Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag: 20. Sonntag n. Trinitatis
Datum: 25.10.1998
Text: 1. Thessaloniker 4, 1-8
Verfasser: Richard Engelhardt

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Predigttext:

"Im übrigen meine Brüder, ermahne ich euch und fordere euch im Auftrag des Herrn Jesus auf, nach den Weisungen zu leben, die ihr von mir empfangen habt. Ihr wißt, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, und tut es ja auch. Aber es ist gut, wenn ihr darin weiterkommt. Ihr kennt ja die Regeln, die ich euch gab und die ihr im Grunde nicht von mir habt, sondern von Jesus, dem Herrn selbst. Denn das will Gott, daß ihr heilig werdet. Was das im einzelnen bedeutet? Ihr sollt euch fernhalten von der Unzucht. Jeder soll mit seiner eigenen Frau verkehren und mit ihr nach Gottes Ordnung und in Ehren leben. Laßt euch nicht von Leidenschaften treiben wie die anderen Menschen draußen, die von Gott nichts wissen. Ihr sollt euch im Geschäftsleben nicht über euren Bruder hinwegsetzen oder ihn im Handel betrügen, denn Gott wacht über all dem und wird Gerechtigkeit schaffen. Ich habe es euch damals mit allem Nachdruck gesagt. Denn Gott hat uns nicht zu seinen Kindern gemacht, damit wir danach unsauber, sondern damit wir heilig leben. Wer nun meint, er sei erhaben über alle diese einfachen Regeln, der verachtet damit nicht so sehr die Menschen, die sich daran halten, sondern Gott, der sie gab und dessen heiligen Geist ihr empfangt." (Übertragung von Jörg Zink)

Liebe Gemeinde,

als die Berliner Kirche vor einiger Zeit aus finanziellen Gründen einer Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern "betriebsbedingte" Kündigungen aussprechen mußte, gab es ein großes Echo in den Medien. Daß zur gleichen Zeit große Konzerne Tausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entließen, um die Bilanzen für Aktionäre attraktiver zu machen, war dagegen kaum ein großes öffentliches Thema. Von der Kirche erwartete man allerdings etwas anderes. Nicht nur, weil sie gerade ein Sozialwort veröffentlicht hatte und damit anderen ins Gewissen reden wollte, nein, auch und vielleicht vor allem, weil man immer noch von der Kirche ein anderes Handeln erwartet als von der Wirtschaft oder von sich selbst. Mißt die Öffentlichkeit also mit zweierlei Maß? In der Tat! Und zu Recht!

Kirche, Gemeinschaft derer, die leben, um Gott zu gefallen, hat andere Lebensregeln. Christen unterscheiden sich von denen, die ohne Gott ihr Leben zu gestalten versuchen. "Denn das will Gott, daß ihr heilig werdet". Und genau das ist eben nicht jedermanns Sache, darauf muß man sich schon sehr bewußt und sehr konsequent einlassen.

Der Apostel Paulus war kurze Zeit in Thessaloniki und hatte dort, als er die Stadt verlassen mußte, eine kleine Gemeinde zurückgelassen. Er hatte also Menschen durch seine Predigt von Jesus Christus überzeugt, Menschen, die nach dem Sinn ihres Lebens suchten und durch die Predigt von der Liebe Gottes einen Weg gefunden hatten, ihr Leben sinnvoll zu gestalten. In Dankbarkeit Gott gegenüber wollten sie jetzt ihm durch ihre Lebensführung Ehre machen. Die Lebensregeln, die Paulus ihnen im Namen Jesu mitgab, empfanden sie also nicht als einen Zwang, der nun leider zum Glauben dazugehört, sondern als ein Angebot, die innere Befreiung im alltäglichen Leben auszudrücken. Offenbar kamen sie damit auch ganz gut zurecht. Paulus hat einigen Grund, sie zu loben. Allerdings scheint es auch hier und da ganz handfeste Probleme gegeben zu haben, denn zwei Bereiche, die in einer Hafen- und Handelsstadt wie Thessaloniki sicherlich nicht unbedeutend waren, greift er auf, um die Lebensregeln konkret zu machen: Die Frage der ehelichen Treue und die Frage der geschäftlichen Redlichkeit.

Wenn ich nun diese Sätze z.B. meinen Schülern vorlese: "Ihr sollt euch fernhalten von der Unzucht. Jeder sollt mit seiner eigenen Frau verkehren und mit ihr nach Gottes Ordnung und in Ehren leben. Laßt euch nicht von Leidenschaften treiben wie die anderen Menschen." Wenn ich also diese Sätze irgendwo vorlese, dann muß ich damit rechnen, daß man mir sofort vorhält: Die Kirche ist leibfeindlich, lustfeindlich und frauenfeindlich. Das paßt nicht in unsere Zeit, diese verklemmte Sexualmoral. Und ich muß diesen Vorwürfen sogar teilweise zustimmen, besonders dann, wenn ich das häßliche Wort sehe, daß Paulus in seiner griechischen Sprache hier für das Wort "Frau" benutzt. "Gefäß", "Topf" würde es wörtlich übersetzt heißen. Das gehört wirklich nicht in unsere Zeit. Ich denke mir, Paulus benutzt hier ein Wort aus dem zotigen Wortschatz der Hafenkneipen. Und wenn ich mir das so überlege, sehen die Sätze des Apostels Paulus plötzlich ganz anders aus. "Nach Gottes Ordnung und in Ehren" soll ein Mann, der sich auf Jesus Christus beruft, mit seiner Frau leben. Er soll sie also nicht mehr als "Gefäß", als Gegenstand, den man auch wegwerfen kann, sehen. Sie selbst als Mensch, als Partnerin, als Gegenüber verdient Ehre. Mir fällt dazu auch das Wort "Treue" ein. Treue ist das, was die jungen Menschen heutzutage in einer Partnerschaft als wichtigste Voraussetzung sehen. Einen Partner als Gegenstand sehen, ihn nach Belieben auszuwechseln, um einen anderen zu erobern - wie es offenbar in der Hafenstadt Thessaloniki üblich war - ist für jemanden, der vor Gott bestehen will (und damit auch vor den Menschen), nicht möglich. "Gott ist Liebe". Nachfolge heißt, diese Liebe an den anderen Menschen weiterzugeben, der mit mir auf dem Wege ist, sich auf mich verläßt, mir vertraut.

Und nun kann ich dem Vorwurf, Paulus sei hier verklemmt, lustfeindlich oder ähnlich nicht mehr zustimmen. Ich denke, das, was der Apostel hier an die Thessalonicher schreibt, ist auch mehr als ein historischer Text, den nur die Geschichtsforscher noch interessant finden können. Hier wird den Christen, die aus ihren herkömmlichen Gewohnheiten und Denkformen noch nicht so ganz herausfinden, eine Wegweisung gegeben, die auch uns keineswegs so ganz selbstverständlich ist.

Und das trifft auch auf das zweite Beispiel mit der Ehrlichkeit beim Handel zu. Eben nicht das Geschäft um jeden Preis ist einem Christen möglich. Der Kunde hat seine Ehre und Würde. Wenn die verletzt wird, wird Gott verletzt. Wer da den versteckten Fehler beim Verkauf des alten Wagens verschweigt, um einen guten Preis zu erzielen, mag zwar ein Schlitzohr sein und von seinen Stammtischbrüdern bewundert werden. Einer, der sich dessen bewußt ist, daß er nur dank der Liebe Gottes sinnvoll leben kann, ist er doch wohl nicht.

Natürlich wird ein ehrlicher Geschäftsmann nicht so schnell reich wie einer, der gelegentlich die Arglosigkeit seiner Geschäftspartner ausnutzt. Aber erstens behält der ehrliche Geschäftsmann seine Geschäftspartner und macht sie sich nicht zu Geschäftsgegnern und zweitens - und für einen Christen ist dies der wichtigste Grund für die Lebensregeln - zweitens kann er sich in der Liebe Gottes geborgen fühlen. Er weiß: Mein Leben hat seinen Sinn. Und dieser Sinn geht über den Tag hinaus, reicht weit in die Zukunft. "Gott will, daß ihr heilig werdet."

Heilig, das ist ein Zustand, der mit Reinheit, Klarheit, Unantastbarkeit verbunden ist. Ein Zustand, dem wir uns annähern können dadurch, daß wir unsere Lebensplanung nicht auf die Scheinziele wie Lustgewinn oder Reichtum oder Macht ausrichten, sondern nach dem Sinn unseres Lebens fragen, der uns auch trägt, wenn Krankheit oder Todesgedanken alles, was wir leisten konnten, fragwürdig werden lassen. Natürlich weiß jeder, der sich in der Liebe Gottes geborgen sieht, der sein Leben als Christ gestalten möchte, daß er die Ordnungen auch immer wieder einmal vergißt. Er weiß aber auch, daß er in dem, was Christen vor ihm gesagt und gedacht haben, Wegweisung finden kann, daß er sich korrigieren kann und daß es das gibt, was die Kirche seit alten Zeiten nennt, "den Tröster, den Heiligen Geist". Diese Kraft hat Gott denen zugesagt, die ihre Lebensplanung in seinem Namen wagen.

Amen

Pastor Richard Engelhardt, Göttingen


Liedvorschläge aus: Gottesdienst - Arbeitshilfe zur Erneuerten Agende, 5. Lieferung, 11. Jg., hrsg. von der Liturgischen Konferenz Niedersachsens e.V., Tel.: 0511-1241-486:

EG 161 (Liebster Jesu, wir sind hier)
EG 404, 1.2.4.6-8 (Herr Jesu, Gnadensonne)
EG 414 (Laß mich, o Herr, in allen Dingen)
EG 420 (Brich mit dem Hungrigen dein Brot)

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