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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Amos, 2008

Amos 8,11-12, verfasst von Wolfgang Vögele

„Siehe, es kommt die Zeit, spricht Gott der HERR, daß ich einen Hunger ins Land schicken werde, nicht einen Hunger nach Brot oder Durst nach Wasser, sondern nach dem Wort des HERRN, es zu hören; daß sie hin und her von einem Meer zum andern, von Norden nach Osten laufen und des HERRN Wort suchen und doch nicht finden werden."

 

1.

 

Liebe Gemeinde,

 

Amos wußte nichts von der Klimakatastrophe. Die Menschen des 8.Jahrhunderts vor Christus, zu denen er sprach, haben nicht viel mit den Menschen von heute gemeinsam. Aber eine Gemeinsamkeit ist besonders wichtig. Damals wie heute sind Menschen brennend daran interessiert, welches Leben die Zukunft für sie bereit hält. Viele treibt die Frage um: Wie werden wir einmal leben? Welche Entwicklungen der Gegenwart könnten in eine Katastrophe führen? Welche Entwicklung der Zukunft könnte Heil und Erlösung bringen?

Im alten Israel traten Propheten wie Amos auf, um solche Fragen zu beantworten. In der modernen Technologiegesellschaft sind Computer an die Stelle der Propheten getreten. Sie heißen nicht mehr Obadja, Jona oder Amos, sondern Roadrunner, BlueGene, Ranger, Jaguar.[1] Wissenschaftler entwickeln immer kompliziertere und genauere Modelle, um das Wirtschaftswachstum des kommenden Jahres oder das Klima im kommenden Jahrtausend vorauszusagen. Und sie ziehen daraus Schlußfolgerungen für die Gegenwart.

Die Propheten stellten die Frage so: Was ist Gottes Wille für die Zukunft? Wie können wir uns in der Gegenwart darauf einstellen? Die Wissenschaftler machen aus der Zukunft eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Welche Entwicklungen werden eintreten, wenn wir so weitermachen wie bisher?

Schon aus dieser Fragen sprechen gewichtige Befürchtungen. Viele spüren, daß das wirtschaftliche und politische Handeln von Menschen in der Gegenwart in der Zukunft ganz unerwünschte Nebenfolgen haben könnte.

Irgendwann wird die Eigendynamik des Fortschritts eine Selbständigkeit gewinnen, die von den Plänen und Handlungsspielräumen der Menschen nicht mehr eingeholt werden kann.

Was geschieht, wenn die Klimakatastrophe eintrifft? Was geschieht, wenn immer mehr Treibhausgase in die Erdatmosphäre gepumpt werden? Was geschieht, wenn wir die Folgen globaler Erwärmung zu spüren bekommen? Was wird geschehen, wenn die Polkappen geschmolzen sind, wenn sich der Meeresspiegel erhöht hat, wenn die warmen Meeresströmungen wie der Golfstrom versiegt sind? Diese Fragen lauern hinter jeder Gewitterfront, die in diesen Tagen über die Landschaft hinwegzieht.

Die bedrohliche Zukunft der ökologischen Katastrophe wird uns allen täglich in schrecklichen Farben vor Augen gemalt. Sie hat längst angefangen, unseren Alltag, die Ökonomie und die Politik  zu beeinflussen: Politiker in Bonn und Washington reden über eine neue Energiepolitik. Erbittert streiten Bürger und Wirtschaft über den Bau neuer Kohlekraftwerke. Und viele Menschen versuchen in ihrem Alltag umweltbewußt zu leben. Sie teilen durch Carsharing ihr Auto mit anderen, sie trennen sorgfältig ihre Abfälle in grüne, gelbe, rote und schwarze Tonnen und kaufen sich einen Kühlschrank der Energie-Effizienzklasse A Doppelplus.

 

2.

Von Fernsehern mit Stromsparmodus und der von Vermeidung von CO2-Ausstoß und Feinstaub hat der biblische Amos nichts geahnt. Er hätte wahrscheinlich im heißen Mittelmeerklima Israels die Annehmlichkeiten eines Kühlschranks zu schätzen gewußt. Amos wurde die Berufung zum Propheten nicht an der Wiege gesungen. Er war Viehzüchter und Bauer, der ganz plötzlich, ohne theologische Vorbildung, den Auftrag erhielt, ins Nordreich zu gehen und soziale wie liturgische Mißstände anzuprangern. Ihm gefielen die Gottesdienste nicht, und er predigte gegen das grassierende soziale Elend. Dabei hatte er es schwer, weil er theologischer Quereinsteiger war. Als sein unangenehmer Auftrag erledigt war, ging Amos in seine Heimat zurück. Vermutlich nahm er seinen alten Beruf wieder auf. Was er sagte, haben die Menschen Israels aufgeschrieben. Sie interessierten sich, wie gesagt, für die Zukunft, und schrieben auf, was ihnen bewahrenswert erschien. So kamen die Reden und Geschichten des Viehzüchters Amos in die Bibel.

Die Menschen der Bibel bestimmte die Überzeugung, daß sie nicht selbst die Herren der Zukunft waren. Sie waren überzeugt, daß Gott die Zukunft beherrschte und bestimmte, wie er auch in der Gegenwart handelte. Und dieser Gott konnte in der Zukunft Heil und Unheil, Gerechtigkeit und Katastrophe herbeiführen.

Heute verstören solche Gedanken schnell. Ein zorniger Gott beschließt im 1.Buch Mose, die Menschheit durch eine Sintflut zu vernichten, und er ließ nur die Ausnahme von Noah und seinen Verwandten zu. Ein zorniger Gott zerstörte den Turm von Babel. Ein zorniger Gott brachte die ägyptischen Soldaten des Pharao im Roten Meer um. Ein zorniger Gott läßt sich in den Rachepsalmen von verbitterten und haßerfüllten Menschen ansprechen. Heute wird das alles gern aus der Bibel - und noch schlimmer - aus dem Glauben ausgeblendet. Wir reden lieber vom lieben Gott, die aber leider allzu schnell verschleißt.

Die Menschen ließen solche theologischen Gedanken vom Zorn Gottes zu, weil sie ihrer Erfahrung von Wirklichkeit entsprachen. Sie scheuten sich nicht, solchen Erfahrungen Worte und Sprache zu verleihen. Wir können heute froh darüber sein, daß sie das getan haben. Denn sie haben den weiten Raum abgesteckt, in dem die ebenso liebevolle wie schwierige Beziehung der Menschen zu Gott Gestalt findet. Für diesen theologischen Mut sind sie zu bewundern. Gut, daß sie nicht aus falsch verstandener Zurückhaltung geschwiegen haben.

Was Gott in diesem Predigttext durch seinen Viehzüchter-Propheten sagen läßt, ist noch einmal unheimlicher und rätselhafter. Gott kündigt keine Naturkatastrophe und kein politisches Desaster an. Nein, er kündigt an, daß er schweigen wird. Den Menschen wird es so ergehen: Sie wollen Gottes Wort hören. Aber dieses Wort ist nicht zu hören. Stille kann eine schlimme Strafe sein, besonders wenn man auf dieses Wort und diese Ansprache angewiesen ist.

 

3.

Gefühle von Hunger und Durst zeigen dem Körper an, daß Lebenswichtiges fehlt. Dieser Hunger kann traurige Menschen auch in ihrer Seele plagen. Man kann ihn verstehen als eine Sehnsucht nach dem, was den Menschen fehlt. Hunger, Durst und Sehnsucht drücken gleichermaßen einen Mangel aus. Dem Menschen, der an Hunger und Durst leidet, fehlt es an Kalorien, an Mineralstoffen, an Flüssigkeit. Dem sehnsüchtigen Menschen fehlt es an Sinn, an Perspektive, an Zuversicht, an Hoffnung, an Glauben und Vertrauen. All die genannten Wörter kreisen darum, daß der Mangel an Sinn im Menschen Unruhe, Verzweiflung, Traurigkeit auslöst. Sinn gibt einem Leben Grund und Boden: Ich weiß dann, warum ich lebe. Und vieles kann im Leben Sinn stiften: Ich lebe, um meine Kinder in Liebe groß zu ziehen und sie für das Erwachsenwerden vorzubereiten. Ich lebe, um anderen Menschen uneigennützig zu helfen. Ich lebe, um eine wichtige Botschaft freimütig zu verbreiten. Viele Gründe lassen sich denken, die einem Leben Sinn geben können.

Aber der Sinn für das eigene Leben ist nicht vollständig. Denn niemand lebt ein allein auf der Welt. Sinn muß nicht nur das eigene Leben machen, sondern auch die Welt um uns herum. Dieser Sinn geht weit über den einzelnen hinaus. Deswegen machen sich heute berechtigterweise so viele Menschen Sorgen um die globale Erwärmung. Denn der geringste, aber trotzdem wichtigste Sinn dieser Erde ist gerade darin zu sehen, daß diese Erde weiter besteht für unsere Kinder, für diejenigen Menschen, die uns nachfolgen. Darum wäre eine ökologische Katastrophe etwas Furchtbares. Wir würden die Menschen, die nach uns kommen, um den Sinn ihres Lebens betrügen.

 

4.

Amos kündigt nicht uns, sondern den Menschen seiner Gegenwart eine Zeit an, in der Gottes Wort nicht mehr zu hören ist. Es wird eine Zeit kommen, in der Gott schweigt.

Wer einem anderen Menschen gegenüber sitzt, und der schweigt, der lernt schnell den Wert der Sprache kennen. Sprache ist Austausch, ein Handel, ein fröhlicher Wechsel. Ich signalisiere dem anderen Respekt, Anerkennung, vielleicht sogar Zuneigung, und er antwortet mir. Es muß nicht so sein, daß Respekt auf Respekt und Anerkennung auf Anerkennung stößt. Wer Anerkennung anbietet, kann auch abgelehnt werden. Aber Offenheit ist hier mehr wert als Schweigsamkeit. Schweigsamkeit ist deshalb so schwer zu ertragen, weil ich nicht weiß, woran ich mit dem anderen bin. Aus dem Gespräch kann eine Beziehung entstehen, aber das muß nicht notwendig so sein.

Und genau deswegen ist auch Gottes Wort von so großer Bedeutung für das Leben jedes einzelnen. Ich suche nach einer Antwort auf die Frage nach dem Sinn meines Lebens und nach dem Sinn dieser Welt. Und die Antwort kann nur der Gott geben, der diese Welt geschaffen hat, sie erhält und der sie in der Zukunft einmal endgültig erlösen wird. In diesem Wort Gottes, das auf meine Erfahrungen antwortet, tritt mir ein Sinn entgegen, der jede Form von Eigensinn übertrifft.

 

5.

Man darf das Wort des Amos vom kommenden Schweigen Gottes nicht so einfach in die Gegenwart hinein spiegeln. Die Botschaft lautet nicht: Es kommt so, wie es Amos gesagt hat. Die Botschaft ist eher im Sinne einer Mahnung zu verstehen. Vergeßt diesen Gott nicht, der mit seinen Worten unserem Leben einen Sinn gibt, der weit über die Lebensspanne von der Geburt bis zum Tod hinausreicht. Diese Mahnung lebt nicht von der Drohung, sondern von der Barmherzigkeit Gottes. Denn so viel heute vom Zorn Gottes die Rede war, in allen biblischen Büchern überwiegt am Ende die Liebe über den Zorn, die Barmherzigkeit über die strenge Gerechtigkeit. Der zornige Gott handelt stets zeitlich begrenzt, der Zorn findet immer ein Ende. Wir leben von der Verheißung, daß die endgültige Barmherzigkeit Gottes kein Ende finden wird. Amen.

 



[1]   Eine Liste der 500 rechenstärksten Computer findet sich unter http://www.top500.org/ .



PD. Dr. Wolfgang Vögele
Karlsruhe
E-Mail: wolfgang.voegele@aktivanet.de

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