Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Pfingstsonntag
23. Mai 1999
Predigttext: Joh 16, 5-15
Verfasser: Bischof Dr. Hans Christian Knuth

Liebe Gemeinde!

Diese Verheißung gilt: Wenn ich gehe, will ich den Tröster zu seuch senden. Und ich werte es als ein Geschenkt, als die realisierte Kraft des Heiligen Geistes, daß wir hier heute beieinander sitzen, um Gott zu loben und zu preisen, auf sein Wort zu hören und uns unserer Gemeinschaft zu erfreuen.

I.

Bei allem Unerfreulichen, was die Gegenwart uns aufdrängt, bei allem Kummer auch, Kummer, mit dem wir oft auch auf die Realitäten innerhalb unserer Kirchen sehen müssen: Dies ist das Geschenk des Heiligen Geistes, daß wir hier beieinander sitzen in der Gemeinschaft und uns trösten lassen von seinem Wort.

Und das ist ja nicht nur hier bei uns, es ist ja weltweit und kirchenoffiziell anerkannt, daß wir in unserem Jahrhundert eine echte ökumenische Gemeinschaft erleben, daß wir immer mehr bedenken auch zwischen den unterschiedlichen Familien innerhalb der einen Christenheit, was uns verbindet und nicht nur an das, was uns trennt. Ich denke besonders dankbar zurück an die vielen brüderlichen und hilfreichen Stellungnahmen anläßlich des 500. Geburtstages von Martin Luther, ich denke an die große Bewegung, die die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung in Gang gesetzt hat und an viele ökumenische Gottesdienste, gerade im Zusammenhang mit dem Pfingstfest. Der Tröster, der Heilige Geist, ist unter uns.

Die Bibel bezeugt die Botschaft von Gottes schenkender und befreiender Gerechtigkeit, diese Botschaft zählt an erster Stelle in Leben, Lehre und Dienst der Kirchen.

Diese Botschaft befreit uns zu einem Vertrauen zu dem Gott, der sich uns im Leben, Sterben und Auferstehen seines Sohnes als der uns gnädige Gott erwiesen hat. Allein durch Gottes Vergebung erhält unser Leben Grund und Hoffnung. Diese Gnade knüpft Gott an keine Bedingung auf seiten des Menschen.

Wohl aber ruft er uns dadurch auf, uns selbst und unsere Kirche ständig erneuern zu lassen durch sein Wort. Unter diesem Wort kann es Einheit geben im Notwendigen und Verschiedenartigkeit der Gebräuche Ordnungen und Theologien.

Im großen Zweiten Vaticanischen Konzil haben die römisch-katholischen Bischöfe und Konzilsväter ausdrücklich diese und andere Gemeinsamkeiten zwischen Lutheranern und Katholiken festgestellt. Auch die Glaubenskongregation der römisch-katholischen Kirche hat immer wieder unterstrichen, daß es schon heute zwischen den Kirchen um Kirchengemeinschaft gehe, wenn auch noch nicht um völlige Einheit, so doch um Einigung und Vereinigung von Kirchen, die noch verschieden, aber nicht mehr geschieden sind. Es ist möglich, nicht nur bei den glühenden Vorkämpfern der Ökumene, sondern gerade auch bei den offiziellen Vertretern auf beiden Seiten von einer "kooperativen Vereinigung in der Unterschiedenheit" zu sprechen.

Dies bedeutet daß keine vorhandene Kirche einfach in der anderen aufgehen kann, das will niemand mehr, also das, was man eine Rückkehrökumene genannt hat, sondern daß wir zur Gemeinschaft der Kirchen finden.

Der Papst selbst hat solche schwesterliche Gemeinschaft zu den Orthodoxen, den Anglikanern und auch den Lutheranern erklärt. Die offiziellen Gespräche zwischen der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands haben in jahrelanger intensiver Arbeit immer mehr Gemeinsamkeiten hervorgebracht

II.

Allerdings müssen wir auch nüchtern sehen, daß das Ziel, die Einheit aller Kirchen auch in unserem Jahrhundert, das man nicht umsonst das ökumenische genannt hat, sehr schwer, wenn nicht gar überhaupt nicht zu erreichen ist. Und doch, wo es keine völlige Einheit gibt, da gibt es immer weiter Schritte aufeinander zu, da gibt es auch die Möglichkeit zur versöhnten Vielfalt, da müssen wir uns unsere Verschiedenartigkeiten nicht mehr als das vor Augen halten was uns trennt, sondern da dürfen wir immer wieder hinweisen auf das, was verbindet. Denn die Welt sieht auch auf uns als Kirchen und Konfessionen: Lassen wir das Wort von der Versöhnung bei uns wohnen? Lassen wir uns trösten von demselben Tröster, von demselben Geist? Haben wir den Frieden, den die Welt nicht hat und doch so nötig braucht bei uns? Ist der eine Herr der Kirche nicht größer als menschliche Tradition und menschliches Recht? Schulden wir der Welt nicht dieses eine Zeugnis: daß sie wieder sagen kann: Seht, wie haben sie einander so lieb?

Wir schulden das nicht nur der Welt, daß uns die Augen aufgehen über der Sünde der Spaltung und daß wir die Gerechtigkeit der Gemeinschaft Jesu mit dem Vater erkennen, die auch für uns die Gemeinsamkeit unter uns hervorbringt. Wir schulden der Welt das Zeugnis der Einheit, weil wir selbst sonst noch beitragen zu neuen Kämpfen und Aggressionen, wie in Nordirland und anderen Ländern der Erde. Und schließlich schulden wir es unseren Ehen und Familien, die jeweils aus unterschiedlichen Konfessionen kommen und die tagtäglich die kleine, die alltägliche und intensive Glaubensgemeinschaft leben. Wollen wir sie im Stich lassen, nur weil wir uns im großen nicht einigen?

Wir haben Christus, wir haben die Heilige Schrift, wir haben die Sakramente und auch den Glauben an die eine heilige Kirche als geglaubte und auch gestaltete Einheit. Wir sind der Welt unseren Glauben, nicht unsere Zwistigkeiten schuldig. Den Machern, die da meinen sie hätten das Heft der Welt in der Hand, die nicht fragen nach Gottes Willen und Gebot: Ihnen schulden wir das Zeugnis, daß ein anderer im Regiment sitzt und die Geschicke lenkt, daß es eine Grenze gibt dessen, was wir machen und fabrizieren dürfen. Und daß diese Grenze schon erreicht ist, wenn wir die Schöpfung unseres Schöpfers nicht mehr erhalten und pflegen, sondern ausbeuten und erniedrigen. Daß diese Grenze aber überschritten ist, wenn wir das Geheimnis des Menschen selbst antasten und so tief eingreifen in menschliche Erbsubstanz und menschliches Leben, daß wir alle keinen Weg mehr sehen, der zu einem guten Ende führt.

Wir schulden der Welt nicht nur das Zeugnis des Glaubens gegenüber den platten Rationalisten und Machern, wir müssen auch zunehmend wieder bezeugen, daß der Glaube eine klare und gewisse nüchterne und demütige Haltung ist, und nichts zu tun hat mit allerlei vorwitzigem Wissen und Aberglauben im Blick auf Geheimnisse, die uns nichts angehen. Es ist doch erschreckend in welchem Maße Horoskope, Kaffeesatzlesen. Aberglauben und Spökenkiekerei wieder um sich greifen. Da fühlt man sich ja durchaus ins finsterste Heidentum zurückversetzt.

Da reisen Leute umher, die meinen, sie seien schon einmal tot gewesen und vermarkten ihre Erfahrungen, da gibt es manchen Guru und manchen Sektenhäuptling, der die Sehnsucht nach dem ganz anderen geschickt zu nutzen weiß und Religion und Geschäft so miteinander verbindet, daß nur für ihn selbst etwas dabei herausspringt. Da wird nun die göttliche Gabe der Vernunft wiederum so mit Füßen getreten, daß wir schon fast wieder die Aufgabe haben, die Vernunft zu schützen durch den Glauben: Denn unser Zeugnis richtet sich ebenso gegen die Spinner wie gegen die Macher.

Und schließlich sind wir all denen unser Zeugnis schuldig, die gar keine Perspektive sehen: weder die Vernunft noch den Traum, die ganz einfach resignieren - auch da ist es doch so, daß der Glaubensmut und die Hoffnung, zu der unser Herr uns einlädt, ausgerichtet sein will, verkündigt sein will all denen, die nicht mehr aus und ein wissen, die vor Sorgen und Kummer, vor Katastrophe, Angst und Weltuntergangsstimmung den Kopf völlig hängen lassen und keine Perspektive mehr haben.

III.

Die Resignierten, die Müden und Depressiven, die Mühseligen und Beladenen: Für sie ist Christus, der Tröster, doch in erster Linie gekommen. Ihnen hat er zugerufen: Kommt her zu mir alle, und sie dürfen wir doch nicht im Stich lassen, weil wir uns allzusehr mit uns selbst beschäftigen.

Denn der Zeuge des Glaubens verwirklicht sich dadurch, daß er von sich selbst weg auf den Grund des Glaubens verweist. So vertieft sich das Zeugnis des Glaubens immer zum Lobe Gottes und zur Hinwendung zum Nächsten. Dieses Lob Gottes sollten wir bewußt anstimmen in einer Zeit und Welt, in der alle Freude sich in Sorge zu verwandeln droht. Wir wissen, daß es heute viele Gründe zur Sorge gibt, aber noch tiefer ist der Grund unserer Hoffnung, wie er sich uns im gemeinsamen Gebet erschließt. Denn Christen, die beten, sind lauter Helfer und Heilande, sagt Luther, sie sind die Beine, die die ganze Weit tragen.

Und Mutter Theresa von Kalkutta sagt: Es ist für uns entscheidend, daß wir Gott finden. Aber er läßt sich weder im Lärm, noch in der Rastlosigkeit finden. Gott liebt die Stille. Schau auf die Natur: die Bäume, die Blumen, das Gras, wie still sie wachsen und gedeihen; schau auf die Sterne, den Mond und die Sonne, wie sie in der Stille des Raumes sich bewegen. Ist es nicht unsere Aufgabe, Gott, den Tröster, den Armen in den Slums zu geben? Keinen toten, sondern einen lebendigen, liebenden Gott? Je mehr wir in Gebet und Stille empfangen, desto mehr können wir unserem tätigen Leben geben. Wir brauchen die Stille, um Seelen anrühren zu können, um den Tröster zu hören, um den Geist auf uns wirken zu lassen. Nicht was wir sagen ist wesentlich, sondern was Gott zu uns und durch uns sagt. Alle unsere Worte wären nichts, wenn sie nicht aus unserem Inneren kämen. Worte, die nicht das Licht Christi aufscheinen lassen, vergrößern die Dunkelheit.

In solchen Worten und solchem Gebet und im Leben dieser Frau verwirklicht sich für mich das Zeugnis Jesu Christi in unseren Tagen. Nicht nur sein Zeugnis, sondern sein Geist und damit er selbst. Solche Zeugen sind das Angeld unserer Hoffnung, an ihnen laßt auch uns uns stärken und fröhlich dieses Pfingstfest feiern.

Amen

Bischof Dr. Hans Christian Knuth
Nordelbische Ev.-luth. Kirche
Plessenstr. 5 A
24837 Schleswig
Tel.: 04621-22056
Fax: 04621-22194


[Zum Anfang der Seite]

[Zurück zur Hauptseite] [Zum Archiv] [Zur Konzeption] [Diskussion]