Alles, was zum Leben nötig ist
Jesus setzt sich einfach da hin, am Tempeleingang, dem Opferkasten
gegenüber, und sieht zu, wer wieviel Geld hineinlegt.
Das geht doch niemanden etwas an, ob ich viel gebe oder wenig. Es gab aber
einen Grund, daß laut ausgerufen wurde, was jeder gab: Jeder
priesterlichen Handlung im Jerusalemer Tempel entsprach ein genauer Gegenwert.
Geld und Religion so zusammenzubringen, erscheint uns heute fast obszön -
nicht zuletzt in Folge dieser Geschichte. Wer reich ist, kann eben mehr
spenden, daß er deshalb vor Gott besser dasteht, welch eine Verzerrung.
Und: Protzen bringt nun wirklich kein Heil, im Gegenteil. Wichtiger ist
vielleicht aber heute: zu persönlich, zu intim ist uns der Glaube, als
daß wir ihn in der Nähe einer am Geld, und sei es auch nur an der
Kirchensteuer, orientierten Haltung bringen möchten.
Jedoch, was diese arme Witwe tut, zeigt: Die Freiheit des Glaubens hat ganz
unmittelbar zu tun mit der Freiheit zu geben. Besitz, Geld herzugeben, um damit
etwas Gutes zu fördern, andern zu helfen, die in Not sind, Erziehung und
Beratung, Gottesdienst und Diakonie zu unterstützen - dies alles im
Vertrauen auf Gott, auf die Freiheit, wie er sie schenkt. Also noch einmal:
Jesus setzt sich einfach zu uns:
Und sieht, wie geschickt wir mit dem Geld umgehen, mit den Steuern zumal, hier
ein bißchen geschönt, dort ein wenig verschwiegen oder verlagert;
oder die Fälle, in denen der berufstätige Ehepartner aus der Kirche
austritt, weil er das Geld verdient. Daß es auch Gegenbeispiele gibt, wo
jede zusätzliche Belastung eine Katastrophe bedeutet, weiß ich wohl.
- Andere spenden umso freigiebiger; obwohl sie nicht reich sind, tut es ihnen
offenbar nicht weh, sie scheinen sogar immer wieder genug zu erhalten.
Jesus sitzt da und sieht, wie die geben, die äußerlich kaum etwas
haben: Menschen, Gruppen, Völker - sie geben, was sie können, und
obwohl alles weg ist, führen sie ein Leben, nach dem sich viele sehnen:
glücklich leben sie, 'von der Hand in den Mund', bereit, am nächsten
Tag mit nichts wieder zu beginnen - sie haben mehr als genug. Unter unseren
Wirtschaftsbedingungen sei das nicht vorstellbar?
Wenn junge Techniker und Verwaltungsleute, Ärztinnen und Hebammen heute
ihre "Karriere" unterbrechen, um in der Entwicklungshilfe zu
arbeiten, wenn sie alles, was hier selbstverständlich ist, sein lassen,
und unter schwierigsten Bedingungen sich an der Hilfe für die Ärmsten
beteiligen, so geben sie alles, was sie haben. Daß diese Menschen
häufig für den hiesigen Lebensstil "verdorben" sind:
tatsächlich, das ist oft so, aber das geht eher zu Lasten unserer
Unfähigkeit, ohne den gewohnten Überfluß, die beständige
Absicherung, dieses Mehr-und-Immer-Mehr zu leben?
Oder wenn Kirchengemeinden und -kreise zusammen mit staatlichen Stellen
Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose aufbauen mit dem Ziel, so
vielen wie möglich ein Reintegration in die Arbeitswelt zu bahnen -
einfach ist das nie, Enttäuschungen gehören dazu, und doch, besser
als die allgemeine Klage über falsche Politik und Wirtschafterei ist es
allemal; wird da doch etwas abgegeben von dem Allernötigsten und Vertrauen
in die eigenen und die Möglichkeiten der anderen wieder
zurückgegeben.
Ach, ich gebe es ja zu. Der Zeigefinger ist so unangenehm, dieses: Also bitte,
ihr auch, geht los, hockt nicht auf eurem Reichtum, der euch doch nur Sorgen
macht. Lieber ist es mir auch, wie Jesus das tut, indem er beobachtet, was da
am Opferkasten geschieht, und dann den Jüngern erzählt von der Witwe,
die auch noch den letzten Pfennig abgibt, ihre ganze Habe, alles, was sie zum
Leben hatte.
Außerdem bin ich kein Wirtschaftsexperte - Kapitalkonzentration,
Finanzströme, Geldmärkte und ähnliche Dinge sind leider für
Laien wie mich schwer durchschaubar (wie wenig sie "in den Griff zu
kriegen" sind, zeigen die Diskussionen gegenwärtig). Daß die
Wirtschaftsgesellschaft von heute sich nicht mit den Agrar- und Handelsformen
von damals gleichsetzen läßt, ist ja mit Händen zu greifen. Die
Experten und Verantwortlichen an den Schalthebeln unserer globalisierten
Wirtschaftswelt sollten nur nicht aus dem Auge lassen, daß hinter all den
Zahlenspielen Menschen stehen, die mit einem Federstrich vor das Aus geraten
oder etwas zum eigenen Lebenserhalt tun können. Daß eine
Wirtschaftsverfassung nur sich, ihren eigenen Gesetzen überlassen werden
sollte, will und will mir nicht einleuchten. Mehr noch, wie die Konzentration
auf die Macht des Geldes alles unter ihr Joch zwingt, das erfahren wir zur Zeit
stärker denn je.
Das zu sagen, muß kein Moralisieren, kein Verteufeln der Reichen nach
sich ziehen. Daß Menschen nicht gleichgültig sind und ihre Freiheit
in jeder Gestalt nicht einfach auf dem Altar einer abstrakten Konzentration von
Macht und Geld geopfert werden sollte, gehört nur zu genau in den Umkreis
dieser so einfachen Begegnung am Opferkasten.
Der, der da sitzt und sieht, was wir tun (und lassen!), läßt uns
teilhaben an der Entdeckung der Unabhängigkeit, des Loskommens vom
Immer-Mehr, läßt uns teilhaben daran, wie im Geben ein Empfangen
beginnt.
Geht es denn immer wieder und immer doch nur ums Geld? Abgesehen davon,
daß dies nur eine Frage von Leuten zu sein scheint, die keine
unmittelbaren Existenzsorgen haben, wird das knappste Gut für uns
häufig die Zeit. Nein, auch hier keine Verteufelung, etwa von Planung und
gut organisierter Zeiteinteilung. Doch gibt es Situationen, gibt es Menschen,
die brauchen nichts anderes von uns als Zeit, Zuwendung auch; wenn da einer
mehr gibt als vorgesehen, also sogar, was er hat, dann wird er zusehends frei,
und der, mit dem er es zu tun hat, nimmt mit einem Mal nicht nur, sondern gibt
gleichzeitig - ein wundersames Hin und Her, aus dem beide beschenkt
hervorgehen.
Es hat dies schon zu tun mit Freiheit, Freiheit von Menschen, die loslassen und
alles, was sie wirklich brauchen, von Gott empfangen.
Sitzt Jesus eigentlich noch immer an jenem Platz, sitzt er noch da und sieht
die Kirche, sieht uns, wie wir sind - die Menschen, die Zeit haben und
vergeuden, die Menschen, die Geld haben und es für den letzten
Blödsinn ausgeben, für Menschen in Not aber ... ach, da sollen sich
doch andere kümmern.
Jesus ruft seine Jünger zusammen: Diese arme Witwe hat mehr in den Kasten
gelegt als alle, die etwas hineingelegt haben. Er macht sich auf den Weg, aus
dem Tempel in die Stadt - bis ans Kreuz.
Jesus ist längst auf dem Weg, dies alles loszulassen und dafür etwas
zu beginnen, was uns die eigentliche Unmöglichkeit ist: Leben, das vom Tod
nicht mehr bedroht ist, Leben in aller Freiheit vor Gott.
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