Predigt zum Totensonntag/Ewigkeitssonntag am 22.11.98 über
Offenbarung 21, 1-.7
"Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, denn der erste Himmel
und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die
heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen,
bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich
hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die
Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie
werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wie ihr Gott sein; und
Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht
mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste
ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles
neu! Und er spricht, Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und
gewiß! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O,
der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des
lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird alles ererben, und
ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein."
Liebe Gemeinde
Totensonntag. Wir denken an alle Menschen aus unserer Gemeinde, die dieses Jahr
gestorben sind. Ihre Namen nennen wir noch einmal. Vertraute Gesichter und
Personen stehen uns wieder vor Augen. Menschen, die zu unserer Gemeinschaft, zu
unserer Nachbarschaft gehörten. Uns wird die Lücke bewußt, die
ihr Tod hinterlassen hat. Vor allem in den Familien und bei Ihnen, den
Angehörigen. Ihre Trauer und Tränen dürfen sein. Vor Gott und
vor uns selbst müssen wir uns nicht verstellen. Wir dürfen uns dem
Schmerz hingeben. Und selbst mit Vorwürfen und Klagen vor Gott fragen.
"Warum? Das Sterben zu diesem Zeitpunkt! Der Tod gerade dieses Menschen!
Warum? Wir können es bis heute nicht verstehen." Erklärungen
sind aber gar nicht immer möglich, sie sind von uns auch nicht gefordert.
Aber Trauer darf sein. Gedenken und Erinnern darf sein. So bleiben die
Verstorbenen in unseren Gedanken. So sind sie unvergessen.
Unsere Gesellschaft hat es verlernt zu trauern. Darum sind Sterben und Tod
tabuisiert. Wo die modernen Grundwerte Stärke, Jugend, Kraft und Leistung
heißen, da werden Krankheit, Sterben und Tod zu gesellschaftlichen
Betriebsunfällen. Zu wissenschaftlichen Risiken, die man
unglücklicherweise noch nicht im Griff hat. Was man aber nicht
bewältigen kann, das wird bekämpft und verdrängt. Genau diese
Reaktionen merken Menschen in ihrer Trauer. Denn in ihnen begegnet man ja der
unbewältigten der Tatsache des Todes. Und deshalb werden sie gemieden.
Damit nimmt man den Trauernden ihre Würde zwingt sie ihre Trauer und ihren
Schmerz zu verleugnen. Und liefert die Verstorbenen auch noch dem Vergessen
aus.
Liebe Angehörige!
Der Gottesdienst am Totensonntag will ein Ort zum Trauern sein. Ein
geschützter Raum für die Angehörigen, aber zugleich auch ein
öffentlicher Raum. Wo dieses gesellschaftliche Tabu gebrochen, wo die
konventionelle Isolierung der Trauernden durchbrochen wird. Wo Ihre
verstorbenen Angehörigen dem öffentlichen Vergessen entrissen werden.
Darum verlesen wir die Namen der Verstorbenen. Die Christengemeinde und die
Bürgergemeinde nehmen auf diese Weise Anteil und halten die Trauernden
fest in der Gemeinschaft der Lebenden.
Den Menschen in allen Phasen des Lebens beizustehen, besonders Sie als
Angehörige auch in Ihren Trauern zu begleiten - das ist unser
seelsorgerlicher Auftrag als Kirche. Der unmittelbar nach dem Sterben mit dem
Trauergespräch zu Hause einsetzte, bei der Beerdigung spürbar war und
bis in den heutigen Gottesdienst dauert. Seelsorge ist eigentlich eine
persönlich gemeinte und sehr direkt zu empfangende Predigt. Die Botschaft
des Evangeliums sollen Sie spüren an Leib und Seele. Denn wir haben eine
Botschaft zu verkündigen, die aus der Trauer, aus der Angst vor dem
Sterben herausführt. Ja die sogar aus dem Tod heraus führt. Das ist
der wahre Grund, warum die Kirche der Trauer Raum geben kann. Sie muß
nicht verdrängen. Ganz im Gegenteil. Sie kann den Tod bei Namen nennen,
weil er seit Jesus Christus seine unheimliche Macht verloren hat.
Wir predigen Gott, der als konkreter Mensch Jesus Christus bei uns gelebt hat.
Der gefoltert wurde, der Angst vor dem Sterben hatte und gestorben ist. Nicht
friedlich eingeschlafen, sondern qualvoll hingerichtet durch Kreuzigung. Gott
sind also alle unsere menschlichen Ängste um Sterben und Tod bekannt, weil
er sie selbst durchlebt hat. Das ist wichtig, denn wir verkündigen Gott
nicht als ein lebensfremdes Prinzip oder als ein unvorstellbares Wesen. Sondern
als einen Gott, der als Mensch unter Menschen gelebt hat. Und der selbst
gestorben ist. Tot gewesen ist. Also auch den biologischen, natürlichen
Verlauf jedes Menschenlebens von Geburt bis Sterben durchlebt hat. Und der
scheinbar übermächtigen Macht des Todes ausgeliefert war.
Aber - und hier beginnt die neue und gute Botschaft der Bibel: Der nach drei
Tagen Tod wieder auferstanden ist. Zurück in das Leben gekommen ist. In
ein Leben, das verwandelt war und in alle Ewigkeit nie mehr dem Tode
unterworfen ist. Mit der Auferstehung Jesu ist dem Tod seine scheinbare
Unbesiegbarkeit, seine Endgültigkeit, sein ewiger Triumph genommen. Auch
der Tod ist endlich und wird einmal vergänglich sein. Dann nämlich,
wenn Gott wiederkommen wird und sein ewiges Reich anbricht. Dann wird es
für keinen Menschen mehr Sterben oder Tod geben. Das ist die Predigt des
NT. Das ist der Glaube und die Hoffnung der Christen. Keine utopische, sondern
eine konkrete, die wir als Brüder und Schwestern Jesu Christi haben. Wir
haben ein Erbrecht auf dieses Reich. Ein Recht, das die Verstorbenen und die
Lebenden haben. Verbürgt durch Jesus Christus. Ein ewiges Recht auf das
ewige Reich.
Ewigkeitssonntag. So wird theologisch zutreffend dieser Totensonntag in der
Kirche auch genannt. Weil im Angesichts des Todes von dem auferstandenen Gott,
von einem ewigen Leben bei ihm und mit ihm gepredigt wird. Von einer
göttlichen Gegenwelt die keinen Tod, kein Sterben, keine Tränen,
keine Trauer mehr kennt. In wunderbaren Bildern, in fast poetischer Sprache. So
wie der Seher Johannes in seinen Visionen, in seiner biblischen
Offenbarung:
"Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel
und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die
heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen,
bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich
hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die
Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie
werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein, und
Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht
mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste
ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles
neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und
gewiß! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O,
der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des
lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird alles ererben, und
ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein."
Das ist das Paradies. Nie mehr werden die Menschen aus ihm vertrieben. Gott und
Menschen leben wieder zusammen und versöhnt. Keine Trennung mehr zwischen
Himmel und Erde zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen Hoffnung und
Erfüllung. Alle menschlichen Schmerzen und alltäglichen Lasten sind
vergessen. Selbst Lebenshunger und unstillbarer Durst nach dem "Mehr,
Mehr, immer Mehr" sind gelöscht. An der Quelle des lebendigen
Wassers. Kostenlos.
Und selbst wer Trauer trägt, wer Qualen und Folter ertragen muß -
der wird erlöst. "Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren
Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch
Schmerz." Himmlische Stille und Frieden.
In diesen Frieden hoffen wir unsere Verstorbenen geborgen. Auf dieses ewige
Friedensreich hoffen wir selbst. Denn diese Worte sind wahrhaftig und
gewiß!
Amen.
(Die Predigt orientiert sich an Tradition und Situation einer Kirchengemeinde
im nördlichen Harz im Bereich der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in
Braunschweig wie Schladen. Die Gemeinde hat etwa 2.750 Gemeindeglieder und
feiert z.Z. wegen der Renovierung der Kirche ihre Gottesdienste in der Kapelle
einer großen diakonischen Einrichtung besonders für alte Menschen,
der Grotjahn-Stiftung. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Stiftung und der
Kirchengemeinde treffen sich also regelmäßig zu gemeinsamen
Gottesdiensten. Peter Kollmar, Oberlandeskirchenrat im Landeskirchenamt
Wolfenbüttel der Ev.-luth.Landeskirche in Braunschweig
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