Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag Exaudi
16. Mai 1999
Predigttext: Joh. 7,37-39
Verfasser: Peter Kusenberg


Sonntag Exaudi
16. Mai 1999
Predigttext: Joh. 7,37-39
Verfasser: Peter Kusenberg
Am letzten Tage des Laubhüttenfestes, der der höchste war, trat Jesus auf und rief: "Wer durstig ist, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, aus dessen Innerstem werden Ströme lebendigen Wassers fließen, wie die Schrift sagt." Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da, weil Jesus noch nicht verherrlicht war.
Joh. 7, 37-39

Liebe Gemeinde,
Wasser - ist das ein Thema, um darüber nachzudenken? Ich drehe den Hahn auf, und es fließt. Kalt oder warm, wie ich es wünsche. Ich mache mir keine Gedanken dabei; es ist doch ganz selbstverständlich. Nur dann, wenn das Wasser einmal abgestellt ist, merke ich, wie oft ich es brauche. Aber mir vorzustellen, was es bedeutet, kein Wasser zu haben - keinen Regen für das Feld, kein Wasser für die Menschen und die Tiere - dazu reicht meine Phantasie kaum. Unsere Sorgen gelten doch allenfalls der Güte des Trinkwassers und erschöpfen sich oft in der Frage, ob sein Kalkgehalt unseren Küchengeräten schadet.
Zugegeben, ich lebe auf dem Dorf, und ich kenne daher die Klagen der Landwirte, wenn zuwenig Niederschlag fällt, ich weiß also um den Zusammenhang zwischen Wasser und Wachstum. Ich weiß: Wo kein Wasser ist, kann nichts wachsen und gedeihen; wo kein Wasser ist, ist auch kein Leben. Aber von einem Wassermangel, der bedrohliche Züge annimmt, kann in unseren Breiten keine Rede sein.
"Wasser ist Leben" - unter diesem Titel haben in der vorigen Woche die diesjährigen Entwicklungspolitischen Aktionstage in Göttingen begonnen. Dort zeigt unter anderem eine Ausstellung, wie ungleich das Trinkwasser auf der Erde verteilt ist, und weist darauf hin, daß der verantwortungslose Umgang mit Wasser im Norden mit dem lebensbedrohenden Mangel daran im Süden zusammenhängt.
In Brasilien beispielsweise gibt es Landstriche, in denen acht Monate lang kein Tropfen Regen fällt. Rund zwanzig Millionen Menschen leben dort. Für sie und für alle Menschen in Gegenden, wo Wasser selten ist, gilt: Wasser ist Leben, Dürre bedeutet Tod. Seit Jahrhunderten ist für sie die Regenzeit die Freudenzeit des Jahres, ersehnter und befreiender Höhepunkt im Rhythmus des Lebens. Bis heute gibt es darum Feste, auf denen für das Wasser gedankt und um das Wasser gebetet wird.
Auch auf dem biblischen Laubhüttenfest war das so. Es war das schönste und fröhlichste Fest der Juden und wird auch heute noch gefeiert. Es dauerte acht Tage und ist unserem Erntedankfest ähnlich. Seinen Ursprung hatte es im Erntefest der Weinbauern, und zugleich war es Bitte für eine gute Regenzeit. Deshalb spielte das Wasser in diesen Festtagen eine große Rolle: zur Zeit Jesu schöpfte man es in Jerusalem jeden Tag neu aus einer Quelle und brachte es in einer feierlichen Prozession zum Tempel.
Für die frommen Juden war dieser Brauch zugleich Erinnerung daran, daß Gott einst auf der Wanderung durch die Wüste ihren Vätern und Müttern Wasser gab - auf dem Weg in das Gelobte Land. Und sie knüpften an diesen Brauch zugleich ihre Hoffnung, Gott werde einmal das Wasser des Lebens schenken, so, wie es die Propheten angekündigt hatten. Ein Wasser, das nicht nur den körperlichen Durst stillt und das Überleben sichert. Sondern eine Art Wasser, das den Durst nach wirklichem, vollkommenem Leben stillt, nach einem Leben, das gesegnet und sinnvoll ist.
Durst nach diesem Leben - den kenne ich auch. Zu einem solchen guten Leben, das ich haben möchte, gehört Gerechtigkeit, gehört Friede, gehört Liebe. Dazu gehört auch, daß ich meine Fehler nicht mehr wie eine Last mit mir herumschleppen muß. Dazu gehört unbedingt eine Zukunft, die mich nicht mehr bange und unsicher macht, sondern Hoffnung birgt. Ja, ich habe Durst nach einem Leben ohne Schuld, ohne Angst, zu versagen.
Und dann meldet sich diese Stimme in meinem Inneren, die sagt: Nein, so ein Leben kannst du dir zwar wünschen, aber nicht schaffen.- Oder kann ich es doch? Mich erschlägt ja fast die Palette der Angebote, die mir mehr vom Leben versprechen: Reisekataloge, Magazine für den "richtigen" Lebensstil, Weltanschauungen aller Art. Geben sie Sinn fürs Leben? - Nach außen hin kann das so schon funktionieren. Ich kann meiner Umgebung Erfolg und Zufriedenheit demonstrieren. Aber reicht mir das für mich selbst? Kann ich Sinn für mein Leben damit kaufen?
Auf dem Höhepunkt des Festes damals in Jerusalem meldet sich Jesus. "Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke", ruft er. Der Zeitpunkt ist gut gewählt. Er muß nicht erklären, was er meint. Alle sind erfüllt von dem Gedanken "Wasser heißt Leben". - Und nun diese Stimme: Wen da dürstet, der komme zu mir! Ich bin es, der euch mehr gibt als das für euer Überleben nötige Wasser. Die Verheißung der Propheten ist erfüllt. Bei mir findet ihr das Leben, nach dem ihr sucht, auf das ihr hofft. Ich gebe, wonach ihr euch von Herzen sehnt. Denn - ich bin das Leben.
Nicht nur an dieser Stelle hat Jesus sich selbst mit den elementaren Lebensgrundlagen - Essen und Trinken - in einen Zusammenhang gebracht. An anderer Stelle sagt er: Ich bin das Brot des Lebens. Daß er damit mehr meint als das Stillen von Hunger und Durst des Körpers, zeigt seine Antwort an den Versucher in der Wüste. Statt aus Steinen Brot zu machen, also Lebensmittel im Überfluß zu schaffen, entgegnet er: der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
Liebe Gemeinde - Wasser und Nahrung brauche ich zum Leben, und ich bin in der glücklichen Lage, in einem Teil der Welt zu leben, in dem es mir daran nie fehlen wird. Aber zum Leben gehört ein Drittes, um es mit Sinn zu erfüllen, und das bekomme ich nicht durch Geld oder Rohstoffe. Liebe, Geborgenheit, Überwindung von Angst sind Lebenselemente, die ich mir nicht allein beschaffen kann.
Hier gilt Jesu Angebot: Kommt her! - Ich darf zu ihm kommen - alle dürfen es. Alle, die am Leben Mangel haben, alle, die Durst haben nach Geborgenheit, die von ihrer Schuld befreit werden möchten, die keine Angst mehr vor der Zukunft haben wollen. Alle, deren Leben nicht ausgefüllt ist, deren Leben leer und sinnlos zu sein scheint. Alle, die da dürstet nach ... ja, Glauben. Nach Glauben, der nicht enttäuscht wird: Kommt zu mir und trinkt. Glaubt an mich! Das ist Christi Einladung, sein Angebot. Trinken, um den Durst zu stillen - genau das nennt Jesus Glauben. Glauben an den, der das Leben ist und der Hoffnung schenkt, Vertrauen auf den, den der Tod nicht halten konnte. Sich halten an den, von dessen Hand uns selbst der Tod nicht scheiden kann.
Glauben? Ich weiß, wie schwer das oft fällt, wie brüchig mein Glaube mitunter ist, wie mir immer wieder Zweifel und Fragen kommen. Wir kommen nicht über das Gebet hinaus: Herr, hilf meinem Unglauben - doch schon das bedeutet Glaube. Wir kommen nicht über den Willen zum rechten Gebet hinaus - und schon das ist Beten. Wir können kaum mehr sagen als: Vater unser - und schon das erfüllt unser Herz. Im Grunde ist es immer nur das eine Gebet: daß Gott uns höre, uns nicht allein lasse. Und genau das hat er versprochen. Wenn Johannes hier vom Heiligen Geist redet, den alle empfangen sollen, so meint er damit, daß Gott da, wo wir ihn bitten, uns nah sein will, daß wir dort, wo wir beten, nicht allein bleiben - oder um im Bilde zu bleiben: daß dort, wo wir dürsten, er unseren Durst stillen will.
Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Er ist eine Quelle lebendigen Wassers, eine Quelle, die nie versiegt oder ausgeschöpft ist. Und außerdem: eine Quelle, die immer frisch und lebendig bleibt. Kein abgestandenes, schales Wasser, kein Wasser von vorgestern oder gestern - sondern frisches und sprudelndes Wasser. Genau das meint "Heiliger Geist".
Ein Mensch, der zu dieser Quelle findet, immer wieder findet, wird erfahren, daß Gott sein Versprechen hält. Wird erfahren, daß diese Quelle den Durst nach Leben, nach Frieden und Geborgenheit stillt. Und sogar noch mehr: von ihm werden Ströme des lebendigen Wassers fließen, heißt es im biblischen Text. Vielleicht nimmt er, nimmt sie es gar nicht wahr, vielleicht mag sie oder er es gar nicht fassen, ist vielleicht von sich zu enttäuscht und darum überrascht, selbst Leben spenden zu können. Aber es geschieht, daß Menschen, die aus dieser Quelle trinken, die an Christus glauben, durch diesen Glauben erfrischend, stärkend auf andere wirken. Sie werden als Betende und Handelnde Quelle der Kraft für andere. Sie selbst können das nicht erklären. Ihr Gebet ist zaghaft, ihr Glaube ist vom Unglauben bedroht, ihr Handeln oft von Zweifeln geplagt. Aber doch gehen "Ströme des lebendigen Wassers" von ihnen aus.
Exaudi - auf deutsch: "Erhöre mich!" ist der Name des heutigen Sonntags, des Sonntags vor Pfingsten. Und Gottes Geist zu Pfingsten ist sein Zeichen, daß er hören will. Wir werden nie weiter kommen, als so zu beten: "Komm, Heiliger Geist, erhöre mich, Gott." - Aber wir hoffen und wissen, daß das der Weg zur Quelle, zum Wasser des Lebens ist. Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke. Amen.

Peter Kusenberg
Auf dem Kirchberg 2
D-37139 Adelebsen
Email: peter.kusenberg@kirche-erbsen.de


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