Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag: 10. S. nach Trinitatis
Datum: 16.8.1998
Text: Römer 11, 25-32
Verfasser: Eberhard Harbsmeier


Liebe Gemeinde!

Vor ein paar Tagen erhielt ich einen Anruf, ein Kollege bat mich darum, einen Vortrag zu halten. Das bin ich zwar gewöhnt, aber ich verhehle es nicht, ich fühle mich immer noch geehrt, wenn mich jemand um einen Vortrag bittet. Deshalb fragte ich scheinbar ganz bescheiden zurück, wie ich denn zu dieser großen Ehre käme, einen Vortrag halten zu dürfen. Die Antwort kam prompt und ehrlich: Also eigentlich hatten wir ja Deine Kollegin gefragt, aber die wollte nicht, und da haben wir uns gesagt: Wir fragen dich, du sagst bestimmt nicht nein. Ich muß gestehen, erst war ich ein wenig sauer und erwog, dem lieben Kollegen eine Absage zu erteilen wegen der wenig schmeichelhaften Anfrage - dann aber beeindruckte mich die entwaffnende Offenheit und Ehrlichkeit des Mannes: Du wirst gebraucht, nicht weil du so besonders gut bist, sondern weil wir keinen anderen haben. Ich sagte zu - denn solche Offenheit imponierte mir mehr als manche höfliche Schmeichelei, die doch nicht ganz ernst zu nehmen ist.

Liebe Gemeinde, ich denke, die meisten von Ihnen haben Ähnliches schon erlebt: Man ist eingeladen, fühlt sich geehrt und beehrt - und dann zeigt sich, daß man die Einladung nur der Absage eines anderen verdankt. Wie z.B. der Einsatz eines Bundesligaspielers, der nur spielen darf, weil ein Stammspieler verletzt ist. Ernüchterung tritt ein, und man fragt sich, ob man nun seinerseits beleidigt absagen soll - oder, und das würde ich meinen, ist die richtige Reaktion, ob man nicht dies als eine Art heilsame Ernüchterung verstehen soll, eine Aufforderung, sich selbst nicht zu ernst und zu wichtig zu nehmen. Man könnte ja auch auf den Gedanken kommen eine solche Einladung, die man einer Absage verdankt, als ein unverdientes Geschenk und als eine Chance zu verstehen.

Man ist eingeladen - aber nur, weil ein anderer abgesagt hat. Genau mit diesem Bild versucht der Apostel Paulus das Verhältnis zwischen Juden und Heiden zu beschreiben, er versucht damit zurecht zu kommen, daß sich die Mehrheit seines eigenen jüdischen Volkes, des erwählten Volkes, von Jesus Christus abgewandt hat, und daß nun das Heil den anderen, den Heiden zugesprochen wird - denn das war ja die Lebensaufgabe des Heidenapostels Paulus.

"Ihr", sagt Paulus zu seiner Gemeinde in Rom, "habt Barmherzigkeit erlangt durch den Unglauben Israels", auch das eine ernüchternde Erkenntnis, eine Erkenntnis, die verhindern soll, daß Erwählung so einem Privileg wird, zu etwas, was einem vor anderen auszeichnet, oder gar etwas, was erst dadurch schön wird, das andere es nicht haben. Ganz im Gegenteil sagt Paulus: Ursprünglich war gar nicht an Euch gedacht, nur durch Zufall, durch Glück würden wir heute sagen, seid Ihr mit dabei.

Ich denke das ist eine wichtige Erkenntnis für Christen: Man darf seinen Glauben nicht sozusagen vor sich her schieben als etwas, das einen vor anderen auszeichnet, Christsein ist nicht ein Vorzug, ein Privileg, das man vor anderen hat, sondern zu aller erst Ausdruck göttlicher Erwählung. Wir sind erwählt, nicht weil wir so sind, wie wir sind, sondern obwohl wir so sind wie wir sind. Wir haben eben Glück gehabt - ganz so, wie Jesus das im Gleichnis vom großen Abendmahl erzählt: Ein Mann lädt viele ein, alle entschuldigen sich nacheinander - aus Zorn darüber lädt der Mann alle möglichen und vor allem unmöglichen Leute ein, "auf daß mein Haus voll werde". Glück gehabt, werden die meisten gedacht haben. Aber richtig zugeben wollen wir das nicht. Wer will schon gerne zugeben, daß er Professor geworden ist, eine gute Stelle bekommen hat - nur weil ein besserer abgesagt hat. Wer will schon gern zugeben, daß er nur "zweite Wahl" war und dennoch zufällig eine Stelle bekommen hat? Oder beim Fußballspiel: Wer gibt schon gerne zu, "glücklich" gewonnen zu haben. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, daß selbst Reporter und neutrale Beobachter von Fußballspielen Schwierigkeiten haben zuzugeben, daß da eine Mannschaft gewonnen hat, nicht weil sie besser gespielt hat, sondern weil man Glück gehabt hat. Es heißt dann oft, die Mannschaft habe "glücklich, aber letztlich doch verdient" gewonnen - so als widerspräche es der göttlichen Schöpfungsordnung, wenn jemand "unverdient" gewinnt. Und gerade für Deutsche erscheint es geradezu unerträglich, "unverdient" zu verlieren.

Niemand ist gerne zweite Wahl, niemand gibt gerne zu, eben nur einfach Glück gehabt und "unverdient" gewonnen zu haben. Und eben dies mutet uns Paulus zu. Ihr habt unverdient gewonnen, einfach nur Glück gehabt, erklärt er seiner Gemeinde und damit auch uns heute. Ihr habt gewonnen - aber bildet euch nichts darauf ein - das ist der Sinn seiner Rede von der göttlichen Erwählung. Erwählung heißt also zunächst eine große Ernüchterung: Du hast eben nur Glück gehabt, du brauchst dir nichts einzubilden.

Aber, muß man hinzufügen, und auch davon spricht Paulus, wer Glück hat, hat viele Freunde, wie schon ein altes lateinisches Sprichwort besagt. Glück macht neidisch, und vielleicht ist das ja auch der Grund dafür, daß wir es so schwer ertragen können, wenn da jemand "unverdient" gewinnt - nicht so sehr, daß wir das ungerecht finden, sondern wir sind einfach neidisch.

Nun sollte man meinen, daß Paulus im Neid nur etwas negatives sähe. In der Tat ist ja Neid in dem Sinne, einem anderen etwas nicht zu gönnen, durchaus negativ zu werten, ja vielleicht, wie man gesagt hat, ist diese Art von Neid der eigentliche Ursprung des Bösen: dem anderen sein Glück nicht zu gönnen. Aber hier im Römerbrief gewinnt Paulus dem Neid oder der "Eifersucht" auch positive Seiten ab. Gott will, so seine Theorie, sein Volk eifersüchtig machen - deshalb die Berufung der Heiden.

Ich denke, man sollte in diesem Zusammenhang einmal darüber nachdenken, ob Neid nur etwas Negatives ist. Der Begriff spielt ja auch in der politischen Diskussion eine Rolle - etwa wenn man von gewisser Seite versucht, den Kampf um soziale Gerechtigkeit als Politik des Neides zu diffamieren. Richtig ist: Neid in dem Sinne, einem anderen nichts zu gönnen, ist zutiefst unchristlich und böse. Aber Eifersucht in dem Sinne, auch am Glück, am Wohlstand teilhaben zu wollen, auch geliebt werden zu wollen, ist keineswegs verwerflich. Im Gegenteil: Die Bibel spricht ja bekanntlich von einem "eifersüchtigen" Gott, und das menschliche "Streben nach Glück", der Wille, geliebt zu werden, werden in der Bibel keineswegs verurteilt. Im Gegenteil: Nur lieben, aber nicht geliebt werden wollen, nur geben, aber nicht empfangen wollen, das ist nicht Ausdruck von Glaube, sondern von Unglaube und Sünde.

Paulus entfaltet hier so eine Art Pädagogik der Eifersucht oder auch des Neides der Ungläubigen. Ihr dürft ruhig neidisch sein, ruft er ihnen zu, dazu sein ihr erwählt, nicht als Liebende, sondern Geliebte. Glaube, der Wille, geliebt zu werden, macht in der Tat neidisch, oder etwas weniger provozierend gesagt: steckt an. Amen.

 

 

Eberhard Harbsmeier, Rektor

Folkekirkens Pædagogiske Institut

Kirke Allé 2

DK-6240 Løgumkloster

Tel.: ++45 74 74 32 13, E-mail: ebh@km.dk

 
   
   
   


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