Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


11. Sonntag nach Trinitatis
15. August 1999
Predigttext: Matthäus 21, 28-32
Verfasser: Hilmar Menke

Predigt zum 11. Sonntag n. Trinitatis 1999 - Matthäus 21, 28-32

Ziemlich alltäglich, was Jesus da erzählt: Da kommt man mit einer Bitte oder einem Auftrag zu jemandem und hört ein fröhliches "Ja" - ich freue mich über die Bereitwilligkeit, die ich nicht unbedingt erwartete. Wieviel größer ist dann die Enttäuschung, wenn ich feststellen muß, daß außer dem "Ja" nichts geschehen ist - die Bitte unerfüllt, der Auftrag unerledigt bleibt.
Seltener geschieht das andere. Wer mag schon gern "Nein" sagen und wer traut sich schon, so offen zu bekennen: "Ich will nicht"? Aber es kommt doch vor. Und noch seltener kommt es vor, daß ich dann später erkenne: Meine Bitte ist trotzdem erfüllt, der Auftrag trotzdem ausgeführt worden. Dem Maß an Ärger oder Enttäuschung über die Ablehnung entspricht das Maß an Freude!
Auf die Frage Jesu gibt es natürlich keine andere Antwort als die, die die Menschen damals gegeben haben. Eine interessante Frage übrigens; er fragt ja nicht: "Wer hat richtig gehandelt?". Da hätte es dann wohl noch Diskussionen gegeben - denn ganz richtig handeln ja beide Söhne nicht - ganz richtig wäre es ja wohl "Ja" zu sagen und auch so zu handeln! Nein es geht nur um die Frage: "Wer von beiden hat des Vaters Willen getan?".
Wie mag denen, die Jesus zuhörten, die diese richtige Antwort gaben, wie mag ihnen zumute gewesen sein, als sie hören mußten: Ihr seid gemeint - und die, die ihr für schlecht und gottlos haltet, die sind mitgemeint. Ihr seid wie die, die "Ja" gesagt haben und es dabei bewenden ließen - ihr seid die, die sich für fromm, ja für vollkommen halten, und ihr tut den Willen des Vater nicht. Ihr verurteilt und verachtet die, die "Nein" gesagt haben, und merkt nicht, daß viele von ihnen trotzdem den Willen Gottes tun. Sie tun ihn - nicht ihr.
Ihr Schrecken, ihr Ärger, ihr Zorn wird groß gewesen sein!
Natürlich: Es hat sie getroffen - Ärger und Zorn sind immer dann am größten, wenn jemandem ungeschminkt die Wahrheit gesagt wird.
Daß "Hohepriester und Älteste des Volkes" Jasager und Neintäter waren, das wissen wir ja schon lange ...
Aber vielleicht gelingt es uns ja einmal, von unseren Vorurteilen abzusehen. Vielleicht gelingt es uns einmal, uns selber hineinzuversetzen in diese, in ihre Situation.
Ich denke, wir gehören zu denen, die "Ja" gesagt haben - "Ja" zu Gott und seinen Geboten, "Ja" zu Jesus Christus und zu dem, was er Menschen aufträgt.
Wir haben "Ja" gesagt - was haben wir getan?
Menschen, die uns, unsere Gemeinden, unsere Kirche von außen betrachten, vermissen oft dieses Tun. "Christen müßten eigentlich erlöster aussehen", so hat es einmal jemand formuliert; d.h.: Ihr redet von Erlösung und wirkt doch eher bedrückt; oder: Ihr redet von der frohen Botschaft und der großen Freude, die aller Welt widerfahren soll und wirkt doch eher freudlos; ihr sprecht so viel von der Liebe, und es gibt oft so wenig Freundlichkeit unter euch und so wenig Liebe für andere; ihr sprecht davon, daß die Botschaft allen gilt, und bleibt doch am liebsten unter euch; ihr redet von der Einladung Gottes an alle, und eure Kirchentüren sind verschlossen; ihr redet davon, daß vor Gott alle gleich sind und ihr verachtet Menschen, die nicht so leben wie ihr; ihr sagt "Wir sind allzumal Sünder" und haltet euch doch für besser als andere ...
Und die, die "Nein" gesagt haben? Gibt es nicht unter ihnen auch Menschen, die in ihrem Leben mehr verwirklichen von dem, was Jesus Christus als Gottes Willen vorlebte und verkündigte - mehr an Liebe, mehr an Einigkeit, Vertrauen, Verständigungsbereitschaft, mehr auch an Selbstkritik?
Ich will versuchen, mich weder über das eine noch das andere zu ärgern, es nicht abzutun mit allerlei Argumenten; ich will es so hören, als hätte Jesus Christus es zu mir gesagt - und ich will mich prüfen, damit ich nicht der sprichwörtliche "Pharisäer" werde oder bleibe, der viel von sich hält und vor Gott doch nichts ist - und der seine Glaubwürdigkeit verliert auch vor den Menschen.
"Ja" sagen und "Nein" tun - ich kann mich davon nicht freisprechen; "Nein" sagen und "Ja" tun - auch das kommt vor.
"Herr Pastor, Sie müssen mich unbedingt besuchen" "Ja, in dieser Woche geht es nicht, da habe ich zwei Beerdigungen und die Kreise und die Sitzungen ... - Sie wissen ja! Aber, sobald ich etwas Luft habe, komme ich" - und dann ist beides möglich: daß ich den Besuch immer weiter hinausschiebe, vergesse, verdränge (vielleicht in der stillen Hoffnung, der Bittende könne es auch vergessen haben!) - und auch, daß ich dann doch komme, schon bei der nächsten Gelegenheit, am nächsten Tage (vielleicht, weil ich die Dringlichkeit der Bitte spüre!).
Da stehe ich dann mit all meinen Inkonsequenzen, sowohl Jasager wie Neinsager, sowohl das Richtige tuend wie versagend, sowohl Glaubender wie Zweifelnder, sowohl Gerechter wie Sünder. Wohin gehöre ich in der Geschichte, die Jesus erzählt? Zu den "Hohenpriestern und Ältesten" oder zu den "Zöllnern und Huren"?

Ich glaube, Jesus geht es gar nicht darum, die Menschen, so zu unterscheiden, zu "typisieren", einzuordnen in ein festes Schema. Es geht im sicher auch nicht darum, die Neinsager, die "Zöllner und Huren" als leuchtendes Beispiel darzustellen - wie viele von ihnen bleiben werden wohl für immer bei ihrem "Nein" bleiben - und wäre nicht ein klares "Ja" - gesagt wie getan - der eigentlich richtige Weg?
Jesus will, so glaube ich, nicht Menschen zu Mustern - mit oder ohne Wert - machen, sondern Wege aufzeigen, Möglichkeiten eröffnen, Einsicht fördern:
Selbsterkenntnis vor allem, Selbsterkenntnis, die zustande kommt, wenn Menschen ihm begegnen. Dafür sind die ein positives Beispiel, die so handeln, wie der Sohn im Gleichnis, der zunächst nicht will und sich dann besinnt. Sie haben erkannt, wer sie waren: Menschen fern von Gott - Menschen, die nicht nach seinem Willen leben - Menschen, die verloren waren und ohne Hoffnung, und die zugleich sahen: Es gibt Hoffnung, weil Gott sie nicht abschreibt und verloren gibt - weil er seine Liebe anbietet, die Menschen ändern und erneuern kann. Sie haben das schon erkannt, als sie Johannes dem Täufer zuhörten - sie haben geglaubt, als sie Jesus begegneten, geglaubt in dem ganz tiefen und ganz einfachen Sinn. Sie haben ihr Vertrauen auf Gott gesetzt und nicht auf sich selbst, haben alles von ihm erwartet, er ist ihre ganze Hoffnung.
Die Geschichte von Zachäus, dem Oberzöllner, illustriert das so anschaulich und zeigt auch, was dann folgen kann:
Er will Jesus nur sehen - der aber lädt sich selber ein in sein Haus. Diese Zuwendung, dieses Zeichen der Gemeinschaft, macht ihn zu einem neuen Menschen - und macht ihn dann frei dazu, das Unrecht, das er tat wiedergutzumachen - Folge, nicht Voraussetzung ...

Das Befreiende an dem, was Jesus sagt und tut, erkenne ich auch in der Geschichte von den beiden Söhnen. Auch der, der "Ja" sagt und dann nicht folgt, bleibt Sohn des Vaters. Und der Vater hört nicht auf, zu bitten: Mein Sohn, geh' hin und arbeite in meinem Weinberg.
Auch "Hohepriester und Älteste" sind weiter eingeladen, den Willen Gottes zu tun.
Amen

Hilmar Menke
Superintendent in Cadenberge
e-mail: HHFJMenke@aol.com

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