Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


2. Weihnachtstag
Datum: 26.12.1998
Text: Johannes 8, 12-16
Verfasser: Prof. Dr. Hartmut Jetter


Predigt:

Weihnachten - das ist Bethlehem und der Stall mit der Krippe. Weihnachten - das ist der Stern über dem Stall und das Gloria der Engel über dem Hirtenfeld. Weihnachten in der Kirche und in den Familien - das ist die Geschichte von Lukas 2 und die Lieder von "O du fröhliche" bis "Vom Himmel hoch". Auf der Suche nach dem Ort und nach der Geschichte, "die da geschehen ist" (Lukas 2, 15), hat uns gestern, am 1. Weihnachtstag, der Prophetenspruch aus Micha 5 den Weg gewiesen. Wie schon einst die Weisen aus dem Morgenland, so pilgern auch heute die Menschen zur "Stadt Davids, die da heißt Bethlehem" (selbst dann, wenn sich die Theologen immer einmal wieder fragen, ob es denn nicht doch in Nazareth war).

Darüber hinaus aber ist uns Christen immer auch daran gelegen, an Weihnachten etwas darüber zu erfahren, was es denn zu bedeuten habe und was es uns heute bringt. Das ist wohl die schwierigere Seite jeder Weihnachtspredigt. Nur gut, daß uns das Neue Testament nicht ratlos läßt. Im Gegenteil: Die Botschaft von Weihnachten ist dort in sehr unterschiedlicher Weise überliefert, wofür wir nur dankbar sein können. So zum Beispiel das vierte Evangelium. Johannes hat zwar keine "Weihnachtsgeschichte". Wohl aber redet auch er von Weihnachten , ganz auf seine Weise. Wir lesen im 8. Kapitel die Verse 12 - 16:

Der Text: Johannes 8, 12 - 16

Jesus sprach (zu seinen Jüngern und zu den Pharisäern):
Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.
Da sprachen die Pharisäer zu ihm: Du gibst Zeugnis von dir selbst, dein Zeugnis (aber) ist nicht wahr. Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Auch wenn ich von mir selbst zeuge, ist mein Zeugnis wahr; denn ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe; ihr aber wißt nicht, woher ich komme und wohin ich gehe. Ihr richtet nach dem Fleisch, ich richte niemand. Wenn ich aber richte, so ist mein Richten gerecht; denn ich bin's nicht allein, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat.

Das wahre Licht

Christus - das Licht der Welt. Auch das ist Weihnachten. So sieht es der vierte Evangelist. Er sieht es ganz intensiv und geradezu exklusiv: "Ich, ich und kein anderer". Keine noch so große "Leuchte" dieser Welt ist so das Licht der Welt wie Er. Ja - "echt".

Die Menschen haben den Johannes mit seiner Art Weihnachtsbotschaft verstanden. Sie haben damit etwas anzufangen gewußt. Viel sogar; denn ganz sicher haben die Menschen früherer Zeiten noch ganz anders als wir heute gewußt, was Licht für das Leben bedeutet. Alles Leben braucht Licht. Jeder Mensch braucht Licht. Die alten Griechen haben das auch in voller philosophischer Tiefe erkannt. Der Perserkönig Alexander der Große bekam es zu spüren, als er den in seiner Tonne wohnenden armen Diogenes - mehr wollte der zum Leben gar nicht - besuchte. Auf die Frage nach einem Wunsch bekam er zur Antwort: Gehe mir bitte aus dem Licht! Welche Lichter der Menschheit hat gerade das klassische Altertum hervorgebracht! Sokrates - ein Licht! Einer, der sein Licht wahrhaftig nicht "unter seinen Scheffel zu stellen" brauchte. Und auch im Rabbinat des alten Israel war es ein Ehrentitel:

Leuchte Israels! Licht der Völker! Was war doch der alte König Salomo mit seiner Weisheit für ein "Kirchen"-Licht!

Die Leute, von denen da in Johannes 8 die Rede ist, die haben Jesus ganz sicher voll verstanden.

Das Licht, das einen Menschen wandelt

Aber sie haben unterschiedlich reagiert. Die einen - hier: Die Pharisäer - sagen: Jesus! Dein Selbstzeugnis ist nicht wahr. Das nehmen wir dir niemals ab! Du - das wahre Licht aller Menschen? Nein - Danke! Warum aber können sie sein Wort nicht annehmen? Johannes sagt es an späterer Stelle: Als "Kinder der Finsternis" sind sie blind für das wahre Licht. Ihre Augen könnten es nicht wahr-nehmen. Anders hingegen die Jünger. Sie sehen Jesus im Zusammenhang mit seinen Worten und im Kontext seiner Wunder-Zeichen. Sie haben ihn erkannt als den, der "Worte des ewigen Lebens" hat (Joh 6, 68). Auch an dem Tag von Joh 8 hatten sie es erlebt, wie das ist, wenn das Licht der Liebe Gottes in ein dunkles Menschenleben fällt.

Einigen Pharisäern, also den Leuten, die "zuständig" waren für Recht und Gesetz, Sitte und Moral, war es ganz passend gekommen, eine Frau, "auf frischer Tat" ertappt, in das grelle Licht der Öffentlichkeit zerren zu können. Na, Meister! Ist das nicht eine Schande? Ist es. Aber: Ist ihr damit geholfen? Die braucht doch nicht Strafe! Die braucht Güte und Liebe, um wieder auf den rechten Weg zu kommen. Ja, Ihr! Ihr richtet "nach dem Fleisch", so wie es nur gesetzliche Menschen können. Aber "ich richte niemand". Oder - Johannes in Kapitel 3, Vers 17: "Der Sohn ist nicht gesandt, daß er die Welt richte, sondern sie zu retten." Oder mit Paul Gerhardt: Das Kind in der Krippe ruft: "Lasset fahrn, o liebe Brüder, was euch quält; was euch fehlt, ich bring alles wieder" (36,5). So erfährt nun auch die Frau, als sich alle "Öffentlichkeit" stillschweigend zurückgezogen hatte, was das heißt, wenn wir in der Heiligen Nacht singen: "Christ, der Retter ist da". "Beglänzt von seinem Lichte" (16,4) kann das Leben noch einmal von vorn beginnen, wenn das Licht einen Menschen bis in die Tiefe seines Lebens wandelt.

Die Christen und ihr Christfest

Später haben die Christen diese Johannesbotschaft von Weihnachten immer wieder neu verstanden und ihr Ausdruck verliehen. Es läßt sich zwar nicht mit voller Gewißheit sagen, seit wann und warum die Christenheit das Fest seiner Geburt gerade am 25. Dezember feiert. Aber eine Erklärung - Bischof Wilhelm Stählin meinte sogar die eindeutige - dürfte doch die sein und sie hat auch mit Johannes 8, 12 zu tun:

Im heidnischen Rom feierten sie den 25. Dezember (also ganz in der Nähe der Wintersonnenwende) als den "Geburtstag der unbesiegten Sonne". Bald nach dem Jahr 330 haben die Christen in Rom damit begonnen, diesen Tag als den Geburtstag der "Sonne der Gerechtigkeit" (Maleachi 3,20), des "Lichts der Welt" zu begehen.Sie stellten dem heidnischen Sonnenkult (Mithras) ihr Fest der Geburt des Herrn entgegen.

Lichter als Zeichen für das Licht der Welt

Auf seinem Weg durch die Geschichte hat unser Johannes-Spruch noch weitere Veranschaulichungen hinzubekommen. Denken wir nur z.B. an die christliche Malerei. Was hat es denn zu bedeuten, wenn sie den Herrn der Kirche malen mit dem Nimbus (dem sogenannten Heiligenschein)? Nichts anderes als dies, daß Er das wahre Licht, die Sonne ist, "die Sonne, die mir zugebracht Licht, Leben, Freud und Wonne" (37,3). Damit sind wir bei den Dichtern. Ohne ihre Lieder ist Weihnachten undenkbar. Nicht einmal auf dem Weihnachtsmarkt dürfen sie fehlen (obwohl man zwischendurch wünschen möchte: Ach, schont sie doch ein bißchen! "Stille Nacht" schon am 30. November. Muß das sein?) Immer und immer wieder das Motiv: Jesus, das Licht. Theologisch wohl am tiefsten erfaßt und verkündigt bei Martin Luther: "Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein' neuen Schein..." (23,4).

Nicht zuletzt aber dürfen wir auch an die unzähligen Lichter zur Weihnachtszeit denken: Der Christbaum im Wohnzimmer, der Lichterbaum im Garten, die festliche Illumination in der Kirche, ja sogar der Tannenbaum auf dem Bahnhofsvorplatz. Ohne sie gibt es kein Weihnachten. Wie schmerzlich haben wir ihr Fehlen in der Kriegs- und Nachkriegszeit empfunden. Wissen wir's noch? Was bedeutet allein schon die eine Kerze am ersten Advent?! Gewiß! Jesus hat nicht gesagt: "Ich bin die Kerze der Welt". Aber das Umgekehrte gilt: Eine Kerze kann Sinnbild sein für Ihn, der "mitten im kalten Winter, wohl zu der halben Nacht" geboren ist (30,1), der ein Leben der Liebe, der Hingabe und des Opfers lebte. Die Kerze leuchtet. Es ist kein grelles Licht, das blendet, sondern ein warmes, das wohltut und Wärme ausstrahlt. Die Wachskerze ist nicht auf weitere Energiequellen angewiesen. Sie verzehrt sich selbst.

Das Licht der Taufkerze

Unser Spruch aus Johannes 8 begegnet uns aber nicht nur in der Zeit von Weihnachten und Erscheinungsfest. Manche von uns haben ihn vielleicht bei ihrer Konfirmation als Denkspruch mitbekommen. Manchen anderen war er schon einmal wichtig als Wegweisung in schwierigen Lebensentscheidungen. Neuerdings kann er uns auch bei einer Tauffeier begegnen. Auch in evangelischen Gemeinden ist es Brauch geworden, den Eltern eine Taufkerze zu überreichen. Das geschieht dann so, daß nach dem Taufakt eine Kerze am Altar entzündet und den Eltern überreicht wird mit den Worten: "Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt...." Der Spruch soll an dieser Stelle etwas erklären, soll "sein Licht auf etwas fallen lassen", was nur schwer mit anderen Worten ausgesagt werden kann: Mit deiner Taufe schenkt dir Gott etwas für dein ganzes Leben, was du unbedingt brauchst: Licht! Sein Licht! Das Licht des Lebens. Es geht dir auf deinem Weg voraus. Es zeigt dir die richtige Richtung. Es führt dich an das richtige Ziel. Geh ihm nach! Folge ihm! Und tue, was das Licht der Kerze selbst tut: Sich hingeben, sich verzehren im Dienst für andere.

Das Licht in allen Finsternissen

Wenn nach der Festzeit die Lichter am Christbaum wieder verlöschen - "Christus - das Licht der Welt", das leuchtet weiter. Auch in den Finsternissen des Lebens. Das Licht hebt das Dunkel nicht auf. Es bleibt die Nacht der Trübsal und Angst, die Nacht der Traurigkeit und Einsamkeit, die Nacht des Verrats und anderer Bosheiten. Aber sein Licht scheint, auch bei denen, die im Finstern sind. Sein Licht verheißt uns den barmherzigen und gütigen Vater, der uns den Sinn unseres Lebens gerade auch in den dunklen Stunden und Tagen garantiert. Hinter Johannes 8 Vers 12 gehen wir nicht mehr zurück. Wir lassen es uns auch nicht ausreden, man dürfe das nicht so ausschließlich nehmen: Er, das Licht! Er, das wahre Licht . Er und nur Er. Gewiß doch! Gerade diese Ausschließlichkeit war es, die die Christen in allen Jahrhunderten vor uns so stark und fest in ihrem Glauben gemacht hat, mitten durch Finsternisse, von denen wir heute kaum mehr eine Vorstellung haben.

Darum: Schau nur ins Weihnachtslicht! Heute ist Weihnachten! Und stimme mit ein, wenn sie singen (mit Johannes Scheffler, Lied 400,5): "Ich danke dir, du wahre Sonne, daß mir dein Glanz hat Licht gebracht.....Ich will dich lieben, schönstes Licht, bis mir das Herze bricht".

Amen.

Verfasser: Professor Dr. Hartmut Jetter, Oberkirchenrat i.R., Stuttgart

Hinweise zum Gedankengang:

Die Predigt konzentriert sich auf V. 12 als Hauptaussage. Sie möchte aber den gerade an Weihnachten als spröde empfundenen Textzusammenhang dennoch einbeziehen: Zur Veranschaulichung von V. 12 sollen die Verse 13-16 über den Wahrheitsanspruch der Rede Jesu und über die richtende Funktion des Lichtes ebenso dienen wie die vorangestellte Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin. Damit aber die Predigt auch ein "weihnachtliches Kleid" bekommt, entwickelt sie eine Art Bedeutungsgeschichte von V. 12. Der Bogen spannt sich von der Ansetzung des Weihnachtsfestes auf den 25. Dezember hin bis zu V. 12 als Konfirmationsdenkspruch bzw. begleitenden Sinnspruch bei der Überreichung der Taufkerze; zwischeineingestreut vielerlei Hinweise auf das weihnachtliche Liedgut des Evangelischen Gesangbuchs mit dem Motiv "Christus - Licht und Sonne der Welt".

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