Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Rogate
9. Mai 1999
Predigttext: Lk. 11,5-13
Verfasser: Professor Dr. Christoph Mueller

Lukas 11, 5-13

5 Und er sprach zu ihnen: Wenn jemand unter
euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht
und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei
Brote;
6 denn mein Freund ist zu mir gekommen auf
der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen
kann,
7 und der drinnen würde antworten und sprechen:
Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen,
und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett;
ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben.
8 Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht
und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann
wird er doch wegen seines unverschämten Drängens
aufstehen und ihm geben, soviel er bedarf.
9 Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch
gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet
an, so wird euch aufgetan.
10 Denn wer da bittet, der empfängt; und wer
da sucht, der findet; und wer da anklopft,
dem wird aufgetan.
11 Wo ist unter euch ein Vater, der seinem
Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine
Schlange für den Fisch biete?
12 oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet,
einen Skorpion dafür biete?
13 Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern
gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird der Vater
im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn
bitten!

Liebe Gemeinde!

Jesus hat sich (so können wir den Geschichten entnehmen, die von ihm erzählt worden sind) nicht an den Menschen allgemein gewendet.

Der 'Mensch allgemein': wer wäre das?

Jesus hat sich konkreten Menschen zugewandt - und manchmal werden sogar noch ihre Namen überliefert: der blinde Bartimäus z.B., der von Jesus hört und nach ihm ruft, nach ihm schreit, und der nicht aufgibt, als man ihn zum Schweigen bringen will.

Jesus begegnet nicht dem blinden Mann allgemein - er hört und sieht diesen Menschen und geht auf Bartimäus zu. Und was er ihm sagt, sagt er ihm.Manchmal wird sogar noch erzählt, wann eine solche Begegnung stattfand: um die Mittagszeit, heisst es bei der Samaritanerin, in der Nacht, wird von Nikodemus berichtet.

Die Begegnungen sind einmalig, nicht wiederholbar. Jede hat ihre Zeit. Und es ist nicht immer dasselbe an der Zeit: Ein Wort, das heute genau richtig ist, ermutigend, herausfordernd, hilfreich - vielleicht wäre es, wenn es morgen einem anderen Menschen gegenüber wiederholt würde, fehl am Platz, verletzend, oberflächlich, falsch.Bittet, dann wird euch gegeben

Sucht, dann werdet ihr finden. Klopft an, dann wird euch aufgetan. Denn wer bittet, der empfängt, wer sucht, der findet, wer anklopft, dem wird geöffnet.Es klingt sehr einfach, so dass die Gefahr besteht, gar nicht mehr wirklich zu hören, was da behauptet wird: dass wir, wenn wir bitten, es auch bekommen, dass ich, wenn ich suche, auch schon finde, dass, wenn wir anklopfen, die Tür geöffnet wird.

Stimmt es? Ja, worum habe ich Gott gebeten?

Als Kind um schönes Wetter, wenn die Schulreise bevorstand, und wenn das Wetter dann schön war - ja, das war eine gute Erfahrung. Aber wenn es regnete: was war dann mit diesem Gott? Oft geht es noch viel tiefer.

Ein Vater hat mir erzählt, dass ihm sein Sohn während des Völkermordes in Bosnien sagte, er habe es aufgegeben, zu beten, und Gott sei eigentlich überflüssig. Er habe gebetet und gebetet, dass dieses Morden und Vergewaltigen aufhöre, und es habe überhaupt nichts genützt. Wozu dann noch ein Gott? Wozu das Bitten, das Bitten zu Gott, nicht irgendwie, sondern von innen heraus, mit der Intensität, in der dieser Jugendliche mit all seiner Hoffnung und Sehnsucht nach einem besseren, menschenwürdigeren Leben gebeten hat? Und dann sieht er am nächsten Tag wieder diese schrecklichen Bilder die zerstörten Häuser, Menschen auf der Flucht - verjagt, entwürdigt, und der Jugendliche weiss um das, was das Fernsehen gar nicht zeigen kann: die Wunden, die nicht verheilen können, die Schreie der Kinder, die ihre Mutter nie mehr finden werden, das schreckliche Gefühl, völlig schutzlos der Brutalität ausgeliefert zu sein.Und am nächsten Tag ist es wieder so, und es geschieht nichts, was dem Einhalt gebieten würde, überhaupt nichts; es wird noch schlimmer.

Und der Jugendliche bittet, er sucht, er sucht Hoffnung, Vertrauen, dass das doch nicht so weitergehen kann, und er klopft nicht nur an, es schlägt an die Tür, aber es geschieht nichts.Wozu denn eigentlich noch Gott, hat er seinen Vater gefragt, dieser Gott ? Das hat mich sehr getroffen.

Ich habe, es war während des Golfkriegs, selber nicht mehr um Frieden bitten können. Wir haben an der Uni mit Studierenden einen Klagegottesdienst gefeiert. Wir haben gefragt und gefragt: Gott, warum? Warum diese Zerstörungen, dieses Elend? Was machen wir, wenn wir sehen, dass wir nichts machen können, wenn wir jeden Tag wieder diese unerträglichen Bilder sehen - und es kommt keine Möglichkeit in Sicht, die sinnlose Gewalttätigkeit zu unterbrechen? Gott als der liebende Gott, dem ich vertrauen kann, der mir nicht einen Skorpion gibt, wenn ich um ein Ei bitte, nicht eine Schlange, wenn ich um einen Fisch bitte - der Jugendliche ist Gott nicht so begegnet. Er hat ihn nicht als liebenden Vater kennengelernt, der seine Bitte hört, und der dieser Bitte noch viel tiefer entspricht, als er es hätte erwarten können.

Nein. "Bittet, so wird euch gegeben": diese Worte hätten wie eine Verhöhnung seiner Erfahrungen geklungen. Der Vater des Jugendlichen, als er mir stockend davon erzählte, war selber sprachlos geworden, getroffen vom Unvorstellbaren, das alltäglich zu werden schien.

"Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wieviel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn bitten!" so überliefert Matthäus den Schluss des Wortes Jesu vom Vertrauen beim Beten.Das kann nicht einfach allezeit gelten, überall und jederzeit. Es kann nicht einfach jedem gesagt sein. Wem kann es gesagt sein? Hätte Jesus das jenem Jugendlichen sagen können: "Du musst nur darum bitten, Gott ist wie ein guter Vater" ? Und der Junge hat ja darum gebeten.Könnte ich deshalb dem Jugendlichen sagen: "Mach das nicht mehr, es bringt nichts, es nützt tatsächlich nicht, deine Bitten sind Bitten ins Leere"? Könnte ich es sagen? Wäre ich noch der Mensch, der ich sein möchte, wenn ich das Bitten überhaupt aufgeben würde? Aber: könnte ich deshalb dem Jugendlichen die Erfahrung absprechen, die bodenlose Enttäuschung, wenn er erlebt, dass die Bitte nicht erfüllt wird?

Menschen widerfährt beides, die Vertrauens- und Gelassenheitserfahrung:

Ich bitte und merke beim Bitten, dass es nicht ins Leere geht, dass ich eine Nähe zu der Macht bekomme, die mich hält; und ich spüre etwas von dem, was mich trägt, was mir die Kraft gibt, etwas durchzustehen, noch während ich nach einem Weg suche.

Und Menschen erfahren Leere und Bodenlosigkeit, können nicht mehr bitten, hören die Fragen in sich selber: Wie kann das Schreckliche nur geschehen? Wie können sich Menschen dies alles antun?

Mein Gott, wo bist du?

Wie können wir, wie kann ich diese gegensätzlichen Erfahrungen zusammenbringen?

Ich möchte beides sagen, möchte beides tun können:

- Das Bitten nicht aufgeben, das Wünschen, das Vertrauen darauf, dass es einen Sinn hat - diese Weite, diese unwahrscheinliche Gelassenheit, in die mich Jesus hineinnimmt, wenn er sagt, "Bittet, so wird euch gegeben!" Ich möchte die Stimme nie verlieren, die mir sagt: "Ergib dich nicht einfach in ein Schicksal, gib nicht auf, begrabe deine Bitten nicht, höre nicht auf, auf der Suche zu sein; finde dich nicht ab mit dem, was so übermächtig erscheint, vertrau darauf: du findest, die Bitte kommt an, die Tür wird geöffnet".

- Und gleichzeitig möchte ich die Dunkelheiten nicht verschweigen, in denen ich nicht mehr bitten kann, nur noch klagen oder schweigen; wo mir jede Bitte leer erscheint, kraftlos, ohnmächtig. Und ich kann nur noch hoffen, Gott sei da, bei uns, mit uns, im Schreien, Klagen und Verstummen.

Ich möchte lernen, herauszuspüren, was an der Zeit ist:

- mich auf die Aufforderung Jesu einzulassen: "Gib deine grossen und kleinen Wünsche nicht einfach auf; bitte - hartnäckig; hör nicht auf, zu suchen - du wirst finden, ja, du findest schon im Suchen!"

- Oder ob es an der Zeit ist, wie in so manchen Psalmen, zu schreien, zu klagen, der Angst nicht zu unterdrücken, dem Erschrecken Ausdruck zu geben, quälende Fragen auszuhalten, ohne Antworten zu bekommen.

Was ist an der Zeit?

Beides kann lebenswichtig sein: das Bitten - und die Klage, das stille Vertrauen - und der Schrei aus dem Abgrund. Der Evangelist Lukas hat den Schluss des Wortes Jesu anders überliefert als Matthäus. Bei ihm heisst es: "Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten!"

Das Wort erscheint mir ermutigend.

Ja, ich brauche diese gute, göttliche Geistkraft: ich brauche sie, um wahrnehmen und spüren zu können, was jetzt an der Zeit ist, um zu hören, was nicht immer und überall, sondern was jetzt lebenswichtig ist.

Komm, Schöpfer Geist!

Professor Dr. Christoph Mueller, Ev.theol.Fakultaet, Laenggassstr. 51, CH-3000 Bern 9


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