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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Johannes Calvin, 2009

Predigt zu Römer 8, 1-11, verfasst von Karen Hollweg

Liebe Gemeinde!

Einer jungen Familie, die ihre beiden kleinen Kinder bei uns in der Gemeinde taufen lassen wollte, bot ich an, unsere Kirche zu zeigen. Als wir nun in unserer hübschen kleinen Schlosskirche standen, sah sich die Mutter mit glänzenden Augen um und rief: „Ich bin begeistert!" Daraufhin die kleine Tochter, die gerade im Kindergarten Halloween gefeiert hatte, ganz entrüstet zu ihrer Mutter: „Hier sind keine Geister!" ...

 

Ohne Frage - Geister sind „in", erstaunlicherweise haben sie gerade in unserer rationalen, technisierten Welt Hochkonjunktur. Das Fest „Halloween" erlangt unter Kindern und Jugendlichen immer größere Bedeutung. Und während wir über einen steten Rückgang der Kirchenmitglieder klagen, können sich nicht nur die Pfingstkirchen in der südlichen Hemisphäre, sondern auch die charismatische Bewegung in unseren Breitengraden über ein rasantes Wachstum freuen. Und vielleicht ist das auch kein Wunder - steckt doch in der Sehnsucht nach unmittelbarer und emotionaler Glaubenserfahrung, im Hunger nach erlebbarer Transzendenz und konkreter Erfahrung von Gottes Kraft im Alltag zugleich der Protest gegen eine Welt, die weitgehend geheimnisleer geworden ist, in der scheinbar alles machbar, herstellbar und berechenbar ist, ja in der das eigene Leben dem nüchternen Kalkül von Kosten und Nutzen unterworfen ist. So entdecken gerade überstrapazierte Akademiker und von den Zwängen der Leistungsgesellschaft gestresste Geschäftsleute die „Geist-Begeisterung" charismatischer Gemeinden für sich, wie in den „Zeitzeichen", einer evangelischen Zeitschrift für Religion und Gesellschaft, kürzlich zu lesen war.

 

Wie steht es um unsere eigene Sehnsucht - unsere Sehnsucht nach dem Geist Gottes, der uns belebt und vielleicht sogar begeistert? Oder nehmen wir eine eher distanzierte, abwartende Haltung ein, wenn es um den Geist Gottes geht - weil wir mit diesem Thema nicht wirklich etwas anfangen können oder weil wir vielleicht Vorbehalte gegenüber der charismatischen Frömmigkeit mit ihrer Suche nach außerordentlichen Geisterfahrungen und Wundern haben?

 

Ich möchte in der heutigen Predigt mit Ihnen einen der zentralen neutestamentlichen Texte bedenken, in dem es um den Geist Gottes geht - und dabei Johannes Calvins Auslegung in seinem Römerbrief-Kommentar zu Wort kommen lassen. Lassen wir uns überraschen, welche Gedanken Calvin, dieser eher nüchterne reformierte Denker, uns zum Geist Gottes mit auf den Weg gibt.

 

Ich lese für uns den Predigttext aus dem Römerbrief, aus dem achten Kapitel, die Verse 1 - 11:

1 Es gibt also keine Verurteilung mehr für die, die in Christus Jesus sind, die nicht nach dem Fleisch ihren Lebenswandel führen, sondern nach dem Geist.

2 Denn das Gesetz des Geistes des Lebens hat mich in Christus Jesus frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.

3 Denn um das zu erreichen, was dem Gesetz unmöglich war, weil seine Kraft gelähmt war durch das Fleisch, sandte Gott seinen Sohn in einer Gestalt, die dem sündigen Fleisch ähnlich war, zugleich auch um der Sünde willen und verurteilte die Sünde im Fleisch,

4 damit die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllt würde in uns, die wir nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist.

5 Denn die fleischlich Gesinnten trachten nach dem, was des Fleisches ist, die geistlich Gesinnten aber nach dem, was des Geistes ist.

6 Das Trachten des Fleisches aber bedeutet Tod, das Trachten des Geistes hingegen Leben und Frieden,

7 weil das Trachten des Fleisches nun einmal Feindschaft ist gegen Gott; denn es unterwirft sich dem Gesetz Gottes nicht, es vermag das ja auch nicht.

8 Die also fleischlich sind, können Gott nicht gefallen.

9 Ihr jedoch seid nicht im Fleisch, sondern im Geist, wenn anders Gottes Geist in euch wohnt. Wenn aber jemand Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.

10 Ist dagegen Christus in euch, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen; der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen.

11 Wenn aber, sage ich, der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen um seines Geistes willen, der in euch wohnt.

 

Liebe Gemeinde,

wenn wir diesen Bibeltext hören, bleibt uns wohl zunächst der von Paulus betonte Gegensatz zwischen „Fleisch" und „Geist", zwischen „fleischlicher Gesinnung" und dem „Wandel nach dem Geist" haften. Was meint Paulus eigentlich damit?

Ein Missverständnis, das naheliegt, möchte ich gleich zu Beginn ausräumen: Es geht hier keineswegs um einen Dualismus zwischen unserem leiblichen Leben und unserem Verstand oder unserer Seele. „Das Wort Fleisch bezeichnet (vielmehr) uns selbst", schreibt Calvin, und mit dem Trachten des Fleisches sind „alle Regungen der Seele, von Vernunft und Einsicht bis hin zu den Affekten" gemeint.

Der Ausdruck „Trachten des Fleisches" oder „Wandeln im Fleisch" bezeichnet unsere gesamte Existenz in der Trennung von Gott, in der Abkehr von ihm, in der Feindschaft gegenüber seinem Willen - das ist nach Paulus „Sein in der Sünde" und zieht den Tod nach sich.

Inwiefern leben wir heute, an unserem konkreten Ort, in der Trennung von Gott und widersetzt sich unser Wille dem Willen Gottes? Ist womöglich unser eigenes Herz „geschwellt von Härte und ungezähmtem Eigensinn", wie Calvin es ausdrückt - in der Kirche, in Politik und Gesellschaft, in unserem persönlichen Leben? Wie viele Menschen leiden und zerbrechen heute an der Härte und der Rücksichtslosigkeit, mit der andere ihre eigenen Interessen in Zeiten der Wirtschaftskrise verfolgen. Haben wir einen Blick für diejenigen, die die wahren Verlierer unserer Zeit sind, und stehen wir auf gegen lebensfeindliches Verhalten um uns herum? ... Im Kampf um Geld und Macht ist es vielfach auch gleichgültig, wenn die natürlichen Ressourcen Schaden nehmen. Wie weit sind wir selbst darein verstrickt? ...

Allein Gott die Ehre zu geben, ist Calvins großes Lebensthema. Vielleicht hat unsere eigene Trennung und Abkehr von Gott ihre Wurzel ja gerade in unserer mangelnden Ehrfurcht vor ihm - und damit auch vor dem Leben, das er uns Menschen und seiner ganzen Schöpfung schenkt.

Aus eigener Kraft können wir uns, so steht für Calvin fest, aus unserer Verstrickung in Sünde und Tod nicht befreien. Darum hat Gott Christus zu uns gesandt. Er nahm freiwillig unsere Schwachheiten auf sich und hat „an sich gezogen, was unser war, um uns zu übereignen, was sein war. Er hat unseren Fluch auf sich genommen und uns mit seinem Segen beschenkt."

Dieser Segen wird für uns erfahrbar in der Gabe des Geistes Gottes, der uns nicht nur Vergebung schenkt, sondern uns und unser Leben zugleich neu macht. Dass Gott uns in Christus vergibt, ist also kein Freibrief, in der Trennung von ihm zu verharren und einfach so weiter zu leben wie bisher - im Gegenteil. Calvin betont, dass Paulus in unserem Predigttext dreierlei zusammenbringt: „die Unvollkommenheit, an der die Glaubenden immer noch leiden, Gottes Güte, die bereit steht, diesen Mangel nachzusehen und zu verzeihen, sowie die Erneuerung durch den Geist."

Wenn Gottes Geist durch unser Leben weht und uns ergreift, wird er Früchte bringen und unser Leben verändern - uns „heiligen", wie Calvin es ausdrückt.

Denn im Geist Gottes kommt Christus selbst als der Auferstandene, als der von Gott zu neuem Leben Erweckte, zu uns - nur in anderer Gestalt als seiner irdischen. Im Geist Gottes ist er gegenwärtig, nicht für eine kurze Spanne Zeit und an einem begrenzten Ort, sondern für immer und überall, auch in deinem und meinem Leben. Wir haben ja heute nicht mehr an seinem irdischen Weg teil wie seine Jünger damals. Und doch können wir durch den Geist mit ihm und darin mit Gott in Berührung kommen.

Als das Band, durch das Christus uns mit sich verbindet, hilft der Heilige Geist uns zum Leben. Und an dieser Stelle spürt man, wie Calvin von Begeisterung erfasst wird und geradezu poetische Worte findet: Die ganze Fülle des Geistes, so schreibt er, ist „auf Christus als unseren Mittler und unser Haupt ausgegossen, damit von ihm her auf jeden von uns sein Teil herabfließe".

Umfassend lässt sich das Wirken des Geistes am besten mit dem Wort „Leben" umschreiben, denn „er schafft Leben und führt zum Leben". Den Beweis seiner Kraft hat er in der Auferweckung Christi ein für allemal erbracht - und seine Macht, so dürfen wir gewiss sein, wird er auch an uns erweisen. Doch nicht erst einst, wenn wir gestorben sind, sondern schon jetzt, mitten in unserem Leben, wird der Geist Gottes fortwährend an uns wirksam.

Wie wir das erfahren, ist sicherlich ganz unterschiedlich.

Wir spüren den Geist zum Beispiel als eine Kraft, die uns ermutigt, wenn wir müde und verzagt sind; als eine Quelle der Freude und des Friedens, die uns Glück und Gedeihen schenkt und „unsere Seligkeit zum Ziel" hat.

Er beunruhigt uns aber auch, indem er uns nach dem Willen Gottes fragen lehrt und uns mit uns selbst im Angesicht Gottes konfrontiert; so können wir unser Leben in der Beziehung zu Gott und zu unseren Mitmenschen überdenken und neu orientieren.

Gegenüber den Zwängen, die uns andere oder auch wir selbst auferlegen, lässt er uns etwas spüren von der Freiheit der Kinder Gottes.

Wie eine sprudelnde Quelle kann er sein oder wie ein Funke, der plötzlich aufblitzt, einer Inspiration gleich. Er kann sich aber auch in ganz nüchternen Einsichten langsam durchsetzen.

Wenn wir gegenwärtig über die Strukturen unserer Kirche und Gemeinden nachdenken und viel machen und tun, um die künftige Finanzierbarkeit unserer Arbeit sicherzustellen, dann sollten wir bei all unseren ohne Zweifel wichtigen Planungen doch eins nicht vergessen: Dass Gottes Geist in unseren Gemeinden weht, sie am Leben erhält und immer wieder neu zum Leben erweckt, können wir nicht selbst machen oder erzwingen. Dass unsere Verkündigung die Herzen der Menschen erreicht und unser eigenes Herz von Gottes Liebe berührt wird, können wir nur erbitten und empfangen. Vielleicht ist das ja ein Sinn der Krise, in der unsere Kirche steckt, dass wir mitten im Machbarkeitswahn unserer Zeit unser Angewiesensein auf das Wirken des Geistes Gottes neu entdecken; dass wir neu vertrauen lernen auf ein Wachsen unserer Gemeinden und unseres eigenen Glaubens von Gott her.

Calvin spricht uns zu, „dass, wenn auch nur irgendetwas in uns sich nach dem Leben ausstreckt, der Geist darin schon seine Kraft hervorbrechen lässt." Das macht Mut, nach Wirkungen des Geistes Gottes auch in uns selbst und in unserem Umfeld Ausschau zu halten. Vielleicht brauchen wir heute gerade das: auch die kleinsten Regungen des Lebens wahrzunehmen, sie zu stärken, weil wir in ihnen das Wirken des Geistes Gottes erkennen, und sie weiterzuverfolgen in einem unbedingten Einstehen für das Leben, das Gott uns schenkt.

Sicherlich gibt es in unserem Leben auch Durststrecken, wo wir keine lebendige Geisteskraft in uns spüren, sondern eher wie ein ausgetrockneter Brunnen sind; wo uns Angst vor der Zukunft innerlich erstarren lässt; wo Erfahrungen von Schuld, Sinnlosigkeit und eigenem Unvermögen uns lähmen; wo wir unser Vertrauen verlieren, dass Gott es gut mit uns und dieser Welt meint. Es gibt in solcher Weise Momente des Totseins mitten in unserem Leben, in denen wir zweifeln und uns fragen: Hat uns der Geist Gottes womöglich verlassen?

Calvin liegt es am Herzen, dass wir in solchen Situationen, in denen wir zutiefst beunruhigt sind, Trost und Hoffnung finden. Er erinnert uns daran, dass wir in unserem Leben hier auf Erden niemals Vollkommenheit erlangen werden. Das neue Leben nimmt ja erst seinen Anfang in uns, die Vollendung steht noch aus. In diesem Leben ergreift der Geist Gottes immer nur „teilweise" von uns Besitz. Wir können zu keiner Zeit sagen - und damit grenzt Calvin sich von einem enthusiastischen Verständnis ab -, dass wir mit Gottes Geist ganz erfüllt sind - das war nur Christus. Sondern wir haben den Geist in der Weise, dass er und damit Christus Wohnung in uns nimmt.

So lehrt Calvin uns Bescheidenheit und Geduld, auch mit uns selbst. Seine Begeisterung für den Geist Gottes als die uns mit Christus verbindende Kraft wird an keiner Stelle zur wirklichkeitsfernen Schwärmerei. Er verbindet vielmehr das Staunen über das Wunder seines Wirkens mit einem nüchternen, kritischen Denken. Sünde und Tod bleiben starke Mächte, die uns Zeit unseres Lebens zu schaffen machen, und wir werden immer wieder unter unserer eigenen Gottesferne leiden. Und doch wird sich Stück für Stück der Geist Gottes durchsetzen und uns mit seiner Lebenskraft immer wieder neu Leben schaffen, wenn wir ihn nur wirken lassen. Auch wenn wir in diesem Leben nur Bruchstücke davon erfahren, sollen wir nicht vergessen: „auch nur ein einziger Funke davon" ist ein „Samenkorn des Lebens"!

Der Geist Gottes kann bewirken, dass unser Leben nicht leer und der Verzweckung unterworfen, sondern auch in seinen Brüchen und Schwierigkeiten sinnvoll und reich erfüllt - lebendig - ist. Dieser Gottesdienst lädt uns alle ein, auf ihn, den Geist, der lebendig macht, zu hoffen und uns ihm zu öffnen, heute, hier und jetzt.

Amen

Die Übersetzung des Predigttextes sowie die Zitate von Johannes Calvin sind der folgenden Ausgabe des Römerbrief-Kommentars entnommen: Calvin-Studienausgabe, Band 5.2, Der Brief an die Römer. Ein Kommentar, hrsg. v. Eberhard Busch u.a., Neukirchener Verlag 2007, S. 374 - 401.



Pfarrerin Karen Hollweg
Ev.-ref. Schloßkirchengemeinde Berlin-Köpenick
E-Mail: Pfarrerin@schlosskirche-koepenick.de

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