Göttinger
Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
Sonntag: Sonntag Palmarum
Datum: 5.4.98
Text: Philipper 2, 5-11
Verfasser:
Heinz Behrends
Predigt: Liebe Gemeinde! Der Apostel sitzt im Gefängnis und schreibt an die Gemeinde, der er sich am stärksten von allen verbunden fühlt. Er sorgt sich, daß sich die alten Gesetze von oben und unten wieder durchsetzen, daß der Egoismus sich breit macht. Nun antwortet er, indem er sie an ein Lied, das alle kennen, erinnert. "Seid unter euch so gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus entspricht" und dann sagt er das Lied auf: "Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Kreuz, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erden sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters." Ein dichter Text, in dem das ganze Leben, Anliegen und Wesen Jesu verborgen ist. Ich möchte nur einen Aspekt herausgreifen. Von Glück und Hingabe möchte ich heute reden. Sind Sie glücklich? Ich denke, nur zwei oder drei in einem großen Kreis antworten jeweils mit "Ja", Die meisten denken "Nein, glücklich bin ich nicht, aber zufrieden, das bin ich wohl." Und etliche fühlen sich einfach nur schlecht. Es ist keine gute Zeit für sie. Glücklich? Das ist man vielleicht nur vier-, fünfmal im Leben. Nun sagt die Theologin Dorothee Sölle, Jesus sei der glücklichste Mensch der Geschichte. Sie kommt zu der Einsicht, nachdem sie viel über den Predigttext nachgedacht hat. Er ist glücklich, weil er zur Hingabe fähig ist, sagt sie. Denn mit "Hingabe" könnte man zusammenfassen, was das
alte Lied von ihm sagt. Was gibt er hin? Das möchte ich auch gerne leben. Ich denke, es ist eine große Sehnsucht unter uns, sich hingeben zu können. Wir bewundern die Menschen, die das können. Die großen und berühmten Menschen wie Mutter Teresa, Albert Schweitzer, Dietrich Bonhoeffer, die modernen Heiligen. Und wir bewundern die Kleinen, die hingeben können: die Mutter, die Frau, einen Mann. Was hindert uns an der Hingabe? Wir sind sehr verletzlich. Je mehr Erfahrung mit Beziehung jemand hat, desto vorsichtiger, abgeklärter und geschützter verhält er sich. Und überhaupt: Hingeben kann nur, wer was zu geben hat. Aber was habe ich denn, was bin ich denn, das ich geben könnte? Da muß ich erst mal auf mich schauen. Den Wert erfahre ich durch den Zuspruch von außen, von anderen. Durch den Zuspruch Gottes. In das Urteil Gottes hineinkriechen, hat Luther das genannt, nachdem er den geistlichen, pubertären Prozeß im Kloster erinnernd beschreibt. Du verklagst dich? Ich spreche dich gerecht, sagt Gott. Den Wert erfahre ich, wenn andere mich mögen und wertvoll finden. Und: Hingeben kann ich nur aus meinem Reichtum, der mir geschenkt ist. Wer sich für wertlos hält, kann nichts hingeben. Christus hat von Anfang an um seinen kostbaren Wert gewußt.
Das schwingt mit, wenn er sich selbst entäußert. In der
Hingabe wird er glücklich. Wer sich unsagbar geliebt weiß,
kann alles geben. So viel wollte ich erst mal sagen: Die Bibel meint mit Glück immer eine Hingabe an eine Sache, die auf andere Menschen ausgerichtet ist. Nicht das materielle Glück, genug haben, reisen können, gute Erlebnisse und gute Musik, eine materialistische Form von Glück, nicht das private Glück. Er hielt es nicht für einen Raub. Er raubte nicht sein Glück, groß zu sein. Rauben heißt lateinisch "privare". Das private Glück hat immer etwas räuberisches. Ein jeder sehe nicht auf das seine, sondern was dem anderen dient, so leitet der Apostel das alte Christuslied in Vers 4 ein. Wer hingibt, kommt von sich selber los, aber er gibt sich dabei nicht auf. So verwandelt er dann alle Begriffe und Verhältnisse: Der Knecht wird zum Dienenden, Gehorsam wird zum freiwilligen Opfer, das nicht zum Verlust wird. Erniedrigung wird zur Erhöhung. Das Problem der Verletzbarkeit ist damit nicht gelöst. Mancher
und vor allem manche von uns weiß von dem Schmerz zu erzählen,
der ihr oder ihm zugefügt wurde. Aber sie hält aus. Hingabe
berechnet nicht. Liebe berechnet nicht, sie verhält sich nicht
buchhalterisch. Übrigens, interessant ist diesem ältesten Text der
Christuslehre, daß die Aktivität von Christus ausgeht. Er
spricht von keinem Opfer, das Gott durch den Tod seines Sohnes bringt,
sondern der Satz ist aktiv formuliert. "Er erniedrigte sich
selbst." In großer Freiheit und in dem Wissen, geliebt zu
werden, gibt er sich hin. So sei die Gesinnung unter euch: Nicht als moralisches Vorbild, dem nachzueifern gilt, wird Jesus hier verstanden, sondern: Wer in diesem Vertrauen Christi liebt, der wird so hingebungsvoll leben wir er. Bist du glücklich? Das ist ein mühsamer Weg. Amen Heinz Behrends, Göttingen |
|
Göttinger
Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch