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ISSN 2195-3171

Adventszeit, 2008

Adventsandacht, verfasst von Florian Wilk

Orgelvorspiel

 

Votum und Begrüßung

 

Lied EG 42 "Dies ist der Tag, den Gott gemacht", Strophen 1-4

 

Gebet

 

Lesung aus dem Neuen Testament: Jakobus 5,7-8

 

7 Harret also geduldig aus, Geschwister, bis zur Ankunft des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde, geduldig harrt er auf sie, bis er frühe und späte Frucht empfängt.

8 Harrt auch ihr geduldig aus, festigt eure Herzen; denn die Ankunft des Herrn ist nah.

 

Lied 69 "Der Morgenstern ist aufgedrungen"

 

Lesung aus dem Alten Testament: Jesaja 63,15-16

 

15 Schau vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo sind dein Eifer und deine Macht? Die Regung deines Herzens und deine Barmherzigkeit halten sich hart gegen mich.

16 Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, Herr, bist unser Vater; »Unser Erlöser von alters her «, das ist dein Name.

 

Betrachtung I

 

Was für eine Klage, liebe Freunde! "Wo sind nun dein Eifer und deine Macht?" Auf den ersten Blick passt sie so gar nicht in den Advent. Advent, das ist doch die Zeit der Vorfreude, der Kerzen und Lieder, die Zeit der Besinnung ... Gewiss, hier und da geht es hektisch zu. Aber einen Klagegesang will ich jetzt wirklich nicht hören. Es wird ohnehin schon zuviel geklagt, angeklagt, verklagt. Lieber wären mir da allemal "der Engel helle Lieder"; zumal die Engel uns von der Decke unserer Kirche her anzustrahlen scheinen ...

Doch der Beter aus dem Jesajabuch gibt keine Ruhe: "Deine Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich!" ruft er. Merkwürdig. Das ist keine der sattsam bekannten Litaneien, wie sie allüberall zu hören sind. Hier spricht jemand, der sich von Gott verlassen sieht. Und dabei geht es nicht um eine private Notlage. "Du bist doch unser Vater!", sagt er. Er spricht im Namen des Volkes. Weit über 2000 Jahre ist das nun her - und klingt doch verblüffend aktuell.

Was ist los mit diesem Volk? Kaum etwas. Das ist ja das Problem. Alles scheint wie festgefahren. Und dabei fing es so gut an ...

Lange Zeit hatten fremde Mächte über das Volk geherrscht und es geteilt. Ein großer Teil lebte in Gefangenschaft. So gut es ging, hatten sich die Menschen in diesem Exil eingerichtet. Aber die Sehnsucht nach der Heimat blieb in vielen Herzen wach. Und auf einmal - ein neuer Herrscher war an die Macht gekommen - konnten die Gefangen nach Hause. Was für ein Wunder!

Etliche Jahre sind seitdem vergangen - und der Jubel der ersten Tage und Wochen ist verflogen. Gewiss, man freut sich an der wieder gewonnenen Freiheit. Vielen Menschen geht es gut, besser als früher. Die Stimmung aber ist schlecht. Daheimgebliebene und Heimkehrer sind sich fremd geblieben. Der Abstand zwischen Arm und Reich wächst. Man schimpft auf die Mächtigen; und in der Tat gibt es "da oben" so manchen Skandal. Augenscheinlich denkt jeder nur an sich. Doch der Augenschein trügt. Es gibt Menschen, die nicht nur die Verhältnisse beklagen oder die Rücksichtslosigkeit der anderen; Menschen, die sich kümmern und einsetzen. Genau besehen sind es ziemlich viele. Dennoch fragen sie sich oft, was sie eigentlich ausrichten. Ändert sich etwas zum Guten? Zweifel und Mutlosigkeit überfallen sie. Und da fasst der Prophet ihre Gedanken in Worte.

Ja, auch er klagt. Vielleicht sogar lautstarker als andere. Doch seine Klage hat ein Ziel. Er ruft um Hilfe; sieht, dass seine Kräfte nicht reichen. Er richtet seinen Hilferuf an Gott. Und noch mehr: Er erinnert Gott an seine Barmherzigkeit: " ,Unser Erlöser von alters her', das ist dein Name!" Er wartet voller Verlangen auf seinen Gott. So passt sein Gebet sehr gut in den Advent. Und vielleicht gehören die Gesichter an der Decke unserer Kirche ja gar nicht den Engeln - sondern den Männern und Frauen vergangener Jahrhunderte, die uns im Glauben vorausgegangen sind: die unsere Sehnsucht teilen und uns ihre Stimmen leihen, damit wir beten und singen können ...

 

Lied EG 7 "O Heiland, reiß die Himmel auf", Strophen 1-3

 

1 O Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf, reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für.

2 O Gott, ein' Tau vom Himmel gieß, im Tau herab, o Heiland fließ. Ihr Wolken, brecht und regnet aus den König über Jakobs Haus.

3 O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd, dass Berg und Tal grün alles werd. O Erd, herfür dies Blümlein bring, o Heiland, aus der Erden spring.

 

Lesung aus dem Alten Testament: Jesaja 63,17-19a

 

17 Warum lässt du uns abirren, Herr, von deinen Wegen und verhärtest unser Herz,

dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind!

18 Für kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk verdrängt, haben unsere Feinde dein Heiligtum zertreten.

19 Wir sind geworden wie solche, über die du nicht von alters her herrschtest, über die dein Name nicht genannt wurde.

 

Betrachtung II

 

Ob das Warten auf Gott einen Sinn hat? Manche bezweifeln das; manche bestreiten es vehement. Und machen wir uns nichts vor: Eine rasche Antwort ist alles andere als selbstverständlich; dass auf einen Schlag alles besser wird, ziemlich unwahrscheinlich.

Der Prophet jedenfalls rechnet nicht sogleich auf das Eingreifen Gottes. Stattdessen setzt er sein Gebet fort. Freilich wechselt jetzt die Blickrichtung. Sein Blick wandert zurück zum Volk. Noch einmal nimmt er dessen Not in Augenschein: eindringender. Was ist los mit diesem Volk? Viel ist los. Orientierungslosigkeit an allen Enden. Die Maßstäbe sind verlorengegangen. Die einfachsten Regeln haben ihre Gültigkeit verloren.

"Du sollst den Feiertag heiligen." Begreifen die Menschen noch, dass sie einen Ruhetag in der Woche brauchen: für sich selbst, für die Familien; dass die Gesellschaft regelmäßig Atempausen braucht?

"Du sollst nicht stehlen." Wissen die Menschen noch, was es heißt, sorgsam mit den Gütern umzugehen, die ihnen anvertraut sind; dass ihr eigener Wohlstand nur von Dauer sein kann, wenn er allen zugute kommt?

"Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten." Hat noch jemand ein Gespür dafür, dass man lieber einmal mit dem unsympathischen Kollegen redet als dreimal über ihn; dass Gerede und Gerüchte das Leben beschädigen? Das Volk ist orientierungslos, hat seine bewährten Maßstäbe verloren. Und damit, so sagt der Prophet, ist es Gott los: "Warum lässt du uns abirren, Herr, von deinen Wegen? ... Wir sind geworden wie solche, über die du nicht von alters her herrschtest." Dabei sagt der Beter "wir". Er beklagt sich nicht über die anderen. Vielmehr sieht er sich als Teil des Volkes, in dem er lebt; bekennt sich zu seiner Verantwortung - und fragt damit auch: "Wo müsste ich mein eigenes Tun und Lassen ändern?" Ohne solche Bestandsaufnahme wäre ein Hilferuf zu Gott wohl der reine Hohn. Und so mag es sein, dass die Augen und Ohren an der Kirchendecke eigentlich unseren Mitbürgern gehören, die unsere Andacht verfolgen - die prüfen, ob wir es ehrlich meinen; die fragen, ob Gott unter uns spürbar wird; die insgeheim vielleicht auch selbst auf Gott warten ...

 

Lied EG 7 "O Heiland, reiß die Himmel auf", Strophen 4-5

 

4 Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal!

5 O klare Sonn, du schöner Stern, dich wollten wir anschauen gern; o Sonn, geh auf, ohn deinen Schein in Finsternis wir alle sein.

 

Lesung aus dem Alten Testament: Jesaja 63,19b - 64,3

 

19 Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir erbebten,

1 wie Feuer Reisig entzündet, wie Feuer Wasser zum Sieden bringt, dass dein Name kund würde deinen Feinden, dass die Völker vor dir erzitterten,

2 wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten - du fährst herab, dass die Berge vor dir erbeben! -

3 und das man von alters her nicht vernommen hat. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der wohl tut denen, die auf ihn harren.

 

Betrachtung III

 

Das Gebet erreicht seinen Höhepunkt. Dazu wechselt erneut die Blickrichtung - wieder hin zu Gott. Doch jetzt klagt und bittet der Beter nicht mehr; er ruft Gott regelrecht herbei. Ja, er stellt sich vor, wie das sein wird, wenn Gott erscheint: Der verschlossene Himmel - geöffnet! Die zu Bergen angehäuften Sorgen, sie zerfließen! Der lang ersehnte Funke springt über: Menschen bekennen ihre Schuld, erkennen ihre Verantwortung für das Land, fragen neu nach Gottes Willen. Das ist die Hoffnung des Beters. Und seine Hoffnung ist stark. Sie lebt aus der Erinnerung. Hat Gott sich nicht schon früher des Volkes angenommen; es durch die Geschichte geführt; ihm Menschen erweckt, die es von seinen Irrwegen zurückriefen, die ihm Orientierung und Kraft gaben? Warum sollte es jetzt anders sein? "Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der wohl tut denen, die auf ihn harren."

Was in heftiger Klage begann, schließt im Lobpreis: Gott kommt! Sicher anders als erwartet. Vielleicht auf eine Art, die uns irritiert oder gar erschreckt. Aber Gott lässt sein Volk nicht allein. Damals nicht, als das Gebet in Israel entstand; heute nicht, da wir in Göttingen dieses Gebet mitsprechen. Gott lässt uns nicht allein - so gewiss er den Himmel schon zerrissen hat, um herabzufahren und uns in Jesus Christus ein für alle Mal nahe zu kommen. Und so schaut uns von der Kirchendecke wohl doch vor allem die Menge der himmlischen Heerscharen an; dieselben Heerscharen, die schon den Hirten bei Bethlehem erschienen sind; Heerscharen, die uns anstiften, in ihren weihnachtlichen Lobgesang einzustimmen: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens!" Denn mit diesem Lobgesang auf unsern Lippen kommt der Advent zu seinem Ziel.

 

Amen.

 

Lied EG 7 "O Heiland, reiß die Himmel auf", Strophen 6-7

 

6 Hier leiden wir die größte Not, vor Augen steht der ewig Tod.Ach komm, führ uns mit starker Hand vom Elend zu dem Vaterland.

7 Da wollen wir all danken dir, unserm Erlöser, für und für; da wollen wir all loben dich zu aller Zeit und ewiglich.

 

Orgelmusik (Eberhardt):

 

Improvisation zum Choral "O Heiland, reiß die Himmel auf"

 

Fürbitten

 

Vater unser

 

Lied 73 "Auf, Seele, auf und säume nicht", Strophen 1-5

 

Abkündigungen und Segen

 

Orgelnachspiel



Prof. Dr. Florian Wilk
Göttingen
E-Mail: Florian.Wilk@theologie.uni-goettingen.de

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