer vor dem Straßburger Münster steht, kann links und rechts vom Portal die zehn Jungfrauen bewundern und sich fragen: Zu welchen gehöre ich? Zu den klugen oder zu den törichten? Dasselbe kann sich fragen, wer im Magdeburger Dom in die sogenannte Paradiesvorhalle, einen gotischen Anbau, möchte. Auch dort stehen die Jungfrauen neben der Tür. Die fünf glücklichen, die an das Öl gedacht haben und die fünf traurigen, die sich furchtbar erschrecken, weil sie das Wichtigste vergessen haben. Sie können zwar noch Öl kaufen, kommen aber nicht mehr in den Saal hinein, in dem die Hochzeit gefeiert wird.

Was haben sich die Künstler und ihre Auftraggeber dabei gedacht, als sie dieses Gleichnis von den fünf klugen und den fünf törichten Jungfrauen in Stein gemeißelt haben? Sie haben es wohl als eine Warnung verstanden, als eine Aufforderung, sich rechtzeitig darauf vorzubereiten, daß eines Tages unser Gott mit der bestehenden Welt Schluß machen und eine neue Welt schaffen wird.

Da möchten wir natürlich dabei sein, möchten in das Himmelreich, in das Reich Gottes aufgenommen werden. Furchtbar ist die Vorstellung, daß die Tür verschlossen sein könnte. Wer die törichten Jungfrauen in Magdeburg betrachtet, erschrickt fast: Die eine beißt sich auf die Lippen und greift sich ans Herz. Die zweite schlägt sich mit der flachen Hand an die Stirn, so als wollte sie sagen: "Wie konnte mir das passieren!" Eine andere trocknet sich mit einem Zipfel ihres Mantels die Tränen.

Die Warnung "Darum wachet! Denn ihr wißt weder Tag noch Stunde" scheint zu dem heutigen Tag, dem Ewigkeitssonntag, zu passen. Selbstverständlich überlegen wir uns, was denn mit unseren Verstorbenen geschieht - und mit uns selbst, wenn wir eines Tages sterben müssen. Selbstverständlich hoffen wir auf so etwas wie ein Reich Gottes und denken an die Worte aus der Offenbarung des Johannes: "Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann." (Offb. 21,1f.) Da ist es wieder, das Bild von der Hochzeit, die Vorstellung eines wunderschönen Festes, auf das wir zugehen. Niemand möchte da vor der Tür bleiben.

Die Warnung aus unserem Gleichnis klingt bedrohlich. Was haben die fünf törichten bloß Schlimmes getan, so frage ich mich? Sie haben doch lediglich vergessen, einen Ölvorrat mitzunehmen. Ansonsten haben sie sich genau so verhalten wie die fünf klugen. Alle zehn gehen dem Bräutigam entgegen, alle zehn schlafen ein, auch die klugen, alle zehn werden von einem lauten Rufen geweckt. Alle machen nun ihre Lampen fertig. Erst dann wird der Hälfte klar, daß sie nicht genug Öl dabei haben. Aber das ist ja kein Problem, die anderen könnten ihnen ja etwas abgeben. Das tun sie jedoch nicht. Nun gut, also zum Kaufmann und dann erst zur Hochzeit. Als sie zurückkommen, werden sie jedoch, trotz ihrer Bitte, abgewiesen und müssen draußen bleiben. Nur weil sie nicht genug Öl dabei hatten? Ich kann das nicht glauben.

Je mehr ich dieses Gleichnis befrage, desto rätselhafter wird es. Es gibt keinen wirklich triftigen Grund für die klugen, den anderen keinen Tropfen abzugeben. Und es entspricht auch nicht meiner Vorstellung von Gottes Gnade und Barmherzigkeit, daß er die törichten nicht doch noch reinläßt - nur weil sie ein wenig zu spät kommen.

Wer sich in diesen Fragen verfängt, übersieht jedoch das Wichtigste: Das Gleichnis ist eben als Warnung gemeint. Das bedeutet: Sobald wir es gehört haben, und das haben wir ja nun, kann uns eigentlich nichts mehr passieren. Denn eines ist doch wohl nun sicher: Wir werden genug Öl mitnehmen, so viel, wie wir tragen können, um unsere Lampen wieder anzuzünden, wenn der Bräutigam endlich kommt, wenn das Reich Gottes Wirklichkeit wird! Wenn man es so sieht, dann meint es Matthäus gut mit uns. Er gibt uns die wichtigste Information für das Reich Gottes mit auf den Weg: Bereitet euch rechtzeitig auf das Kommen des Bräutigams vor. Seid bereit, auch wenn es lange dauert! Wenn wir jetzt noch wüßten, was mit dem Öl gemeint ist und wo wir es bekommen, dann wäre ja alles in Ordnung. Dann müßten wir nur noch hingehen und es kaufen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan.

Was ist mit dem Öl gemeint, und wo kann man es kaufen? Ich glaube, daß es Matthäus um die rechte Vorbereitung auf das große Fest geht, und daß er meint: Unser ganzes Leben ist die Vorbereitung darauf, daß Christus wiederkommt. Leider kann man die nirgendwo kaufen. Da sind wir mit unseren Herzen und mit unserem Glauben gefragt. Denn in unseren Herzen entscheidet es sich, ob wir dem Bräutigam entgegengehen, oder erst noch mal zum Kaufmann müssen.

Nun würde ich gerne die fünf klugen Jungfrauen fragen: Was habt ihr nur getan, daß ihr so klug wart? Wie habt ihr euch vorbereitet; gibt es vielleicht ein Geheimnis? Ich glaube, sie würden mir antworten: "Uns ist eine große und wunderbare Hochzeit versprochen worden. Wir haben uns so darauf gefreut, daß wir dieses Fest auf gar keinen Fall versäumen wollten! Da haben wir einfach an alles gedacht."

Ich müßte ihnen recht geben: Wenn wir uns ganz sicher sind, daß es sich lohnt zu warten, dann treffen wir alle nötigen Vorbereitungen, ohne besondere Aufforderung. Bei Popkonzerten großer Stars kommt es vor, daß die Fans die ganze Nacht in einer Schlange vor den Vorverkaufsstellen für die Eintrittskarten verbringen. Wenn wir eine Reise antreten wollen, dann überlegen wir doch ganz genau, was wir mitnehmen müssen, gehen alle Einzelheiten immer wieder durch und stehen rechtzeitig am Bahnhof oder Flugplatz. Wenn eine Frau die Geburt eines Kindes erwartet, dann kauft sie schon vorher die Sachen, die sie dann braucht. Wenn wir etwas sehnsüchtig erwarten, dann leben wir darauf hin und tun alles, damit sich unsere Sehnsucht erfüllt.

Die klugen Jungfrauen haben gewußt: Egal, wann er kommt, es lohnt sich zu warten. Den törichten Brautjungfern dagegen war die Sache wohl nicht wichtig genug. Ja schon, es könnte sein, daß es etwas länger dauert, aber was soll's. Als der Bräutigam dann wirklich kam, als der Moment da war, für den sie gebraucht wurden, da waren sie schlicht und einfach nicht an ihrem Platz, sondern beim Kaufmann. Ich könnte mir sogar vorstellen, daß sie auch ohne Öl in den Festsaal gekommen wären, daß der Bräutigam sie reingelassen hätte. Denn wichtig war doch ganz allein, daß er nun endlich da ist, endlich gekommen ist. Und gerade da sind sie weggegangen, weil sie meinten, Öl kaufen zu müssen.

Wer die fünf klugen und die fünf törichten Jungfrauen am Straßburger Münster oder im Magdeburger Dom sieht, der sollte nicht lange überlegen, zu welcher Seite er gehört, zu den klugen oder zu den törichten. Er sollte daran denken, warum sie gewartet haben - weil sie zu einer Hochzeit eingeladen waren. Genau an dieser Stelle stehen auch wir: Wir sind zur Hochzeit, zur Gemeinschaft mit Gott, eingeladen, und diese Einladung ist schon ein Teil der Feier.

Heute, am Ewigkeitssonntag, gehen unsere Gedanken und Hoffnungen auch noch einen Schritt weiter: Wir hoffen, daß unsere Verstorbenen schon im Hochzeitssaal sind! Wir sind noch bei den Vorbereitungen und in der Vorfreude. Aber einen Vorgeschmack bekommen wir trotzdem: In der christlichen Nächstenliebe, in der Gemeinschaft der Gemeinde, im Gottesdienst, in Brot und Wein.

Unser Leben ist die Vorbereitung auf das große Fest, das Gott für uns ausrichtet. Unsere Verstorbenen sind, so hoffen wir, schon im Festsaal. In der Vorfreude auf die gemeinsame Feier können wir sagen: "Darum wachet, denn ihr wißt weder Tag noch Stunde!"

Amen.

Dr. Johannes Neukirch, Geversdorf, E-Mail: Johannes.Neukirch@t-online.de


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