Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Heiligabend
Datum: 24.12.1998
Text: 2. Samuel 7, 4-6, 12-14a
Verfasser: Christian Krause, Landesbischof



Predigt zur Christnacht 1998 über 2. Samuel 7, 4-6. 12-14a
von Landesbischof Christian Krause, Wolfenbüttel


Das ist eine denkwürdige Geschichte. Fast 1000 Jahre vor Jesu Geburt spielte sie sich in der alten Königsstadt Jerusalem ab. Der König saß fest auf seinem Thron. Keiner konnte ihm die Herrschaft noch streitig machen. Stolz blickte er auf das Erreichte zurück. Vom Hirtenjungen in Bethlehem hatte er es bis hierhin geschafft. Einen Riesen nur mit der Schleuder erlegt und tausend Feindschaften mit List zu seinen Gunsten entschieden. Ganz Israel hörte auf seinen Befehl. Alt war er darüber geworden und müde. Nur eines fehlte noch, um sein Lebenswerk zu vollenden. Dem großen König Jahwe, den er in Psalmen zu Flöte und Zither besang, ein Haus zu bauen - das war sein unerfüllter Traum. Ein Haus sollte es werden, wie es keiner je zuvor gesehen hatte, so prächtig und Ehrfurcht gebietend. Mittel und Macht dazu besaß er längst. Was aber hielt ihn noch ab?

Es waren die Worte des Propheten Nathan, die der Ausführung dieses lang gehegten Planes im Wege standen. Hart und unnachgiebig klang die Gotteskunde aus seinem Munde: "Solltest du mir ein Haus bauen, daß ich darin wohne? Habe ich doch kein Haus gehabt, seitdem ich mein Volk aus der Gefangenschaft geführt habe." Nein! Du sollst mir kein Haus bauen. Erst deinen Nachkommen will ich es gestatten. - So geschah es. Der König legte sich zu seinen Vätern, und sein Sohn Salomon übernahm die Herrschaft. Salomon baute dem Gott Israels in Jerusalem auf dem Berg Zion einen Tempel. Das Schicksal Jerusalems und das des Tempels blieben von da an und durch die Jahrhunderte eng verbunden. Jerusalem wurde erobert und zerstört und mit ihr der Tempel. Die Verbannten kehrten zurück und bauten es wieder auf und mit ihnen das Haus Gottes. Nach 3000 Jahren Kampf um Jerusalem und bis heute ist das so geblieben. Seit Jerusalems Zerstörung im Jahre 70 nach Christus erinnert nur noch die Klagemauer, wo der Tempel einst stand. Sie blieb das Ziel der Sehnsucht, es möge Gottes Haus und mit ihm das Haus Israel in Frieden erstehen.

Was hat diese Geschichte mit Weihnachten zu tun? - Sie hat insofern mit Weihnachten zu tun, als sie schon in der frühen Christenheit als Weissagung auf Christus gedeutet wurde: "Ich will dir einen Nachkommen erwecken, der von deinem Leibe kommen wird; dem will ich sein Königtum bestätigen. Der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will seinen Königsthron bestätigen ewiglich. Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein..." - Maria und Josef, aus dem Hause und Geschlecht Davids, zogen nach Bethlehem. Die Heimat des Hirtenjungen und Königs David wurde der Geburtsort Jesu. Der Traum geht in Erfüllung: Gott kommt unter die Menschen, um bei ihnen zu wohnen.

Mit den Gläubigen des jüdischen Volkes teilen wir die Sehnsucht nach Gott. Auch für uns sind die Bilder von Gottes Haus, in dem Gerechtigkeit und Friede wohnen, Bilder der Hoffnung auf eine bessere Welt. Mit ihnen bewahren wir die großen Träume und Gesichte der Seher aus Gottes Volk. Aber in diesem entscheidenden Punkt unterscheidet sich unser Glaube. Wir glauben, daß die Weissagungen auf eine ganz andere Weise in Erfüllung gegangen sind, als sie es erwarten ließen. Wir glauben, daß dies in Jesus Christus geschehen ist. In ihm hat Gott Wohnung genommen. Im Leben, Sterben und Auferstehen seines Sohnes ist er immer noch und für alle Zeiten unter uns. "Seht, das habt zum Zeichen. Ihr werdet finden ein Kind". Mit dieser Weisung an die Hirten begann der Weg zum Haus Gottes. Seitdem wurden und werden alle Menschen eingeladen, den Weg zum Kind zu gehen. "Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen..." (Offenbarung 21, 3) - Ein Kind beherbergt den unendlichen Gott - wie wir selber ist es angewiesen auf Liebe und Geborgenheit, Güte und Erbarmen. Wie wir selber bedarf es der Geborgenheit und Behausung in der Liebe anderer Menschen und letztlich in der Liebe Gottes, die der Grund und das Ziel von allem ist.

Die Sehnsucht nach Gott geht nicht mehr leer aus, sie erfüllt sich. Daran glauben wir. Aber nicht wir bauen Gott das Haus, in dem er wohnen will. Sondern er baut uns sein Haus, in dem er uns erwartet, in das er uns einlädt, in dem er uns stärkt und aufrichtet, ermutigt und unter seinem Segen wieder aussendet, daß wir unsere Straße fröhlich ziehen. Gottes Haus unter den Menschen - vielleicht ist es wie in jener alten Wüstenzeit mehr ein Zelt als ein Tempel oder eine Kathedrale heute. Leicht und beweglich, überall und zu jeder Zeit auf- und abzubauen. Die Botschaft des Zeltes lautet: Gott zieht mit - zu allen Zeiten. Unsere Gotteshäuser sind dafür nur Hinweis und Zeichen, darin freilich unverzichtbar, daß sie die Weitergabe der Traditionen sichern. Sie sind Räume seines Gedächtnisses und Orte, wo die alten Träume bewahrt und weitererzählt werden in Glaube, Liebe, Hoffnung. In einem Zelt des Glaubens und der Zwiesprache, in seinem Wort und Sakrament - so will er unter uns wohnen. Im Auf und Ab des Lebens, in allen steigenden und allen fallenden Zeiten unser Vater sein und wir seine Söhne und Töchter, von denen seine Gnade nicht weichen soll.

So wird aus dem Traum Erfüllung, und aus der Erfüllung werden neue Träume. Träume von Häusern in unserer Zeit und in unserem Leben, Lebenshäuser, Gemeinschaftshäuser, in die Gottes Friede einziehen möge. In unsere Partner-schaften und Ehen, daß wir alles tun, beieinander zu bleiben. In unsere Familien und Freundschaften, daß wir gnädig miteinander umgehen und uns nicht ständig mit Erwartungen überfordern. In unsere aufgescheuchten Seelen, die ihr Glück und Heil unter lauter falschen Versprechen nicht mehr finden. In unsere Krankenhäuser, Heime und Anstalten und wo immer Menschen leiden und hoffen, daß sie andere zur Seite haben, die sie nicht aufgeben. In unsere Schulen, Betriebe und Unternehmen, in die hohen Häuser der Politik und des Rechts, daß wir Gottes Gebot nicht außer acht lassen und blind werden für die Würde, die er uns schenkte. In die Sterbe- und die Trauerhäuser überall auf der Welt, die in diesem von Katastrophen und großen Unfällen begleiteten Jahr bedrücken und mahnen, daß wir wieder mehr Acht geben aufeinander und nicht alles dem Zweck und der Funktionalität und dem Nutzen unterstellen. In die Häuser der Verliebten und Jungen, die alles noch vor sich haben, daß sie sich nicht abschrecken lassen und Sinn finden. In die Häuser der Alten, daß sie nicht bitter werden und vereinsamen. In unsere Gotteshäuser, die heute abend so gut besucht sind, daß wir sie bewahren für unsere Kinder und mit ihnen die alten Gesichte der Seher und Propheten und die Geschichten ihrer Erfüllung.

So wird es Weihnachten. Mit der Geburt des Christuskindes zieht Gottes Friede in unsere Welt. Wir wollen ihn unter uns aufnehmen, wollen dem Frieden Gottes ein festes Haus in unserer Mitte bauen, damit die Botschaft der Engel einen festen Platz in unseren Herzen und in unserem Zusammenleben bekomme und behalte: "Ehre sei Gott in der Höhe. Und: Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens."

 

Landesbischof Christian Krause, Wolfenbüttel
Präsident des Lutherischen Weltbundes
M.Hauck@luth-braunschweig.de


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