Predigt für den Buß- und Bettag

Gedacht für einen Abendgottesdienst über den Predigttext Lukas 13, 1-9

Verfasser: Johannes Neukirch
E-Mail: Johannes.Neukirch@t-online.de

Predigt Buß- und Bettag 1997, Lukas 13,1-9

Predigttext
Es kamen aber zu der Zeit einige, die berichteten ihm von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, daß diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben? Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen. Oder meint ihr, daß die achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen sind als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen? Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen. Er sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine. Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, ich bin nun drei Jahre lang gekommen und habe Frucht gesucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, laß ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn grabe und ihn dünge; vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.

Liebe Gemeinde!

Wenn ich mit dem Auto die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit überschreite und dabei erwischt werde, dann muß ich Strafe zahlen oder, noch schlimmer, ich verliere meinen Führerschein. So einfach ist das. Man nennt das den Tun-Ergehenszusammenhang. Wenn ich etwas tue, dann hat das Folgen, und ich bin dafür verantwortlich. Dem wird niemand widersprechen, das haben die Menschen schon immer so gesehen.

Jetzt gibt es da aber ein kleines Problem: Manchmal sehen wir nur die Folgen, sehen nur, wie es jemandem ergeht. Was vorher war, wissen wir nicht. Nun neigen wir dazu, das war auch schon immer so, unsere Schlußfolgerungen aus dem zu ziehen, was wir halt vor Augen haben. Also etwa in der Art: Dieser Penner da, der in der Fußgängerzone besoffen auf der Bank liegt, der muß doch in seinem Leben völlig versagt haben, sonst wäre er schließlich nicht so heruntergekommen. Selbst schuld.

Manchmal stimmen diese Schlußfolgerungen ja, oft aber eben nicht. Und das ist fatal. Wie gesagt: Es steckt einfach in uns drin, so zu denken. Ich glaube, das ist so eine Art Selbstschutz. Denn es ist für uns leichter, manche Dinge zu ertragen, wenn wir einen plausiblen Grund für sie finden. Dann können wir besser damit umgehen und sie in unser Weltbild einordnen.

Diese Geschichte mit dem Tun-Ergehenszusammenhang sitzt tief, damals wie heute. Im Buch Hiob ist das nachzulesen. Als es Hiob sehr schlecht ging, sagten seine Freunde zu ihm: Denk nach, du mußt irgendwelche Sünden begangen haben, sonst ginge es dir besser! Als Hiob dann sagte, er wüßte von nichts, haben sie ihm nicht geglaubt.

Als Jesus das Gleichnis von dem Feigenbaum erzählt hat, waren gerade zwei Katastrophenmeldungen aktuell: Die eine Meldung betraf ein Blutbad, das Pilatus angerichtet hat. Einige Pilger aus Galiläa hatten sich zum Gebet im Tempel versammelt als sie Pilatus ermorden ließ. Wir wissen nicht, was dem voranging. Vielleicht waren sie in Verdacht geraten, einen Aufstand gegen die Römer zu planen. Die andere Meldung ging um einen Befestigungsturm. Er war umgestürzt, und die Trümmer haben 18 Menschen erschlagen.

Aus der Sicht der Leute damals war klar: Die Menschen, die da zu Tode gekommen sind, müssen irgendetwas auf dem Kerbholz gehabt haben. Sonst hätte Gott das nicht zugelassen, daß sie sterben.. Sie müssen eine besondere Schuld auf sich geladen haben, daß sie so bestraft worden sind. Das ist eben der Tun-Ergehenszusammenhang, so ist das nun mal. Der Penner, der Arbeitslose, der Aidskranke - sind sie nicht selbst schuld an ihrem Schicksal? Werden sie nicht zu recht von Gott bestraft?

Jesus macht damit Schluß, Gott sei Dank. Er sagt ganz einfach: Die Menschen, denen das geschehen ist, haben nicht mehr Schuld und Sünde auf sich geladen als alle anderen auch. Punkt. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Jesus setzt den Tun-Ergehenszusammenhang außer Kraft!

Schön. Wenn da nicht noch der Nachsatz in seiner Rede wäre... Zwei mal sagt er: Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen. Aus Freude darüber, daß Jesus diesen unseligen Tun-Ergehenszusammenhang außer Kraft setzt, überhört man schnell, daß er sagt: Ihr seid alle gleichermaßen schuldig. Er könnte auch sagen: Ihr seid alle gleich weit entfernt von Gott. Und für euch alle gilt: Ihr müßt umkehren! Nicht das, was ihr tut, ist entscheidend, sondern daß ihr in euren Herzen Buße tut!

Was er damit meint, sagt er in dem Gleichnis von dem Feigenbaum. Jemand hat einen Feigenbaum in seinem Weingarten, findet aber über die Jahre hinweg keine Früchte. Da sagt er dem Gärtner, er soll ihn doch abhauen. Der aber will dem Baum noch eine Gnadenfrist geben, und nicht nur das: Er will die Erde auflockern und Dünger streuen, damit der Baum noch mal eine Chance bekommt zu zeigen, was in ihm steckt.

Die Zuhörer damals hörten das noch einmal anders als wir: Der Feigenbaum war ein Bild für das ganze Volk Israel. Sie wußten, daß sie alle gemeint waren, daß sie noch einen Zeitaufschub bekommen haben, wie schon so oft. Und sie wußten auch, daß sie bisher nur verschont geblieben sind, weil Gott viel Geduld mit ihnen hat.

Gott hat Geduld mit uns - obwohl er unsere Schuld und Fruchtlosigkeit sieht. Die Chance, die er uns gibt, ist in dem Leben und Sterben seines Sohnes. Man kann ihn mit dem Gärtner vergleichen, der den Boden lockert und den Dünger streut. Das tut er in der Hoffnung, daß sich in unseren Herzen etwas verändert. Daß wir sehen: Wenn er mit uns Geduld hat und uns unsere Schuld vergibt, dann werden auch wir nicht die Axt nehmen und unwiderruflich die Gemeinschaft mit ihm und unseren Mitmenschen zerstören. Wenn er mit uns Geduld hat und noch am Kreuz sagt: "Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun", dann wird diese Geduld bei uns nicht ohne Wirkung bleiben.

Laßt uns heute, am Buß- und Bettag dieses Jahres, einfach nur dieses eine bedenken: Vor Gott sind wir alle gleich in unserer Schuld, darin, daß wir von Gott entfernt sind. Jesus will, daß niemand verloren geht. Deshalb hat er für uns eine Gnadenfrist geschaffen. Buße meint: Wir nehmen diese Gnadenfrist ernst und bewegen sie in unseren Herzen.

Amen.

Johannes Neukirch (Johannes.Neukirch@t-online.de)