Göttinger
Predigten im Internet,
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
Sonntag:
3. Sonntag im Kirchenjahr, 3. Advent
Datum:
13.12.1998
Text: Lukas
3, 1-14
Verfasser: Dr. Günter Linnenbrink
Liebe Gemeinde!
Der Evangelist Lukas, den wir ja kennen, mindestens aus der
Weihnachtsgeschichte "Es begab sich aber zu der Zeit, daß
ein Gebot vom Kaiser August ausging ...", hat uns eine
bedeutsame Nachricht, mehr noch: eine aufrüttelnde und
tröstliche Botschaft zugleich zukommen lassen.
Ich lese sie vor: "Im 7. Jahr der Präsidentschaft von Bill
Clinton, als Gerhard Schröder gerade zum Kanzler der
Bundesrepublik Deutschland gewählt worden war und Gerhard
Glogowski neuer Ministerpräsident des Landes Niedersachsen
geworden war, als Bischof Lehmann Vorsitzender der Katholischen
Bischofskonferenz und Präses Koch Vorsitzender des Rates der EKD
war, da geschah, daß das Wort Gottes, das dem Johannes, dem Sohn
des Zacharias gegeben war, in der Gemeinde X (Friedenskirche
Hannover) laut wurde ..." Eine Fiktion, natürlich!
Ich merke, Sie reagieren etwas irritiert, fragen sich: was soll
das?
Nun, so ähnlich werden die ersten Leser und Hörer des
Lukas-Evangeliums auch reagiert haben, als sie die ersten Zeilen
dieses Abschnittes gelesen/gehört hatten. Da wird ihnen etwas
umständlich mitgeteilt, wann und unter welchen politischen und
religiösen Führungspersönlichkeiten dieser seltsame Mensch und
Prophet Johannes aufgetaucht war und seine Botschaft laut wurde.
Warum? Weil es dem Lukas ganz wichtig ist zu zeigen, daß das
Wort Gottes nicht eine allgemeine Wahrheit ist, die für alle
Zeiten gleich gültig und dann auch oft gleichgültig ist. Das
Wort Gottes ergeht vielmehr an eine konkrete historische Person,
in diesem Fall an Johannes, den Sohn des Zacharias, in einer
genau beschreibbaren historischen Situation, in der Geschichte
also. Und der Lukas hat den Johannes seinerseits als jemanden
beschrieben, der nicht frei aus sich selbst heraus eine Botschaft
verkündigt und sie als Gottes Wort ausgibt, sondern als
jemanden, der an eine alte prophetische Tradition anknüpft, sie
aufnimmt und für seine Zeit aktualisiert, deutet.
Ich lese jetzt weiter im Lukas-Evangelium:
"Und er kam in die ganze Gegend um den Jordan und predigte
die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden, wie geschrieben
steht im Buch der Reden des Propheten Jesaja (Jes. 40,3-5); es
ist die Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg
des Herrn und macht seine Steige eben! Alle Täler sollen erhöht
werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und
was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll
ebener Weg werden. Und alle Menschen werden den Heiland Gottes
sehen!" Die Trostlosigkeit und Ödnis der Wüste ist der
Ort, wo die prophetische göttliche Stimme ertönt. Nicht in den
Kanzleien des Kaisers, der Könige, der Priester und Bischöfe,
nicht in den Agenturen der Macht wird Gottes Wort laut. Nur dort,
wo menschlich gesehen nichts los ist, da können die Menschen
Gottes Botschaft vernehmen. Und diese Botschaft lautet: der
Heiland wird kommen. Macht euch bereit! Und die Menschen sind zu
Johannes in die Wüste am Jordan gekommen, um ihn zu hören. Es
war eine schlimme Zeit damals. Die Römer waren im Land und
hatten die Macht. Das Volk selbst politisch und religiös
zerrissen. Die Kluft zwischen Armen und Reichen, den
Kollaborateuren Roms, wurde immer größer. Die Sehnsucht nach
Rettung und Erlösung groß.
Kein Wunder, daß Johannes Zulauf erhielt; kündigte er doch an,
daß "alle Menschen den Heiland Gottes sehen werden."
Bis heute sind Menschen anfällig für Botschaften, die eine
Lösung für alle persönlichen, privaten und öffentlichen
Krisen zu versprechen scheinen. Wo man nur dieses oder jenes zu
tun oder zu unterlassen hat, um aus dem Schlamassel seines
Lebens, der Wirrnis dieser Welt, vielleicht auch nur aus der
Eintönigkeit und dem sich ständig wiederholenden Rhythmus des
Alltags herauszukommen. Ich fürchte, bis zur Jahrtausendwende in
zwei Jahren werden diese Stimmen und Botschaften weltweit
Konjunktur haben.
Aber Johannes ist von einem anderen Kaliber als die
selbsternannten Weltuntergangs- oder Welterlösungspropheten
damaliger und heutiger Zeit. Er stößt die Tauf- und
Umkehrbereiten erst einmal vor den Kopf.
"Da sprach Johannes zu der Menge, die hinausging, um sich
von ihm taufen zu lassen: Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch
gewiß gemacht, daß ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?
Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch
nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage
euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken.
Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder
Baum, der nicht gute frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer
geworfen."
(Luk 3,7-9)
Er hätte sich doch freuen sollen, daß so viele zu ihm in die
Wüste gekommen sind. Verhält er sich nicht genauso wie manche
Prediger gestern und heute, die im Weihnachtsgottes- dienst, wenn
die Kirche voll ist von Menschen, die sonst nicht da sind, diese
mit Vorwürfen traktieren? Hätte er sie nicht seelsorgerlich
ansprechen sollen?
Johannes hat etwas gewußt von der Heiligkeit und Größe Gottes.
Seine Gotteserfahrung war herb. Das Gericht Gottes, sein Zorn
waren für ihn nicht fremde Vorstellungen, sondern schmerzhafte
Wirklichkeit.
Und er hatte Sorge, daß die zu ihm hinausgezogenen Frauen und
Männer seines Volkes den Ernst der Stunde gar nicht begriffen.
Sich auf die Abrahamskindschaft zu berufen, garantiert keineswegs
die Rettung. Und ein Taufbad im Jordan macht auch nicht
unverletzlich.
Das leuchtet ein, möchte ich spontan sagen. Doch bin ich im
gleichen Augenblick erschrocken. Johannes ist ja nicht nur eine
historische Figur, die ihre Zeit und ihre Situation gehabt hat.
Er gehört in die Geschichte Jesu hinein, ist Träger der
göttlichen Botschaft von der Umkehr. Gilt die nicht auch mir und
meiner Zeit?
Nach den so schroffen Sätzen folgt nun eine erstaunliche Antwort
auf die Frage der Leute: "Was sollen wir denn tun?"
"Und die Menge fragte ihn und sprach: Was sollen wir denn
tun?
Er antwortete und sprach zu ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe
dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso.
Es kamen auch die Zöllner, um sich taufen zu lassen, und
sprachen zu ihm: Meister, was sollen denn wir tun?
Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben
ist!
Da fragten ihn auch die Soldaten und sprachen: Was sollen denn
wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt oder
Unrecht und laßt euch genügen an eurem Sold!"
(Luk 3,10-14)
Das sind wahrlich keine radikalen oder gar utopischen
Forderungen. "Umkehr" bedeutet hier, das ethisch
Selbstverständliche zu tun.
Es geht ums Teilen, um solidarisches Verhalten. Und gerade
diejenigen, die in der Gesellschaft als äußerst anrüchig
gelten: die Zollpächter (Kollaborateure mit der römischen
Besatzungsmacht) und die Söldner der Fürsten von Roms Gnaden,
auch sie können umkehren. Sie brauchen sich nur an die Regeln
eines anständigen Zöllners, der nicht übervorteilt, und eines
ehrbaren Soldaten, der nicht willkürlich und gewalttätig seinen
Vorteil sieht, zu halten. Von ethischer Überforderung keine
Spur!
Im Februar 1997 haben die beiden Kirchen das "Wort zur
wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland"
veröffentlicht. Sie haben sich darin zum Anwalt der
Arbeitslosen, der Armen, der Beladenen unserer Gesellschaft
gemacht. Die Vorschläge waren alles andere als radikal oder
sozialistisch. Sie waren alle zu verstehen als Forderungen, die
den Rahmen der sozialen Marktwirtschaft nirgendwo sprengten. Es
waren ethische Selbstverständlichkeiten. Damals wurde dieses
Wort der Kirchen von beinahe jedermann, ganz gleich welcher
Partei oder gesellschaftlicher Gruppe er angehörte, gelobt. Aber
dann wurde es zu den Akten gelegt. Vielleicht wird sich in der
neuen Konstellation - vgl. den Anfang unseres fiktiven
Lukas-Berichtes - da etwas ändern. Dann hätte die Botschaft des
Johannes auch heute ihre Adressaten gefunden - uns.
Ein Nachtrag
Johannes hatte seinerzeit verheißen, daß "alle Menschen
den Heiland Gottes sehen werden." Er hatte ihn sich
wesentlich anders vorgestellt als Lukas ihn beschrieben hat und
die christliche Gemeinde ihn bis heute bekennt: als den
gekreuzigten und auferstandenen Christus. Weil Gott so gerichtet
hat, weil er seinen eigenen Sohn nicht verschont hat um der
Menschen willen, können wir darum nicht noch leichter diese
Umkehr zum ethisch Selbstverständlichen versuchen - aus
Dankbarkeit gegen Gott? Ich möcht's versuchen.
Amen.
Vizepräsident Dr. Günter Linnenbrink
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