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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Reformationstag, 2009

Erzählung von einer lutherischen Kirche des Weltkulturerbes, verfasst von Christian-Erdmann Schott

Liebe Gemeinde,

zum diesjährigen Reformationsfest wird erzählt von einer Kirche, die zu dem von der UNESCO geschützten Welterbe gehört. Sie ist ein eindrucksvolles Symbol des evangelischen Glaubens, die „Kirche zum Heiligen Geist" in Jauer/Schlesien, heute polnisch Jawor. Zwei Mal hat diese Kirche ihrem Namen entsprechend eine besondere Bedeutung gehabt:

Das erste Mal während der Gegenreformation, zur Zeit ihrer Erbauung in den Jahren nach dem Dreißigjährigen Krieg. Im Westfälischen Frieden 1648 war den evangelischen Schlesiern der Bau von je einer Kirche in den  Herzogtümern Glogau, Schweinitz und Jauer erlaubt worden. Darum nannte man diese drei Kirchen auch „Friedenskirchen". Zu den diskriminierenden Bauauflagen gehörte, dass diese Kirchen vor den Toren der Städte, ohne Turm, ohne feste Steine, nur aus Holz und Lehm in nur einem Jahr Bauzeit errichtet werden mussten. Während die kaiserlichen Restitutionskommissionen im Auftrag des katholischen Wiener Hofes in den genannten Herzogtümern die evangelischen Kirchen enteigneten und rekatholisierten, nachdem sie die Pfarrer vertrieben hatten, sollten die Friedenskirchen der evangelischen Bevölkerung  in einem Umkreis von jeweils fünfzig bis siebzig km für ihre Gottesdienste zur Verfügung stehen. Das war dann der Grund, weshalb die Friedenskirche in Jauer mit vier Emporen übereinander und Platz für 6.000 Gläubige eingerichtet wurde. Sie ist damit heute noch die größte freitragende Holzgefügte Hallenkirche Europas. Finanziert haben das alles die durch den langen Krieg ohnehin verarmten Gemeinden, vorrangig der Adel und die Zünfte der Umgebung, unterstützt durch Spenden und Kollekten aus dem übrigen Schlesien, dem Reich und dem evangelischen Ausland. Sie haben auch für die Ausmalung des Kirchenraumes gesorgt - auf den Emporen 2 und 4 mit Bildern aus dem Alten und Neuen Testament, auf den Emporen 1 und 3 mit den Wappen der Adelsfamilien und den Zunftzeichen der beteiligten Zünfte.  

 

Beeindruckend ist nicht nur dieser Einsatz der gesamten Bevölkerung aller Schichten beim Bau,  sondern dann auch der Besuch der Gottesdienste in diesen Kirchen. Trotz der weiten Entfernungen, die die Menschen in der Regel zu Fuß zurückgelegt haben, mussten die Gottesdienste bei stets voller Kirche in mehreren Schichten abgehalten werden.

 

Um einen evangelischen Gottesdienst besuchen zu können, schlossen sich die Evangelischen an den Sonntagen in den kaiserlich-katholischen Gebieten Niederschlesiens zu sog. Kirchenzügen zusammen. Das heißt, sie sammelten sich ohne Rücksicht auf das Wetter und die Jahreszeiten das ganze Jahr hindurch am Sonntagmorgen zu einer bestimmten Zeit  am Ortsausgang, formierten einen Zug und marschierten zur nächstgelegenen evangelischen Kirche.  Das konnte eine von den  etwa 20 Grenzkirchen sein,  die an den Grenzen zu den Lausitzen, nach Brandenburg oder Polen lagen.  Das konnte eine von den Zufluchtskirchen sein, die in Schlesien selbst an den Grenzen der nicht rekatholisierten Herzogtümer ausgebaut worden waren. Das konnte eine der drei Friedenskirchen sein. Auch ihre Kinder ließen sie in diesen evangelischen Kirchen taufen. Es ist überliefert, dass in der Friedenskirche zu Schweindnitz allein im Jahr 1708 1.500 Kleinkinder getauft worden sind. In Glogau und Jauer wird es nicht anders gewesen sein.

Diese Kirchenzüge haben rund neunzig Jahre lang stattgefunden - bis 1740 Friedrich der Große in Schlesien einmarschierte und mit ihm eine andere Zeit für die Evangelischen anbrach; zum Beispiel durften jetzt die sog. Friederizianischen Bethauskirchen gebaut werden, insgesamt 220 übers ganze Land verteilt und von den Evangelischen selbst finanziert.

Die Friedenskirchen sind bis heute Symbole für die Treue der evangelischen Schlesier zu ihrem reformatorischen Bekenntnis. Inzwischen gehören die beiden Friedenskirchen,  die es noch gibt, Jauer und Schweidnitz, zum Weltkulturerbe der UNESCO.  Sie werden von den lutherischen polnischen Gemeinden genutzt. Aus Achtung vor der Geschichte haben sie diese Kirchen in ihrem ursprünglichen Zustand belassen, so dass auch die deutschen Bibelsprüche und Inschriften noch gut lesbar sind. Damit ist die Geschichte noch nicht abgeschlossen.

 

Der zweite Zeitabschnitt, in dem die Friedenskirche in Jauer/Jawor eine wichtige Bedeutung für den Protestantismus hatte, ist die Zeit nach 1945, nach Flucht und Vertreibung der deutschen und Ansiedlung der polnischen Bevölkerung in Schlesien. An zwei Beispielen will ich das verdeutlichen:  

Zunächst sei die Rede von den Leuten in Letmathe, heute ein Teil von Iserlohn. Wie so viele andere Gemeinden auch, erfuhr Letmathe, das heute zu Iserlohn gehört, 1945 in kürzester Zeit die tief greifendste, bis in die Gegenwart nachwirkende Veränderung seiner bisherigen Lebensordnung. Es war sehr schwierig, Heimatverbliebene und Heimatvertriebene zusammenzuführen, aber es ist gelungen. Als Stationen auf diesem Weg werden erkennbar die „Charta der deutschen Vertriebenen" vom August 1950, auf örtlicher Ebene dann der Bau der evangelischen Kirche und ihre Einweihung unter dem Namen „Friedenskirche" im Jahr 1957. Dabei spielte in der Diskussion um die Namensgebung die von den Schlesiern eingebrachte Erinnerung an die Friedenskirche in Jauer/Jawor eine entscheidende Rolle. Einen weiteren Höhepunkt erreichte das Bemühen um Aussöhnung der Vertriebenen beim 40. Jubiläum der Letmather Friedenskirche. Damals, im Oktober 1997, wurde ein Staffellauf von Ost-Berlin nach Letmathe „Für den Frieden - gegen das Vergessen" organisiert, an dem über achtzig Läuferinnen und Läufer teilgenommen haben.

             Zehn Jahre später wurde daraus vom 14.- 20. Mai 2007 die „Tour der Erinnerung und Versöhnung - Ein Brückenschlag in Europa". Die Idee stammte von Gemeindepastor Burckhardt Hölscher. Er wollte erinnern an die Vertreibung Deutscher aus dem schlesischen Ort Streckenbach/Swidnik. „In Gedenken an die Vertreibung der Streckenbacher wollte er zum 50-jährigen Jubiläum der Friedenskirche die Strecke noch einmal zurücklegen - von Schlesien nach Letmathe, dieses Mal laufend, per Fahrrad und per Bus." Für die sportliche Variante meldeten sich 47 Fahrradfahrer, die sich in vier Teams aufteilten und von einem Bus und einem Transportfahrzeug begleitet wurden.  An der historischen Tour nahmen 50 Personen teil, meistens Ältere, die in einem Bus reisten; darunter viele Streckenbacher, die aus diesem Anlass ihrem Heimatdorf und dem nur 30 km entfernten Jauer einen Wiedersehensbesuch abstatteten. Ein ökumenischer Gottesdienst, von Geistlichen beider Kirchen und Nationen geleitet, in der früher evangelischen, jetzt katholischen Kirche von Streckenbach/Swidnik  vereinte die verschiedenen Teams und Gruppen, Polen und Deutsche, Katholiken und Evangelische. Eine Streckenbacherin, die jetzt in Letmathe lebt,  fasste ihre Gefühle in die Worte: „Wir Streckenbacher haben unseren Hass begraben und hoffen auf ein friedliches Miteinander, nicht nur in Deutschland und Polen". Neben der bleibenden Bedeutung für die Teilnehmer selbst hatte die Tour auch die gute Folge, dass zwischen den Friedenskirchengemeinden in Jauer und Letmathe beim Kirchweih-Jubiläumsgottesdienst am 11. November 2007 in Letmathe eine offizielle Partnerschaft eingeleitet werden konnte.

 

Das andere Beispiel ist der 1. September 2009. Zur Erinnerung an den Einmarsch der deutschen Truppen in Polen und damit an den Ausbruch des II. Weltkrieges vor 70 Jahren fand in Jauer ein Gedenkgottesdienst statt, an dem hohe katholisch polnische, evangelisch polnische sowie zahlreiche evangelische deutsche Bischöfe, Geistliche und Kirchenmitglieder teilnahmen und mitwirkten. Der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, hielt die Predigt. Er schloss seine Ansprache mit den Worten:

„Wir feiern diesen Gottesdienst in der Friedenskirche zu Jauer. Sie erinnert mit ihrem Namen an den Westfälischen Frieden am Ende des Dreißigjährigen Krieges. ......Aber sie blieb und scharte eine kleiner gewordene Schar von Glaubenden um sich. Weiterhin bezeugt sie den Frieden Gottes und mahnt zum Frieden in der Welt. Gewidmet ist die Friedenskirche von Jauer dem Heiligen Geist. Es ist dieser Geist, in dem wir wandeln und leben und dessen Frucht Friede ist".

Die Bezeichnung „Friedenskirche" hat damit einen anderen Sinn bekommen, anders als 1648, aber mit Sicherheit im Sinn des Glaubens an das Evangelium, das uns auch in Zukunft grenzüberschreitend verbindet. Amen

 

Literatur:

Katja Hofbauer, Erinnern und Versöhnen. Die Letmather Friedenskirche und die Vertriebenen. Hg. aus Anlass des 50. Jubiläums der Evangelischen Friedenskirche Letmathe, Iserlohn 2007, 208 S.

Heinrich Graf von Reichenbach (Hg.), Die Emporenbilder in der Friedenskirche zu Jauer in Schlesien. Dokumentation, Bd.I: Die biblischen Darstellungen an der zweiten und vierten Empore, Wennigsen 2006, 313 S.; Bd. II: Die Bilder an den Logenbrüstungen der ersten und dritten Empore - Adel, Geistlichkeit, Zünfte. Wennigsen 2008, 174 S. 

Christian-Erdmann Schott, Die Bedeutung des Westfälischen Friedens für die Evangelischen in Schlesien. In: Bernd Hey (Hg.), der Westfälische Frieden 1648 und der deutsche Protestantismus (Studien zur deutschen Landeskirchengeschichte 3), Bielefeld 1998 S. 99-11 S.

 

 



Pfarrer em.Dr Christian-Erdmann Schott
Mainz
E-Mail: ce.schott@arcor.de

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