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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Die 7 Sendschreiben aus der Offenbarung, 2009

Predigt zur Passion über Offenbarung 3,7-13, verfasst von Hans-Ulrich Minke

Liedempfehlungen zur Andacht
von Alexander Völker, asvoelker@teleos-web.de


Paul Gerhardts Lied Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich (EG 351) strahlt in allen seinen Strophen Glaubenszuversicht, ja tiefe Gewissheit aus. Es greift den Tenor des Sendschreibens nach Philadelphia jubilierend auf: „Tod" (Str. 5,2), „Höll" (Str. 6,3), „Urteil" (Str. 6,5) und „Unheil" (Str. 6,6) ebenso wie „Sorg und Schmerzen" oder „Kummer" (Str. 7,3. 4), „Furcht und Schrecken" (Str. 8,2; vgl. die Reihungen in den Strophen 11 und 12) stehen für den Glaubenden in keinem Verhältnis zu dem, was Gott für ihn bereithält. Jesus setzt ihn in den Stand, „vor Gottes Augen [zu] stehen und vor dem Sternensitz" (Str. 4,5f.). „Sein Geist" (Str. 7,1; 9,1) führt und tröstet mit dem Wissen um das neue Jerusalem, die von Gott erbaute „edle neue Stadt" (Str. 9,6). Freude und „(Helden-)Mut" (Str. 5,5f.; 6,2) bezwingen alle Widrigkeiten, so dass der Glaubende weiß und unterstreicht: „Das, was mich singen machet, ist, was im Himmel ist" (Str. 13,7f.).


Gott wohnt in einem Lichte (EG 379) dichtete Jochen Klepper 1938 mit Anspielungen auf eine ganze Reihe von biblischen Formulierungen (1. Tim 6,15f., Str. 1; Apg 17,27b, Str. 2; Matth 10,30, Str. 3; Apg 28a, Str. 5) als ein Geburtstagslied. Es variiert das Grundmotiv der erstaunlichen Gegenwart Gottes über fünf Strophen hin, indem es „Gottes unnahbare Erhabenheit und seine liebende Nähe zu uns" nicht als „Gegensätze, sondern zwei Seiten seines Wesens" beschreibt (Joachim Stalmann, Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, Heft 8, Göttingen 2003, S. 26-31, hier S. 27). Jede Strophe umfasst acht dreihebige Zeilen zu 6 bzw. 7 Silben, mit schwachen wie starken Versenden, durchgehend im Kreuzreim (1/3, 2/4, 5/7, 6/8) gebunden. Je vier Zeilen bilden eine in sich relativ geschlossene Sinneinheit.     
Das sprachlich so präzis und überlegen durchkomponierte Lied - es könnte auch auf die Melodie Wie soll ich dich empfangen (EG 11) oder Befiehl du deine Wege (EG 361) gesungen werden - hat im EG eine dorische Melodie französischen Ursprungs (Marot/Franc 1542) erhalten. Sie gibt Kleppers Text weiten Raum. Meditativ angelegt, ist sie ebenso mühelos vor- wie nachzusingen.

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Offenbarung 3, 7-13
Und an den Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: So spricht der Heilige, der Wahrhaftige, der den Schlüssel Davids hat, der öffnet, so dass niemand schließen kann, und der schließt, so dass niemand öffnen kann:
Ich weiß deine Werke; siehe, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand schließen kann. Denn du hast nur geringe Kraft und hast mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet. Siehe, ich bewirke, dass Leute aus der Synagoge des Satans, die sich als Juden bezeichnen, es aber nicht sind, sondern lügen, - siehe, ich werde sie dazu bringen, dass sie kommen und vor deinen Füßen anbeten und dass sie erkennen, dass ich dich geliebt habe.
Weil du mein Wort des Ausharrens bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Prüfung, die über den ganzen Erdkreis kommen soll, um die Bewohner der Erde zu versuchen. Ich komme bald. Halte fest, was du hast, damit niemand deinen Kranz nehme. Wer überwindet, den werde ich zu einer Säule im Tempel meines Gottes machen, und er wird nicht wieder hinauskommen, und ich werde auf ihn den Namen meines Gottes schreiben und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das herabkommt vom Himmel von meinem Gott, und meinen neuen Namen.
Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
[Übersetzung: J. Roloff, Die Offenbarung des Johannes, ZBK, 1984]


Liebe Gemeinde,

"Du hast mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet, auch wenn Du nur eine kleine Kraft hast" - so ein Lob wünscht sich jede Gemeinde, auch heute noch, 2000 Jahre später. Vielleicht kämen wir dabei nicht so gut weg wie die Philadelphier. Unter Umständen hat diese oder jene Gemeinde keine kleine, sondern eine große Kraft, ist reich, hat viele Aktivitäten und ist in der Diakonie gut aufgestellt. Aber es mangelt ihr an Glauben, und ihr geistliches Leben ist kümmerlich und gequält. Was ich meine, wissen Sie sicher, liebe Schwestern und Brüder, aus ihrer konkreten Erfahrung mit ihrer Heimatgemeinde.

Damit sind wir bei der Frage, was Kirche zur Kirche macht. Sie ist das Thema der Predigt; der Brief an die Gemeinde in Philadelphia zwingt uns heute, darüber nachzudenken. Er erinnert an die Kernaufgaben einer Gemeinde, und diese Kernaufgaben sind nun einmal: sich zu Gott zu bekennen, ihn zu loben und das Evangelium zu beachten. Beim ersten Hören klingt das einfach und wie eine Binsenweisheit. Neu ist es jedenfalls nicht, aber dennoch aktuell.

Alle wissen wir, dass es zu Beginn des 21. Jahrhunderts, nach der Aufklärung und mit dem modernen Weltbild, auch beim Glauben und in der Religion nur noch wenige Selbstverständlichkeiten gibt und dafür viele Beliebigkeiten. Jede und jeder von uns ist es gewohnt, sich für einen Glauben zu entscheiden oder sich seinen Glauben "zurechtzubasteln", oft ohne zu fragen, ob denn auch der wirkliche, lebendige Gott hinter diesem Glauben steht und ob dieser Glaube auch den Krisenzeiten standhält. Vergessen wir nicht: Unser Predigttext richtet sich an eine Gemeinde, die unter gesellschaftlichem Druck stand und verfolgt wurde, die aber nach unserem Predigttext das nötige Rüstzeug hatte, um durchzustehen! Schon deshalb müssen wir wohl ihr Beispiel zur Kenntnis nehmen und auf unseren Predigttext hören. Konsequenz und Klarheit des Glaubens zeichnen diese Gemeinde aus.

Über die Eigenart unseres Predigttextes sollte freilich unter uns Klarheit bestehen. Er stammt aus der Offenbarung des Johannes. Johannes war Prophet, auf die Insel Patmos verbannt und hatte dort geheimnisvolle Gesichte über den Gang der Weltgeschichte, das Weltende und die Erneuerung von Welt und Kirche durch Jesus Christus. Dazu gehören auch die Schreiben an die Gemeinden mit den rätselhaften Engeln der Gemeinden, von denen selbst die Theologen nicht genau wissen, um wen es sich hier handelt - ob sie himmlische Schutzengel der Gemeinden oder ihre geistlichen Repräsentanten oder nur ihre irdischen Leiter sind. Doch lassen wir derartige Erklärungsversuche beiseite und bemühen wir uns jetzt um unseren Text, versuchen wir zu verstehen, welche Lebensgrundlagen er für die christliche Gemeinde in Philadelphia nennt!

I.

Als erstes ist zu antworten: Christliche Gemeinde kann es nur geben, weil sich Gott in Christus uns zugewandt hat und uns zur Kirche macht. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass Jesus bei seiner Absenderangabe den Philadelphiern gegenüber Begriffe benutzt, die schon im Alten Testament für Gott verwendet werden. Christus ist der Heilige und der Wahrhaftige; er hat die Schlüssel Davids in der Hand, die die Türen zu Gott aufschließen. Diese Türen, so heißt es im Text, kann niemand mehr schließen, wie denn überhaupt die offenen Türen zur zentralen Botschaft unseres Textes werden.

Der nahe, uns persönlich begleitende Gott, der uns nicht im Stich lässt und uns Mut macht, wird uns hier ans Herz gelegt - und wir sind gebeten, uns auf ihn einzulassen. Verständlich ist in diesem Zusammenhang, dass das Sendschreiben an die Gemeinde in Philadelphia wiederholt auf Türen zu sprechen kommt, die Gott durch Christus geöffnet hat: "Ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand schließen kann", heißt es im Predigttext. Was geöffnete Türen im Leben eines Menschen bedeuten, wissen wir alle aus Erfahrung. Wer von uns hat nicht schon vor verschlossenen Türen gestanden - vor der eigenen Haustür oder auch vor anderen Türen: in der Familie, beruflich, oder auch bei Krankheit und Tod. Wie gut ist es dann, dass wenigstens Gott seine Tür aufmacht, geöffnet hat.

Die christliche Religion ist der Glaube an den nahen, am Einzelnen interessierten und orientierten Gott, der seine Türen für jeden von uns persönlich öffnet, der unsere guten und weniger guten Werke, aber auch unsere Hilflosigkeit kennt. Er sieht jede und jeden von uns, wie er ist, aber er sieht nicht nur jeden Einzelnen, sondern er sieht uns als Gemeinde, wie das ja in unserem Predigttext geschieht: Johannes redet mit der ganzen Gemeinde in Philadelphia, nicht mit Einzelnen. Denn wir sind nicht religiöse Individualisten, die mit ihrem Gott allein sind. Zur christlichen Religion gehört der Umgang mit unseren Mitmenschen, mit unseren Schwestern und Brüdern.

Ist das nicht, liebe Gemeinde, die große Revolution der christlichen Religion, dass Gott mit der Öffnung seiner Türen unterschiedliche Völker, unterschiedliche Gruppen einer Gesellschaft, unterschiedliche Altersstufen und unterschiedliche Begabungen in einer Gemeinde zusammenführt und uns auf die gleiche Ebene vor sich stellt? Und ist es nicht das Große am Abendmahl, dass wir unterschiedlichen Menschen von dem einen Brot essen und aus dem einen Kelch trinken und dabei zur Familie Gottes, zu seinem Volk werden? Es ist Zeit, darüber nachzudenken, einander persönlich kennen zu lernen und miteinander also bewusst Gemeinde zu sein. In keiner Gemeinde muss es kühl und unverbindlich zugehen.

II.

Das führt zum Zweiten, was hier aufgrund des Predigttextes zu sagen ist. Wenn Gemeinde kein Phantom ist, sondern konkrete Gemeinschaft, dann muss jede und jeder seinen Beitrag leisten und sich um seinen persönlichen Glauben kümmern. Jede und jeder muss Gott vertrauen, und jede und jeder muss eine Art Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus eingehen. "Halte fest, was du hast, damit niemand deinen Kranz nehme!", heißt es im Sendschreiben. Was zur Diskussion steht, sind also unsere persönliche Glaubenspraxis und unser Lebensstil - oder sollte ich es anders formulieren und fragen, in welchem Verhältnis wir denn tatsächlich zu Christus, dem heiligen und wahrhaftigen Gott stehen?

Wir leben im Augenblick in der Passionszeit und haben mit Petrus, den Jüngern und Judas Beispiele, wie man sich Jesus gegenüber verhalten kann. Die Jünger fürchten die Konfrontation mit den Gegnern Jesu. Petrus geht einen Schritt weiter und verleugnet die Bekanntschaft mit ihm. Judas verrät ihn gar. Das alles sind Möglichkeiten des Verhaltens von Christen. Folgen hat das allemal für unser Menschsein und für unseren Charakter: Wer sich so verhält, zeigt sich weniger verlässlich, weniger charaktervoll, weniger anständig, weniger fähig, Partner Jesu Christi zu sein.

Und noch mehr gehört dazu: Bewusste Christen können sagen, was sie glauben. Denn Glaube ist nicht einfach religiöses Gefühl, sondern Glaube hat Inhalte, die nicht beliebig austauschbar und veränderbar sind. Mit Antisemitismus hat es jedenfalls nichts zu tun, wenn die Gemeinde in Philadelphia in harte Auseinandersetzungen mit der jüdischen Gemeinde gerät, ja diese zur "Synagoge des Satans" erklärt. Jüdische Gemeinden gehörten damals im Römischen Reich zur "erlaubten" Religion und hatten großen Zulauf wegen ihres jüdischen Monotheismus. Verständlicherweise wehrten sie sich mit allen Mitteln gegen die Sekte der Christen. Solche Auseinandersetzungen wie damals, liebe Schwestern und Brüder, gibt es noch immer, heute vielleicht mit den Unverbindlichkeiten und Beliebigkeiten, vielleicht auch mit anderen Religionen und Weltanschauungen. Glaube ist nicht Schall und Rauch, christlicher Glaube hat klare Aussagen, für die wir einstehen sollten. Als Christen müssen wir sagen können, was wir denken und glauben, und unsere Lebenspraxis muss zeigen, warum wir uns zu Christus bekennen.

III.

Denn - und das ist zum Schluss zu sagen - nur die glaubende, praktizierende Gemeinde hat Zukunft. "Wer überwindet, den werde ich zu einer Säule im Tempel meines Gottes machen und zu einem Bürger im neuen Jerusalem", heißt es im Text. Christen leben nicht nur in der Gegenwart, wir rechnen auch mit der Zukunft. Schon jetzt sind wir Gottes neues Volk, wie wir es unwiderruflich im neuen Jerusalem sein werden. Wir beten nicht umsonst im Glaubensbekenntnis: "... von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten."

Kritiker fragen in diesem Zusammenhang, ob man denn wirklich überzeugt sein könne, dass Christus auf den Wolken des Himmels wiederkommt, verbunden mit dem schlagartigen Ende der bestehenden Welt und der Heraufkunft einer neuen Welt und eines neuen Jerusalem. Das gehöre doch ins christliche Museum, keineswegs in die Wirklichkeit. Indessen, visionäre Bilder darf man nicht wörtlich nehmen. Keiner weiß, wie es zum Ende der Welt kommt, aber zum Ende wird es kommen. So hört man es sogar von Leuten, die mit der Religion nichts im Sinn haben. Wir werden damit rechnen müssen, dass Gott, der diese Welt geschaffen hat, ihr auch ein Ende setzt und seinem Volk im neuen Jerusalem eine Zukunft gibt. Dieser Zukunftserwartung sollten wir uns nicht schämen.

Als Gemeinden aber sind wir keine esoterische, herumphantasierende Gemeinschaft, sondern eine Gemeinde, die Zukunft erwartet und deshalb die Gegenwart ernst nimmt; eine Gemeinde, die hier bekennt und glaubt und ihre Aufgaben erfüllt. Unsere Situation lässt sich am besten mit einer Geschichte beschreiben: Ein junger Mann trat im Traum in einen Laden, in dem ein Engel bediente. Den fragte er: "Was verkaufen Sie denn hier?" Der Engel antwortete freundlich: "Alles, was Sie wollen!" Darauf begann der junge Mann aufzuzählen: "Ich hätte gern das Ende aller Kriege, das Ende des Hungerns, bessere Lebensbedingungen, mehr Arbeitsplätze, Lösungen für die Wirtschaftskrise, ..." Da fiel ihm der Engel ins Wort: "Wir haben uns wohl falsch verstanden. Wir verkaufen hier keine Früchte. Wir verkaufen hier nur den Samen."

Liebe Schwestern und Brüder, den Samen haben wir, nämlich Gottes ermutigende Gegenwart, Christi Wort und dazu eigene Phantasie, Elan und Kraft, uns entsprechend zu verhalten. "Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!"

Amen.

 



Landespfarrer i.R. Dr. Hans-Ulrich Minke
Oldenburg
E-Mail: hans-ulrich.minke@ewetel.net

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