Liebe Gemeinde!
"Zieht die Waffenrüstung Gottes an, den Panzer der Gerechtigkeit
und den Helm des Heils, und nehmt den Schild des Glaubens und das Schwert des
Geistes in die Hand!" Furchterregende kriegerische Bilder. Gerade ist
überall in den Medien des Westfälischen Friedens gedacht worden, der
vor 350 Jahren einen der grausamsten Kriege der Geschichte, den 30jährigen
Krieg, beendet hat. Das war ein Glaubenskrieg, in dem jede Seite behauptete,
von Gott selbst gerüstet worden zu sein, und im Panzer unanfechtbarer
Gerechtigkeit dahergeritten kam, um mit dem Schwert die Falschgläubigen in
Sücke zu schlagen. Natürlich verbargen sich hinter dem
Aushängeschild des wahren Glaubens handfeste politische Interessen
(ebenfalls auf beiden Seiten), die der eigentliche Gegenstand des Konflikts
waren. Aber das macht die Sache ja nicht besser - im Gegenteil: Gottes Segen
für solch eine brutale Schlächterei, für Folter und
Vergewaltigung in Anspruch zu nehmen, macht das alles nur noch
abstoßender. Solche Kriege im Namen des wahren christlichen Glaubens
ziehen sich durch einen großen Teil der Kirchengeschichte hindurch, von
den Kreuzzügen für die Eroberung des Heiligen Landes bis zu dem
gerade erst zu Ende gebrachten Terror zwischen Katholiken und Protestanten in
Nordirland. Sollte man da nicht auf solche martialischen Bilder ein für
allemal verzichten, um weiteren Missbrauch zu verhindern?
Nun muss man allerdings sehen, dass der Schüler des Paulus, der den
Epheserbrief zwischen 70 und 80 geschrieben hat, nicht im Traum an eine
Durchsetzung des Glaubens mit Waffengewalt gedacht hat. Im Gegenteil: alles,
was er zum praktischen Verhalten des Christen zu sagen hat, dreht sich um
Nächstenliebe und Selbstlosigkeit und setzt strikte Gewaltlosigkeit
voraus. Man kann ihm auch nicht vorwerfen, den späteren Missbrauch seiner
Bilder von Rüstung, Helm, Schild und Schwert verschuldet zu haben. Er sagt
ja klipp und klar, dass er nicht einen Kampf mit Fleisch und Blut, also mit
Menschen, im Sinn hat, sondern die Botschaft vom Frieden mit Gott und den
Menschen. Der Kampf soll dem Teufel und den bösen Geistern in der Luft
gelten, unheimlichen, unsichtbaren Mächten, denen der Mensch sich
ausgesetzt fühlt und die ihn bedrohen. Dafür hat der Briefschreiber
an anderer Stelle den Trost angeboten, dass Christus in die Wolken hinein und
durch die Geistersphären hindurch in den Himmel gefahren sei zu Gott und
unterwegs die Geister bereits besiegt habe. Es geht jetzt also sozusagen nur
noch um Nachhutgefechte.
Freilich, wenn wir erkannt haben, dass unser altes christliches Schreiben
dies gemeint hat, dann wird es uns nur noch fremder. Sind wir denn als
aufgeklärte Menwchen des 20. Jahrhunderts solchem Geister- und
Teufelsglauben nicht glücklicherweise entronnen? Gewiss gibt es auch heute
noch abergläubische Menschen, die vor solchen bösen Geistern Angst
haben. Wenn wir merken, dass sie sich damit herumschlagen, werden wir sie ja
nicht gerade auslachen und sie in ihren Gefühlen verletzen. Aber sollten
wir nicht versuchen, sie von solchen Ängsten zu befreien, wenn wir sonst
ein gutes Verhältnis zu ihnen haben? Auf alle Fälle wollen wir doch
nicht etwa selbst wieder anfangen, uns Gottes Himmel als einen Wohnort irgendwo
zwischen den Sternen und den ganzen weiten Raum zwischen einem solchen Ort und
unserer Erde als von grauslichen Geistern wimmelnd vorzustellen. Das wollen und
das sollen wir gewiss nicht, und dazu soll uns der alte biblische Brief nicht
dienen. Er hatte aber auch gar nicht diese Absicht. Sicher, der Schreiber hat
sich die Erde als Scheibe vorgestellt, mit einer Himmelsglocke darüber in
mehreren Schichten, in denen dann all diese Gestalten hausten. Aber das ist
nicht das, was er seinen Lesern klar machen möchte. Denn die hatten
sowieso alle solche Vorstellungen vom Bau der Welt; dazu wäre also der
Brief gar nicht nötig gewesen. Der Schreiber will also seinen Lesern nicht
dieses Weltbild einbläuen, er will ihnen keinen Unterricht in Astronomie
geben. So wie die Waffen, von denen er spricht, nicht aus Eisen und zum
Totschlagen von Menschen sind, sondern Bilder für das friedliche Leben der
Christen, so ist auch das alte Weltbild eben ein Bild - man könnte auch
sagen: ein Transparent, durch das etwas anderes, das eigentlich Wichtige,
hindurchscheint. Das zeigt der Schreiber schon dadurch, dass er mit diesem
Weltbild sehr frei umgeht. Auf der einen Seite heißt es, die Christen
seien schon im Himmel, nämlich bei Gott; auf der anderen Seite redet er
sie gleichzeitig ganz handfest als irdische Menschen an. Wer dabei an den
blauen oder grauen Himmel draußen denkt, bleibt also ganz an der
Oberfläche und versteht alles falsch.
Was aber sind dann die bösen Geister, und was ist der Teufel? Die kann
man doch nicht wegdeuten. Was fangen wir damit an? Ist es nicht viel
vernünftiger, man redet vom Bösen, das die Menschen in die Welt
setzen? Dann kann man sie doch auch viel besser auf ihre Verantwortung
ansprechen, und nur so kann man auch dagegen angehen!
Daran ist natürlich etwas Richtiges, und gegen die menschliche
Verantwortung hat auch in der alten Zeit niemand etwas sagen wollen. Aber nun
haben wir in unserem Jahrhundert in ganz großem Stil auch eine ganz
andere Seite menschlicher Bosheit erlebt. Wir haben erfahren, wie sich die
Bosheit von den einzelnen Menschen gewissermaßen ablösen und
verselbständigen kann. So ist es im Dritten Reich für sehr sehr viele
Menschen ganz selbstverständlich geworden, dass Juden Untermenschen seien
und beseitigt werden müssten - so sehr, dass viele, die an den
fabrikmäßigen Morden unmittelbar beteiligt waren, gar kein
Unrechtsbewusstsein dabei hatten. Oder in der DDR war es für viele
selbstverständlich, dass man den Nachbarn oder die Nachbarin, die sich
kritisch gegen die Regierung geäußert hatten, bei der Polizei
anzeigte. Das wurde erwartet, das machte man so, das lag '"in der
Luft" und schlug die Menschen in seinen Bann Und schon haben wir sehr
handfestes Anschauungsmaterial für das, was mit den bösen Geistern in
der Luft eigentlich gemeint ist. Oder denken Sie an den Gruppendruck in einer
gewaltbereiten Jugendclique - oder noch näher bei uns selbst: an die unter
ganz honorigen Leuten verbreitete Meinung, Steuerhinterziehung oder
Schwarzarbeit sei doch nur ein Kavaliersdelikt. Wenn es doch alle so machen,
oder fast alle, ist es dann nicht ganz normal? Ob brutal oder scheinbar
harmlos: das Böse ist oft wie ein Sog, dem wir uns kaum entziehen
können.
Es geht dabei nicht bloß um moralische Dinge, nicht einmal in erster
Linie. Hinter all dem steht unser Verhältnis zu Gott. Das geht uns fast
noch leichter verloren. Das feste Vertrauen zu Gott, das uns vielleicht
früher einmal Halt und klare Orientierung in unserem Leben gegeben hat,
ist vielen von Ihnen, die jetzt zuhören oder diese Predigt lesen, zwischen
den Fingern zerronnen. Wenn es in der Familie oder im Bekanntenkreis als ganz
selbstverständlich gilt, dass Religion und Glaube nicht so schrecklich
wichtig genommen werden, ja dass dies alles eigentlich ganz egal sei, dann
nistet sich diese Selbstverständlichkeit ganz leicht auch im eigenen
Gefühl ein. Wir reden dann nicht mehr davon, weil das doch nur peinlich
wäre, und wir denken auch immer seltener daran, weil es so vieles gibt,
was anscheinend viel wichtiger ist. So verfault langsam, fast unmerklich, die
Wurzel, aus der wir für unser Leben die überlebenswichtige Nahrung
gezogen hatten, und es bleibt gerade noch eine ferne Kindheitserinnerung
übrig. Auf einmal haben wir keinen festen Grund mehr, auf den wir auch in
einer Lebenskrise noch unseren Fuß sicher aufsetzen können. Die
Lebensorientierung hat sich verflüchtigt, alle vor uns liegenden Wege
scheinen plötzlich gleichermaßen ins Leere zu führen. Es
scheint nur noch übrig zu bleiben, die Reste zusammenzukratzen und so gut
es eben geht zu genießen, nicht zu viele Fragen zu stellen, schon gar
nicht selbstkritische Fragen, auch nicht zu viel Rücksicht zu nehmen auf
andere, weil wir ja genug damit zu tun haben, selbst über die Runden zu
kommen. Vergessen, was vergangen und nicht mehr zu ändern ist, die
tägliche Routine abspulen, die Freizeit zerstreuen, damit sie nicht
unheimlich wird, bis schließlich - aber das denken wir lieber nicht zu
Ende.
Betroffen sind wir alle davon. Schon die alte Gemeinde, an die der
Epheserbrief gerichtet ist, hatte es offensichtlich nötig, daran erinnert
zu werden. Und weil der Sog zur Verachtung Gottes und zur Verachtung von
Menschen so im Verborgenen wirkt und so elegant von uns zu überspielen
ist, darum die drastischen Bilder von Rüstung und Schwert. Denn um aus dem
Nabel der Orientierungslosigkeit herauszukommen, hilft offenbar nicht das
Weiterwursteln, sondern nur eine unerschrockene Kehre, ein klares Umdenken und
entschiedener Zugriff auf die richtigen "Waffen". Diese Bilder laden
allerdings nicht zu christlicher Heldenverehrung ein, genausowenig wie sie zum
Krieg auffordern. Das mögen wir bedauern, wo doch solche Heldenverehrung
oder so ein Starkult zu den Lieblingsbeschäftigungen vieler Menschen
gehört und manchen wohl auch die einzige Möglichkeit zu sein scheint,
den christlichen Glauben heute noch anderen Menschen zu vermitteln. Von Albert
Schweitzer über Martin Luther King bis zu Mutter Teresa: das waren doch
eindrucksvolle Menschen. An denen kann man sich ein Beispiel nehmen. Mit denen
kann das Christentum Staat machen. Gäbe es nur mehr davon! Aber nun haben
sich diese Menschen eben nicht als Stars verstanden und wollten auch nicht so
verstanden werden. Sie taten, was sie taten, als etwas
Selbstverständliches. Sie waren dazu in der Lage, weil sie sich nicht auf
ihre eigene Leistungsfähigkeit und ihre moralische Integrität
verließen, sondern - auf die "Waffenrüstung Gottes": das
unerschrockene Vertrauen auf ihn und seine Liebe, das alle bangen Fragen, was
sie das kosten könnte an Lebensgenuß oder jedenfalls an
äußerer Ruhe, restlos überholt und gegenstandslos macht.
Dieser Gedanke ist vielleicht noch fremder als die militärischen Bilder
von der Rüstung oder der antike Geisterglaube. Aber hier sind wir an dem
Punkt angelangt, auf den es wirklich ankommt. Der Sog, der unseren
täglichen Trott auf der Oberfläche des Lebens immer weiter von einem
tragfähigen Grund entfernt, die lächelnde Rücksichtslosigkeit,
mit der wir daraufhin unsere eigenen Interessen durchsetzen, die
Selbstverständlichkeit, mit der wir alle tieferen Fragen ausklammern, das
alles scheint so locker und vielleicht sogar lustig zu sein und übt doch
eine so lähmende Gewalt über uns aus, dass wir davon nicht loskommen.
Wir können uns zwar eine Religion nach eigenem Strickmuster
zurechtschneiden mit einem Gott, der uns in Ruhe lässt und nicht wehtut.
Aber so eine hübsche Selbstbestätigung hilft uns nicht vom Fleck, und
zu anderen Menschen macht sie uns auch nicht. Das schafft nur Gott selbst. Er
selbst weckt das Vertrauen zu sich, das wir Glauben nennen. Das geschieht, wenn
ein anderer Mensch, der selbst davon ergriffen ist, das auf uns ausstrahlt,
ganz direkt im Gespräch oder vielleicht im Fernsehen oder wenn wir nur
etwas von ihm lesen, so wie das Briefstück aus alter Zeit, mit dem wir uns
heute morgen beschäftigen. Solches Vertrauen gibt ein Gefühl neuer
Lebensgewissheit.
Man kann das vergleichen mit der Lebensgeschichte eines Jugendlichen, der
aus einem Familienleben voller Gewalt und Willkür kommt und auch schon
kriminell geworden ist, dann aber ein Zuhause findet, wo er trotz seiner
Vergangenheit akzeptiert wird und menschlichem Verständnis begegnet.
Sicher geht es nicht immer so dramatisch zu. Aber was wirklich allgemein
zutrifft, das ist, dass in einer Neuorientierung des Lebens zwar immer ein
Stück harter Arbeit steckt mit vielen Rückschlägen und
Konflikten unterwegs. Aber die Arbeit ist es eigentlich nicht, was die
Veränderung bewirkt, sondern das Geschenk persönlicher Zuwendung, das
dahintersteht. So arbeitet Gott auch an uns, wenn wir uns nur darauf einlassen,
also die "Waffenrüstung" tatsächlich anziehen, die er
bereitstellt.
Der "Schild des Glaubens" schützt, wenn wir ihn nur wirklich
in die Hand nehmen. Dann haben wir den "Panzer der Gerechtigkeit"
Gottes an und nicht mehr den Panzer der Selbstgerechtigkeit, an der alle
menschliche Güte und Freundlichkeit abprallt. Das heißt: wir
können uns darauf verlassen, dass wir Gott "recht" sind. Damit
sind wir gut gerüstet, auch für harte Zeiten unseres Lebens.
Allerdings klingt das alles sehr passiv, so als ob das ganze Leben aus lauter
Verteidigung und gar nicht aus tatkräftigem Voranschreiten und Zupacken
bestünde. Aber das ist eine Täuschung. Im Gegenteil: wenn wir mit
solcher "Rüstung" ausgestattet sind, dann ist damit die
ängstliche Halbherzigkeit beseitigt, die uns die Scheuklappen der
Zerstreuung aufgesetzt hat, und wir bekommen Herz und und Hände frei
für den höchst aktiven Kampf für Gottes Sache. Dafür steht
das Bild des Schwertes. Dann ist es nicht mehr peinlich, von dem, was uns Halt
gibt, auch anderen gegenüber zu sprechen. Und dann setzt sich Gottes Liebe
auch in unserer eigenen Lebensführung durch gegen die Sorge, ob wir auch
ja genug vom Leben haben. Vielleicht ist unter uns eine Familie, die einen
gestrauchelten Jugendlichen aufgenommen hat? Oder ein Ehepaar, das die alte
Mutter, die an der Alzheimer-Krankheit leidet, zu Hause pflegt? Der Kampf
für die Liebe Gottes hat viele Gesichter. Die Waffenrüstung des
Glaubens glänzt zwar nicht wie eine metallene Ritterrüstung in der
Sonne, sondern bleibt unsichtbar. Aber sie ist verlässlicher und vor allem
menschlicher, als jede militärische Rüstung es jemals sein
könnte.
Amen.
Prof. Dr. Dietz Lange, Göttingen
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