Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Ostersonntag
4. April 1999
Predigttext: Mt. 28, 1-10
Verfasser: Bischof Prof. D. Dr. Georg Kretschmar

Liebe Gemeinde,

1. Zwei Ostergottesdienste haben sich mir in meinem Leben besonders tief eingeprägt. Der eine war vor Jahrzehnten in der Osternacht in Jerusalem, unmittelbar am heiligen Grabe, das - wie Kyrill, der spätere Bischof von Jerusalem, im 4. Jahrhundert seinen Taufbewerbern erklärte - Zeuge für das ist, wovon der Evangelist Matthäus erzählt. Der andere war eine Tschernobyl-Gedenkversammlung im großen Sportstadion von Minsk am 24.April 1990, in den Ostertagen, noch in der Umbruchszeit, eine Versammlung, die zum Gottesdienst wurde. Als letzter vieler Redner sprach Metropolit Filaret von Minsk, zum ersten Mal vor einer so großen Öffentlichkeit. Er grüßte die Versammlung mit dem alten Ostergruß der Christenheit: Christus ist auferstanden! Den hatten die Menschen seit Jahrzehnten nicht mehr gehört. Entsprechend zögerlich war die Antwort. Er ist wahrhaftig auferstanden! - aus einer Ecke kam sogar Widerspruch. Aber beim zweiten Grußaustausch waren die Stimmen lauter und beim dritten respondierte die große Menge. Gott allein weiß, wer unter den vielen, die nun einstimmten, zu den Glaubenden zu zählen wäre. Aber sie stimmten doch ein in das grundlegende Glaubensbekenntnis der Christen und damit auch in den Osterjubel. Diese beiden Erfahrungen verstehe ich als Hinweis auf die beiden Pole jedes Ostergottesdienstes: das Gedächtnis des Ursprungs, der Auferstehung Jesu Christi aus dem Grabe in der Geschichte und des Ziels im Glauben an den dreieinigen Gott, der Jesus Christus, Gottes Sohn, nicht im Tode ließ und uns den Weg zum ewigen Leben aufgeschlossen hat, das alle geschichtlichen Möglichkeiten und menschlichen Vorstellungen übersteigt.

2. Auf diesen Weg vom Ursprung zum Glauben will uns der Evangelist Matthäus führen, und auf diesem Weg steht er selbst. Die vier Evangelien erzählen die Wunder des Ostergeschehens in je eigener Weise mit eigenen Akzenten. Immer geht es darum, wie die Osterzeugen vom Schauen und Hören zum Glauben kommen. Immer sind die ersten Zeugen Frauen. Und eigentlich immer entsteht der Osterglaube nicht durch das, was die Frauen sehen oder hören, sondern erst in der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn selbst.

Matthäus weiß zu berichten, daß die Frauen auf dem Wege zurück vom Stein vor dem Grab Jesus treffen, vor ihm niederfallen und seine Füße umfassen. Er bestätigt ihnen den Auftrag des Engels. Daß sie jetzt voller Freude zu den Brüdern, den Jüngern eilen, versteht sich von selbst, es wird gar nicht mehr festgehalten. Markus wußte von dieser Begegnung noch nichts, und so sind die Frauen trotz des leeren Grabes und trotz der unglaublichen Engelsbotschaft nur zutiefst verstört, der Evangelist schreibt von Zittern und Entsetzen. "Sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich sehr" (Mk 16, 8). Auch nach dem Lukas-Evangelium brachten die Berichte der Frauen nur zusätzliche Verwirrung, nicht Freude (Lk 24, 20f.).

Es ist doch auch etwas gänzlich Unglaubwürdiges, aller unsrer Erfahrung Widersprechendes, daß ein Toter wieder lebendig wird. Doch schon diese Beschreibung des Geschehens ist ungenau. Die Evangelien berichten in der Tat von Totenerweckungen. Der Jüngling von Nain lag im Sarg und wurde zu Grabe getragen. Jesus ruft ihm zu: "Stehe auf" (Lk 7, 11-17), er stand auf, und der Mutter, einer Witwe, war ihr einziger Beistand wiedergegeben. Hier kann man sagen, ein Toter wurde wieder lebendig. Aber natürlich sind später Mutter und Sohn gestorben, wie es jedem Menschen bevorsteht.

Mit der Auferstehung Jesu verhält es sich anders. Er kehrt nicht in das normale, vorige Leben zurück, sondern zeigt sich einigen seiner Anhänger und ausnahmsweise auch solchen, die nicht seine Anhänger waren, aber nun als Sendboten berufen werden wie sein Bruder Jakobus und Saul aus Tarsus. Der auferstandene Jesus gehört bereits zum ewigen Leben, in dem es keinen Tod mehr gibt. Solches Leben erwarteten viele der Frommen zur Zeit Jesu am Ende der Geschichte, am Jüngsten Tage, wenn Gott die Toten aus ihren Gräbern erwecken wird, daß sie aufstehen. Und eben mit dem Wort, das diese Hoffnung, ja Erwartung, bezeichnet, beschreiben die Evangelien und der Apostel Paulus das, was geschehen ist: Auferstehung. "Er ist nicht hier, Er ist auferstanden", verkündigt der Engel den Frauen (Mk 28,6). Auferstehung weist immer auf das Grab zurück. Aber natürlich ist das leere Grab kein Beweis - es hat ja auch damals nichts bewiesen, sondern nur Verwirrung bereitet und Gerüchte erzeugt. Beim Evangelisten Matthäus sehen die Frauen ja anscheinend nicht einmal das leere Grab, sie gehen nicht hinein, sie sehen nur den Engel.

Aber die Auferstehung Jesu ist mehr als daß einer von uns Menschen vor allen anderen zum ewigen Leben hindurch gedrungen ist. Sie ist Gottes "Ja" zum Leben und Sterben dessen, zu dem Er - nach dem Bericht des Evangelisten Markus - bei der Taufe im Jordan gesagt hatte. "Du bist mein lieber Sohn, an Dir habe ich Wohlgefallen" (Mk 1, 11).

Das Grab, das Kaiser Konstantin aus der Felswand heraushauen ließ, und den schweren Rollstein, der den Frauen solche Sorge bereitete, haben die Perser zerstört, als sie 614 Jerusalem eroberten. Das heutige Grab ist ein Memorialbau, aber auch von ihm gilt noch, was Kyrill von Jerusalem von dem originalen Monument sagte: Es steht "zum Zeugnis" für den Sieg des Sohnes Gottes über den Tod und den Anfang unserer Vollendung.

3. Damit habe ich nun mit meinen Worten etwas zu dem gesagt, was damals geschah. Aber was geschah denn wirklich? Wir haben nur die Berichte der Evangelien, in denen sich unterschiedlich niedergeschlagen hat, was die Frauen damals erzählt haben - Jahrzehnte hindurch mündlich weitergegeben, ehe die Evangelisten es niederschrieben und deuteten. Da kann man manches rekonstruieren. Es geht doch aber nicht darum, ob die Frauen einen oder zwei Engel sahen, ob sie ins Grab hineingingen oder nicht. Wenn wir fragen, was wirklich geschah, fragen wir nach der Wahrheit der Auferstehung Jesu Christi. Dann ist es gut, unserem Text zu entnehmen, daß das Widerfahrnis der Frauen über sich hinausweist, "Gehet hin und verkündigt es meinen Brüdern, daß sie nach Galiläa gehen, dort werden sie mich sehen" (28, 10). Die Wahrheit der Auferstehung Jesu ist aber ablösbar vom Osterglauben. Und der Osterglaube ist nicht die private Entdeckung von Einzelnen, es ist der Glaube der Kirche. Sicher, am Anfang stehen die Frauen, die Schwestern. Ostern ist der Frauentag der Kirche. Aber die Schwestern müssen es den Brüdern berichten. Aus der Gemeinschaft der Osterzeugen, Frauen und Männern, entsteht die Kirche. Zu Zeugen werden die Jünger in der Begegnung mit dem Auferstandenen selbst, nach dem Matthäus-Evangelium auf dem Berg in Galiläa, den es ja in der Landschaft gibt, der aber zugleich so etwas wie ein Symbol für Gottes Offenbarung ist wie der Berg Sinai, an dem das Gesetz verkündet wurde. Dem entspricht die Begegnung mit dem Auferstandenen. Und sie ist nicht in erster Linie Selbstoffenbarung: ‘Schaut her, ich lebe’, nein, im Mittelpunkt steht ein Auftrag, steht die Sendung - schon bei den Frauen, die zu den Jüngern mit einer Botschaft gesandt werden.

Die Auferstehung Jesu Christ sprengt unsere Erfahrungen und Weltbilder auf. Sie ist eine Wahrheit des Glaubens. Sicher hängt dieser Glaube am Zeugnis der ersten Zeugen. Es geht um den Glauben der Kirche. Und es geht auch um meinen Glauben. Wir wissen alle, daß Juri Gagarin, als er als erster Mensch ins All flog, dort keine Engel gesehen hat; das hat er ja danach ausführlich erzählt. Aber vielleicht hatte Gott ihm einen Schutzengel beigegeben, der ihn damals sicher zur Erde zurückführte. Um die Wahrheit zu sehen, muß Gott uns die Augen öffnen. Begegnung mit dem Auferstandenen, das ist mehr als die Begegnung mit einem Engel. Sie ereignet sich heute für uns anders als für die Frauen, für Petrus, für Paulus, alle Jünger. Aber im Glauben weiß ich, daß er der Auferstandene, unser Herr und Heiland ist. In dieser Gewißheit ist Jesus selbst anwesend. So hat es gerade Martin Luther gelehrt. Glaube ist Begegnung mit Jesus. Sie kann mir plötzlich geschenkt werden, sie kann langsam wachsen und reifen. Vielleicht geht das Einstimmen in den Glauben der Kirche der eigenen Gewißheit voraus – wie damals vor neun Jahren in Minsk. Aber immer wird auch heute zum Glauben gehören, daß ich erfahre, Christus hat mir einen Auftrag gegeben. Auch bin ich gerufen, Zeuge des Wunders der Auferstehung in unserer Welt zu sein.

Christus ist auferstanden! – Er ist wahrhaftig auferstanden!

Prof. D. Dr. theol. Georg Kretschmar
Bischofskanzlei Petrikirche
Newski Pr. 22-24
191186 St. Petersburg/Rußland
Tel. 007812 / 311 2423
Fax 007812 / 310 2625


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