Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag: 5. S. nach Trinitatis
Datum: 12.7.1998
Text: 1. Korinther 1, 18-25
Verfasser: Dr. Friedrich Seven


Predigt für den 5. Sonntag nach Trinitatis; 12. Juli 1998, Epistel

Kanzelgruß

Text: 1. Korinther 1, 18-25

 

18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft. 19 Denn es steht geschrieben: "Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen." 20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? 21 Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glaubten. 22 Denn die Juden forderten Zeichen, und die Griechen fragten nach Weisheit, 23 wir aber predigten dem gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; 24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. 25 Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

Liebe Gemeinde,

eine Predigt kann töricht sein, das haben sicher einige von uns schon erfahren. Jetzt hören wir gar vom Apostel Paulus, eine Predigt kann nicht nur töricht sein, sondern sie soll es gar, ja, gerade wenn sie gelingt, ist sie töricht. So können wir durchaus mit dem Geist der Zeit mithalten und müssen das Feld nicht den Talk-Runden und Meckerecken, den Blödelstreifen und Werbeblöcken überlassen.

Daß die Torheit zum gelungenen Leben dazugehört, wissen wir spätestens, seit wir uns durch den langen Alltag und die noch längeren Feierabende hindurchzappen können und in den Zeitschriften vor allem das noch lesen, was uns im Fernsehen Törichtes erwartet. Unterhaltung scheint der Weisheit letzter Schluß, und wer könnte uns besser unterhalten als der, den wir gar nicht erst selbst zum Deppen machen müssen. Spätestens er bringt die Welt, die immer wieder mit Nachrichten stört, schließlich ins Lot.

Wir kennen das auch aus dem Leben vor der Mattscheibe: Da war der Klassenclown, der sich der Anerkennung seiner Kameraden sicher sein konnte, der über so manch peinliche Situation hinweghalf und am meisten Lacher hatte, wenn es dann selbst für ihn peinlich wurde, und da ist der Verwandte, die Kollegin oder der Freund, der bei großen Festen immer dann mit Witzen unterhält, wenn das Gespräch stockt. Jeder hat es vermutlich auch gelernt, eine bedrängende Situation, etwa im Gespräch mit einem Kranken, durch eine witzige Bemerkung umzubiegen. Wir kennen den Humor zur genüge, der dann ist, wenn man trotzdem lacht.

Wie muß es da um uns stehen, wenn sich inzwischen die Spaßmacher, die Blödelbarden und die Sit-Komödianten, die Entertainer und die Infotainer, scheinbar freiwillige und offenbar unfreiwillige Toren als heimliche Regenten fühlen können. Die Narren als Könige, das klingt wie im Märchen.

Die Weisheit, die heute gilt, scheint einfach die zu sein: Es ist alles möglich, was angeschaut werden kann, es wird alles angeschaut, was unterhält, und es unterhält alles, was nur humorvoll genug ist. So ist der Humor der Weisheit letzter Schluß. und der Tor sitzt am Tisch der Weisen und Mächtigen.

An diesem Märchen soll die Predigt etwa miterzählen? Das Wort Gottes erzählt doch vom Kreuz des Jesus von Nazareth. Der hat mit seinem Reden und Tun zwar zuletzt auch Spott geerntet, doch saß er nie, wo die Spötter sitzen. Eine Predigt, die von ihm sprechen will, versucht auch nicht, mit ein paar Gramm Torheit die Menschen und ihre Welt in Balance zu halten, sondern bringt, wenn sie denn gelingt, jede noch so ausgeklügelte Balance zum Kippen. Die Toren mögen salonfähig geworden sein, törichte Predigt aber wird es nie werden. Mag es auch klüger gewesen sein, die Narren mit ins Boot zu nehmen, der Gekreuzigte wird darin immer noch keinen Platz finden. Er mutet uns auch heute noch zu, daß wir mehr auf Gottes als auf unsere Weisheit vertrauen sollen.

Das trifft uns schwer, wo wir doch so stolz darauf sind, inzwischen so viel über die Grenzen unseres Wissens und Verstehens gelernt zu haben, daß wir auch die Torheiten nicht mehr missen wollen. Das Wort vom Kreuz mutet uns zu, auf das Ende aller menschlichen Weisheit, und sei sie auch um die Narretei bereichert, zu schauen.

Wenn Gott gekreuzigt, wenn der Sohn Gottes tot ist, dann ist der Mensch mit seiner Weisheit, und auch mit der religiösen, am Ende. Da hilft keine Narrenkappe zur Tarnung mehr. Daß am Ende keine Balance zwischen Wissen und Nichtwissen, Leben und Tod, Anfang und Ende, Weisheit und Torheit weiterhelfen, sondern nur Gott selbst helfen kann, bleibt Torheit für jeden, dem der Mut des Glaubens nicht geschenkt wird.

Gott verwandelt, und er wandelt uns durch das Geschenk des Glaubens. Deswegen brauchen wir unsererseits nicht mehr darauf aus sein, alles Schwere und Schmerzliche so lange zu verwandeln, bis es endlich belacht werden kann. Wir dürfen die Narren- und Tarnkappe ablegen, mit der wir noch jede heikle Situation entschärfen wollten. Auch angesichts schlechtester Diagnosen, dann, wenn unsere Weisheiten am Ende sind und wir mit uns nichts mehr anfangen können, dürfen wir auf den Anfang zurückkommen, den Gott mit uns gemacht hat.

Gottes Ankunft ist der Abschied für alle Weisen und Narren dieser Welt und vor allem von meinen Weis- und Narrheiten. Christen müssen nicht immer als letzte lachen. Gerade deswegen finden sie zu ihrer Lebensfreude, ihrem Humor und ihrem Witz immer wieder zurück. Sie leben aus einer Quelle und nicht in Kanälen. Weise und Narren liefern immerzu Zeichen ihrer Kunst, denn jeder ist nur so lange ein Weiser oder ein Tor bis zum Beweis des Gegenteils.

Wir kennen die Fragen an die Kirche nach den sichtbaren Zeichen des Waltens unseres Gottes in der Welt. "Wo war denn euer Gott in den schrecklichen Kriegen, die hinter uns liegen, wo ist er in den Kriegen jetzt und wo wird er in denen sein, die vor uns liegen?" Wir kennen ähnliche Fragen auch in der Kirche selbst: "Warum hilft Gott seiner bedrängten Kirche nicht auf?" Auch kennen wir die Frage in uns selbst: "Warum hilfst du mir nicht, Gott?"

Hier wird gefragt aus tiefer Not und aus tiefster Not des Glaubens. Wer so fragt, ist an Gott irre geworden und fordert Zeichen. Er sorgt sich, ob er noch weiter an Gott glauben und am Ende noch mit ihm rechnen kann. Die Weisheit der Welt rechnet so mit Gott. Sie berechnet seinen Heilsplan oder rechnet mit ihm ab. Immer ist sie auf ein Ende, auf ein Resultat aus. Nie wäre es ihr genug, daß Gott den Anfang schon gemacht hat und mit dir und mir immer noch mehr anfangen kann, als sich jede Weisheit träumen läßt.

Auch an unserem Ende steht Gott immer noch am Anfang mit uns. Darum können wir unser Leben stets als Anfang begreifen. Jeder Morgen ist der Aufbruch in einen Tag, an dem Gott mit uns etwas anfangen will und wird, und jeder Abend ist der Beginn einer Nacht, in der Gott die Flügel über uns breitet.

Doch sieht dies nicht ganz nach der Narrheit dessen aus, der nichts mehr tut und alles von einem anderen erwartet? Gott fängt im Glauben mit uns an. Er will am Anfang unseres Tuns stehen. Er wirkt durch uns als der, dem wir mit unserem Tun und Lassen die Ehre geben. Deswegen können wir noch etwas anfangen mit dem, der von anderen und vielleicht sogar schon von sich selbst aufgegeben worden, vor dem jeder mit seinem Latein ans Ende gekommen ist. Wir können auch anschauen, was nicht gesendet wird, wollen nachschauen, obwohl schon weggeblendet ist und riskieren den Blick über den Bildschirmrand nach vorne. Wir können sogar in den Spiegel schauen und sehen nicht mehr, aber auch nicht weniger als einen der Narren, mit denen Gott sein Reich bauen will.

Sagen wir es weiter, Narren werden sich genug finden. Wir möchten nicht gegen jemanden lachen, aber gerne mit ihm.

Amen!

Kanzelsegen

Dr. Friedrich Seven
Im Winkel 6
37412 Scharzfeld


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