Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag: 16. S. nach Trinitatis
Datum: 27.9.1998
Text: 2. Timotheus 1, 7-10

Verfasser: Dr. Friedrich Seven


1,7 Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
8 Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.
9 Er hat uns gerettet und berufen mit einem heiligen Ruf, sieht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluß und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt,
10 jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.

Liebe Gemeinde,

dies war nur ein kurzer Abschnitt aus einem Brief, und soviel wir daraus verstehen können, sitzt einer wegen seines Glaubens im Gefängnis und ermuntert den Empfänger, sich mutig zu Gott, seinem Herrn, zu bekennen und sich deswegen nicht zu schämen.

Diesem Brief merkt man sogleich an, daß er nicht nur aus einer anderen, längst vergangenen Zeit, sondern vor allem aus einer uns nicht mehr vertrauten Situation stammt.

Wer muß sich bei uns noch seines Glaubens schämen? Sicher, viele unserer Zeitgenossen verstehen nicht mehr so ganz und manche gar nicht, weshalb es uns noch in die Kirchen und zum Gebet treibt, aber beim Gespräch etwa unter Kollegen oder Freunden hören wir auch, daß es in ihrem Leben so etwas wie eine höhere Instanz gibt, zu der sie zwar nicht beten können, jedenfalls nicht regelmäßig, aber mit der sie doch bisweilen rechnen möchten.

An den schönen Kirchen erfreuen sie sich durchaus, und mancher findet im Urlaub oder am Erntedanktag immer noch oder wieder neu den Weg hinein. Daß dieses Leben, das wir leben, nicht alles sein kann, glaubt jeder nur zu gerne, und da ist es eigentlich ganz gut, jemanden zum Gespräch zu haben, der für diesen Glauben noch eintritt.

Nein, zu schämen brauchen wir uns als Christen nicht mehr. Mit einem Gott, der im Hintergrund bleibt und uns unauffällig im Leben begleitet, freundet man sich gerne an. Vielleicht würde das gleich anders werden, wenn wir im Gespräch ernster mit dem Inhalt dieses kurzen Briefabschnittes machten und von unserem Glauben an Jesus Christus erzählten, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat.

Da liegen die Möglichkeit, verlacht zu werden, und die Scham darüber nahe. Der Tod ist eine ernste Sache, an die wir uns nur ungern erinnern lassen, denn spricht einer vom Sterben, wird uns klar, daß aller Fortschritt in unserem Leben, alle Kunst des Lebens und Überlebens letztlich der Macht des Todes nicht gewachsen sind. Die Wissenschaft nährt zwar die Hoffnung darauf, daß es irgendwann in einer fernen Zeit anders sein kann und wir auch über den Tod triumphieren werden, doch bis dahin müssen wir uns bescheiden und damit leben, daß wir diese Zeit wohl nicht mehr erreichen werden. Der Tod gehört zum Leben, sagen wir, und wollen damit verbergen, daß wir uns innerlich gegen nichts mehr sträuben als gegen diese Einsicht. Wir werden richtig ärgerlich, wenn einer diesen Burgfrieden stört und behauptet, daß dem Tode die Macht schon genommen ist.

Gerne wollen wir glauben, daß Gott beschützen und bewahren kann, aber an mehr wollen nur wenige glauben. Gott mag, vor dem Tod zu retten, aber doch nicht aus dem Tod herausreißen.

In der biblischen Geschichte, die wir gerade als Evangelium gehört haben, wird freilich genau dies erzählt:

Jesus, der Sohn Gottes, holt Lazarus aus dem Tod zurück. Lazarus lag schon vier Tage im Grab. Martha, seine Schwester gibt sich mit dem Trost der Freunde nicht zufrieden. Sie glaubt an Jesus, den Sohn Gottes, der die Auferstehung und das Leben ist. Jesus ruft: Lazarus, komm heraus! Und Lazarus kommt heraus. Da kann das genaue Hinhören zum Er-leben werden, wenn wir uns herausrufen lassen aus dem Grab und Ernst machen wollen damit, daß dem Tode die Macht genommen ist.

Nur müssen wir zuerst anerkennen, daß der Tod unumstößliche Macht über uns hat und daß wir der Rettung bedürfen. Wir wollen zu gern diese Macht aus unserem täglichen Leben blenden und seine Wirklichkeit nur noch als die Zeit verstehen, die wir dem Leben nicht mehr abringen konnten, als die Zeit nach dem Ende. Seine Vorboten, Krankheit, Alter und Gebrechlichkeit wollen wir zwar bekämpfen, aber eigentlich nicht zu uns vorlassen, erst dann, wenn es denn gar nicht mehr geht, nehmen wir sie zur Kenntnis und schämen uns vielleicht noch wegen ihrer Botschaft. Den großen Störfall im Leben, die Niederlage, als die wir den Tod empfinden, blenden wir am liebsten so lange aus, bis er unausweichlich geworden ist

Die frohe Botschaft von der Errettung macht uns provokativ bewußt, daß es den Tod immer noch gibt. Diese Botschaft wirkt bald anstößiger noch als der Tod selbst, weil sie deutlich macht, daß hier ein anderer für uns gehandelt hat und handeln muß, daß unsere Kräfte, unsere Selbstbestimmung sehr begrenzt sind.

Die Verlängerung des Lebens kann zwar als unser Werk angesehen werden, die Überwindung des Todes aber nie. Daran zu glauben, heißt nicht nur, die Macht des Todes über uns Menschen zu akzeptieren, sondern ihm ins Auge blicken zu können. Diesem Blick weichen wir gerne aus, vielleicht weil wir über das erschrecken könnten, was in unserem Leben alles noch aussteht. Das kann doch nicht alles gewesen sein?, so fragen sich viele angesichts des nahen Todes und meinen in solchen resignierenden Augenblicken, daß ihr Leben vielleicht einiges, zuletzt aber doch nicht viel mehr gewesen ist, als ihnen jetzt noch bleibt. Der Tod kommt anscheinend häufig zu früh, und wir müssen zurücklassen, was unvollkommen geblieben ist und bleiben wird.

Für die Hinterbliebenen werden wir bleiben, was wir in ihren Augen gewesen sind, und werden damit ganz der Kraft ihrer Erinnerung ausgeliefert sein. Durch Verklärung werden sie hinzutun, was einem runden Bild von uns noch fehlt, aber zuletzt wird dieses Bild verschwimmen und mit ihnen sterben.

Nur wer dem Tode die Macht nimmt, kann den Verstorbenen eine wirkliche Zukunft geben. Für die Angehörigen heißt das: Trost, mit der Hoffnung zu leben, daß ihre Lieben nun bei Gott sind.

Errettung geschieht dann aber bereits im Leben vor dem Tod. Errettung meint nämlich das Ungeheuerliche, daß nicht nur die Lebenden, die Jungen und Kraftvollen eine Zukunft haben, sondern auch die Schwachen, die Sterbenden und die Gestorbenen. Gerade an ihnen kann uns bewußt werden, daß wir zwar mit eigenen Kräften leben, aber leben können nur aus der Kraft des Geistes, der jedem von uns, den Gesunden, wie den Kranken, den Lebenden, wie den Toten geschenkt wird.

Gott will uns diesen Geist des Glaubens schenken. Im Brief heißt er der Geist der Liebe und der Besonnenheit.

Amen!

Herrn Dr. Friedrich Seven
Im Winkel 6
37412 Scharzfeld
Tel. 05521 2429


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