Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Die 7 Sendschreiben aus der Offenbarung, 2009

Predigt zur Passion über Offenbarung 2,1-7, verfasst von Christian-Erdmann Schott

1 Dem Engel der Gemeinde in Ephesus schreibe: Das sagt, der da hält die sieben Sterne in seiner Rechten, der da wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern:

2 Ich kenne deine Werke und deine Mühsal und deine Geduld und weiß, daß du die Bösen nicht ertragen kannst; und du hast die geprüft, die sagen, sie seien Apostel, und sind's nicht, und hast sie als Lügner befunden,

3 und hast Geduld und hast um meines Namens willen die Last getragen und bist nicht müde geworden.

4 Aber ich habe gegen dich, daß du die erste Liebe verläßt.

5 So denke nun daran, wovon du abgefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke! Wenn aber nicht, werde ich über dich kommen und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte - wenn du nicht Buße tust.

6 Aber das hast du für dich, daß du die Werke der Nikolaïten hassest, die ich auch hasse.

7 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Baum des Lebens, der im Paradies Gottes ist.

 

Liebe Gemeinde,

auch in der Evangelischen Kirche steht das Jahr 2009 im Zeichen starker Veränderungen: Kirchenvereinigungen im Norden und in Mitteldeutschland, Schließungen von Kirchen und Zusammenlegung von Gemeinden,  Denkschriften für die Einrichtung von Profilgemeinden, Sparmaßnahmen auf der ganzen Linie. Vieles davon wird in den Kirchenzeitungen thematisiert. Und immer wieder wird gesagt, dass es darauf ankomme, den Bestand und die Arbeit der Kirche auch für die Zukunft sicher zu stellen.  

Sehr viel weniger häufig wird über die geistlich-inhaltliche Ausrichtung der Kirche diskutiert. Es scheint, dass  zu diesem Thema bei den meisten Evangelischen kein besonderer Beratungsbedarf besteht, obwohl sich gerade hier, gerade an der inneren, geistlichen Ausrichtung die Zukunft der Kirche entscheiden wird. Die Frage, was hat die Kirche den Menschen unserer Zeit  religiös zu bieten, ist mindestens ebenso wichtig, wenn nicht sogar zentral wichtiger  als alle Reformen und Diskussionen über Synergieeffekte, Strukturen und Verfassungen.

Vor diesem Hintergrund kann es als ein glücklicher Umstand angesehen werden, dass in den Passionsandachten 2009 bei den „Göttinger Predigten im Internet" die Sieben Sendschreiben aus der Offenbarung des Johannes  behandelt werden sollen. Denn hier geht es um die Frage nach der inneren Ausrichtung der Kirche und ihrer Gemeinden.  Alle sieben Sendschreiben sind darauf gerichtet, durch Trost in der Anfechtung, Lob in der Bewährung und Mahnung zur Buße diese urchristlichen Gemeinden innerlich zu stärken, aufzurichten und vor Fehlentwicklungen zu warnen - an erster Stelle die Gemeinde in Ephesus.

Ephesus war die größte, reichste, wirtschaftlich bedeutendste Stadt im östlichen, heute türkischen Mittelmeerraum, damals die wichtigste Metropole der römischen Provinz Asia; heute nur noch ein Trümmerfeld, das an die frühere Pracht erinnert. Es liegt 10 km landeinwärts, nachdem die Stadt die Verschlammung des Flusses nicht aufhalten konnte und damit ihre Bedeutung als Hafenstadt verlor.  Ephesus war aber auch Fernstraßenknotenpunkt, ein Schmelztiegel vieler Völker und Religionen, bekannt für den großen Artemis- oder Diana-Tempel. Es besaß ein riesiges Theater mit 24.000 Sitzplätzen und eine der größten Bibliotheken der  Welt.  Der Apostel Paulus hat hier drei Jahre gewirkt, länger als irgendwo sonst,  und die christliche Gemeinde gegründet.

An diese Gemeinde wendet sich der Seher der Johannes-Apokalypse.  Sein Urteil ist weitgehend positiv. Er lobt ihre Werke, was die Gemeindediakonie meinen kann, mit der das Christentum auf die heidnische Umwelt einen großen Eindruck machte und auch Missionserfolge erzielen konnte. Er lobt ihre Gemeindearbeit und er lobt ihre Standhaftigkeit in den Zeiten der Christenverfolgungen. Auch den Umgang mit Pseudoaposteln und mit den Nikolaiten, die wir nicht näher kennen, findet die Anerkennung des Apostels. „Aber ich habe gegen dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast". Das heißt doch, dass die Bindung an Jesus Christus und die Ausrichtung auf ihn schwächer wird und sich lockert. Was das genau heißt, erfahren wir nicht. Es könnte mehrere Gründe haben:

- Es könnte sein, dass die Gemeinde von den Verfolgungen durch den römischen Staat einerseits, durch die jüdische Synagoge andererseits verängstigt  ist, jede wirkliche oder vermeintliche Provokation vermeiden will und darum  das Reizthema Jesus Christus weniger herausstellt. 

- Es könnte aber auch sein, dass sich die christliche Gemeinde an die heidnische Umwelt anpasst, weil sie nicht auffallen will, weil sie nicht als Fremdkörper in der Gesellschaft leben will, weil sie zumindest so ähnlich sein will wie alle anderen auch und darum lieber Welt- als Christusförmiger wird.

- Es könnte aber auch genau umgekehrt  ein Ablösungsprozess sein, dass die Gemeinde zunehmend Selbstbewusstsein gewinnt, sich auf ihre eigene Kraft verlässt und ihre Religion in die eigenen Hände nimmt. Der russische Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski hat in seiner Erzählung vom Großinquisitor diese Möglichkeit des Kirche-Seins beschrieben. Hier könnte der noch nicht spektakuläre, aber tendenziell in diese Richtung gehende Beginn einer solchen Entwicklung vorliegen.  

- Es könnte sich aber auch um ein Führungsproblem handeln. Die Nachfolger des Gemeindegründers Paulus haben möglicherweise keine so klare Ausrichtung, sind insgesamt zu schwach, um die Gemeinde in seinem Geist klar und sicher weiter zu führen.

Alle diese Möglichkeiten der stillschweigenden Lockerung der geistlich-christlichen Ausrichtung der kirchlichen Arbeit sind, meistens uneingestanden, bis heute anzutreffen. Sie sind alle zusammen Folgen der Angst vor Nachteilen durch eine zu ausschließliche Fixierung auf unsere christlichen Inhalte. Heute fragt man sich: Kommt denn diese theologische Zentriertheit überhaupt noch an? Leben wir nicht in einer Zeit, in der die Menschen von der Kirche eher Lebenshilfe, Festlichkeit, Begleitung, Gemeinschaft, Diakonie - vor einer Generation dazu auch noch politische Stellungnahme erwarten? Häufig werden diese Erwartungen auch berücksichtigt und nicht selten auch mit Applaus aufgenommen.  Kaum bemerkt wird allerdings, dass damit  die Angst, ins Abseits und in die gesellschaftliche Einsamkeit abgedrängt zu werden, zu einem konstitutiven Element der kirchlichen Arbeit wird.

Für die Epheser hat der Seher Johannes noch Hoffnung. Er  hält sie noch nicht für verloren. Darum ruft er sie zur Buße auf und hofft auf die Überwindung dieser Tendenzen durch die Rückkehr zur Liebe zu Jesus Christus. Er macht es den Ephesern unübersehbar klar: Nur der Glaube, der sich in der Überwindung der Angst und des Unglaubens bewährt, wird ins Paradies eingehen.

In der Passionszeit sind alle diese Probleme besonders zugespitzt. Ziel  unserer Predigt ist  die Ermutigung zum Glauben in der Nachfolge des Gekreuzigten. Jesus Christus ist äußerlich gescheitert,  aber stark  durch die Kraft Gottes. Sie trägt ihn durch Leid und Tod hindurch. Das ist das Geheimnis Gottes und im Wissen um dieses Geheimnis liegt auch die eigentliche Kraftquelle der Kirche.

Die Erfahrungen, die hinter diesem  Ersten Sendschreiben stehen, sind in den Evangelien in Geschichten gefasst - zum Beispiel in die Geschichte vom sinkenden Petrus (Matth. 14,22-36). Dort wird deutlich, dass Petrus in dem Augenblick  schwankt und sinkt, wo er den Blickkontakt mit Jesus verloren hat. Sein Aufstieg beginnt mit der Bitte (dem Gebet) um die Hilfe Jesu Christi.  - Ähnlich auch die Geschichte von der Stillung des Sturmes (Matth. 8, 23-27). Die Jünger sitzen in dem Boot, das die Kirche symbolisiert.  Stürme kommen auf. Die Jünger haben Angst. Aber Jesus schläft. Es scheint, dass ihn ihr Schicksal nicht interessiert. Sie wecken ihn auf und er gebietet dem Sturm, sodass er sich legt. So meinen auch wir, Jesus Christus ist fern und sieht uns nicht. Das ist nicht so. Der Seher Johannes hat es - auch für uns gültig - in die tröstlichen Worte des Auferstanden gefasst: „Ich kenne deine Werke". Ich weiß um dich. Wenn wir uns als Kirche daran halten und dadurch stärken lassen, dann sind wir auf dem richtigen Weg.



Dr. Christian-Erdmann Schott
Mainz-Gonsenheim
E-Mail: ce.schott@arcor.de

(zurück zum Seitenanfang)