Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Letzter Sonntag nach Epiphanias
Datum: 24.1.1999
Predigttext: 2. Mose 3, 1-14
Verfasser: Esko Ryökäs


Moses Berufung

1. Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. 2. Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, daß der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. 3. Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. 4. Als aber der HERR sah, daß er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. 5. Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! 6. Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. 7. Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. 8. Und ich bin herniedergefahren, daß ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter. 9. Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, 10. so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst. 11. Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, daß ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten? 12. Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, daß ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott opfern auf diesem Berge. 13. Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt! und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen? 14. Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: 'Ich werde sein, der hat mich zu euch gesandt.



Die Predigt

Hier ist es gut zu schweben. Diese Winde, die den Abhang entlang hochsteigen, stützen meine Flügel bequem. Hier ist es leicht, sich still zu halten, ohne die Flügel zu bewegen, Außerdem hat man von diesem Bergabhang einen weiten Ausblick.

Dort befindet sich mein Nest. Dort brütet meine Gattin. Hier ist es ruhig zu nisten, nichts und niemand bewegt sich in dieser Wüste, ab und zu vielleicht einige Schafe, die jemand hütet. Das Leben dieses Vogels ist sehr unbekümmert, da man weiß, daß die Mahlzeit rechtzeitig ankommt. So viel glaube ich an Gott, daß ich weiß, daß auch diese kleine Taube ihr Essen rechtzeitig kriegt. Dies ist der Grund, warum ich jetzt auch am Abhang des Berges Horebs fliege. Irgendwo werde ich schon etwas zum Essen finden.

Schon wieder kommt dort irgendein Hirt an. Es war doch erst im letzten Monat, daß hier Besuch stattfand. Das Gras ist so wenig gewachsen - ob es genug gibt für die Schafe ? Der Hirt muß von weiter entfernt kommen, denn hier in der Nähe wohnt doch niemand. Er sieht etwas außergewöhnlich aus. Ein guter Mann, aber irgendwie scheint er kein Hirt zu sein. Er geht wie ein Fürst, stolz und selbstbewußt. Aber er hütet seine Schafe. Es muß jemand sein, der keine Arbeit mehr gefunden hat, und um sich zu ernähren, macht er alles mögliche. Oder ist er etwa ein Verbrecher oder ein Flüchtling? So ein stolzer Mann sieht nicht aus wie ein Verbrecher, aber das Aussehen kann täuschen.

Jetzt nähern sich die Schafe. Soll ich nach Hause zum Nest fliegen, um meine Frau zu beschützen? Vielleicht kommen die Schafe hin ? Nein, das kann nicht sein. Der Hirt scheint wegzugehen. Wohin geht er?

Was ist das für eine Flamme? Dort gibt es nur Dornensträucher. Jetzt ist doch kein Gewitter, und trotzdem brennt eine Flamme im Busch. Man kann weder Rauch riechen noch die Spuren des Rauches im Himmel sehen. Auf jeden Fall gibt es die Flamme. Ob es möglich wäre, mit der Hilfe der Flamme aufzusteigen? Dort gibt es wahrscheinlich einen guten Aufwind, und es wäre leichter zu fliegen.

Trotzdem brennt die Flamme. Der Hirt hat die Flamme auch bemerkt. Jetzt scheint er sogar seine Schafe zu vergessen. Dieser Mann kommt vermutlich nicht vom Lande, er hat keine Ahnung von der Aufgabe eines Hirten. Und jetzt zieht er sogar seine Schuhe aus. Ich gehe etwas näher, um das zu betrachten.

Jemand spricht, es scheint unser Gott zu sein. Es wäre nicht das erste Mal, daß er sich einmischt. Er hat wieder irgendein Detail im alltäglichen Leben geändert, so daß das ganze Leben eine neue Linie bekommen hat. Der Mann dort guckt doch auf einen ganz gewöhnlichen Dornenstrauch und spricht den an. Sie sprechen von irgendeinem Pharao, als ob ein Hirt sich in dieser Angelegenheit auskennen würde.

Aber jetzt erinnere ich mich: Das muß doch der Mann sein, der in Ägypten den Antreiber der Israeliten getötet hat, obwohl er selbst als Sohn vom Pharao erzogen wurde. Der Pharao wollte ihn deshalb persönlich töten. So erzählte mein Cousin aus Ägypten. In Ägypten gab es so viel zu essen, daß beinahe meine ganze Familie dorthin geflogen ist. Aber hier auf den Berg Horeb gibt es jetzt auch etwas zu essen, und Gott kümmert sich um uns. Der Cousin erzählte, daß der ganze Hof Ägyptens aufgeregt war. Sogar die Tauben wurden aus lauter Aufregung weggejagt. Ja, es kann dieser Mann sein, er scheint irgendwie anders zu sein. Und er redet über Ägypten.

In Ägypten gibt es wohl viel zu essen. Ich habe das Land nicht so sehr gemocht. Dort haben sich sogar die Menschen gestritten. Es gab dort Menschen, die so taten, als ob sie besser als die anderen wären, und sie haben andere sogar geschlagen. Sie alle sind doch niedrig gewesen, keiner von denen konnte auch nur zwei Meter hoch fliegen. Auch das Leben der Vögel war unsicher. Die sogenannten Sklaven haben auch uns zum Abendbrot gejagt. Warum haben sich die Ägypter nicht besser um ihre Sklaven gekümmert ? Sie haben die Toten und die Fremden doch gut gepflegt.

Man hätte mal Ägypten besuchen können. Aber hier auf den Horeb waren die Verhältnisse gut genug. Und ich habe auch gemerkt, daß Gott auch hier auf mich aufpaßt. Ob dieser Fremde aus Ägypten es auch gemerkt hat ? Falls er derjenige ist, der vom Hofe entflohen ist, scheint es ihm ganz gut zu gehen. Er hat noch den Spazierstil vom Hof und scheint noch am Leben zu sein; er ist nicht einmal abgemagert. Er hat sicherlich genügend Lamm zu essen gehabt.

Jetzt höre ich eine Stimme. Die kommt aus dem Busch. Man kann niemanden sehen, nur die Stimme hört man. Es muß die Stimme Gottes sein. Die Stimme sagt: "Du mußt mein Volk aus Ägypten wegführen." So wurde diesem Mann gesagt. Was für eine Aufgabe ! Man muß sich einmal überlegen, welche Folgen das Anschauen des Dornenstrauchs hatte. Man kann nie morgens wissen, wo man sich abends befindet. Auch er muß jetzt zurück nach Ägypten. Ein langer Weg, und dann muß er noch mit dem ganzen Sklavenvolk zurück. Der Pharao wird sich sicherlich nicht freuen. Ob der Mann sich traut, dorthin zurückzukehren? Ob ich jetzt richtig rate, wenn ich glaube, daß er für ziemlich kriminell gehalten wird? Wenigstens muß er ins Gefängnis, falls er nach Ägypten zurückkehrt. Ob er auf Gottes Befehl soviel Wert legt, daß er ihm folgt? Der Mann muß sicherlich denken, daß er verrückt geworden ist: Er hat einen Dornenstrauch in Flammen, ohne Rauch und ohne Asche gesehen, und dann muß er noch nach Ägypten zurückkehren.

Jetzt scheint er sich umzudrehen. Sein Gestalt und Haltung haben sich irgendwie verändert. Als ob er etwas in sich gefunden hätte. Er scheint Angst zu haben, aber trotzdem geht er sehr zielstrebig. Er scheint seine Aufgabe zu mögen. Man muß sich nur überlegen: Ein gewöhnlicher Dornenstrauch hat sein Leben geändert.


Ja, ich weiß: Es war kein gewöhnlicher Dornenstrauch. Oder eigentlich doch, aber mit der Flamme Gottes. Jede gewöhnliche Sache kann zu etwas anderem werden, wenn der Herrgott sein Einfluß darauf nimmt. Das Leben kann sich sehr verändern, wenn Gott es führt. Man muß sich fragen: Was ist nun mit dem Flüchtling vom Hofe des Pharaos, was passiert mit ihm ?

Ja, er ist in Sicherheit. Wenn er eine Aufgabe von Gott bekommen hat, dann wird für ihn auch gesorgt. Meine Aufgabe war es, eine Familie zu gründen, und für die habe ich auch Kräfte gehabt. Jetzt muß ich zurückfliegen, um einen Blick auf mein Nest zu werfen. Meine Gattin wird sicherlich müde sein. Jetzt muß ich wieder meine Füße auf den Boden kriegen. Der Hirt mit den Schafen scheint auch schnell wegzugehen. Er geht seinen Weg, obwohl er bestimmt nicht weiß, wohin. Er weiß, woher die Aufgabe kam, und das scheint ihm zu reichen.

Amen




Der Hintergrund der Predigt

Der Text gehört zu den ältesten des Alten Testaments. Eine exegetische Analyse über solche erzählenden Texte halte ich nicht für notwendig. So wie der Text jetzt steht, hat er einen Platz in der Religion der Juden, Christen und Muslime. So wie die Weltpolitik heute aussieht, wäre es interessant, diese Predigt so aufzubauen, daß man den gemeinsamen Hintergrund betont. Das war nicht gerade meine Absicht, aber das Thema ist auch nicht ganz fremd.

Zur Zeit ist ein Zeichentrickfilm im Kino aktuell, der über das Leben Moses erzählt. Ich habe den Film nicht gesehen, aber allein die Tatsache, daß es den Film gibt, ist ein guter Grund, über den Text zu predigen.

Chronologisch gehört der Text zwischen Weihnachten und Dreikönigsfest. Er lebt sein eigenes Leben im Vergleich zu diesen Festtagen. Inhaltlich geht es um Gottes überraschende und verlangende Berufung.

Es wäre möglich gewesen, eine Predigt zu schreiben, in der es verschiedene Beispiele für Gottes Berufung gibt. Gleichzeitig wäre es möglich gewesen, über Gottes Berufung in bezug auf alltägliche Dinge zu erzählen.

Ich habe einen literarischen, meditativen Weg gewählt. Ich habe viel über eine Predigt nachgedacht, in der es keine geistige Gewalt gibt. Die Geschichte hat einen solchen Zweck. Man kann mitspielen, wenn man will. Man muß sie nicht wahrnehmen. Man kann sich auch weit davon entfernt halten, da sie fiktiv ist. Trotzdem kann man viel daraus lernen. Man kann den Text mit einer anderen Zeit und einem anderen Kontext zusammenbinden.

Eine meditative Predigt ist natürlich riskant. Man kann sie so erzählen, daß der Leser gar nicht weiß, worum es geht. Dadurch kann man auch einige kirchliche Gruppen, die eine eigene Auffassung über den Stil haben, in dem man predigen sollte, irritieren. Eine meditative Predigt funktioniert nur dann, wenn man die Anwendungsgebiete kennt und wenn man die Anwendung beherrscht.

Es ist schwer zu sagen, ob diese Predigt funktioniert. Ich hoffe es. Ich hätte gern Feedbacks.

Diese Predigt ist für einen Gottesdienst in einer finnischen Stadtgemeinde gedacht. Dort gibt es viele Menschen mit guter Ausbildung, im mittleren Alter. In so einer Zusammensetzung kann diese Art von Predigt besser wirken als eine traditionelle Predigt, die den Inhalt direkt zeigt.

Dr. Esko Ryökäs
Dozent, E-mail: esko.ryokas@helsinki.fi

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