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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Reformationstag, 2009

Mt 5, 2-10, Predigt zum Reformationstag 2009 , verfasst von Axel Denecke

1.

In diesen Tagen gerade ist in Ulm die alljährlich EKD-Synode, das offizielle Treffen der protestantischen Christenheit in Deutschland, zu Ende gegangen. Der alte Ratsvorsitzende, Bischof Huber aus Berlin, hat sein Amt  in „jüngere" Hände übergeben. Acht Jahre lang hat er mit theologischem Geschick, manchmal mit großer rhetorischer  Brillanz, manchmal aber auch mit bloßem Macht-Willen zur kirchlichen Systemstabilisierung die protestantische Kirche „geführt". In den Medien war er dauerpräsent, so wie es sich für eine protestantische Kirche auch gehört, die zur Zeiten der Reformation  Meinungsführer auf dem Marktplatz der Nation war, im Zentrum der öffentlichen gesellschaftlichen  Auseinandersetzung stand. Walter Jens  sagte einst: Zur Zeit Luthers „war die Kirche Markt der Nation und bestimmte das Niveau der deutschen Sprache." So damals? So noch heute? Bischof Huber hat es, da sind sich alle einig, in überzeugender Weise zum mindesten wieder in Erinnerung gerufen. Dank sei ihm, ein weltlicher Dank!

Und nun: Ein/e neue/r Ratsvorsitzende/r wurde gewählt.

(( Variante a: Diesmal sogar eine Frau, wie es sich für eine protestantische Kirche durchaus geziemt, und wie wir alle inzwischen wissen, nicht weniger rhetorisch präsent wie Huber. Das ist gut so und wird dem reformatorischen Ansatz, Kirche solle „Mundhaus" auf dem „Marktplatz der Nation" sein, wenigstens in Erinnerung zu behalten helfen.

Variante b: Ein neuer Mann und nicht die als „Favoritin" gehandelte Frau aus Hannover. Ein in der Öffentlichkeit noch wenig bekannter Kompromisskandidat, weil man sich auf die öffentlich repräsentative Frau Käßmann nicht einigen konnte? Wir werden es sehen. )

Wie geht es nun weiter? Natürlich wird es ‚irgendwie' weitergehen, aber eben wie? Bleibt es bei einem genuin protestantischen Profil? Der Catholica-Beauftragte, Bischof Weber aus Braunschweig hat in seinem EKD-Bericht „Beziehungen vertiefen in einer komplexen ökumenischen Landschaft" (so der Titel) dazu aufgerufen, nun  allen konfessionellen Hader hintan zu stellen, einer möglichen Entfremdung der Kirche entgegen zu wirken und gemeinsam die drängenden strukturellen und finanziellen Probleme beider Kirche (Kirchenaustritte, Kirchenschließungen, Finanzeinbruch usw.) zu meistern zu versuchen. Eine sehr pragmatische Lösung, eben Erhaltung des institutionellen  Systems der Volkskirche. Doch ist das bereits das unaustauschbare protestantische Profil? Ich frage nur. Doch wie bereits gesagt: Wir werden sehen.

2.

Dieser kurze -wohlwollend kritische- Blick auf die gegenwärtige „Großwetterlage" im Protestantismus war zunächst nötig, wenn wir uns nun, dies immer im Blick behaltend, dem Predigttext für den heutigen Reformations-Tag zuwenden wollen.

Die „Seligpreisungen" der Bergpredigt also:  allgemein bekannt, zum Urgestein protestantischer Bibel-Frömmigkeit gehörend. Ob Jesus sie wirklich so, also in dieser Form, auf dem Berg am See Genezareth gehalten hat, sei  dahingestellt, ist auch nicht so wichtig. Auf jeden Fall sind sie  zentraler  Bestandteil urchristlicher Verkündigung. Damit beginnt die „Bergpredigt", damit beginnt im Sinne des Matthäus der öffentliche Auftritt Jesu, seine „erste" vollmächtige Predigt - daher wohl auch als Evangeliums-Lesung für den Reformationstag - „das Wort sie sollen lassen stahn" im Sinn - ausgewählt. Das „Wort", das aus Jesu Munde vollmächtig ertönt und  uns -unabhängig von Raum und Zeit- berühren, uns innere Orientierung geben soll, Wegzehrung für unser gesamtes Glaubenleben und Glaubenshandeln.  Also ein Wort, das unser „protestantisches Profil" schärft und auf dem „Marktplatz der Nation" unüberhörbar präsent erscheinen lässt. Gut so.

3.

Und die „Seligpreisungen" haben es in sich. Alle kann ich jetzt sowieso nicht „protestantisch" betrachten. Zwei wähle ich aus, die besonders brisant und anspruchsvoll sind.

a.

„Selig die (geistlich) Armen, ihnen gehört/gebührt das Reich der Himmel". Wenn wir genau in den Text schauen -auch das eine reformatorischer Grundsatz- dann ist diese erste und wohl wichtigste Seligpreisung unterschiedlich überliefert. Bei Lukas ist von den materiell Armen (also heute wohl die Hartz IV-Empfänger) die Rede. Bei Matthäus von den „geistig" oder auch „geistlich" (die Übersetzung ist nicht ganz eindeutig) Armen die Rede. Wieder wissen wir nicht so ganz genau, wie es Jesus wirklich gesagt hat, ob sich hier ein unterschiedliches Interesse des Lukas und des Matthäus widerspiegelt. Die schwierigere Variante ist jedenfalls die von den „geistig/geistlich Armen". Daran halte ich mich. Was ist damit gemeint?

Ich kann das nur so verstehen: Diejenigen, die sich als „geistlich arm" empfinden, die also in ihrem Glauben wissen, dass sie vor Gott nichts vorzuweisen haben, dass sie geistliche Bettler sind und bleiben, geistlich „arm wie Kirchenmäuse", die werden von  Jesus selig gepriesen. Martin Luther soll auf seinem Sterbebett gesagt haben: "Bettler sind wir, das ist wahr" (und auch wenn er es so nicht gesagt hat, drückt es doch seine Geisteshaltung und sein geistliches Selbstverständnis aus). Ja, das ist es. Vor Gott bin und bleibe ich immer ein Bettler, wenn ich auch noch so viel weiß und wenn  ich theologisch auch noch so brillant reden kann wie Bischof Huber, also ein rhetorischer Virtuose bin, der mit seinem Gesprächspartner zur Not spielen kann. Nutzt alles nix: „Selig sind die geistlich Armen" selig de, die das von sich wissen und auch demütig sagen. Sie sind bei Gott, sind gott-wohlgefällig.

Das ist unser protestantisches Profil, das wir zu bewahren haben und auch weiterhin laut und vernehmlich auf dem „Marktplatz der Nation" zu Gehör zu bringen haben. Also - wer auch immer jetzt offizieller Repräsentant der protestantischen Kirche in unserer Gesellschaft ist, sie/er  hat im Geiste von Luthers Schlusswort am Ende seines Lebens: "Bettler sind wir, das ist wahr" zu reden und zu handeln, dieser Geist hat all seine/ihre öffentlichen Auftritte zu bestimmen.

Zu anspruchsvoll? Wer sagt denn, das ein „protestantisches Profil" nicht anspruchsvoll ist, ja zu sein hat?

b.

„Selig die Sanftmütigen, sie werden das Land besitzen". Das ist ein Zitat aus der hebräischen Bibel (Ps. 37,11) mit dem „Land" ist ursprünglich das „Land Israel" (eretz jisrael) gemeint. Jesus -wenn er es so gesagt hat - preist hier also gegen alle zelotische Gewaltanwendung im Kampf um die Befreiung von den Römern die selig, die auf  Gewalt freiwillig verzichten und den Mut behalten, sanft zu sein (sanftmütig) oder auch den Mut haben, anderen zu dienen (demütig/dienstmütig). Das ist sehr, sehr anspruchsvoll, im damaligen Israel (wir können auch an Jesu Wort an Petrus denken: "Stecke dein Schwert in die Scheide, denn wer zum Schwert greift, wird durchs Schwert umkommen") und natürlich besonders auch heute in Israel. Ich kenne persönlich einige Friedens-Gruppen in Israel („oz we schalom" = „Stärke und Frieden" und „peace now" = „Frieden jetzt"), die konsequent diesen Weg zu gehen versuchen, auch wenn sie von anderen als „pazifistische Träumer" oder auch nur als „unverbesserliche Gutmenschen" verspottet werden. Doch wir werden sehen, wem am Ende „das Land" -und damit ist stets „das Land Gottes" gemeint- gehören wird. Steht noch dahin, ob rabiate Siedler oder friedenswillige „sanftmütige Gewaltverzichter" am Ende die Oberhand behalten.

Für Jesus jedenfalls scheint es klar zu sein, nein ist es klar, wer am Ende die Oberhand behält. Deswegen preist er sie selig!

Also sehr anspruchsvoll! Auch für uns? Nicht einem ideologischen Pazifismus (flächendeckend, allüberall, unabhängig von der konkreten Situation) wird hier das Wort geredet, sondern einer inneren Haltung, aus der heraus man gerade in einer konkreten Auseinandersetzung (im Kampf, im Streit, auch im Streit um Überzeugungen) den Mut behält, sanft zu bleiben- also sanftmütig-, den Mut behält, dem anderen -auch dem Gegner- dienend zu Seite zu stehen, also dienstmütig. Das gilt natürlich für jede Auseinandersetzung, auch z.B. für die zwischen katholischer und protestantischer Kirche. Bei all den vielen (vor allem praktischen) Gemeinsamkeiten gibt es bleibende Unterschiede, die es nicht zu verwischen  und einzunebeln gilt. Gerade das hat Jesus nicht getan. Er hat klar und präzis Position bezogen, „Ja" oder auch „Nein" gesagt, wenn es nötig ist, hat nicht etwa „um des lieben Friedens will"  klein beigegebnen und das, was er als Wahrheit Gottes erkannt hat, verschwiegen. Hat im Übrigen ja auch Martin Luther nicht getan, nur so konnte ja die Reformation entstehen, auch wenn uns das pathetische Wort Luthers „Hier stehe ich, ich kann nicht anders" - ihn nur nachplappernd- nicht mehr so schnell über die Lippen kommen sollte.

Was also das ökumenische Gespräch anbelangt, so gilt es nicht nur, die „Beziehungen zu vertiefen" und einer „möglichen Entfremdung entgegenzuwirken", wie der Catholica-Beauftragte der EKD sagt, gilt es vor allem nicht nur, gemeinsam bloß pragmatisch das System erhaltend den Ist-Zustand der Kirchen zu sichern, sondern es gilt auch unmissverständlich auf die bleibenden Unterschiede (Amtsverständnis, Kirchenverständnis, Eucharistie/Abendmahl u.a.) hinzuweisen. Also, um nur ein besonders eklatantes Beispiel zu nennen: Wenn uns Protestanten nach offizieller katholischer  Lehrmeinung immer noch das „Kirche-Sein" abgesprochen wird und wir lediglich großmütig eine kirchenähnliche Gemeinschaft" genannt werden dürfen, so könnten wir  zwar subjektiv einfach freundlich lächelnd darüber hinweggehen und sagen: "Ist nicht unser Problem, wenn ihr uns so seht. Müsst ihr mal euer eigenes Kirchenverständnis klären", aber objektiv muss „um die Wahrheit willen" dieser Skandal öffentlich benannt werden, damit es zu einer Klärung kommt. Das aber -hier kommt Jesu Seligpreisung ins Spiel- nicht mit Gewalt und Zynismus und Demütigung der anderen Seite, sondern eben „sanftmütig", ja „demütig". So hat die bleibende ökumenische Auseinandersetzung zwischen den Kirchen auszusehen. Diese bitte nicht vermeiden, sondern klar benennen, sie aber dann im Geiste der Seligpreisung Jesu führen.

Das ist unser unaufgebbares protestantisches Profil.

4.

So und ähnlich wären auch alle anderen „Seligpreisungen" Jesu durchzubuchstabieren und auf unser protestantisches Selbstverständnis zu beziehen. Also das Wort von denen, „die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit", von den „Friedfertigen" und „Trauernden", von denen „die reines Herzens sind" und die „um der Gerechtigkeit willen verfolgt" werden, all diese Worte. Sehr anspruchsvoll, wenn ich sie ernst nehme. Doch uns Protestanten steht es gut an, die Bibel ernst zu nehmen und sie weiterhin in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs mutig -jedoch nicht hochmütig-, laut und vernehmlich -jedoch nicht marktschreierisch und mediengeil- einzubringen. Unsere Gesellschaft braucht -noch ganz unabhängig von der Systemerhaltung der Institution Volkskirche- diese Wert-Orientierung an den prophetischen Worten Jesu - klar und unmissverständlich den Menschen  damals und uns also auch heute gesagt, ins geistlich-spirituelle Stammbuch geschrieben, ja und hoffentlich auch ins institutionell-volkskichliche.

Und die protestantische Kirche (die „ecclesia semper reformanda") wird weiter leben und lebendig bleiben, wenn sie sich an den Worten Jesu orientiert, wenn sie aus ihrem Geist heraus redet und handelt, na seien wir bescheidener: Zu reden und handeln versucht, wenigstens das. Damit würde der hohe Anspruch der Worte Jesu auf unsere meist allenfalls mittelmäßigen menschlichen Möglichkeiten runtergeschraubt. Dies zu tun, ist am Ende auch gut reformatorisch, als es dann darum ging, in Folge der Reformation  der „neuen Kirche" Gestalt zu verleihen. So gilt am Ende auch hier: „Selig seid ihr geistlich Armen..." Ja, Bettler sind und bleiben wir, das ist protestantisch nur allzu wahr.



Prof. Dr. Axel Denecke
Isernhagen
E-Mail: axdene@web.de

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