Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag/Feiertag: Jubilate
Datum: 3. Mai 1998
Text: 1. Johannes 5, 1-4
Verfasser: Wolfgang Petrak


Predigtext: 1. Johannes 5, 1-4

1 Wer glaubt, daß Jesus der Christus ist, der ist von Gott geboren; und wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der von ihm geboren ist. 2 Daran erkennen wir, daß wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. 3 Denn das ist die Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer. 4 Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.

Liebe Gemeinde,

in vielen Kirchen werden an den Sonntagen dieses Monats Konfirmationen gefeiert. Wenn dann in ihnen "Lobe den Herren" gesungen wird, ist es so, als ob sich der ganze Raum bis hoch unter die Decke füllt. Mit Danken und Gedanken. Sie mögen blitzschnell zu jenem Augenblick zurückkehren, an dem Leben geschenkt wurde. Dann vielleicht erfassen sie solche Momente wie das erste Lächeln des Sohnes. Da war für den Vater eigentlich erst der Kontakt da. Oder die Fahrt des Kindes mit dem Fahrrad ohne Stützräder: Zunächst mußte die Tochter noch geschoben werden, dann ging es von selbst. Oder wie sie stolz die Arbeiten aus der Schule mitbrachten, in der 4. Klasse jedoch ging der Ärger los. Und die Krise in der Ehe...: Die Gedanken gehen nicht vorbei an den Konflikten und Ängsten; sie lassen sich jedoch nicht darin gefangennehmen, sondern münden ein in dieses- wie soll man es anders sagen?- in dieses "Lobe den Herren". Und wenn dann zum Schluß des Gottesdienstes noch gesungen wird "Geh aus mein Herz und suche Freud", dann gehen deine guten Wünsche mit, und du weißt zugleich, daß du sie losläßt. Kinder. Söhne, Töchter: sie gehen, um Eigenes zu suchen und Bleibendes zu finden.Wie wird sich ihr Leben und ihre Beziehung mit uns gestalten?

Auch wir, die wir Konfirmandenunterricht gegeben haben, spüren dann, daß eine gemeinsame Zeit abgeschlossen ist. Dabei gehen in diesem Augenblick meine Gedanken nicht so sehr der Frage nach, wie sich das Verhältnis von Jugendlichen und unserer Kirche entwickeln wird. Natürlich ist diese Frage wichtig: Wenn wir von Töchtern und Söhnen als Kindern Gottes reden, müssen auch unsere Räume ihnen ein Zuhaus sein. Ihre Lebensform bereichert uns; ihre Fragen nötigen uns zu Antworten und Konsequenzen, auf die wir so von allein nicht kommen würden. Denn Liebe ist nicht nur ein Wort. Gottes Liebe schon garnicht, denn sie ist wie die Sonne, sie ist immer und überall da. Toll, wenn Jugendliche das bei uns spüren. Nicht damit sich Strukturen und Institutionen formal für das 21. Jahrhunder sichern. Sondern damit etwas von dem rüberkommt, der Grund des Lebens ist.

Deshalb steht für mich am Ende der Konfirmandenzeit die Frage, ob es reicht, was wir den Konfis mitgegeben haben. Denn in dem Maß, in dem gemeinschaftliche Einrichtungen und Institutionen ihre prägende Bedeutung verlieren, werden wir persönlich umso stärker gefordert, um Entscheidungen zu verantworten. Tragen da die Beispiele aus dem Konfirmandenunterricht - jenes selbstgedrehte Video über Adam und Eva, das Rollenspiel über den Reichstag zu Worms, die Erlebnisfreizeit verbunden mit einer Tischabendmahlsfeier? Bei den Zehn Geboten scheint es einfacher zu sein. Es ist uns gesagt, was gut ist und was Gott fordert; seine Gebote sind nicht so schwer. Das neunte und zehnte Gebot zum Beispiel. Du sollst nicht begehren. "Ist doch klar. Anbaggern läuft nicht- aber man kann doch nicht ständig mit geschlossenen Augen rumlaufen"! Natürlich wissen Konfirmanden, daß Liebe mehr ist als " mit jemanden gehen". Sie suchen Bindungen, müssen aber zugleich ihre Auflösung erfahren. Schmerz, Destruktion und Neuanfang liegen so eng beieinander. Jugendliche brauchen Zeit, um sich zurecht zu finden. Nicht nur sie.

"Wir wollen Freiheit, um uns selbst zu finden, Freiheit, aus der man etwas machen kann. Freiheit, die auch noch offen ist für Träume". Es ist das Lied, das nicht in unserem Gesangbuch steht, weil Kirchenmusiker es für zu kitschig und Theologen für unerheblich gehalten haben. Gleichwohl ist es das Lied, das mittlerweile Generationen miteinander singen, Konfirmanden sogar auswendig, freiwillig und einfach so. Weil sein Text weite Bilder hat, die die Brüche und Widersprüche unserer Erfahrung aufnehmen (Wind und Weite; Gericht, Gitter, Mauern, Angst). Doch dieses ist von einer Melodie umfangen, die wie ein sicherer Strom trägt: Herr, deine Liebe.

Bei einer Konfirmation hatten sich von den 63 Konfirmanden und Konfirmandinnen 20 den gleichen Spruch ausgesucht: " Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm". Als der Spruch zum siebten Mal vorgelesen wurde, tuschelten einige in der Gemeinde. Später dann gab es Kichern und verlegenes Hüsteln. So, als ob dieses Wort denn doch nicht so oft gehört werden kann. Denn wir haben eine Gegenwelt: Sexualität wird publiziert, Liebe jedoch wird als Gefühl privatisiert. So daß ihr, von der einmal die Urgroßeltern sangen, sie sei eine Himmelsmacht, nichts mehr an Wirkung nach außen zugetraut wird. Leitbilder ihrer Gegenwelt sind jene Substantive, die ein "Aktivitätsprinzip"`vorschreiben und auf "täten"enden: Attraktivität, Produktivität, Kreativität, Mobilität usw: als täte alles auf ein unerschütterliches Leistungsprinzip hinauslaufen, das einen Standort vorgeblich sichert.

Gott hat keinen Standort. Er kann sich verlieren, um zu gewinnnen. Im Anfang war. Werden heißt Sein. Oder besser: Sein heißt Werden. Werden heißt Erschaffen; Neues entsteht. Werden heißt Erzeugen. Werden heißt zugleich: Geboren werden. Also beides zusammen: Geben und empfangen, Loslassen und Aufnehmen, so daß sich Bleiben und Verändern aufeinander beziehen und verbunden sind wie Wind und Weite und wie ein Zuhaus. Das ist Liebe. Im Anfang war das Wort, und das Wort bei bei Gott, und Gott war das Wort. Doch Gott bleibt nicht bei sich. Denn er ist die Liebe und wird sie, lebt sie. Er gibt sich in die Welt hinein, und das kann nicht zurückgenommen werden, weil die Geburt unumkehrbar ist. Er hat einen Sohn. Und er sprach zu ihm vielleicht: "Geh aus mein Herz und suche Freund". Oder: "Fahr Hin, meins Herzens Kron. Es ist Zeit".

Sein Sohn hat einen Vater. Und eine Familie, die nicht vom Kreis geschlossener Harmonie gekennzeichnet ist. Auch in ihr wird scharf der Schmerz der Trennung ausgesprochen. Die Seinen sagen, er sei von Sinnen; er fragt, wer seine Mutter und seine Brüder sind, ja auch dieses: Mein Gott, warum?

Die Liebe erträgt alles, glaubt alles , sie hofft alles, sie duldet alles. Auch die Tränen und das Verstummen. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns. Gottes Eingehen in die Welt bedeutet für ihn Verlust und Schmerz. Für uns aber den Gewinn seiner Liebe. Denn sie weist über ihn hinaus und nimmt uns ganz darin hinein. Und den Konfis war es ganz egal, wie die anderen reagierten. Denn es ist ihr Wort. Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Denn unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Hinterm Horizont gehts weiter, und das geht ganz tief rein , so daß das Herz in Sprünge geht und kann nicht traurig sein.

Amen

Lied nach der Predigt: EG 351,1-3.13

Material: Weniger Guildo Horn als Udo Lindenberg, Hinterm Horizont geht´s weiter.

Wolfgang Petrak (Pastor in St. Petri- Weende), Schlagenweg 8a, 37077 Göttingen


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