1. Korinther 2,12

1. Korinther 2,12

„Wissen und würdigen können, was einem geschenkt ist“ | Pfingstsonntag | 28.5.2023 | 1. Kor 2,12 | Hansjörg Biener |

Für die Begrüßung

Wissen und würdigen, was einem geschenkt ist, – das ist manchmal schwer. Sie kennen das bestimmt: Man bekommt etwas geschenkt, – und weiß nicht so recht, ob man sich freut oder nicht. Nicht umsonst gibt es nach Weihnachten vielerorts einen „Markt der langen Gesichter“. Auf dieser Versteigerung kommt dann unter den Hammer, was am Heiligen Abend nicht so gut angekommen ist. Im heutigen Predigttext geht es um mehr: Wissen und würdigen können, was uns von Gott geschenkt ist. Und weil dieses „Wissen und Würdigen“ offenbar so schwer ist, darum gibt es den Heiligen Geist, den wir an Pfingsten feiern.

Predigttext

„Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt,

sondern den Geist aus Gott,

damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist.“ (1. Kor 2,12)

[Möglicherweise ist es für das Publikum orientierend, die Überschriften mit vorzutragen.]

Von SOS-Geschenken und Missverständnissen

Wissen und würdigen, was einem geschenkt ist, – das ist manchmal schwer. Sie kennen das bestimmt von Geburtstagen, von Weihnachten oder auch von beruflichen Abschieden. Ich habe das am Anfang schon kurz angesprochen. Lassen Sie uns noch ein wenig bei der Alltagssituation des Schenkens und Beschenktwerdens bleiben.

Ich denke, dass wir uns in der Regel schon über Geschenke freuen. Und irgendwann kommen wir sogar in ein Alter, wo man sich über eine Grußkarte im Briefkasten oder im Postfach für E-mails freut. Mindestens darüber, dass man uns nicht vergessen hat. Ich stamme noch aus der Zeit, in der man im Fernsehen Galama oder Tosca beworben hat. Dabei wusste eigentlich jeder, dass ein Gesundheitstonikum oder ein Oma-Duft ein No-Go beim Schenken waren. Dann doch lieber ein Bild von den Enkeln? Schenken kann schwierig sein und schief gehen. Nicht umsonst gibt es die Lästerworte vom Staubfänger oder vom SOS-Geschenk. „Schnaps oder Sekt“, „Schlips, Oberhemd, Socken“. Und so könnte man dann Schnaps und Sekt mehr oder weniger gelangweilt annehmen und zu den anderen Flaschen auf dem Geburtstagstisch stellen, den Schlips am Abend zu den anderen hängen und die Socken in die Schublade zu den anderen Paaren legen.

Trotzdem ist Socke nicht gleich Socke. Es ist ein Unterschied, ob die Socken aus dem Kaufhaus sind oder in liebevoller Handarbeit gestrickt wurden. Und damit kommen wir zu den Schenkenden. Es könnte sein, dass in dem Geschenk etwas vom Schenkenden drin ist. Und wo jemand etwas von sich mitschenkt, ist es gefährlich, wenn der Beschenkte das nicht „weiß“ und nicht „würdigt“. Wer so ein Geschenk nicht angemessen beachtet, verletzt und verliert den Schenkenden. Und manchmal, so will ich gleich dazusetzen, ist es allerdings auch schwer genug, mit einem geschenkten Herzen angemessen umzugehen, das man nicht will.

Vom Geschenk des Da-Seins in D/A/CH

Wissen und würdigen, was einem geschenkt ist, das ist manchmal schwer. Was für Geburtstags-/ Weihnachtsgeschenke gilt, kann man auch auf unser ganzes Leben anwenden. Das beginnt bei unseren körperlichen und geistigen Gaben und endet beim Vorrecht/Privileg, in Deutschland/Österreich/der Schweiz zu leben. „Vor allem Gesundheit“ wünschen manche beim Geburtstag eines älter werdenden Menschen, der sonst schon „alles hat“. Wer [wie ich] schon erfahren hat, was nicht mehr Gesundsein ist, für den ist das keine leere Floskel. Oft genug lernen „wir“ erst im Nachhinein, wie natürlich unser Atmen war, was Hören und Sehen können heißt, was gesunde Hüften und Füße bedeuteten. Und wofür haben „wir“ diese Geschenke nicht alles verwendet: für den Lungenzug, für den neidischen Blick, für den falschen Weg. Oder nehmen wir die Fähigkeit, zu reden und zu denken, und denken daran, wofür das alles eingesetzt wird.

Oder nehmen wir das Geschenk von Wasser aus dem Wasserhahn, von vollen Regalen in den verschiedensten Läden und von vielen Möglichkeiten zur Zerstreuung und Unterhaltung. All das ist uns in Mitteleuropa zugefallen/geschenkt. Und trotzdem gibt es Menschen, die das nicht angemessen würdigen, sondern für selbstverständlich nehmen und sogar allen anderen, die zufällig nicht hier geboren sind, nicht gönnen. Dabei könnte man diese Geschenke auch anders erleben: Als gute Gaben des Lebens an uns, die wir wissen und würdigen sollten. Als Aufgaben auch, mit ihnen sorgfältig umzugehen oder „nachhaltig“, wie man neudeutsch sagt.

Von Gott als verborgenem Geber

Bisher habe ich nach weltlicher Weise gesprochen. Man muss nicht Christ sein, Christin, um das Bisherige zu verstehen und sich zu Herzen zu nehmen. Aber im Bibeltext kommt auch noch ein Geber ins Spiel. Durch den Heiligen Geist sollen wir „wissen und würdigen können, was uns von Gott geschenkt ist“.

Unser Da-Sein und im Besonderen unser Hier-Sein in Deutschland/der Schweiz/Österreich verdanken wir nicht uns selbst. Das ist einfach so. Nach christlichem Verständnis ist da noch mehr zu sagen. Nach christlichem Verständnis ist da [ein] Gott, der uns wollte und uns eine Welt übergibt: „All das ist für dich da. – Mach was draus. Was Gutes!“ Und Gott tritt auch beiseite, sodass wir in der Freiheit und Selbstbestimmung leben können, die wir Mitteleuropäer ja auch einklagen. Gott zwingt sich nicht durch Offensichtlichkeit auf, sondern spricht eine Einladung aus, wie das Leben gelingen kann. Seine Wegweisung für uns finden Christen in Jesus Christus. In ihm trat, so der christliche Glaube, Gott selbst in die Welt hinein, um zu zeigen, wer Gott ist und was ein Mensch sein könnte. Nicht jeder hat in Jesus Gott erkannt. Denn Gott zwingt sich nicht durch Offensichtlichkeit auf, sondern wirbt um uns. „Alles ist mein, doch ich bin dein“ – das könnte die angemessene Antwort des glaubenden Menschen sein. Damit würde nicht nur anerkannt, was immer schon und unausweichlich so ist. Es würde auch eingestimmt werden in das, was ist. Gott erzwingt das nicht. Durch den Heiligen Geist sollen wir „wissen und würdigen können, was uns von Gott in der Freiheit des Lebens und Glaubens geschenkt ist“.

Von der Gabe der Schöpfung

„Alles meins“, so gehen die Menschen mit ihrem Leben und ihrer Welt um. Das ist naheliegend, verständlich und irgendwie auch unumgänglich. Doch ist es eine Frage, wie bewusst wir mit dem uns Geschenkten umgehen. Als Menschheit versetzen wir Berge, um an Rohstoffe zu kommen, und häufen Müllberge auf, weil wir mit den Ressourcen der Welt verschwenderisch umgehen. Den großen Umweltproblemen kann man nur politisch begegnen, aber wie oft sehe ich Bierflaschen und Getränkedosen ins Gebüsch gepfeffert. Dann denke ich mir, hätte Mensch sie doch wenigstens ordentlich hingestellt für Menschen, die auf das Sammeln von Flaschen und Dosen angewiesen sind. „Red Bull verleiht Flügel“, beflügelt aber nicht immer das Umweltbewusstsein.

Wie also können wir wissen und würdigen lernen, was uns von Gott in der Schöpfung geschenkt ist? Durch Anerkennen, dass wir Schöpfung sind. Die Welt ist nicht nur ausbeutbare Ressource, sondern anvertraute Schöpfung. Wir sind nicht Ressource, sondern Schöpfung. Unsere Mitmenschen in der Nähe und Ferne sind nicht Ressourcen, sondern Schöpfung. Aus der rechten Einsicht mag dann ein rechter Entschluss folgen zum pfleglichen Umgang mit uns selbst und der ganzen Welt. Das Christentum und andere Religionen haben immer viel zu sagen gehabt, wie man achtsam mit sich und der Welt umgeht. Da war sicher viel Richtiges dabei. Aber ich will hier keine Beispiele nennen oder Vorschriften machen. Ich erinnere mich an Storys, wie Leute darüber spotteten, dass die Frommen in Württemberg nicht rauchten, aber Viertele schlotzten, während die Frommen im Siegerland grundsätzlich keinen Alkohol tranken, aber pafften (Dinkel 2014). Also halten wir einfach fest: Unser Leben ist das einzige Leben, das wir haben, und unsere Welt ist die einzige Welt, die wir haben. Gehen wir bewusst und pfleglich damit um. Jeder, jede von uns wird seinen individuellen Weg finden, wenn man für sich bedenkt, was zum Glauben an Gott passt.

Von der Gabe der Erlösung

Ein zweites Geschenk, das es zu wissen und zu würdigen gilt, ist die Erlösung. Der Apostel Paulus hat sie im Umfeld des Predigttextes bereits angesprochen. Viele Menschen von heute haben mit der Vorstellung der Erlösung Probleme: mit dem „Konzept Sünde“, mit der Idee, dass Gott ein Sühnopfer bräuchte, und der Behauptung, dass Jesus das gewesen sei. Wenn Paulus schlecht drauf wäre, würde er vielleicht antworten. Das versteht auch niemand, der nur weltlich denkt. „Wir haben ja nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist.“ (1. Kor 2,12) Vielleicht ist er auch besser drauf und erinnert uns daran, dass man in vielen Kulten seiner Zeit und teilweise bis heute die Grenze zwischen Mensch und Gott nur mit einer Opfergabe überschreitet.

Nun bin ich nicht Paulus, sondern Ihr heutiger Prediger. So lange die Christenheit nicht eine ähnlich berührende Sprache findet, bleibt es meine Aufgabe, Ihnen eine Brücke zur Gründungstradition des Christentums anbieten. Wie also können wir wissen und würdigen lernen, was Erlösung heißt, sodass es nicht nur Kopfwissen ist, sondern Herzenswissen wird? Erlauben Sie mir, Sie an den Tag der Kreuzigung Jesu mitzunehmen. Ich will nicht die ganze Geschichte erzählen. Stellen wir uns einfach dazu und schauen uns um. Erinnern wir uns an das Panorama der Menschen, die laut den Evangelien Zeugen der Szenerie waren. Da haben wir Jesus und zwei Nachbarn am Kreuz. In der Nähe auch noch ein bisschen Familie und wenige Freunde. Vor allem aber haben wir auch erklärte Feinde Jesu und Männer, die ihre blutige Arbeit tun und sich mit den Habseligkeiten der Gekreuzigten belohnen. Nicht zuletzt waren da Leute wegen des Schauspiels dabei, so wie Leute heute bei Unfällen das Smartphone zücken. „Ich war dabei…“ Und sie werden nicht verstanden haben, wo sie dabei waren. Stellen wir uns dazu. „Wer wäre ich damals in der Angelegenheit Jesu gewesen?“ Unverständige Masse, tapfere Mutter, fliehender Jünger, seiner politischen Sachlogik folgender Pilatus, triumphierender Gegner. Hätte ich gar Scherge sein können und als Folterknecht meinen Spaß gehabt? Und es mag sein, dass das an Ereignisse der eigenen Biographie erinnert, wo man nicht durchgeblickt hat oder auch nichts verstehen wollte, wo man Schmerz bereitet hat und vielleicht sogar Freude daran hatte. Hier hinein zu gehen, in die Zerknitterungen der eigenen Geschichte und die eigenen Geschichtsklitterungen, das ist „göttliche Weisheit“, die uns wieder menschlich werden lässt, wenn wir Unmenschliches oder Menschenunwürdiges getan haben. Und wer gemerkt hat, wie viel er zwischen sich und andere gestellt hat, der wird vielleicht auch verstehen und würdigen, was Evangelium heißt. Denn er wird trauern über gelebtes Leben und ungelebtes besseres Leben und spüren, was es heißt, Leben verloren zu haben. Und er wird sich fragen, was man zwischen Gott und sich gestellt hat. „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“, das sagt Jesus am Kreuz. Aber manchmal brauchen wir Vergebung, weil wir wussten, was wir tun. Und wäre es da nicht gut, das zum Kreuz bringen zu können, wo wir Lasten des Lebens abladen dürfen? Das klassische Christentum sagt: „das geht“ und „du darfst“. Am Ende wird man sich freuen und hoffen, dass die Verheißung stimmt, dass uns um Jesu willen neues Leben für heute und für die Ewigkeit zukommen wird.

Von der Gabe des Geistes

Schöpfung und Erlösung, zwei Geschenke Gottes an uns sind schon besprochen. Es fehlt jetzt nur noch der besondere Geist Gottes für die Gläubigen. Es gibt Bewegungen, die suchen und finden den Heiligen Geist in besonderen Erlebnissen. Sie erinnern sich an die Wunder, die im Neuen Testament aus Frühzeit des Christentums erzählt werden, und ersehnen dieses Gotteswirken auch für heute. Ich will hier nur Stichworte aus der Pfingstbewegung nennen. Sprachengebet, Prophetie, visionäre Erlebnisse, Wunder. Wer weiß, worum es geht, wird meine Worte noch besser einordnen können. Nötig zum Verstehen sind diese Kenntnisse aber nicht. Lassen Sie mich also zuerst etwas feststellen: Ich freue mich über jede glaubensstärkende religiöse Erfahrung und jede wunderbare Heilung. Dazu habe ich an ausreichend vielen Betten gestanden, wo es Wunder gebraucht hätte. Ich weiß aber auch: Früher haben die Verkündiger gesagt, dass Durchbrechungen des Gewöhnlichen, wir Modernen würden sagen: der Naturgesetze, nur in der Anfangszeit nötig waren. Seit Abschluss der Bibel brauche es keine Visionen und außergewöhnliche Erfahrungen, um Gott zu finden, sondern nur offene Augen und Herzen. Um es mit einem bekannten Zitat eines bekannten Theologen zu sagen. „Wir werden in der Bibel immer gerade so viel finden, als wir suchen: Großes und Göttliches, wenn wir Großes und Göttliches suchen. Nichtiges und [bloß] ‚Historisches‘, wenn wir Nichtiges und ‚Historisches‘ suchen; überhaupt nichts, wenn wir überhaupt nicht suchen!“ (Barth 1925)

Und damit sind wir bei der dritten Antwort für das wissen und würdigen lernen, was uns von Gott geschenkt ist. Ich beschreibe den Heiligen Geist weniger durch außergewöhnliche Erfahrungen und Wunder. Ich beschreibe ihn mehr wie die Atmosphäre, in der wir leben und atmen. Der Heilige Geist ist bisschen wie ein Teamgeist, der Mannschaften zusammenhält, positiv, nicht negativ durch Abgrenzung wie in manchen Fußballszenen, die manche Spiele zu Risikoveranstaltungen machen. Und auf den Einzelnen bezogen, betrachte ich den Heiligen Geist wie eine geheimnisvolle, unaufdringliche Eröffnung von Lebensmut und Gottvertrauen. Wo der Heilige /Geist zum Wirken kommt, da zählt nicht mehr allein das, was vergangen ist oder was in menschlicher Ambivalenz noch zu erwarten ist. Noch mehr als das zählen der Dank für das Leben, die Ausrichtung an Jesus und die Hoffnung auf eine Welt, in der die Schattenseiten unseres Lebens von uns abfallen.

Vom Geschenk einer ewigen Verheißung

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal auf die Alltagssituation des Schenkens und Beschenktwerdens Bezug nehmen. Schon da wissen wir, dass das Wissen und Würdigen nicht so leicht ist. Nun aber geht es nicht nur um Schlips, Oberhemd und Socken. Es geht um Gott und seine Geschenke und um uns. Gott ist es, der uns leben lässt. Gott ist es, der uns in Jesus Christus Wege zeigt bis in die Ewigkeit. Gott ist es, der uns einen Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit schenkt, sodass unser Leben bei allen Höhen und Tiefen, die es mit sich bringt, gelingen kann. Wer von diesem Glauben ergriffen wird, der wird selig werden. Das ist die Verheißung, aus der wir leben sollen:

„Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt,

sondern den Geist aus Gott,

damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist.“ (1. Kor 2,12)


Dr. Hansjörg Biener (*1961) ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und als Religionslehrer an Nürnberger Gymnasien tätig. Außerdem ist er außerplanmäßiger Professor für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. (Hansjoerg.Biener (at) fau.de)


Literaturhinweise

(Barth 1925) Barth, Karl: Die neue Welt in der Bibel, in: Barth, Karl: Das Wort Gottes und die Theologie, München: Kaiser, 1925, S. 18-32, S. 20. Hinweis: Das Zitat findet man im Internet mit „Wichtiges“ statt „Nichtiges“.

(Dinkel 2014) So erzählt als Erleben auch von Prof. Dr. Christoph Dinkel, https://www.christuskirche-stuttgart.de/fileadmin/mediapool/gemeinden/KG_stuttgart_christuskirche/Predigten/2014/Dinkel__Predigt_Eph._5__Taufsprueche__19.10.14.pdf.

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