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Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Sonntag/Feiertag: 2. Sonntag nach Epiphanias
Datum: 18.1.1998
Text: Römer 12, 9-16
Verfasser: Jobst v. Stuckrad-Barre


Ohne weiteres - von der Liebe in den Zeiten offenen Unfriedens

1) Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern der 11. Klasse. Der Lehrer fragt die Jugendlichen, was sie unter Freundschaft verstehen. "Für jemanden sorgen, ehrlich sein, gegenseitiges Vertrauen und Respekt", so lauten die ersten Beschreibungen. Der Lehrer geht einen Schritt weiter - das Verhalten Jesu zu seinen Jüngern beziehe auch das Opfer mit ein, ob diese Ausweitung noch dazugehöre? Die jungen Leute sprechen sich heftig dafür aus. Doch plötzlich entsteht Schweigen. Der Lehrer hat nämlich gefragt, ob es Freundschaft auch zwischen christlichen und islamischen oder gar zwischen palästinensischen und jüdischen Jugendlichen geben könne. Das kann sich keiner aus der Klasse vorstellen. Zu hart stehen die Gruppen gegeneinander.

Ich muß den Ort des Gesprächs nachtragen. Die Diskussion über die Reichweite von Freundschaft fand in Talitha Kumi statt, an der lutherischen Schule in Bethlehem, also mitten im Konfliktfeld zwischen Muslimen, Juden und Christen. Das jähe Stocken im Gespräch erfaßt mit einem Blick den scharfen Kontrast zwischen persönlicher Überzeugung und harter Realität, zwischen individueller Aufnahme des Glaubens und der Wirksamkeit politischer, den Interessen der jeweiligen Seite unterliegender Haltungen. Die Jugendlichen schweigen, weil sie diesen Kontrast nicht einfach überspielen können - und sie bleiben darin ehrlich.

Wer - noch dazu etwa von Deutschland aus! - meint, mit einfachen Rezepten helfen zu können, geht sicher weiter, als er sollte. Die Schule, das gemeinsame Lernen von Christen und Muslimen in Bethlehem ist in sich ein Versuch, die mühseligen Wege zum gemeinsamen Leben zu erforschen. Es sollen hier durchaus keine Lösungsvorschläge von außen erteilt werden. Vielmehr machen uns die Jugendlichen aus Bethlehem auf das Dilemma aufmerksam: Gelten die Maßstäbe liebevollen Verhaltens nur nach innen oder auch nach außen, in der Beziehung zu Menschen anderer, z. B. eben nichtchristlicher Gruppen? Eure Liebe sei ungeteilt, ohne Heuchelei, ohne allen Vorbehalt, meint Paulus, haßt und laßt das Böse, geht dem Guten nach! Die Beziehungen innerhalb der Christengemeinde und zur Umgebung unterscheidend schreibt er dann:

Römer 12, 9-16: "Die Liebe sei ohne Falsch. haßt das Böse, hängt dem Guten an. Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht. Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen. Haltet euch nicht selbst für klug."

Die Vorwürfe kommen von verschiedenen Seiten: Ihr Christen seid nur nach innen hin freundlich und kümmert euch nicht genug um die andern - oder (und meist von Mitarbeitern oder Insidern der Gemeinden): Kirche verhält sich gegenüber ihren eigenen Leuten genau wie alle andern gesellschaftlichen Gruppen: "grottenschlecht!" Oder: Christen sind gerade nach außen, gegen Gegner und Feinde der Liebe zu ehrerbietig, lammfromm förmlich, anstatt die Stirn zu bieten und für die wirklich Benachteiligten einzutreten.

So lange die Vorwürfe von mehreren Seiten kommen, ließe sich sagen, ist ja wahrscheinlich doch alles in Ordnung. Oder eben nicht! Auch muß der Gedanke einbezogen werden, daß Menschen dazu neigen, ihre Erfahrungen und Befürchtungen auf andere zu projizieren, auf die Kirche oder die Christen. Wie sollen sie dann aussehen, die Beziehungen nach innen und nach außen?

In der von Gegnern wie von Freunden kommenden Forderung nach Liebe ohne Heuchelei tritt die Grundlage des ganzen weiteren Zusammenlebens zutage: Wahrhaftig soll Kirche, soll Leben sein. Nur dann kann es gutgehn, innerhalb und außerhalb der jeweiligen Gruppe. So taucht in dieser scheinbar altmodischen Formel: "ohne Heuchelei" der innere Grund von Zustimmung und Hoffnung für gemeinsames Leben auf. Ohne falsches Spiel, ungeteilt, ohne uneingestandene Nebeninteressen und -ziele, so könnt ihr leben. Gegen alle Angst vor moralisierender Rederei, aber genauso gegen die Befürchtung vor scheinbar wertfreier, in Wirklichkeit ganz saftig von eigenen Interessen ausgehender Einflußnahme ist dieser Ausgangspunkt eine grundlegende Hilfe.

2) So werden wir durch Paulus "nach innen" geführt: Christen unter einander sind auf Liebe ohne falsches Getue, auf tatsächliche Geschwisterlichkeit angewiesen. Warum die Einschränkung? Weil es unzählige ganz unbrüderliche, gänzliche ungeschwisterliche Beziehungen und Konstellationen gibt - was wird da nicht lieblos aneinander vorbei oder um einander herum gearbeitet; Geschwister kennen einander "aus dem EffEff" und können einander darum mehr wehtun als andere. Wird gegenseitige Anerkennung zur "Geschäftsgrundlage", ist viel, schon fast alles gewonnen. "Se müsset brennen!" hat der frühere Bundestrainer Sepp Herberger seine Erwartung an die Spieler der Fußball-Nationalmannschaft beschrieben; nur wenn sie alles geben und wollen, können sie das Match, den Kampf im Spiel bestehen. Also nicht abwarten, zögern, bis alles von selbst geht.

Können Christen so die Zeit des Kommens bestehen, das Zugehen auf den, der über Leben und Tod entscheidet? Brennen, nicht um der Dynamik willen - nein, um Gottes willen. Also fröhlich, weil er kommt, geduldig, weil er den Menschen beisteht, beharrlich betend, weil er hört und weil wir so bereit werden. Bereit, die anzunehmen, die leiden. Und aufnahmebereit für die, die Schutz suchen bei uns.

3) Jetzt weitet sich der Blick - von innen nach außen. Christen und Nichtchristen im Miteinander! Welch unerhörtes Verlangen legt Paulus uns da auf: Segnen, nicht verfluchen; segnet eure Verfolger! Segen: Damit ist Heil und Wohl gemeint.

Da wir zunehmend in einer nichtchristlichen Gesellschaft leben, wird Verachtung, mindestens Gleichgültigkeit der Christengemeinde gegenüber zunehmend spürbar. Doch Verfolgung, Gefahr an Leib und Leben, die leiden die Gemeinden hier nicht. Wohl aber Menschen im Nahen und Mittleren Osten, in all den Ländern, entschuldigen sie den Ausdruck, dritter Klasse. Siehe die Schiffe mit Kurden an Europas Küsten. Von wegen Aufnahmebereitschaft - Grenzen dicht! lauten die Losungen von (Stammtisch-)Politikern.

Die Gemeinden, die Flüchtlinge und Asylbewerber aufnehmen, geraten an den Rand unseres geltenden Rechts und haben einiges durchzustehen, ganz abgesehen von dem schlimmen Gerede mancher. Verfolgt sind jedoch die, die um Aufnahme bitten. Daß da ein zunehmend schwieriger Prozeß auf uns zukommt, mahnt (mich) erneut, nicht zu Vereinfachungen zu greifen. Doch bleibt die elementare Weisung des Paulus: "Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden." Sie zeigt, daß unser Mitfühlen und Empfinden nicht durch Lagerdenken und Lieblosigkeit blockiert werden darf. Dies ist jeden Tag und allerorten unsere Möglichkeit: mit denen zu sein, die aus Freude oder eben leidend zu uns kommen. Die Verteilungskämpfe, die im Gang sind, dürfen nicht zu der Erklärung führen, wir sind doch nicht zuständig!

4) Eines wird grundlegend für den Frieden der verschiedenen Gruppen: Nicht auf das Hohe zu sehen, sondern auf das Geringe zu achten! Der Markt (der wertfreie!) will uns genau an dieser Stelle die Gegenposition zu Paulus weismachen: Immer mehr, immer größer, ohne Rücksicht! Nein, die Perspektive von unten, hält Paulus dagegen, ist lebenswichtig - sich selber nicht für klug, für den letzten Maßstab zu halten. Ein Beispiel? Aus diesen Tagen?

Wenn es die Fassungskraft nicht übersteigt: Richard Seed, ein Fortpflanzungsspezialist, und sein Bruder, ein Chirurg, sie wollen, so haben sie öffentlich angekündigt, einen Menschen klonen. In einer noch zu errichtenden Klinik in Chicago sollen bis zu 500 menschliche Klone erzeugt werden. Vier Paare hätten sich für die ersten Versuche bereits zur Verfügung gestelltt. Nach dem Urteil von Ex-Kollegen der beiden, soll ich sagen Forscher, soll ich sagen Unternehmer, wollen sie sich nur einen Namen machen.

Zitiert wird Richard Seed selbst mit dem Satz, die Reproduktion der menschlichen Erbanlagen sei der erste ernsthafte Schritt, "um mit Gott eins zu werden." Hoch genug? Schrecklich jedenfalls. Da wollen Menschen wieder einmal Gott gleich sein, in diesem Fall sogar eins mit dem Schöpfer. Wollen sie wieder einmal nicht nur Gut und Böse erkennen, sondern sich zu Herren der Schöpfung machen. Respekt vor dem Leben, vor der Schöpfung, vor dem, der das Leben geschaffen und erhält, das ist unsere, die menschliche Sache, die Perspektive, die das Geringe achtet. Nicht: mehr sein, höher sein als alle andern.

Dem zu widersprechen und zu widerstehen ist Teil dessen, was wir zu tun haben, dessen, was gut ist für jedermann. Wirklich, das ist kein Ratschlag für Sonntagsverhalten von Bürgern - es liegt darin eine Lebensgrundlage für uns und die nachgeborenen Generationen.

5) Am Ende: So weit es möglich ist, Frieden mit allen. Das Verhalten zu einander spiegelt die innere Verfassung des Menschen, ob in den eigenen Reihen oder zu den Außenstehenden. Der Friede, den Paulus abschließend noch einmal als die Möglichkeit der Christen vor Augen führt, dieser Frieden ist Folge des 'Unglaublichen': Gott überwindet den herrschenden Unfrieden und setzt uns, die Menschen, instand, diesem Frieden unter uns Raum zu geben.

Das heißt, Schweigen und Aussichtslosigkeit zwischen den verfeindeten Gruppen nicht das letzte sein zu lassen. Es heißt, Mitfühlen und -leiden in neue Offenheit für die Opfer umzusetzen. Und es heißt auch, die Grenzen unseres Menschseins zu respektieren und gerade darum nicht weniger kreativ zu sein. Was wir so sehen, wird zur ganzen Vielfalt des Friedens nach innen und außen. Sie fließt aus der Liebe, die ganz ohne alle Vorbehalte geschieht - ohne weiteres!

Jobst v. Stuckrad-Barre, Pastor an St. Albani-Göttingen
Hainholzweg 10, 37085 Göttingen
Tel. (u. Fax nach kurzer tel. Anmeldung) 0551 / 5 99 48


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