Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag/Feiertag: Exaudi
Datum: 24. Mai 1998
Text: Epheser 3, 14-21
Verfasser: Dr. Gottfried Sprondel, Osnabrück


Erwägungen zur Predigt (hier klicken)

Text (Epheser 3, 14-21) "Ich beuge meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, daß er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, daß Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid. So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle. Dem aber, der überschwenglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen"

Liebe Gemeinde!

Väter haben keine gute Zeit. Ich vergesse nicht den Verzweiflungsschrei des Mannes, den er - sonst ein Freund aller fortschrittlichen Dinge wie Gleichberechtigung, Partnerschaft, herrschaftsfreien Umgang - eines Tages ausstieß: "Warum das gerade mir! Nicht meinem Vater, nicht meinem Großvater, nein, ausgerechnet meiner Generation, dieser totale Abbau der Väter, die auf einmal nichts mehr dürfen und an allem schuld sind!"

Er hatte es mit seinen beiden Kindern redlich versucht, von gleich zu gleich zu verkehren. Aber dann, in der Pubertät, hatte es gekracht (wie es sich gehört). Nur konnte er jetzt nichts mehr machen. Er hatte alles an väterlicher Autorität weggegeben. Erst jetzt wird ihm klar, daß er gar kein Vater gewesen war, weil er Kumpel hatte sein wollen. Überdies wußte er von seiner sehr modernen Frau, daß Patriarchen und patriarchale Zustände die Wurzel aller Übel der Welt seien, jedenfalls für die Frauen.

Schwierige Zeiten also für Väter und damit auch für die Bibel, die unbefangen Gott als Vater anspricht, ja sogar behauptet, alles, was es sonst an Vater-Kind-Verhältnis in der weiten Welt gibt, stamme aus Gottes Väterlichkeit! Und dann, um das Maß vollzumachen: auch noch ein Kniefall davor wird vorgeführt. Das könnte den Herren Patriarchen und Haustyrannen so passen, daß man sie auch noch von unten anhimmelt! Unpassender kann sich ein Bibeltext kaum einführen bei uns Kindern dieser Zeit.

*

Durch solche Abwehrreaktionen müssen wir uns wohl erst durcharbeiten, wenn wir zu fassen bekommen wollen, worauf die Bibel hinauswill, und weshalb ihre Botschaft notwendig und gut, ja sogar erfreulich ist. Manches freilich von unseren Urteilen und Vorurteilen geht dabei zu Bruch. Denn dieser Vater hier saugt mit seiner Herrschaft Frau und Kinder nicht aus, er produziert nicht geduckte oder gar gebrochene Wesen um sich herum, sondern im Gegenteil: Er beschenkt uns mit einer Kraft, die wir ohne ihn niemals kennenlernen würden. Hier ist der tiefe Unterschied zwischen Gottes Vaterschaft und uns menschlichen Vätern mit Händen zu greifen.

Wie es nun einmal unter uns zugeht: Es gibt gute Väter und schlechte Väter, die meisten von uns sind mittelmäßig und machen ihre Sache auch mittelmäßig. Wir haben ja schon viel erreicht, wenn unsere Kinder uns dies und das absehen, wonach sie sich später einmal richten können (oder aber unter keinen Umständen richten sollten). Dieser Vater aber schenkt weg mit vollen Händen, obwohl er sich über uns keine Illusionen macht. Unter uns Menschen wäre das eine nicht ungefährliche Art von Verwöhnung. Bei ihm aber kann es offenbar gar nicht anders, und das heißt: gar nicht genug sein, weil der Reichtum, aus dem er schöpft, so über alle Maßen groß ist. Ist das eine normale Erfahrung, die Menschen mit Gott machen?

Dazu ist zweierlei zu sagen: Trotz aller Tränen der Welt, trotz der Misere unserer Alltage, trotz aller Verstrickungen, aus denen wir uns nicht mehr herauswinden können - jeder unter uns ist an jedem Tag ein hundertfach Beschenkter. Daß wir es nur selten wahrnehmen, liegt nicht an Gottes Gaben, sondern an unserer Undankbarkeit. Die Undankbarkeit ist eine Art von freiwilliger Blindheit. Wer sich aber diesen Star stechen läßt, sieht alles anders. Er sieht auch "den Reichtum seiner Herrlichkeit", die phantastische Fülle, aus der Gott schenkt und aus der wir empfangen, Tag für Tag.

Würde das auch auf einen Arbeitslosen zutreffen? Halten Sie mich nicht für zynisch, wenn ich sage: ja? Sie und ich könnten allerdings noch einiges dazu tun, daß wir unsere Lebensdankbarkeit mit ihm teilen! Das andere aber ist der Bibel noch wichtiger. Sie beschreibt es so: Was Gott uns als seine kostbarste Gabe austeilt, das ist eine "Kraft, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen" (V. 16).

Fromme Geheimsprache? Wenn Sie Christ sind, wissen Sie sofort, was gemeint ist. Wenn Sie es nicht sind, aber einen Christen in der Nähe haben, fragen Sie ihn! Zu einem Christen gehört nämlich, daß sich länger je mehr in sein Leben etwas hineinschiebt und -drängt, was ihn verändert. Bei den einen geht es schlagartig, bei den anderen (den meisten) ist das ein langer Vorgang, der manchmal das ganze Leben dauert. Die einzelnen Schritte dahin kann man kaum auf dem Kalender festmachen, wohl aber das Ergebnis: "daß Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewwurzelt und gegründet seid" (V. 17).

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Da fällt nun der Name, um den sich bei uns alles dreht: Christus. Daß einer oder eine "mir im Herzen liegt" oder "haust", das kennen wir sonst allenfalls aus der Sprache von Liebesliedern, und es kann dann für die Nichtbetroffenen ein wenig kitschig klingen. Die Sache aber trifft es genau, auch die Sache mit Christus. "Ich kriege das Mädchen nicht mehr aus dem Kopf heraus", sagt der Verliebte und freut sich. "Ich kriege Christus nicht mehr aus dem Herzen heraus", sagt der Christ und will ihn auch gar nicht loswerden. Denn der, der sich da einquartiert hat, offenbart sich länger je mehr als die Quelle einer sonst gar unbekannten Kraft.

Wozu ist diese Kraft gut? Jetzt müßte man eigentlich lauter Geschichten erzählen oder anders ihre Geschichten erzählen lassen. Und wenn alle zuende erzählt hätten, dann hätten wir immer noch nicht viel mehr als eine erste Ahnung, "welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist," (V. 18), um die es dabei geht.

Haben Sie schon einmal einen Menschen sich an Gott freuen sehen? "Freuen mit unaussprechlicher Freude" nennt die Bibel das; die Worte gehen einem dabei aus. "Mein Herze geht in Sprüngen und kann nicht traurig sein" - bloßer Überschwang aus dem Gesangbuch? Oder kann man so etwas allen Ernstes erleben? Man kann! - Oder haben Sie schon einen Christen langsam an Krebs sterben sehen? Ich habe es öfters als einmal, und ich habe von solchen Menschen hundertmal mehr empfangen, als ich ihnen hatte geben wollen. - Haben Sie schon einmal mit einem frommen Spätaussiedler der älteren Generation gesprochen, der alle Kreise der sowjetischen Hölle noch selber durchschritten hat? Man ist mitunter sprachlos vor der Kraft, die da gehalten hat bis zum heutigen Tag. Ich selber denke immer zuerst an meine Mutter in den Tagen von Flucht und Vertreibung aus dem Osten vor 53 Jahren: eine Familie ohne Vater, fünf Kinder, ohne Habe, ohne Nahrung, rechtlos, fürchterlichen Anstrengungen ausgesetzt. Aber die Kraft dessen, der in ihrem Herzen wohnte, zeigte sich stärker als all das. Andere Generationen machten an anderen Orten dieselbe Erfahrung.

*

Ich weiß, man kann diese Erfahrung nicht herbeizaubern. Auch eine Predigt darüber hat nichts von einer Gebrauchsanweisung. Sie möchte nur einige Sperren wegräumen, die mit dem Wort "Vater" zusammenhängen. Und sie möchte Lust machen auf die ganz einfachen Erfahrungen, die hinter den komplizierten Wendungen dieses alten Stücks Bibel stecken. Vergessen wir nicht: das Ganze ist ein Gebet, für Leute wie uns gebetet, die das alles ja nicht aus sich selbst haben können, sondern darauf als auf ein Geschenk warten. Das Warten allerdings macht es!

Amen.

Erwägungen zur Predigt:

1. " Es ist eine Epistel, die seltsame Reden führt, die ein gewöhnlicher Mensch nicht versteht" (Luther, nach GPM 40, 1986, S. 296). Die Predigt soll aber "für alle Interessierten in Stadt und Land verständlich sein" (Hinweise für Autoren dieser Predigtreihe).

2. Man muß also auswählen. Ich wähle die Anknüpfung beim Begriff "Vater" (V. 14) und dessen gegenwärtiger Krise. Emotionale Sperren, aber auch Unverständnis bei den Zeitgenossen liefern eine erwünschte Reibungsfläche.

3. Die Predigt will aber nicht nur die Dankbarkeit der Väterlichkeit Gottes plausibel machen, sondern auch ihre Erlebbarkeit mindestens andeuten.


Dr. Gottfried Sprondel 49076 Osnabrück Tel. 0541 - 445871


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