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ISSN 2195-3171

Konfirmation, 2008

Konfirmation 2008, Wer nur den lieben Gott lässt walten, EG 369, verfasst von Christoph Dinkel

Liebe Gemeinde und heute besonders: liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden!

Gewalt ist keine Lösung. So habt Ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden es geschrieben und gesagt. Gewalt ist keine Lösung. Gewalt ist das Problem. Selbst Gewalt, die nur aus Spaß angewandt wird, kann in Ernst umschlagen. Und bei Gewalt sollte man nicht nur an physische, sondern auch an physische Gewalt denken. Auch sie ist keine Lösung. So habt Ihr es aufgeschrieben. So nehmt Ihr es Euch vor für Euer eigenes Verhalten und Euer eigenes Leben. Das ist mutig, das ist eindrucksvoll, zumal Ihr wisst, wie schwer es ist, auf Gewalt zu verzichten, wenn jemand anderes einen nervt oder mit Gewalt begegnet.

Woher aber können wir die Kraft nehmen, auf Gewalt und Aggression zu verzichten, wenn uns ein anderer krumm kommt, wenn er uns bedrängt oder droht? - Das Lied, von dem wir gerade die ersten beiden Strophen gesungen haben, hat ein Gewaltopfer gedichtet und komponiert. Man merkt das dem Text und der Melodie kaum an. Beide wirken so gelassen und zuversichtlich, dass man nicht vermuten würde, dass ein Gewaltopfer so dichtet und komponiert. Das Lied strahlt großes Gottvertrauen aus, es ist voller Zuversicht, dass Gott es recht machen wird mit meinem Leben.

Gedichtet und komponiert wurde unser Lied von Georg Neumark. Er wurde 1621 geboren und wuchs während des Dreißigjährigen Krieges auf. In Gotha war er zur Schule gegangen und machte sich nach erfolgreichem Abschluss im Jahr 1640 nach Königsberg auf, um dort Jura zu studieren. Man war damals zu Fuß unterwegs. Georg Neumark schloss sich um der größeren Sicherheit willen Handelsreisenden an, die die Leipziger Messe besucht hatten und wie er nach Norden wollten. Doch alle Vorsicht half nichts, der Tross wurde überfallen, Georg Neumark wurde ausgeraubt, verlor die wertvollen Bücher, seine Kleidung, sein Geld. Sein Leben konnte er retten, aber es bleibt ihm nichts außer einigen Empfehlungsschreiben. Es ist Herbst, der Winter rückt näher und Georg Neumark schlägt sich über Magdeburg und Lüneburg schließlich nach Hamburg durch. Nirgendwo findet er eine Anstellung, mit der er sich hätte über Wasser halten können. An die Finanzierung eines Studiums ist gar nicht zu denken. Schließlich landet Georg Neumark Anfang 1641 in Kiel, mit nichts mehr als dem, was er auf dem Leib trägt. In seinen Erinnerungen schreibt Neumark vierzig Jahre später: „So wurde ich so melancholisch, dass oftmals ich des nachts in meiner Kammer den lieben, barmherzigen Gott mit heißen Tränen kniend um Hilfe anflehte."

Da, endlich lacht Georg Neumark wieder das Glück. Es wird in Kiel überraschend die Stelle eines Lehrers frei, weil sich der Stelleninhaber nach einer Verfehlung aus dem Staub gemacht hat. Georg Neumark erhält die Lehrerstelle und bleibt zwei Jahre in Kiel, bis er das Geld für sein Studium zusammen hat. Noch an dem Tag, an dem er seine Stelle als Lehrer antritt, hat Georg Neumark sein Lied gedichtet und komponiert: „Wer nur den lieben Gott lässt walten". Neumark war damals zwanzig Jahre alt. Sein Lied wurde vielfach übersetzt und fand weltweit Verbreitung. Bis heute ist es rund um den Globus in Gesangbüchern zu finden. Neumark studierte später tatsächlich Jura, widmete sich aber immer auch der Poesie und der Musik. Er arbeitete am Weimarer Hof und wurde ein führendes Mitglieder der „Fruchtbringenden Gesellschaft", der bedeutendsten literarischen Gesellschaft jener Zeit.

Georg Neumark war ein Opfer von Gewalt geworden. Er kannte die ohnmächtige Wut und die Lähmung, die man als Gewaltopfer erlebt.

Unser Lied erzählt im Rückblick von dieser Wut in der fünften Strophe:

5. Denk nicht in deiner Drangsalshitze,
dass du von Gott verlassen seist
und dass ihm der im Schoße sitze,
der sich mit stetem Glücke speist.
Die Folgezeit verändert viel
und setzet jeglichem sein Ziel.

Georg Neumark hat die Erfahrung gemacht, dass Gott dem Triumph des Gewalttäters eine Grenze setzt. Das Unheil hat einmal ein Ende: „Die Folgezeit verändert viel / und setzet jeglichem sein Ziel." In der dritten Strophe mahnt Neumark deshalb zur Geduld und zur Genügsamkeit:

Gott, der uns sich hat auserwählt,
der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt.

Georg Neumark war ein Opfer von Gewalt geworden, er hatte seine Zukunft verloren und fast auch seinen Lebensmut. Als er am Verzweifeln war, da endlich tat sich eine Chance auf und Georg Neumark ergriff sie beherzt. Voll großer Dankbarkeit für die neu geschenkte Zukunft dichtete er: „Wer nur den lieben Gott lässt walten".

Sorget nicht! - Dieses Wort gibt Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern in der Bergpredigt mit auf den Weg. Sorget nicht!, vertraut auf Gottes Fürsorge, darauf, dass er es gut mit euch meint. Euer himmlischer Vater weiß sehr wohl, was euch fehlt. Er wird für euch sorgen, so wie er für die Lilien auf dem Feld und für die Vögel am Himmel sorgt. Gerade wer sich nicht sorgt, wer nicht tagaus tagein mit schweren Gedanken umgeht, was alles Schlimmes passieren könnte und woran noch alles zu denken wäre, gerade wer sich nicht sorgt, der ist wahrhaft klug und gleicht einem Mann, der sein Haus nicht auf Sand, sondern auf Stein gebaut hat.

Wer Gott, dem Allerhöchsten traut / der hat auf keinen Sand gebaut - so dichtet deshalb Georg Neumark in der ersten Strophe seines Liedes.

Eure Eltern werden sich, seit Ihr auf die Welt gekommen seid, manche Sorgen gemacht haben: Sorgen um Eure Gesundheit, Sorgen, wie Ihr zu Recht kommt im Kindergarten, in der Schule, im Konfirmandenunterricht. Und die Sorgen haben ja mit der Konfirmation ganz gewiss kein Ende. Wie geht es weiter mit der Schule? Welchen Ausbildungsweg werdet Ihr gehen? Welche Beziehungen und Bindungen geht Ihr ein? Was wird aus Euch und Eurem Leben? Und nicht nur Eure Eltern, auch Ihr selbst macht Euch Gedanken zu Eurer Zukunft, zur Zukunft dieser Stadt und dieser Welt. Ihr macht Euch Sorgen über die wachsende Gewalt unter Jugendlichen, über den Krieg und die Gewalt in der Welt.

Auch Georg Neumark, auch Jesus wird solche Gedanken, solche Sorgen gekannt haben. Sie gehören zum menschlichen Leben, sie lassen sich nicht vermeiden, wenn man verantwortlich mit sich und seinen Mitmenschen umgehen will. Aber diese Sorgen dürfen einen nicht beherrschen. Sie dürfen nicht die Zukunft und das Leben vermiesen. Wenn die Sorgen überhand nehmen, werden sie zum Feind einer guten Zukunft. Und deshalb dichtet Georg Neumark in seiner zweiten Strophe:

Was helfen uns die schweren Sorgen,
was hilft uns unser Weh und Ach?
Was hilft es, dass wir alle Morgen
beseufzen unser Ungemach?
Wir machen unser Kreuz und Leid
nur größer durch die Traurigkeit.

Sorgen gehören zum Leben, aber man muss sie immer wieder auch abschütteln, muss sich von ihnen abwenden, muss sich frei machen davon. Das Mittel, das Georg Neumark, das Mittel, das Jesus gegen das Sorgen verschreibt, heißt Gottvertrauen:

Gott sorgt für Dich, der Du heute konfirmiert wirst, Du brauchst Dir keine Sorgen machen. Gott sorgt für Dein Kind, das heute einen wichtigen Schritt zum Erwachsenwerden geht. Sorge Du als Mutter, als Vater Dich nicht zu sehr um Dein Kind und lass es seinen eigenen Weg gehen. Du hast es nicht in der Hand, was aus Deinem Kind, was aus seinem Leben wird. Du musst tun, was die Verantwortung gebietet, und mehr nicht. Alles andere vertraue Gott und seinem Sorgen an. Er sorgt für Dich, für Dein Kind, für sein Leben.

Und weil es uns Menschen angesichts mancher Gefahr und angesichts mancher Erfahrung von Not und Gewalt nicht leicht fällt, uns nicht zu sorgen, deshalb hat Georg Neumark sein Lied gedichtet und komponiert und an uns weitergegeben. Mit einem Lied auf den Lippen fällt es leichter, sich nicht zu sorgen. Mit Neumarks Lied auf den Lippen, kann die Sorgenlast leichter und erträglicher werden. Die Melodie unseres Liedes ist bei aller Gelassenheit, die sie ausstrahlt, ja gar nicht so heiter. Das Lied ist in g-moll komponiert. Der Dichter unseres Liedes hat am eigenen Leib den Schrecken der Gewalt erlebt, hat erlebt, was es heißt, aus der Bahn geworfen zu werden. Das merkt man der Melodie unseres Liedes an. Und gerade deshalb, weil unser Lied den Schrecken, den Schmerz und die Sorgen kennt, ist seine Botschaft so glaubwürdig. Es gewinnt seine Zuversicht nicht aus oberflächlichem Optimismus. Unser Lied hat die Zuversicht dem Schrecken und tiefer Traurigkeit abgerungen. Gerade deshalb kann es uns dann, wenn wir uns Sorgen machen, an der Hand nehmen und zur Leichtigkeit, zum Singen, zum Gottvertrauen anregen:

Sing, bet und geh auf Gottes Wegen,
verricht das Deine nur getreu
und trau des Himmels reichem Segen,
so wird er bei dir werden neu.
Denn welcher seine Zuversicht
auf Gott setzt, den verlässt er nicht. - Amen.



Prof. Dr. Christoph Dinkel
Pfarrer
Gänsheidestraße 29
70184 Stuttgart
Internet: http://www.uni-kiel.de/fak/theol/personen/dinkel.shtml
E-Mail: dinkel@email.uni-kiel.de

Bemerkung:
Begleitprogramm: dreistimmiger Choralsatz des Liedes aus dem Spielfilm „Vaya con dios“ (Zoltan Spirandelli, Deutschland 2002), gesungen von Solisten

Literatur: Jürgen Henkys, Wer nur den lieben Gott läßt walten, in: Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder, herausgegeben und erläutert von Hansjakob Becker, Ansgar Franz, Jürgen Henkys, Hermann Kurzke, Christa Reich und Alex Stock, München 2001, 231-238


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