Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag: 21. Sonntag n. Trinitatis
Datum: 1.11.1998
Text: Eph. 6,10-17
Verfasser: Prof. Dr. Dietz Lange

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Liebe Gemeinde!

"Zieht die Waffenrüstung Gottes an, den Panzer der Gerechtigkeit und den Helm des Heils, und nehmt den Schild des Glaubens und das Schwert des Geistes in die Hand!" Furchterregende kriegerische Bilder. Gerade ist überall in den Medien des Westfälischen Friedens gedacht worden, der vor 350 Jahren einen der grausamsten Kriege der Geschichte, den 30jährigen Krieg, beendet hat. Das war ein Glaubenskrieg, in dem jede Seite behauptete, von Gott selbst gerüstet worden zu sein, und im Panzer unanfechtbarer Gerechtigkeit dahergeritten kam, um mit dem Schwert die Falschgläubigen in Sücke zu schlagen. Natürlich verbargen sich hinter dem Aushängeschild des wahren Glaubens handfeste politische Interessen (ebenfalls auf beiden Seiten), die der eigentliche Gegenstand des Konflikts waren. Aber das macht die Sache ja nicht besser - im Gegenteil: Gottes Segen für solch eine brutale Schlächterei, für Folter und Vergewaltigung in Anspruch zu nehmen, macht das alles nur noch abstoßender. Solche Kriege im Namen des wahren christlichen Glaubens ziehen sich durch einen großen Teil der Kirchengeschichte hindurch, von den Kreuzzügen für die Eroberung des Heiligen Landes bis zu dem gerade erst zu Ende gebrachten Terror zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland. Sollte man da nicht auf solche martialischen Bilder ein für allemal verzichten, um weiteren Missbrauch zu verhindern?

Nun muss man allerdings sehen, dass der Schüler des Paulus, der den Epheserbrief zwischen 70 und 80 geschrieben hat, nicht im Traum an eine Durchsetzung des Glaubens mit Waffengewalt gedacht hat. Im Gegenteil: alles, was er zum praktischen Verhalten des Christen zu sagen hat, dreht sich um Nächstenliebe und Selbstlosigkeit und setzt strikte Gewaltlosigkeit voraus. Man kann ihm auch nicht vorwerfen, den späteren Missbrauch seiner Bilder von Rüstung, Helm, Schild und Schwert verschuldet zu haben. Er sagt ja klipp und klar, dass er nicht einen Kampf mit Fleisch und Blut, also mit Menschen, im Sinn hat, sondern die Botschaft vom Frieden mit Gott und den Menschen. Der Kampf soll dem Teufel und den bösen Geistern in der Luft gelten, unheimlichen, unsichtbaren Mächten, denen der Mensch sich ausgesetzt fühlt und die ihn bedrohen. Dafür hat der Briefschreiber an anderer Stelle den Trost angeboten, dass Christus in die Wolken hinein und durch die Geistersphären hindurch in den Himmel gefahren sei zu Gott und unterwegs die Geister bereits besiegt habe. Es geht jetzt also sozusagen nur noch um Nachhutgefechte.

Freilich, wenn wir erkannt haben, dass unser altes christliches Schreiben dies gemeint hat, dann wird es uns nur noch fremder. Sind wir denn als aufgeklärte Menwchen des 20. Jahrhunderts solchem Geister- und Teufelsglauben nicht glücklicherweise entronnen? Gewiss gibt es auch heute noch abergläubische Menschen, die vor solchen bösen Geistern Angst haben. Wenn wir merken, dass sie sich damit herumschlagen, werden wir sie ja nicht gerade auslachen und sie in ihren Gefühlen verletzen. Aber sollten wir nicht versuchen, sie von solchen Ängsten zu befreien, wenn wir sonst ein gutes Verhältnis zu ihnen haben? Auf alle Fälle wollen wir doch nicht etwa selbst wieder anfangen, uns Gottes Himmel als einen Wohnort irgendwo zwischen den Sternen und den ganzen weiten Raum zwischen einem solchen Ort und unserer Erde als von grauslichen Geistern wimmelnd vorzustellen. Das wollen und das sollen wir gewiss nicht, und dazu soll uns der alte biblische Brief nicht dienen. Er hatte aber auch gar nicht diese Absicht. Sicher, der Schreiber hat sich die Erde als Scheibe vorgestellt, mit einer Himmelsglocke darüber in mehreren Schichten, in denen dann all diese Gestalten hausten. Aber das ist nicht das, was er seinen Lesern klar machen möchte. Denn die hatten sowieso alle solche Vorstellungen vom Bau der Welt; dazu wäre also der Brief gar nicht nötig gewesen. Der Schreiber will also seinen Lesern nicht dieses Weltbild einbläuen, er will ihnen keinen Unterricht in Astronomie geben. So wie die Waffen, von denen er spricht, nicht aus Eisen und zum Totschlagen von Menschen sind, sondern Bilder für das friedliche Leben der Christen, so ist auch das alte Weltbild eben ein Bild - man könnte auch sagen: ein Transparent, durch das etwas anderes, das eigentlich Wichtige, hindurchscheint. Das zeigt der Schreiber schon dadurch, dass er mit diesem Weltbild sehr frei umgeht. Auf der einen Seite heißt es, die Christen seien schon im Himmel, nämlich bei Gott; auf der anderen Seite redet er sie gleichzeitig ganz handfest als irdische Menschen an. Wer dabei an den blauen oder grauen Himmel draußen denkt, bleibt also ganz an der Oberfläche und versteht alles falsch.

Was aber sind dann die bösen Geister, und was ist der Teufel? Die kann man doch nicht wegdeuten. Was fangen wir damit an? Ist es nicht viel vernünftiger, man redet vom Bösen, das die Menschen in die Welt setzen? Dann kann man sie doch auch viel besser auf ihre Verantwortung ansprechen, und nur so kann man auch dagegen angehen!

Daran ist natürlich etwas Richtiges, und gegen die menschliche Verantwortung hat auch in der alten Zeit niemand etwas sagen wollen. Aber nun haben wir in unserem Jahrhundert in ganz großem Stil auch eine ganz andere Seite menschlicher Bosheit erlebt. Wir haben erfahren, wie sich die Bosheit von den einzelnen Menschen gewissermaßen ablösen und verselbständigen kann. So ist es im Dritten Reich für sehr sehr viele Menschen ganz selbstverständlich geworden, dass Juden Untermenschen seien und beseitigt werden müssten - so sehr, dass viele, die an den fabrikmäßigen Morden unmittelbar beteiligt waren, gar kein Unrechtsbewusstsein dabei hatten. Oder in der DDR war es für viele selbstverständlich, dass man den Nachbarn oder die Nachbarin, die sich kritisch gegen die Regierung geäußert hatten, bei der Polizei anzeigte. Das wurde erwartet, das machte man so, das lag '"in der Luft" und schlug die Menschen in seinen Bann Und schon haben wir sehr handfestes Anschauungsmaterial für das, was mit den bösen Geistern in der Luft eigentlich gemeint ist. Oder denken Sie an den Gruppendruck in einer gewaltbereiten Jugendclique - oder noch näher bei uns selbst: an die unter ganz honorigen Leuten verbreitete Meinung, Steuerhinterziehung oder Schwarzarbeit sei doch nur ein Kavaliersdelikt. Wenn es doch alle so machen, oder fast alle, ist es dann nicht ganz normal? Ob brutal oder scheinbar harmlos: das Böse ist oft wie ein Sog, dem wir uns kaum entziehen können.

Es geht dabei nicht bloß um moralische Dinge, nicht einmal in erster Linie. Hinter all dem steht unser Verhältnis zu Gott. Das geht uns fast noch leichter verloren. Das feste Vertrauen zu Gott, das uns vielleicht früher einmal Halt und klare Orientierung in unserem Leben gegeben hat, ist vielen von Ihnen, die jetzt zuhören oder diese Predigt lesen, zwischen den Fingern zerronnen. Wenn es in der Familie oder im Bekanntenkreis als ganz selbstverständlich gilt, dass Religion und Glaube nicht so schrecklich wichtig genommen werden, ja dass dies alles eigentlich ganz egal sei, dann nistet sich diese Selbstverständlichkeit ganz leicht auch im eigenen Gefühl ein. Wir reden dann nicht mehr davon, weil das doch nur peinlich wäre, und wir denken auch immer seltener daran, weil es so vieles gibt, was anscheinend viel wichtiger ist. So verfault langsam, fast unmerklich, die Wurzel, aus der wir für unser Leben die überlebenswichtige Nahrung gezogen hatten, und es bleibt gerade noch eine ferne Kindheitserinnerung übrig. Auf einmal haben wir keinen festen Grund mehr, auf den wir auch in einer Lebenskrise noch unseren Fuß sicher aufsetzen können. Die Lebensorientierung hat sich verflüchtigt, alle vor uns liegenden Wege scheinen plötzlich gleichermaßen ins Leere zu führen. Es scheint nur noch übrig zu bleiben, die Reste zusammenzukratzen und so gut es eben geht zu genießen, nicht zu viele Fragen zu stellen, schon gar nicht selbstkritische Fragen, auch nicht zu viel Rücksicht zu nehmen auf andere, weil wir ja genug damit zu tun haben, selbst über die Runden zu kommen. Vergessen, was vergangen und nicht mehr zu ändern ist, die tägliche Routine abspulen, die Freizeit zerstreuen, damit sie nicht unheimlich wird, bis schließlich - aber das denken wir lieber nicht zu Ende.

Betroffen sind wir alle davon. Schon die alte Gemeinde, an die der Epheserbrief gerichtet ist, hatte es offensichtlich nötig, daran erinnert zu werden. Und weil der Sog zur Verachtung Gottes und zur Verachtung von Menschen so im Verborgenen wirkt und so elegant von uns zu überspielen ist, darum die drastischen Bilder von Rüstung und Schwert. Denn um aus dem Nabel der Orientierungslosigkeit herauszukommen, hilft offenbar nicht das Weiterwursteln, sondern nur eine unerschrockene Kehre, ein klares Umdenken und entschiedener Zugriff auf die richtigen "Waffen". Diese Bilder laden allerdings nicht zu christlicher Heldenverehrung ein, genausowenig wie sie zum Krieg auffordern. Das mögen wir bedauern, wo doch solche Heldenverehrung oder so ein Starkult zu den Lieblingsbeschäftigungen vieler Menschen gehört und manchen wohl auch die einzige Möglichkeit zu sein scheint, den christlichen Glauben heute noch anderen Menschen zu vermitteln. Von Albert Schweitzer über Martin Luther King bis zu Mutter Teresa: das waren doch eindrucksvolle Menschen. An denen kann man sich ein Beispiel nehmen. Mit denen kann das Christentum Staat machen. Gäbe es nur mehr davon! Aber nun haben sich diese Menschen eben nicht als Stars verstanden und wollten auch nicht so verstanden werden. Sie taten, was sie taten, als etwas Selbstverständliches. Sie waren dazu in der Lage, weil sie sich nicht auf ihre eigene Leistungsfähigkeit und ihre moralische Integrität verließen, sondern - auf die "Waffenrüstung Gottes": das unerschrockene Vertrauen auf ihn und seine Liebe, das alle bangen Fragen, was sie das kosten könnte an Lebensgenuß oder jedenfalls an äußerer Ruhe, restlos überholt und gegenstandslos macht.

Dieser Gedanke ist vielleicht noch fremder als die militärischen Bilder von der Rüstung oder der antike Geisterglaube. Aber hier sind wir an dem Punkt angelangt, auf den es wirklich ankommt. Der Sog, der unseren täglichen Trott auf der Oberfläche des Lebens immer weiter von einem tragfähigen Grund entfernt, die lächelnde Rücksichtslosigkeit, mit der wir daraufhin unsere eigenen Interessen durchsetzen, die Selbstverständlichkeit, mit der wir alle tieferen Fragen ausklammern, das alles scheint so locker und vielleicht sogar lustig zu sein und übt doch eine so lähmende Gewalt über uns aus, dass wir davon nicht loskommen. Wir können uns zwar eine Religion nach eigenem Strickmuster zurechtschneiden mit einem Gott, der uns in Ruhe lässt und nicht wehtut. Aber so eine hübsche Selbstbestätigung hilft uns nicht vom Fleck, und zu anderen Menschen macht sie uns auch nicht. Das schafft nur Gott selbst. Er selbst weckt das Vertrauen zu sich, das wir Glauben nennen. Das geschieht, wenn ein anderer Mensch, der selbst davon ergriffen ist, das auf uns ausstrahlt, ganz direkt im Gespräch oder vielleicht im Fernsehen oder wenn wir nur etwas von ihm lesen, so wie das Briefstück aus alter Zeit, mit dem wir uns heute morgen beschäftigen. Solches Vertrauen gibt ein Gefühl neuer Lebensgewissheit.

Man kann das vergleichen mit der Lebensgeschichte eines Jugendlichen, der aus einem Familienleben voller Gewalt und Willkür kommt und auch schon kriminell geworden ist, dann aber ein Zuhause findet, wo er trotz seiner Vergangenheit akzeptiert wird und menschlichem Verständnis begegnet. Sicher geht es nicht immer so dramatisch zu. Aber was wirklich allgemein zutrifft, das ist, dass in einer Neuorientierung des Lebens zwar immer ein Stück harter Arbeit steckt mit vielen Rückschlägen und Konflikten unterwegs. Aber die Arbeit ist es eigentlich nicht, was die Veränderung bewirkt, sondern das Geschenk persönlicher Zuwendung, das dahintersteht. So arbeitet Gott auch an uns, wenn wir uns nur darauf einlassen, also die "Waffenrüstung" tatsächlich anziehen, die er bereitstellt.

Der "Schild des Glaubens" schützt, wenn wir ihn nur wirklich in die Hand nehmen. Dann haben wir den "Panzer der Gerechtigkeit" Gottes an und nicht mehr den Panzer der Selbstgerechtigkeit, an der alle menschliche Güte und Freundlichkeit abprallt. Das heißt: wir können uns darauf verlassen, dass wir Gott "recht" sind. Damit sind wir gut gerüstet, auch für harte Zeiten unseres Lebens. Allerdings klingt das alles sehr passiv, so als ob das ganze Leben aus lauter Verteidigung und gar nicht aus tatkräftigem Voranschreiten und Zupacken bestünde. Aber das ist eine Täuschung. Im Gegenteil: wenn wir mit solcher "Rüstung" ausgestattet sind, dann ist damit die ängstliche Halbherzigkeit beseitigt, die uns die Scheuklappen der Zerstreuung aufgesetzt hat, und wir bekommen Herz und und Hände frei für den höchst aktiven Kampf für Gottes Sache. Dafür steht das Bild des Schwertes. Dann ist es nicht mehr peinlich, von dem, was uns Halt gibt, auch anderen gegenüber zu sprechen. Und dann setzt sich Gottes Liebe auch in unserer eigenen Lebensführung durch gegen die Sorge, ob wir auch ja genug vom Leben haben. Vielleicht ist unter uns eine Familie, die einen gestrauchelten Jugendlichen aufgenommen hat? Oder ein Ehepaar, das die alte Mutter, die an der Alzheimer-Krankheit leidet, zu Hause pflegt? Der Kampf für die Liebe Gottes hat viele Gesichter. Die Waffenrüstung des Glaubens glänzt zwar nicht wie eine metallene Ritterrüstung in der Sonne, sondern bleibt unsichtbar. Aber sie ist verlässlicher und vor allem menschlicher, als jede militärische Rüstung es jemals sein könnte.

Amen.

Prof. Dr. Dietz Lange, Göttingen


Liedvorschläge aus: Gottesdienst - Arbeitshilfe zur Erneuerten Agende, 5. Lieferung, 11. Jg., hrsg. von der Liturgischen Konferenz Niedersachsens e.V., Tel.: 0511-1241-486:

EG 283, 1-3.5-7 (Herr, der du vormals hast dein Land
EG 154, 1+4 (Herr, mach uns stark)
EG 195, 1-2 (Allein auf Gottes Wort)
EG 516, 1-3+7 (Christus, der ist mein Leben)
EG 526, 1+2+7 (Jesus, meine Zuversicht)

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