Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag: 12. S. nach Trinitatis
Datum: 30.8.1998
Text: Apostelgeschichte 9, 1-20
Verfasser: Hans Joachim Schliep


Predigt am 30.08.1998 in der Ev.-luth. Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis Hannover

Predigttext

Saulus schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn / und ging zum Hohenpriester / und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, / damit er Anhänger des neuen Weges, / Männer und Frauen, / wenn er sie dort fände, / gefesselt nach Jerusalem führe. Als er aber auf dem Wege war / und in die Nähe von Damaskus kam, / umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde / und hörte eine Stimme, / die sprach zu ihm: "Saul, Saul, was verfolgst du mich?" Er aber sprach: "Herr, wer bist du?" Der sprach: "Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst." Die Männer aber, die seine Gefährten waren, / standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, / aber sahen niemanden. Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, / sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand / und führten ihn nach Damaskus; und er konnte drei Tage nicht sehen / und aß nicht und trank nicht.

Es war aber ein Jünger in Damaskus mit Namen Hananias; dem erschien der Herr und sprach: "Hananias!" Und er sprach: "Hier bin ich, Herr." Der Herr sprach zu ihm: "Steh auf / und geh in die Straße, die die Gerade heißt, und frage in dem Haus des Judas nach einem Mann mit Namen Saulus von Tarsus. Denn siehe, er betet / und hat in einer Erscheinung einen Mann gesehen / mit Namen Hananias, / der zu ihm hereinkam / und die Hand auf ihn legte, / damit er wieder sehend werde." Hananias aber antwortete: "Herr, ich habe von vielen gehört über diesen Mann, / wieviel Böses er deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat; und hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, / alle gefangenzunehmen, die deinen Namen anrufen." Doch der Herr sprach zu ihm: "Geh nur hin; denn dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, / daß er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige / und vor das Volk Israel. Ich will ihm zeigen, / wieviel er leiden muß um meines Namen willen." Und Hananias ging hin / und kam in das Haus / und legte die Hände auf ihn und sprach: "Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, / Jesus, / der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, / daß du wieder sehend und mit dem heiligen Geist erfüllt werdest." Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, / und er wurde wieder sehend; und er stand auf, / ließ sich taufen / und nahm Speise zu sich / und stärkte sich.

Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus. Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, / daß dieser Gottes Sohn sei. (Apostelgeschichte 9,1-20)

Predigt:

> Der neue Weg ist das Leben im Glauben, das Christus immer wieder erneuert.
> Christus ist da mit seinem Licht, wo ich nur Blindheit vermute.
> Christus bittet um meine segnende Hand.
> Christus schenkt mir den Freimut, seinen Namen öffentlich auszusprechen.

Liebe Gemeinde!

In diesen vier Sätzen fasse ich zusammen, was mir die >Berufung des Paulus< sagt.

Diese Erzählung ist eine der Geschichten, auf die sich die Christenheit gründet. Sie gehört zu den >großen Geschichten< unserer Kultur - ja, sie ist sprichwörtlich geworden: Da hat eine ihr "Damaskus-Erlebnis"; da ist einer vom "Saulus zum Paulus" geworden; da "fällt es dir wie Schuppen von den Augen".

Wie ist diese Erzählung entstanden? "Wir leben unser Leben vorwärts, aber wir verstehen es rückwärts." Diese Einsicht Sören Kierkegaards ist das Webmuster, nach dem Lukas 20, 30 Jahre später aus seiner Sicht von einer Lebenswende deutend erzählt, die für die frühe Christenheit schlechthin bedeutend war. Mit den Sprachbildern, in denen sich die Christinnen und Christen in den griechischsprechenden Gemeinden verständigten, setzt er sie gleichsam noch einmal in Szene: die überraschende Lebenswende des Saulus aus Tarsus, von Beruf Zeltmacher, aus Passion Christenverfolger, zur Christusnachfolge, die sein Leben zur Mission und zur Passion im Namen Christi führt.

Vorwärts leben und rückwärts verstehen. In diesem Sinn will ich die Geschichte, soweit wir sie als Epistel und anstelle des Evangeliums gehört haben, von rückwärts erzählen, von ihrem Ausgang her.

Berufen, Jesus beim Namen zu nennen:

Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus. Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, daß dieser Gottes Sohn sei.

Wem Christus das Herz öffnet, liebe Gemeinde, kann den Mund nicht halten. Wo Christus Platz greift in ihnen, da legen Menschen "Zeugnis ab bis zum Letzten" (Victor Klemperer). Sie geben Zeugnis davon, daß Jesus der Christus ist. Und das heißt: in ihm begegnet uns Gott, er vertritt Gott bei uns und vertritt uns bei Gott.

Wird in der Bibel jemand "Gottes Sohn" genannt, ist das symbolisch, nicht biologisch gemeint. Vom Ja Gottes zu einem Menschen ist die Rede. "Dieser ist Gottes Sohn", Jesus, heißt: Gott ist da in diesem Menschen. Nun darf auch das verletzte und das verschmutzte, das beschämte und das beschädigte, das hinfällige und das für Schuld so anfällige Leben Gottes Namen tragen. Gott übereignet seinen Namen diesem Menschen - und dieser Mensch verleiht seinen Namen anderen Menschen. Das geschieht in der Taufe, mit der Saulus getauft wurde - und mit der wir getauft sind. Jenseits unserer Taten, mit denen wir, wenn es gut geht, unsere Freiheit und Würde zwar bewähren, aber doch nicht begründen können, nehmen wir Teil an Gottes Dasein. So führen wir unser Leben nicht nur auf eigenen Namen und eigene Rechnung.

Wird damit Gott noch größer und der Mensch noch kleiner gemacht? Hören Sie einmal, was da mit Saulus geschieht anläßlich seiner Taufe: "und er stand auf ... und nahm Speise zu sich und stärkte sich." Da kommt also jemand wieder auf die Beine, ißt und stärkt sich - seine Lebenskräfte wachsen wieder, und er nimmt Lebenssäfte zu sich. Da fließen wieder Lebensenergien! Es ist eine alte biblische Vorstellung: Wem der Name einer anderen Person oder Wesenheit übertragen wird, der/dem wird etwas von der Lebenskraft und Lebensmacht übereignet, für die dieser Name steht.

"Wir brauchen, um bestehen zu können, einen Vorrat unbezweifelbarer Namen." (Elias Canetti) Wir brauchen sie, um uns in Zeiten der Lebensgefahr an Zeug/inn/en für den Frieden, das Recht und das Leben selbst zu orientieren. Wie schrecklich besudelt ist der Name von Menschen! Daran sind wir ja mitbeteiligt - zumindest lassen wir es zu, wie menschliche Macht, indem auf andere Übermacht ausgeübt wird, mißbraucht und so entmächtigt wird. Und wieviele von uns kommen sich ganz einfach ohnmächtig vor!? So brauchen wir mit dem unbezweifelbaren Namen auch den Namen, durch den wir wieder ermächtigt werden, von dessen Träger uns dieses zuwächst: Macht, die Maß hält, und Mut, für den Schutz des Lebens alles zu tun - in dem Wissen und Vertrauen, nicht das Letzte tun, nicht die Welt retten zu müssen.

Nach Lukas hat Saulus in der gesamten Erzählung noch gar nicht den neuen Namen; erst viel später in der Apostelgeschichte - und dann fast beiläufig - wird der Apostelname >Paulus< erwähnt (Apg 13,9). Es geht also um den Namen eines anderen, größeren.

>Jesus Christus< - gibt es einen Namen, der unbezweifelbarer wäre? In diesem Namen legt Gott selbst Zeugnis ab für den Menschen, Zeugnis bis zum Letzten. >Jesus Christus< - das ist der Name, in dessen Kraft uns wahrer Mut zum Sein zuwächst. Der Name Jesu ist so unbezweifelbar, daß ich ihm seinen Gott glauben will. Machen wir es also wie Saulus: Nennen wir in Freimut und Klarheit diesen Namen! Bezeugen wir Jesus als den Christus! Stellen wir die Machtfrage: Wofür wollen wir leben - für einen Sinn und eine Würde, die unter dem Zwang zur Effektivität in die Brüche gehen, oder für einen Sinn und eine Würde, die sich orientieren an der unverbrüchlichen Humanität Gottes?

> Christus schenkt Euch den Freimut, seinen Namen öffentlich auszusprechen.

Berufen zum Segnen:

"Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, daß du wieder sehend und mit dem heiligen Geist erfüllt werdest."

Von wievielen Lebenswenden spricht unsere Erzählung eigentlich? Auch Hananias erlebt eine Lebenswende: er wird beauftragt, sich um Saulus zu kümmern. Darin entdecke ich etwas Hilfreiches: Du kannst schon Christ sein - und erfährst doch immer wieder eine Lebenswende. Es muß nicht das ganz große Ereignis, das dramatische Damaskus-Erlebnis sein. Auch im Alltag des Christseins wird die Berufung immer wieder erneuert - wie Christus sich dir stetig zuwendet und wie du dich hinwendest zu anderen.

Freilich, auch das ist eine Wende, zu der der Anstoß von außen kommen muß. Das Wort, das mir weiterhilft, sage ich mir nicht selbst, es kommt von außen. Das ist das Wort Jesu - bei Hananias der Auftrag, zu Saulus zu gehen. Wirklich eine Kehrtwende! Hananias soll einen Christenfresser annehmen als Christenfreund und aufnehmem in die Gemeinde! Er soll jemanden segnen, der ihn bis dahin verflucht hat (Mt 5,44)! Darüber muß Hananias, das ist doch völlig klar, mit Jesus sprechen. Ja, wir können, wir müssen mit Jesus sprechen. Uns wird oft Ungewöhnliches zugetraut und Ungemütliches zugemutet! Hören wir aber auf die Stimme Christi, dann bestätigt sich, was die Stimmen von Christenmenschen sagen: Die Lasten, die Gott uns auferlegt, sind nicht größer als die Kraft, die uns zum Tragen zuwächst.

So überwindet Hananias seine verständlichen Berührungsängste, so läßt er sich gegenüber dem Feind schon einmal entfeinden, so spricht er, der Gejagte, den Jäger mit Bruder an. Im Namen Jesu tut er es - im Namen dessen, der diese Bruderschaft auf seine verborgene Weise schon gestiftet hat; wie es im Bild des Traums festgehalten ist. Im Licht Christi gewinnt Hananias eine andere Sicht, die sich nicht von alten Erfahrungen und überholten Gewohnheiten her den Blick für die neue Wirklichkeit verstellen läßt. Der Name Jesu ermächtigt ihn dazu, Saulus mit den Augen Jesu, als erwählten, als zu Christus gehörenden Menschen, als Menschen mit Würde und Auftrag von Christus her, anzusehen und anzunehmen.

Die Annahme kommt zuerst - noch vor dem Namen: Hananias legt Saulus die Hand auf. Christsein hat auch eine körperliche Seite. Wer mit Jesus zu tun bekommt, befindet sich in der Nähe Gottes und in der Nähe von Menschen. Beistand ist nicht nur eine Sache von Worten, zur Seelsorge gehört Leibsorge. Manchmal reicht eine Umarmung, eine Berührung, ein Wink- und oft genug bleibt nichts anderes übrig. Ein Lob den Gesten und Gebärden des Glaubens!

In dem Film >Jenseits der Stille<, der von einer jungen Klarinettistin mit taubstummen Eltern handelt, hat mich eine Szene besonders berührt: Wie eine Gemeinde von Taubstummen "Lobe den Herren..." singt - ohne einen Ton, ohne ein Wort, einzig mit ihren Gebärden! - Und was sollte ich machen mit der Frau, die einfach nicht beten konnte, die aber, weil sie eine leidenschaftliche Raucherin war, mich, einen Nichtraucher, inständig darum bat, mit ihr eine Zigarette, die letzte vielleicht, zu rauchen?! Was sollte ich machen?! Daß ich mit ihr "eine qualmte", empfinde ich noch heute wie ein Gebet.

Zwischen Hananias und Saulus jedenfalls spielt sich ab, was sich unter Menschen, zumal unter Christenmenschen, allermeist so abspielt: Ein Gotteskind öffnet einem anderen Gotteskind die Augen!

Ebenso ist die Stummheit der Gefährten des Saulus, die vor Damaskus mit dabei sind, zwar eine Stimme hören, aber das Licht nicht sehen, mehr als ein Ausdruck ängstlicher Fassungslosigkeit, der den Eindruck des ganz Außergewöhnlichen verstärkt. Dieses Schweigen dient - wie bei Zacharias, als ihm die Geburt des Johannes angekündigt wird - dazu, im Angesicht des Hereinbrechens des Unverfügbar-Heiligen einem Menschen die Zeit zu lassen, in der Christus wirklich in ihm Platz nehmen und wachsen kann - kurzum: sein Geheimnis mit Gott und Gottes Geheimnis mit ihm zu achten.

> Christus nimmt Eure segnenden Hände. Jesu Nähe führt in menschliche Nähe.

Berufen in die Gemeinde:

"Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst." ... Sie nahmen |Saulus| aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus; und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.

Nun bin ich ganz bei Saulus, ohne Hananias schon ganz verlassen zu haben. Erst nur mittelbar gesagt, ist es doch schon unmittelbar klar: Saulus wird in die Gemeinde berufen. Das Christsein wird ausdrücklich in der Taufe. Dazu braucht es die Gemeinde - die vor Ort und die weltweite Christenheit. Denn mit der Taufe ist es wie mit dem Leben: Das Leben kann ich mir nicht selbst geben - ich kann mich auch nicht selbst taufen. Glauben kommt aus dem Gegenüber, dem Zuspruch, der Zueignung - eben des Namens und des Segens. Desgleichen - wir sehen es an Saulus - ist ein bergender und beherbergender Lebensraum nötig zum Schlafen, zum Beten, zum Essen, zum Gesegnetwerden und zum neuen Sehen: die Gemeinde. Schließlich ist keiner allein Täter seiner Lebensgeschichte.

Auf die Gemeinde kommt es an! Aber wie!? Es darf keine Gemeinde sein, die sich in sich einhaust. Die Wende, die an Hananias, dem Vertreter der Gemeinde in Damaskus, sich vollzieht, ist auch diese: Christus begegnet Menschen, wo und wann er will. Die Macht seines Namens, die Reichweite des Gottesgeistes ist umgreifender als die Reichweite der Gemeinde und der Kirche. Wandlungen und Verwandlungen des Christus spielen sich an ganz ungewöhnlichen Orten und bei ganz sonderbaren Menschen ab. So höre ich ineins mit dem Berufensein in die Gemeinde das Berufensein der Gemeinde:

Seid wach, aufmerksam und aufgeschlossen - bereit, auch Christusfremde nicht nur zu achten, sondern ihnen Raum zu gewähren, sie am Schatz des Glaubens teilhaben zu lassen. Die Fragenden und Suchenden um uns herum sind angewiesen auf den Schatz und den Schutz derer, die vor ihnen gefragt und gesucht haben nach einem unverbrauchten Gott, nach einem unverfälschten Lebenssinn, nach einem segnenden und schonenden Umgang mit dem Leben, nach einer heilenden Gemeinschaft.

Aus der >Stadt ohne Gott<, von der vor Jahren einmal die Rede war, ist inzwischen die >Stadt der vielen Götter< geworden. Heute gibt es wieder eine - wenn auch oft verquere und ver-POP-te - Sehnsucht nach >heiligen Stätten<, in denen bergende und zugleich aufschließende Erfahrungen gemacht werden können. Die Trommeln Gottes tönen weiter. An uns ist es, manche Schwundgefühle beiseite zu lassen und einladend zu sein für Anderes, Fremdes, Neues - da kann sich in guter Weise Schwindelerregendes abspielen, wenn Menschen den Glauben neu oder wiederentdecken. Glaube will heute wieder ausprobiert werden! Dazu - eben dazu - brauchen wir offene Kirchen als Halte-, Erlebnis- und Stützpunkte. In unserer Erzählung, gleich zu Beginn, werden die Christinnen und Christen bezeichnet als Anhänger des neuen Weges!

> Nehmt das Licht Christi auch dort wahr, wo ihr nur Blindheit vermutet! Laßt Euch ein auf neue Wege!

Berufen zu Christus:

Als |Saulus| aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: "Saul, Saul, was verfolgst du mich?" Er aber sprach: "Herr, wer bist du?" Der sprach: "Ich bin Jesus...".

Zum Schluß - heute - der Anfang. Wie in Jerusalem wollte Saulus auch in Damaskus die Christinnen und Christen der Macht Christi mit Gewalt entziehen. Doch da wird er - in überwältigender Weise - in die Machtsphäre Christi hineingezogen. Der sein Leben ließ an einem unwirtlichen Ort, draußen vor dem Tor, auf der Schädelstätte Golgatha, begegnet seinem Verfolger mit seiner ganzen Macht und seinem ganzen Erbarmen an einem ebenso unwirtlichen Ort, wieder draußen vor dem Tor, in der Wüste. Die Jagd des Saulus auf Christus war im Grunde eine Flucht vor Gott. Wie bei Jona. Jona und Saulus - auf der Flucht vor Gott werden sie von Gott eingeholt. Ja, Gott liebt das aufgewühlte Meer und die ausgedörrten Wüsten. Gerade an solchen unfeierlichen Orten sucht Gott Menschen - und findet sie.

Jetzt will ich nicht spekulieren, was da wirklich geschah. Es ist kein Vorgang, der psychologisch zu erklären wäre. Es ist ein spirituelles, geistliches Geschehen. Das Licht vom Himmel, in das Saulus da getaucht wird, das ihn zu Boden wirft, ihn blendet und erst einmal erblinden läßt, dieser göttliche Glanz steht für beides: für die machtvollen Eingriffe, mit denen Gott sich in manchem Leben querstellt, und gleichermaßen für die erbarmende Liebe Gottes, die Menschen im Antlitz Christi wahrnehmen. Saulus selbst hat - als Paulus - seine Lebenswende in seinen Schriften mit folgendem Tenor beschrieben: >Ich bin mit Christus gestorben und mit Christus auferstanden, jetzt lebt Christus in mir, und ich lebe durch Christus.< Für Saulus/Paulus war es das Wunder neuen Lebens, ein >Neues Sein< (Paul Tillich), eine neue Schöpfung - in dem sich das Wunder des Lebens überhaupt, die Schöpfung gleichsam für ihn persönlich wiederholt. Jedenfalls ist Glaube ein Widerfahrnis.

Martin Luther hat Paulus richtig verstanden, wenn er den Glauben als fremdes Werk beschreibt - als Werk, das Christus in einem Menschen beginnt und vollendet. Und dieses ist kein einmaliges Ereignis, sondern eine wiederkehrende Erneuerung des Lebens in der Kraft des Glaubens - über meinen Lebenstag hinaus. In solchem Glauben werden Menschen wachsam für das, was durch Handeln unerreichbar ist, und empfänglich für das, worauf es am Ende ankommt: auf die Liebe und das Erbarmen.

So ist Saulus berufen zu Christus - durch Christus selbst. Das geschieht in einer Begegnung, in der die Stimme von weither sich als Mensch zu erkennen gibt: "Ich bin Jesus...". Glauben heißt: eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus haben.

Jetzt, liebe Gemeinde, will ich noch einmal persönlich sagen, was sich mir an dieser Lebenswende des Saulus/Paulus erschlossen hat:

An jedem Ort, auch dort, wo von Christus nichts zu sehen und zu hören ist, kann er sich ein- und dazwischenstellen. Ja, je stärker Saulus gegen Christus anrennt, ankämpft - um so stärker wird er von Christus angesteckt; er holt sich einen Christus-Infekt. So ist Christus, selbst wenn ich mit ihm fertig bin, mit mir nicht am Ende. Gerade in der Gottesferne ist mir Christus nahe. Selbst im tiefsten Zweifel, noch in der scharfen Anfrage und Anklage bleibt Gott in Christus an mir dran. Die Rechtfertigung des Zweiflers, die Rechtfertigung des Gottlosen! Jesus Christus sorgt für meinen Glauben.

> Der neue Weg ist das Leben in der Kraft des Glaubens, den Christus immer wieder erneuert. Glaube ist da, wenn du Jesus Christus begegnest. Und Gott wird für dich dort wahr, wohin Jesus Christus dich ruft.

Amen.

>Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle menschliche Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne
in Christus Jesus, unserm Herrn.

Amen.<

Hans Joachim Schliep
Amt für Gemeindedienst der
Ev.-luth. Landeskirche Hannovers
Archivstr. 3 - 30169 Hannover
Tel. 0511-1241 415/416
E-Mail: Hans-Joachim.Schliep@evlka.de

Es gilt das gesprochene Wort!


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