Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Die 7 Sendschreiben aus der Offenbarung, 2009

Predigt zur Passion über Offenbarung, 2,18-29, verfasst von Ulrich Nembach

Liedempfehlungen zur Andacht     
von Alexander Völker, asvoelker@teleos-web.de


Jesus Christus herrscht als König (EG 123) kann einem Passionsgottesdienst zu Offenbarung 2, 18-29 Richtung geben. Philipp Friedrich Hillers ursprünglich 26-strophiges „Lied von dem großen Erlöser" (1755) ist dem Sendschreiben nach Thyatira, das unter den sieben Sendschreiben der Apokalypse die zentrale Position einnimmt, in vieler Hinsicht kongenial. Die Blick- und Rederichtungen von oben nach unten / unten nach oben durchdringen sich ständig und wahren so die absolute Einzigartigkeit der Christus-Gestalt („als König", Strophe 1,1 und 11,4; Str. 5,1ff.: „Nur in ihm ..."). „Die Inthronisation Christi im Himmel" - so Hermann Ühlein (Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, H. 3, Göttingen 2001, S. 90-96, hier: S. 90) - „bildet den Schlussakt der Auffahrtsgeschichte: Christus wird vom Vater gekrönt und tritt seine kosmische Herrschaft an (Eph 1, 20-23)."

Auffällig sind die imperativischen Sprachformen: „Hört's" (5,4); „Gebt ihm", „klagt", „sagt" (7,1-3) - gerade auch in der rahmenden Appellstruktur, Str. 1,4: „... soll bekennen", Str. 10,1f.: „Jauchz ihm", „rühmt"; Str. 11,6: „ehret, liebet, lobet ihn!" Der für die Christen „offene Himmel" (9,1) macht das Lied mit dem Predigttext vergleichbar. „In ‚Wirklichkeit' sind Himmel und irdisches Getümmel keine unverbundenen Sphären, sondern in vielfältiger Weise aufeinander bezogen: Alles liegt in einer, des kosmischen Christus Hand (Str. 4,3f.)" (Ühlein, ebd., S. 92). Vorbehalte gegenüber diesem Lied haben ihren Grund allein darin, dass wir, wie Dorothee Sölle formulierte, „Gott nicht denken (können) und keine Sprache für Gott (haben), weil unsere Begriffe von Macht, Herrschaft, Stärke, Kraft ... alle gewaltverseucht (sind)."


Parallel dazu: Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt (EG 98). „Der Schwerpunkt der Textaussagen bietet", wie Ulrich Lieberknecht (Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, H. 2, Göttingen 2001, S. 62-65, hier: S. 62f.) feststellt, „einen guten Ansatzpunkt zur Deutung der Passions- und Osterbotschaft. In ungewohnter Form wird zum Meditieren des Sterbens und Auferstehens Jesu angeleitet. ... Die Stärke des Liedes liegt in seiner formalen Strenge und Knappheit." Biblische Quelle des Liedes ist Jesu Wort vom Weizenkorn (Joh 12, 24).

„Korn" und „Keim" (Str. 1,1f.) eröffnen das Bild, das auch vom Gegensatz „Acker" - zu erinnern ist hier an 1. Mose 2,7 und 3,19 - und „Morgen" bestimmt ist. Zeile 3 jeder Strophe trägt die Hauptaussage, 1,3: „Liebe lebt auf ..."; 2,3: „Jesus ist tot ..."; 3,3: „hin ging die Nacht, der dritte Tag erschien" (vgl. Hos 6, 2; Mt 16, 21; Lk 24, 21). Nachdem die erste Strophe bereits die Unwiderruflichkeit des Sterbens einschärft („in die Erde, in den Tod", Str. 1,1), betont die zweite mit einer ganz und gar rhetorischen Frage seine End- und Letztgültigkeit (Str. 2,3) - „die Welt" (in johanneischem Anklang als die gottwidrige, vgl. Joh 1, 10b; 8, 23; 14, 27. 31; 15, 18ff. u. ö.) hat gesprochen („brach ... den Stab", Str. 2,2). „Unser Herz" (Str. 3,2) - endlich ist von uns, „unser" die Rede! -, gemäß Lk 8, 7 „gefangen in Gestrüpp und Dorn", erfährt, erlebt das Unglaubliche.

Die Melodie sieht vor, dass Zeile 4 jeweils das sog. Stollen-Paar (Zeile 1 und 2) wiederholt; nur Zeile 3 bildet mit seiner Verlangsamung, dem Umkreisen der II. Tonstufe (fis'), der Quarte unter dem Grundton (h) wie dem Sextsprung hinauf auch melodisch ein Zentrum, das in das Gleichmaß des Melodieanfangs gut passt. Die Gemeinde, die das Lied in seiner credoartigen Abbreviatur kennen gelernt hat, wird es gern singen.

---------------------------------------------------------


Offenbarung 2, 18-29
18 Und dem Engel der Gemeinde in Thyatira schreibe: Das sagt der Sohn Gottes, der Augen hat wie Feuerflammen, und seine Füße sind wie Golderz:
19 Ich kenne deine Werke und deine Liebe und deinen Glauben und deinen Dienst und deine Geduld und weiß, dass du je länger je mehr tust.
20 Aber ich habe gegen dich, dass du Isebel duldest, diese Frau, die sagt, sie sei eine Prophetin, und lehrt und verführt meine Knechte, Hurerei zu treiben und Götzenopfer zu essen.
21 Und ich habe ihr Zeit gegeben, Buße zu tun, und sie will sich nicht bekehren von ihrer Hurerei.
22 Siehe, ich werfe sie aufs Krankenbett und die, die mit ihr die Ehe gebrochen haben, in große Trübsal, wenn sie sich nicht bekehren von ihren Werken,
23 und ihre Kinder will ich mit dem Tode schlagen. Und alle Gemeinden sollen erkennen, dass ich es bin, der die Nieren und Herzen erforscht, und ich werde geben einem jeden von euch nach euren Werken.
24 Euch aber sage ich, den andern in Thyatira, die solche Lehre nicht haben und nicht erkannt haben die Tiefen des Satans, wie sie sagen: Ich will nicht noch eine Last auf euch werfen;
25 doch was ihr habt, das haltet fest, bis ich komme.
26 Und wer überwindet und hält meine Werke bis ans Ende, dem will ich Macht geben über die Heiden,
27 und er soll sie weiden mit eisernem Stabe, und wie die Gefäße eines Töpfers soll er sie zerschmeißen,
28 wie auch ich Macht empfangen habe von meinem Vater; und ich will ihm geben den Morgenstern.
29 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!


Liebe Gemeinde,

ein erstaunlicher Text ist dieser Brief, dieses an die Gemeinde in dem kleinen Ort Thyatira gesandte Schreiben.[*] Die Gemeinde wird gelobt. Gemeinden, die heute bei Visitationen derart gelobt würden, könnten sich freuen. Und doch - und das ist das Erstaunliche - wird diese Gemeinde kritisiert, heftig kritisiert. Es geht um das Essen von Götzenopferfleisch und um Hurerei, kurz gesagt: Es geht um den Abfall vom Glauben. Schon bei Hosea, dem Propheten des Alten Testaments, heißt die Abkehr von Gott „Hurerei". Im Zitat und in Anspielungen bezieht dieser Brief sich immer wieder auf das Alte Testament. Gott lässt sich nicht täuschen. Er prüft die Menschen und ihr Tun „auf Herz und Nieren". Götzenopferfleisch zu verzehren bedeutet als Teilnahme an heidnischen Praktiken Abkehr vom Glauben. Alle guten und darum löblichen Taten ändern daran nichts. Christlicher Glaube ist keine halbe Sache, kein Sowohl-als-auch.

Das Sowohl-als-auch aufzugeben fällt uns schwer. Wir sind an es gewöhnt. Es ist die Basis unseres alltäglichen Zusammenlebens, unserer Gesellschaft. Tag für Tag schließen wir Kompromisse: in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Politik. Sollen wir darauf verzichten? Ohne Kompromisse auszukommen - meint der Brief das? Nein! Das sagt er nicht. Es geht, liebe Gemeinde, um die Grenzen des Kompromisses. Der eine Kompromiss kann, soll eventuell gar recht weit gehen; ein anderer muss sich in engen Grenzen bewegen. Sexualität ist nichts Schlechtes, aber sie darf nicht zu Exzessen führen. Die Teilnahme an einem Götzenopfer-Essen ist Abfall vom Glauben. Denn es geht bei diesem Essen um einen Götzen, einen Abgott, dem man opfert. Das Erste Gebot ist eindeutig. Gott sagt: „Ich bin dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!"

Die Grenzen des Sowohl-als-auch stehen uns aktuell, gerade jetzt, sehr deutlich vor Augen, blicken wir auf die Wirtschaftskrise, die eigentlich eine Finanzkrise ist. Wir brauchen Geld. Wir müssen unsere Rechnungen bezahlen. Das Problem ist: Wie viel Geld brauchen wir, und wie verdienen wir es? Brauchen wir Millionen, Milliarden um zu leben? Müssen wir unser Geld verdienen, indem wir zocken? Auf beide Fragen gab ein Londoner Investmentbanker Antwort, nachdem er infolge der Krise seinen Arbeitsplatz verloren hatte. Auf die Frage, was er gerade gedacht habe, als er die Entlassung erhielt, sagte er: „Ich habe darüber nachgedacht, mir einen neuen, teureren Ferrari zu kaufen." Er hatte schon einen, aber er wollte einen neuen und teureren. Nun muss er den alten weiterfahren. Das ist möglich. Wozu brauchte er einen neuen, teureren? Wozu braucht jemand in London, bei diesem Verkehr, überhaupt einen Ferrari? Eine weitere Frage: Muss jemand, der kein Geld hat, ein Haus kaufen? Muss er es kaufen, weil sein Banker ihm, dem US-Amerikaner, dazu rät? Natürlich ist es schön, ein eigenes Haus zu haben, aber man muss es sich leisten können, sonst ist man das Haus bald wieder los und es bleiben einem nur Schulden, noch höhere Schulden, als man vorher schon hatte.

Heute also sitzt der Häuslebauer auf seinen Schulden und der Banker hat sie auch. Die Regierung zahlt und verschuldet sich, weil auch sie kein Geld hat. Die neuen Schulden bürdet sie dem Häuslebauer und dem Banker auf. Währenddessen werden die Armen noch ärmer. Die, die bisher ihr Geld in Büros oder Fabriken verdienten, drohen ihre Arbeitsplätze zu verlieren - was auf uns bezogen heißt: Es gibt Kurzarbeit, die Zahl der Arbeitslosen nimmt zu, die der Hartz-IV-Empfänger wird ansteigen. Dieses Sowohl-als-auch - im realen Beispiel: sowohl Schulden zu haben als auch neue zu machen - dieses Sowohl-als-auch, ein solcher Kompromiss ist untragbar. Die bisherige Freiheit der Finanzmärkte könnte jetzt gar in einen Staatskapitalismus führen. Was das heißt, wissen wir in Deutschland aus eigener Erfahrung. Wir zahlen bis heute dafür mit dem Soli.

In unseren Tagen essen die Menschen kein Götzenopferfleisch mehr - jedenfalls nicht bei uns. Die Finanzkrise hat uns alle erfasst. Haben wir das erst jetzt begriffen? Hat uns das niemand vorhergesagt? Unser Sendbrief warnt, ermahnt, kritisiert die Gemeinde in Thyatira. Warum schickte uns niemand einen Brief?

Warnende Stimmen und ermahnende gab es durchaus. Ab und zu erschienen kritische Artikel in Zeitschriften, etwa auch im „Deutschen Pfarrerblatt". Es wird von vielen Pfarrerinnen und Pfarrern in Deutschland gelesen. Die „Informationes Theologiae Europae" üben als internationales, ökumenisches Jahrbuch seit mehr als 15 Jahren Kritik am Kotau vor den Finanzen und einer einfältigen Verherrlichung der Wirtschaft. Es steht in zahlreichen Bibliotheken und wird von Theologen, und nicht nur von ihnen, gelesen. Unlängst forderte Bundespräsident Köhler, die „Banker" müssten wieder „Bankiers" werden. Er meinte zockende Investmentbanker. Bislang haben nur wenige von ihnen ihre Jobs verloren, und wenn, dann waren es oft nicht die der obersten Etage.

Und unsere Kirche? Unsere Gemeinde? Wir sind dabei, uns auf die neue Situation einzustellen. Die Kirchen überlegen, wie der steigenden Zahl von Bedürftigen in unseren Gemeinden und in der Welt zu helfen sei. Das ist richtig und gut. Dafür erhielten wir auch heute Lob vom Schreiber des Briefes, schriebe er heute und schriebe er an uns. Und dann - käme die Finanzkrise zur Sprache. Wie kommen wir aus ihr heraus? Die Politiker stellen Geld zur Verfügung: für Banken, Versicherungen und Firmen. Die unermesslich großen Summen kann sich niemand vorstellen. Niemand weiß, wie die Gelder zurückgezahlt werden sollen, die der Staat sich zurzeit borgt, um mit ihnen Banken, Versicherungen und Firmen zu unterstützen. Der Markt, auch der Finanzmarkt, braucht Regeln, wie jeder Markt. Diese sollen nun geschaffen werden.

Doch das reicht nicht. Darum werden überall Konjunkturpakete geschnürt. Für die Verschrottung eines alten Autos wird beim Kauf eines neuen eine Abwrackprämie gezahlt. Endlich sollen Schulen saniert und Straßen in Ordnung gebracht werden. Nur: Wie lange hilft die Abwrackprämie der Autoindustrie? Es wird bereits die Forderung nach einer zweiten Runde der Abwrackprämie laut. Im Straßenbau werden heute nur noch wenige Menschen gebraucht. Was machen die Schülerinnen und Schüler, wenn sie die sanierten Schulgebäude verlassen? Die Konjunkturpakete kommen mir vor wie der Versuch, ein modernes, vor Elektronik strotzendes Auto ohne Elektronik wieder fahrtüchtig machen zu wollen.

Der Brief, wie ich ihn lese, fordert uns auf, unser bisheriges Leben des grenzenlosen Sowohl-als-auch zu beenden. Alles Gute und Richtige, was wir denken und tun, ist richtig und gut. Aber etwas fehlt. Es ging verloren, wurde durch ein falsch verstandenes Sowohl-als-auch ersetzt. Wir klammern uns trotz allen Fortschritts an Vergangenes wie die Thyatirer an die vergangene Zeit des Götzenopfers. Wir sollen in die Zukunft schauen. Wir sollen auf das Kommen Jesu Christi sehen. Darum sollen wir am Richtigen festhalten, Gutes tun, und das Verkehrte aufgeben, es von Grund auf und bleibend ändern. Das gilt generell und jederzeit. Die Gemeinde in Thyatira hat Qualitäten in verschiedener Hinsicht. Sie macht nur einen Fehler - der allerdings ist entscheidend für das Urteil des Weltenrichters. Wir überließen unsere Welt den Bankern. Ihre Fehler treffen uns alle weltweit.

Lasst uns klug handeln, umfassend klug handeln. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!, schließt der Brief, das Sendschreiben an uns heute.

Amen

 

 

[*] Zur Diskussion um die Anrede in den Sendschreiben „Dem Engel der Gemeinde in ... schreibe" vgl. die Kommentare zur Johannes-Apokalypse (Traugott Holtz, NTD 11, 16. Aufl., Göttingen 2008; Eduard Lohse, NTD 11, 15. Aufl., Göttingen 1993; Jürgen Roloff, ZüB 18, Zürich 1984; Akira Satake, KEK 16, Göttingen 2008). Roloff (S. 45 f.) fasst das Ergebnis seiner Interpretation folgendermaßen zusammen: „Die mit den Sternen identifizierten Engel der Gemeinden" sind Ausdruck dafür, „dass die Herrschaft des Erhöhten über die Weltmächte in der Gegenwart bereits sichtbare Gestalt gewinnt in seiner Herrschaft über die Kirche."

 

 



Prof.Dr.Dr. Ulrich Nembach
Göttingen
E-Mail: ulrich.nembach@theologie.uni-goettingen.de

(zurück zum Seitenanfang)