Aktuelle Predigt


Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
Sonntag/Feiertag: 2. Sonntag nach Weihnachten
Datum: 4. Januar 1998
Text: 1. Johannes 5, 11-13
Verfasser: Heinz Janssen, Heidelberg


(SEHN-)SUCHT NACH LEBEN
Predigt über 1. Johannes 5,11-13

Predigttext
Übersetzung nach M. Luther, Rev. 1984

11 Und das ist das Zeugnis, daß uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn.
12 Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht.
13 Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wißt, daß ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes.

Predigt

Liebe Gemeinde!

Gott, so schreibt Johannes, hat uns das ewige Leben gegeben, und es ist in seinem Sohn, Jesus Christus. "Das Leben ist erschienen", heißt es am Anfang des Briefes im ausdrücklichen Bezug auf ihn, den Gottessohn. Heute, am 2. Sonntag nach dem Christfest, hören wir diesen Ausspruch noch als weihnachtliche Botschaft.

I.
Steil und kühn klingen allerdings die Worte: "Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht." Es war und ist bis heute kühn, diese Botschaft zu glauben, denn: Was ist das - "ewiges Leben", und was wissen wir davon? Im christlichen Glaubensbekenntnis bekennen wir die "Auferstehung der Toten und das ewige Leben". Es klingt darin die Hoffnung auf etwas Kommendes, noch Ausstehendes an, auf etwas noch nicht Faßbares, nur vielleicht mit leisen Ahnungen Verbundenes. Es schwingt darin auch eine Sehnsucht, zuweilen auch die Sucht, nach etwas Bleibendem und Beständigem mit, nach etwas Überdauerndem, Überlebendem - über den Tod hinaus. Das Gute, das wir erleben, das Glück, die Liebe, sind Momente, die wir ewig festhalten möchten. Aber wir Menschen erfahren täglich die Ambivalenz des Lebens:

die Freude, den Genuß am Leben
und den Frust, den Verdruß,
verfehltes, schicksalschweres, unerfülltes, verletztes
und gelingendes, glückliches, erfülltes, heiles Leben.

Die guten Erfahrungen im Leben wecken in uns den Wunsch nach Wiederholung, Dauer, Ewigkeit. Beständiges Glück, auch über den Tod hinaus - ist das mit "ewigem Leben" gemeint?

II.
Es sind die Religionen, die bei all ihrer Verschiedenheit in dem Glauben an ein Leben nach dem Tod verbunden sind. Diejenigen, die behaupten, daß mit dem Tod alles aus sei, und dafür ideologische Gründe anführen, können Berichte von Nah-Todes-Erfahrungen zum Nachdenken bringen. Von dem Schriftsteller Kurt Marti stammen die Worte: "Das würde manchen so passen, wenn mit dem Tod alles aus wäre...".
Die Bibel ist - was Aussagen und Beschreibungen über ein Leben nach dem Tod anlangt - äußerst zurückhaltend. Aber es gibt darin Andeutungen. Im Gleichnis Jesu vom reichen Mann und dem armen Lazarus erscheint die Welt nach dem Tod für den einen Menschen als ein Ort der Qual, für den anderen als Ort des Trostes.
Durch ihr Verhalten im Leben, so erzählt das Gleichnis, haben sie sich ihr Leben nach dem Tod selbst geschaffen. Eine Warnung "von drüben" wird im Gleichnis abgelehnt. Abraham antwortet: Sie haben Mose und die Propheten...Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde (Lukas 17,19-31).

Hören wir noch eine andere Stimme der Bibel über Leben und Tod: Der Apostel Paulus spricht von dem Mysterium der Verwandlung (1.Korinther 15,51). Der Tod - Station auf dem Weg zu Gott? Von Dietrich Bonhoeffer kennen wir seine letzten Worte auf seinem Weg zur Hinrichtung: "Dies ist das Ende - für mich ist es der Anfang zu einem neuen Leben". Es ist ein Geheimnis des Glaubens, das diese Gewißheit schafft.

III.
Überraschend betont nun Johannes, wenn er vom ewigen Leben spricht, nicht das jenseitige, nach dem Tod beginnende, sondern das gegenwärtige Leben: Wer den Sohn hat, der hat (nicht: bekommt später einmal) das Leben. Paulus redet vom "neuen Leben" der Christen. Es ist von der Überwindung des Todes durch die Auferweckung Jesu geprägt (Römer 6,4). Ein Schriftgelehrter brachte das ewige Leben mit seiner Lebenszeit, seinem Hier und Heute, in Verbindung. Er fragte Jesus: Was muß ich tun, daß ich das ewige Leben ererbe? (Lukas 10,25)

Wer den Sohn hat, der hat das Leben. - Haben wir denn Jesus wie einen Besitz? - Nein. "Jesus haben" bedeutet bei Johannes: sich auf ihn einlassen, auf seine Lehre achten, Vertrauen fassen zu ihm, ihm glauben und ihm nachfolgen. Johannes bringt damit eine innige Beziehung zum Ausdruck - wie Liebende sich darüber freuen können, einander zu "haben". Wer den Sohn hat, der hat das Leben - jetzt bekommen diese Worte einen wohltuenden Klang. "Wohl mir, daß ich Jesum habe", heißt der Choral einer Bach-Kantate (Nr. 147).

[Hier kann der Choral "Wohl mir, daß ich Jesum habe" chorisch oder instrumental erklingen.]

"Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wißt, daß ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes." - Um Zuspruch an die an Jesus Glaubenden ging es damals Johannes. Es war damals nicht anders als heute. Wie die jungen christlichen Gemeinden damals in einer Welt lebten, in der vieles - bis hin zur Perversion des Lebens - im Argen lag (1.Johannes 5,19), so ist es doch auch heute nötig, sich immer wieder neu zu orientieren und Zuspruch für das Leben zu suchen.

Mit Jesus ist die Liebe Gottes erschienen. ["Laßt uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt", ruft Johannes den Gemeinden mit seinem Brief zu (4,19) und bringt damit auch uns heute auf den Geschmack des wahren, ewigen Lebens. Ähnlich legt es uns die Jahreslosung für dieses Neue Jahr 1998 (Epheser 5,2) ans Herz: Lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat.] Wie bedingungslos und voller Liebe hat sich Jesus den Menschen zugewandt! Diese Zuwendung dauert an, sie trägt, hier im Leben und über dieses Leben hinaus - in alle Ewigkeit. Amen.

Heinz Janssen
Pfarrer an der evangelischen Providenzkirche zu Heidelberg
Karl-Ludwig-Str. 8a, 69117 Heidelberg, Tel.: 06221-20941 Fax: 164995

E-Mail: providenz@aol.com


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