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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Die 7 Sendschreiben aus der Offenbarung, 2009

Predigt zur Passion über Offenbarung, 3,1-6 , verfasst von Inke Raabe

Liedempfehlungen zur Andacht
von Alexander Völker, asvoelker@teleos-web.de


Ein Lob- und Danklied oder aber ein Sterben und ewiges Leben bedenkendes Gebetslied ordnet sich dem Predigttext an erster Stelle zu. Während der Text den Blick auf den „Namen" und die „Kleider" der Glaubenszeugen richtet, betont Ich freu mich in dem Herren (EG 349) die Freude „zu Lob dem Namen sein" (1,6). Der Dank für die Erlösung („nun bin ich neu geboren", 2,3; „Ich bin ganz neu geschmücket mit einem schönen Kleid", 3,5f.) lässt den Glaubenden singen, sodass er bekennt, dieses Gewand, das „köstliche Geschmeid", tragen zu wollen „mit Freud und Ehren" (4,3f.) - zum Lobe Gottes wie zum eigenen Heil.

Einen direkten Bezug zum Predigttext stellt Valerius Herberger in seinem Lied Valet will ich dir geben (EG 523; 1614) her: „Schreib meinen Nam aufs beste ins Buch des Lebens ein" (Str. 5,1f., vgl. Offenbarung 3,5). Der Liedanfang und die ersten Buchstaben der Strophen 2 bis 5 bilden seinen eigenen Namen „Valerius" in einem Akrostichon ab. Christi Hingabe in den Tod (Str. 3) bildet die Brücke zwischen irdischem Leben - in Sünde und Schmerz, Leiden und Not - und himmlischem Lohn (Str. 1,3: „im Himmel" / 1,8: „allhier"; Str. 4,5: „hier" / 4,6: „himmlisch Schloss"). Dem an Christus Glaubenden genügen in seines „Herzens Grunde" Jesu „Nam und Kreuz allein" (3,1f.).


Dem gegenüber kann ein Lied, das nicht unablässig die Befindlichkeiten der Glaubenden thematisiert, sondern sich schlicht auf Gottes Wort und Werk ausrichtet, wohl tun, ja hilfreich sein. Gott hat das erste Wort (EG 199) ist eine durch Markus Jenny transkribierte niederländische Weise (1965, dt. 1970). In fünf Strophen zu je vier Zeilen beschreibt sie, in strengen Kreuzreim gefasst, das Werk Gottes von allem Anfang (Str. 1,2; 5,1. 4) bis zum Ende (Str. 3,1ff.; 4,1ff.; 5,2), markiert durch die wiederkehrende Redewendung „hat das erste / hat das letzte Wort" in den Strophen 1 bis 4. Gottes alles umgreifende Schöpferliebe beginnt längst vor unserer Geburt („Eh wir zu Leben kamen, rief er uns schon mit Namen", 2,2f.), und sie endet auch nicht am Ende der Zeiten („Er wird es neu uns sagen", 4,2).  
Die Melodie, ein reines g-Moll, bietet denen, die sie singen, aufgrund der kleinen Tonschritte aller vier Zeilen, die beiden Quartsprünge nach oben (Zeile 3: d-g; g-c') eingeschlossen, ein problemsloses Nach- und Mitsingen an.

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Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen


Susanne und Frank, Karin und Michael - die beiden Paare sind im Laufe der Jahre zu guten Freunden geworden. Susanne und Frank leben mit ihren drei fast erwachsenen Kindern ein wenig außerhalb in einem windschiefen, aber urgemütlichen Reetdachhaus. Es ist von einem herrlichen Bauerngarten umgeben, den Susanne mit Hingabe pflegt. Seit 20 Jahren sind die beiden schon verheiratet. Sie haben viele gemeinsame Interessen und pflegen miteinander einen rauen und doch liebevollen Umgang.

Karin und Michael dagegen sind kinderlos geblieben. Beide haben Karriere in ihren Berufen gemacht. Sie haben eine große Maisonette-Wohnung mit riesigen Fenstern mitten in der Altstadt und besitzen so viel Geld, dass es ihnen nichts mehr bedeutet. Ihnen ist anderes wichtig: Sie engagieren sich in der Kirchengemeinde und beschäftigen sich viel mit Glaubensfragen. Sie tun das gemeinsam - was den Pastor immer wieder wundert und freut. Die beiden Paare treffen sich oft ungezwungen in ihrer Lieblingskneipe - fröhliche Abende sind das, bei denen viel gelacht wird.

"Tut mir leid, dass das mit unserem Termin nicht geklappt hat", sagt Karin bei einem solcher Abende. "Das war meine Schuld. Ich habe ihn vergessen."

"Es gibt keine Schuld. Es gibt nur Fehler." Susanne entgegnet diesen Satz leichthin, aber auf einmal steht er im Raum und alle sehen sich an.

"Meinst du das ernst?", sagt Michael, "ich meine: Fehler, okay, die passieren, da muss man durch, die korrigiert man oder man entschuldigt sich, und dann ist das Thema auch gegessen. Aber Schuld ist doch etwas ganz anderes."

Susanne gibt so schnell nicht auf. "Ich meine: Das Gerede von der Schuld ist eine Erfindung der Kirche. Damit will sie die Menschen klein machen und in Schach halten." Sie schießt gerne scharf, aber das nimmt ihr niemand übel. Sie sagt halt, was sie denkt, und formuliert pointiert. "Schuld gibt es nicht. Das sind alles nur Fehler", wiederholt sie.

"Würdest du denn zum Beispiel bei einem Mord von einem Fehler sprechen?" Susanne ist, was selten passiert, für Sekunden um eine Antwort verlegen. "Schuld geht doch viel tiefer", sagt er. "Das sind so Sachen, die man nicht mehr ungeschehen machen kann."

"Ich meine", sagt Karin, "es gibt Dinge, die man sich selbst nicht verzeihen kann. Selbst wenn sie einem vergeben wurden ...". Sie sieht Michael an, ein wenig ängstlich. Und Michael streckt seine Hand nach ihrer aus, drückt sie kurz und lächelt sie an. "Schuld ist etwas Existentielles", sagt er.

"Nun tu man nicht so, als ob du noch nie schuldig geworden bist" - Frank lacht dabei und guckt Susanne an. Aber der Spaß bleibt auf halbem Weg stecken. Es ist auf einmal, als ob alle bösen Geschichten - die vergessenen, die gedeckelten, die erlittenen, die verschwiegenen und auch die vergebenen - ausgebreitet auf dem Tisch in der schmuddeligen Kneipe liegen.

 

Mit dieser Geschichte möchte ich Sie, liebe Gemeinde, in die Predigt hineinführen. Was passiert mit denen, die schuldig werden? Was sagt die Bibel zu diesem Thema? Es schreibt der Seher Johannes in seiner Offenbarung im 3. Kapitel:

1 Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot.
2 Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott.
3 So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde.
4 Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind's wert.
5 Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln.
6 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

 

Die Schrift des Johannes ist eine Anklageschrift: "Tue Buße", heißt es da. "Du hast den Namen, dass du lebst und bist tot". Und dann geht es um die besudelten Kleider: Nur wenige in Sardes haben sich nicht besudelt, wird dem Seher gesagt von dem, "der die sieben Geister Gottes" hat. Ein besudeltes Kleid, das ist etwas anderes als eines mit Schmutzflecken. Ein besudeltes Kleid wird seinen Besitzer immer an das erinnern, was geschehen ist. Flecken kann man herauswaschen, Besudelung aber haftet an.     
Der Unterschied zwischen einem befleckten und einem besudelten Kleid entspricht dem Unterschied zwischen Fehlern und Schuld.


Johannes schreibt aus dem Exil. Man hat ihn im Zuge der ersten umfassenden staatlichen Christenverfolgung auf die Insel Patmos verbannt, eine Steinwüste, mitten in der Ägäis. Einige Ausleger meinen, er sei dort, isoliert von allem, was ihm wichtig war, halb wahnsinnig geworden. Nur so ließen sich seine schrecklichen Visionen vom Ende der Welt erklären.      
Fakt ist, dass seine Welt, so wie er sie kannte, unterging. Freiheit und Sicherheit, für die das Römische Reich berühmt geworden waren, gingen unter Kaiser Hadrian verloren. Recht und Gerechtigkeit wurden mit Füßen getreten. Christen wurden gejagt, gefoltert und den wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen. Das Römische Reich war zum Tier mit zehn Hörnern und sieben Köpfen geworden.            
Viele Brüder und Schwestern wandten sich in dieser Zeit vom Christentum ab. Andere verleugneten ihren Glauben aus Angst vor Folter und Tod. Nur wenige blieben unbesudelt, nur wenige hielten stand. Sie, und nur sie, so heißt es in dem Brief an die Gemeinde in Sardes, werden mit weißen Kleidern angetan und mit Christus in das Reich Gottes einziehen.


In diesem Brief geht es um Schuld, nicht um Fehler. Der Abfall vom Glauben, so Johannes, besudelt. 
Wer schuldig wird, wird nie mehr der sein, der er mal war. Als die vier Freunde Susanne und Frank, Karin und Michael sich treffen, wird deutlich, wie sehr sie daran tragen. Karin hatte sich, als sie merkte, dass sie nicht schwanger werden konnte, in den Traum von einem Kind verbissen. Über Jahre gab es kein anderes Thema für sie. Sie wurde zur Fachfrau in Sachen Hormonbehandlung und Embryonenforschung. Drei Mal misslang die in-vitro-Fertilisation, die in Deutschland von den Krankenkassen übernommen wird. Dann wollte sie es im Ausland versuchen, mit den befruchteten Eiern einer anderen Frau. Sie wollte ein Kind. Sie wollte es unbedingt.          
Michael wollte auch ein Kind. Aber nicht so. Seine Frau wurde ihm fremd. Es gab kein Leben außerhalb dieses Kinderwunsches mehr für die beiden. Er fühlte sich reduziert, ausgenutzt. Er war müde, erschöpft, aber er wagte nicht, es ihr zu sagen. Bis er eines Tages zusammenbrach, nur noch weinte und für drei Monate in eine psychiatrische Klinik ging.    
Mit erschreckender Klarheit begriff Karin in dieser Zeit, was mit ihm geschehen war. Sie sah ihr eigenes Verhalten, ihr Wechselspiel zwischen Euphorie und Verzweiflung, sie verstand, wie sehr sie ihn gekränkt und missbraucht hatte. Er musste es ihr nicht sagen, sie wusste es. Und sie wusste, dass Jahre ihrer beider Leben verloren waren für einen Traum, der nicht für sie bestimmt war. Sie fühlte sich unendlich schuldig, das alles tat ihr so leid. Sie wünschte, sie könnte es ungeschehen machen.    
Auch Susanne weiß, was Schuld ist. Sie weiß es so gut, dass sie es nicht ansehen kann, dass sie es verleugnet und immer wieder auch die Verantwortung bei anderen sucht. Auch Susanne hat merken müssen, dass sie keineswegs die ist, die sie sein möchte. Sie hat in den Abgrund ihrer Seele geblickt und gehofft, dass Frank es nicht merkt.

So ist das mit Schuld. Sie ist mit Scham verbunden, mit Versagen, mit Ängsten und großem Schmerz. So ist das mit Menschen. Sie machen nicht nur Fehler, sie werden schuldig - in Gedanken, Worten und Werken. Kaum jemand besudelt sich mit Absicht. Nur wenige sind böse, schlechte Menschen. Aber viele, ich möchte sagen: jeder wird schuldig - an den Kindern, an der Umwelt, am Partner und natürlich auch an Gott. Wir verursachen Verletzungen, oft ungewollt, die niemals wieder heilen.      
"Ich entschuldige mich" - so oft gesagt, ist es doch ein dummer Satz. Niemand kann sich selbst entschuldigen. Schuld kann nur vergeben werden. "Ich bitte dich um Verzeihung" - so müsste es unter Menschen heißen.    
Nein, schuldig werden ist etwas anderes als Fehler zu machen. Schuld besudelt. Existentiell.

Der Seher Johannes glaubt, dass nur die Unschuldigen mit Christus einhergehen werden. Er verachtet die, die abfallen. Aber er möchte seinen Zeitgenossen auch Mut machen: Haltet fest am Glauben, lasst euch nicht einschüchtern, es wird euch nicht leid tun, wenn ihr am Ende mit Christus eingeht in Gottes Reich.     
Vergebung ist nicht sein Thema - aber damit klammert er einen wichtigen Aspekt des Evangeliums aus. Denn: Christus ist für unsere Schuld gestorben. Er trägt "die Sünd der Welt". Deine und meine Schuld, die Schuld der Kirche und die der Menschheit. Dein und mein Versagen, potenziert ins Billionenfache, lastet auf seiner Schulter - billionenfach schwerer als das Kreuz, das er hinauf nach Jerusalem trägt. Nur wer die Schwere der Schuld einmal gespürt hat, kann ermessen, wie schwer die Last Jesu war. Er trug sie, damit wir Vergebung finden. Anders macht der Kreuzestod keinen Sinn: Jesus starb für dich und mich.         
Karin leidet an ihren Schuldgefühlen. Sie weiß, dass sie ihr Leben lang daran tragen wird. Aber sie weiß auch, dass sie das nicht von Gott trennt. Die Vergebung Jesu Christi ist ihr sicher. Darum kann sie über das sprechen, was geschehen ist. Weil sie darüber sprechen kann, konnte Michael ihr vergeben. Weil Michael ihr vergeben konnte, haben diese beiden den Weg aus der Krise geschafft.


Jesus trug unsere Schuld ans Kreuz. In seinen Tod sind wir getauft. Es gibt nicht die geringsten Zweifel, dass uns vergeben wird, auch das, was wir uns selbst niemals verzeihen werden. Wenn er wiederkommt, werden wir mit ihm Seite an Seite in Gottes Reich eingehen, angetan mit weißen, unbesudelten Kleidern - frei und unbelastet von dem, was uns bedrückte - weil es das ist, was er für uns bewirken wollte.


Amen

 



Pastorin Inke Raabe
Husum
E-Mail: inkeraabe@web.de

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