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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Reformationstag, 2009

Mt 5, 1- 11a, Predigt zum Reformationsfest 2009 , verfasst von Helmut Dopffel

Auf den Bergen sind wir dem Himmel näher. Auf einem Berg lehrt Jesus, öffnet seinen Mund und spricht Worte, die schweben zwischen Himmel und Erde:

„Selig sind, die da geistlich arm sind: Denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind, die das Leid tragen: Denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen: Denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit: Denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen: Denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig sind, die reinen Herzens sind: Denn sie werden Gott schauen.
Selig sind, die Frieden schaffen: Denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden: Denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig seid ihr."


Acht Sätze, schön und bewegend, aber können wir ihnen auch glauben? Selig sind diese. Selig seid ihr, glückselig gar. Doch dann spricht Jesus nicht von den Reichen und Schönen, auch nicht von den Weisen und Guten, sondern von denen, die es verdammt schwer haben und von dem, das weh tut. Er spricht von den Armen im Geist - und was immer das heißen mag, klar ist: Arm im Geist zu sein ist nicht schön, ist nicht erstrebenswert, denn es fehlt etwas, am Leben, am Geist, an der Seele, am Glück. Er spricht von denen, die Leid tragen, die hungern und dürsten, die ohnmächtig sind, oder zu freundlich für diese Welt. Er spricht von den Leidenden, den Opfern, den Verdammten dieser Erde. Und er spricht von den andern, deren Haltung und Handeln allzu oft und nach aller Weisheit und Erfahrung dieser Welt nicht zum Erfolg führt, sondern zum Misslingen: Die Barmherzigen, die ein reines Herz in sich tragen, die Frieden stiften, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen. Das sind die, die leiden, weil sie mit-leiden. Nichts, das man sich wünschen soll.
Jesus wünscht das Leiden nicht, aber er sagt: Selig sind die, die leiden, und die, die mitleiden. Selig seid ihr. Und selig sein heißt auch glücklich sein, nur ist es viel mehr, ein unendlicher Ozean von Glück. In der Seligkeit schwelgt und schweigt das Herz. Acht solche Seligkeiten benennt Jesus, und ein Übersetzer nennt diese acht Sätze überschwänglich „die Glückseligpreisungen".

Denn diese acht Sätze leuchten in ganz eigentümlicher und intensiver Weise, obwohl Jesus von dem spricht, das weh tut und zum Misslingen führt. Sie leuchten, weil jeder und jede, der oder die sie hört, sagen kann: Ja, das bin ich. Diese Bitterkeit, dieser Mangel, dieses Misslingen, das kenne ich, das begegnet mir, das steckt auch in mir. Und zugleich leuchten diese Sätze ganz nach vorne: Ja, so soll es sein, ganz zweifellos.

Doch in den Lehrbüchern für gelingendes Leben von damals bis heute lesen wir andere Sätze. Sie lauten oder könnten lauten:
Selig sind die Weisen, denn sie kennen alle Wege.
Selig sind die Starken, denn ihre Feinde fürchten sie.
Selig sind die Wohlhabenden, denn sie müssen nicht darben.
Selig sind, die einen klaren Verstand haben, einen gesunden Körper, eine heitere Seele, denn sie werden Erfolg haben.
Selig sind, die wissen was sie wollen, denn sie werden es erreichen.

Aus der Wahrheit solcher Sätze haben die Menschen zur Zeit Jesu, und viele davor und danach, ihre Schlüsse gezogen und gesagt: Glückselig ohne jede Einschränkung können nur die Götter sein, vielleicht auch noch die Verstorbenen, und ganz vielleicht sogar noch die wenigen, die Erfolg und Glück haben im Leben, aber ist dem wirklich zu trauen? „Ihr wandelt droben im Licht, auf weichem Boden, selige Genien!" singt Hölderlin, und fährt fort: „Doch uns ist gegeben auf keiner Stätte zu ruhn." Für Menschen ist Glückseligkeit, wenn überhaupt, dann nur sehr eingeschränkt zu erreichen.

Liegt darin nicht viel mehr Wahrheit als in den acht Seligkeiten, die Jesus vor uns ausbreitet?
Denn werden die Trauernden wirklich getröstet werden, die Freundlichen das Erdreich besitzen, die nach Gerechtigkeit Hungernden satt, die reines Herzens Gott schauen, die Armen und Verfolgten das Himmelreich erben? Werden die Barmherzigen selbst Mitleid finden wenn sie es brauchen? Werden die Friedensstifter als Gottes Töchter und Söhne gelobt und in Ehren gehalten werden? Oder werden sie nicht vielmehr ausgenutzt und missbraucht und ruiniert werden und so selbst unter die Räder geraten und gnadenlos ausbrennen? Mitleid hat in einer entsolidarisierten Welt doch keinen Platz, weder für die, die es brauchen, noch für die, die mitleiden. Keine Barmherzigkeit reicht aus, das Unrecht dieser Erde aufzuwiegen und wettzumachen und die Verdammten dieser Erde zu retten. Und Friedensstifter leben gefährlich, lebensgefährlich.
Jesus legt hier eine Liste der Verlierer, der Opfer, Träumer und Narren vor.
Sind sie erwählt?
Heißt das: Selig sind die Unseligen? Glücklich die Unglücklichen? Selig die, denen nichts gelingt?


Die Zweifel stellen sich schnell ein. Und doch leuchten diese acht Sätze wie ein Licht in der Dunkelheit. Es ist, als hielten sie eine Wahrheit, der wir nicht entkommen können, oder nur um den Preis unseres Lebens, unserer Seele und der Klarheit des Denkens. Ohne diese Sätze und ihre Wahrheit wäre die Welt nichts weiter als ein dunkles Loch. Deshalb ist es wichtig, sie immer wieder zu hören und zu lesen und zu sagen und zu singen.

Acht Seligkeiten breitet Jesus vor uns aus. Jede ist anders. Und jede lehrt uns die Welt anders sehen. Es lohnt sich, eine jede genau und im einzelnen zu meditieren und die Seligkeit in ihr zu entdecken. Doch sind heute nur wenige Andeutungen möglich.

Die Armen im Geiste. Bettelarm sind sie, Menschen, denen entscheidendes fehlt: Lebensmut etwa, Lebenskraft, Lebensklugheit. Das Materielle und das Immaterielle gehören da zusammen, denn die materielle Armut schlägt auf den Geist. Es sind die Menschen, die zu Jesus gebracht werden: die Kranken, Besessenen, Mondsüchtigen und Gelähmten, und viele andere. Menschen, die nichts zu bieten haben, deren Hände leer sind, vor sich selbst, vor anderen, vor Gott. Menschen, die nichts wissen von Gottes Wegen.
Die Armut wächst in unserem Land, die soziale Schere öffnet sich. Auch heute greifen das Materielle und das Immaterielle ineinander: wer wirtschaftlich arm ist, von wenigen Hundert EURO im Monat leben muss, ist meist auch arm an Bildung, an Lebenschancen, an Anerkennung, an sozialen Kontakten, an Spiritualität. In der Kirche taucht er oder sie kaum auf, höchstens in der Vesperkirche oder beim Gemeindeessen.
Das Reich der Himmel ist ihrer. Es wird ihnen nichts fehlen.

Menschen, die Leid tragen. Im Leid verlieren Menschen vieles, manchmal alles, sogar sich selbst.
Sie sollen getröstet werden. Trost schenkt Halt und Wärme, Lebensmut kehrt zurück.

Die Sanftmütigen. Das sind Menschen, die nicht anders könne als freundlich zu sein. Sie bringen es nicht übers Herz, ihre Ellbogen zu benutzen oder gar anderen zu schaden. Vielleicht sind sie dazu auch gar nicht in der Lage.
Sie werden das Erdreich besitzen. Denn sie werden es bebauen und bewahren, sie werden es lieben und ihre Nachbarn auch.

Die hungern nach Gerechtigkeit. Der Hunger nach Gerechtigkeit ist uns unausrottbar eingepflanzt. Schon Kinder protestieren mit Tränen in den Augen: Das ist aber ungerecht. Der Schrei nach Gerechtigkeit erfüllt die Erde und steckt in jedem gewaltsamen Tod und in jeder geballten Faust. An der Gerechtigkeit hängt so vieles: Anerkennung und Wertschätzung im Kleinen, Leben, Menschenwürde und Weltordnung im Großen. Und wo das Gerechtigkeitsempfinden verletzt ist, bleiben Wunden und Zorn zurück und genug Sprengstoff, um die Welt in die Luft zu jagen.
Wer so hungert, der wird satt werden.

Die Barmherzigen. Sie haben ein weiches Herz. Sie können das Elend nicht übersehen, auch nicht das Elend in den deutschen Städten. Sie geben, helfen, engagieren sich, oft über ihre Kräfte. Sie sehen die Menschen, ihre Gesichter, und wenn sie das Angesicht sehen, sehen sie das Ebenbild Gottes.
Sie werden Barmherzigkeit erlangen. Für sie wird gesorgt werden.

Das reine Herz. Das Herz ist das Innerste, Eigenste, Undurchschaubarste eines Menschen. Die geheime innere Quelle des Lebens. Vielleicht ist das reine Herz die größte aller Sehnsüchte: Einfach sein und klar. Vielleicht singen Menschen deshalb bis heute „Wie Kinder fromm und fröhlich sein" mit Tränen in den Augen. Und beten: Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz.
Sie werden Gott schauen. Dann, spätestens, wird alles klar und licht und gut sein.

Friedensstifter sind Menschen, die Frieden im Alltag schaffen, Ausgleich der Interessen, gegenseitige Wahrnehmung und Versöhnung. So dass Menschen wieder miteinander reden und leben und einander in die Augen schauen können. Gar nicht spektakulär ist das meist und doch wohltuend. Natürlich ist auch das gemeint: die große Geste, der große Schritt, der Völker und Länder und Blöcke und Kulturen und Religionen einander näher bringt und das Kriegsbeil begräbt. Ob im Alltag oder in der großen Welt: Frieden braucht Raum, ein großes Haus, einen weiten Mantel.
Die Friedensstifter werden Gottes Töchter und Söhne heißen.

Um der Gerechtigkeit willen verfolgt. Viele Menschen sind das heute. Die, die selbst unterdrückt sind und in ihren Rechten verletzt; und die die sich für sie einsetzen, sich mit ihnen solidarisieren.
Ihnen gehört das Reich der Himmel

Man hat oft gemeint, diese acht Seligkeiten gelten nur einigen wenigen Vollkommenen. Oder sie seien ein geheimer Appell: So müsst ihr werden - vollkommen.
Doch sie gelten uns allen, und sie gelten uns so wie wir sind.
Viele Entdeckungen können wir machen, wenn wir diese Worte für uns hören und lesen und sagen und singen. Vier Entdeckungen will ich Ihnen zeigen.

Die erste: Wie schön wäre die Welt, wenn diese acht Seligkeiten wahr wären! Wie menschlich. Ein Land in dem Milch und Honig fließen und unser Fuß niemals ins Straucheln geriete. Das Reich der Himmel auf Erden. Wir wären die, die wir sein sollen, wie uns Gott geschaffen und gemeint hat, sein Ebenbild. Wir wären die, die wir sein sollen: die Erlösten des Herrn.
Die zweite Entdeckung: Im Licht der acht Seligkeiten erscheint die Welt gar nicht selig, nicht einmal glücklich. Warum ist die Welt nicht so? Warum ist es nicht einfach wahr, was hier so einfach gesagt wird? Warum sind wir nicht so? Das ist doch widersinnig im höchsten Masse! Warum werden nicht alle Tränen getrocknet, die der Kinder im afrikanischen Dorf, und die der alten einsamen Frau in ihrem einsamen Bett? Warum trocknen wir nicht die Tränen, warum sehen wir sie oft nicht einmal, und wenn wir sie sehen wissen wir nicht was tun? Warum sind wir nicht barmherzig? Warum liegt uns das Schwert näher als das erste versöhnliche Wort. Aber auch: Wo ist unsere Armut im Geiste? Warum trauern wir nicht? Gibt es nicht genug Anlass? Wo ist unser Hunger? Ist unser Mangel nicht auch, dass wir viel zu satt sind? Unsere Unvollkommenheit, dass wir nicht unvollkommen genug sind? Sind wir zu zufrieden, selbstzufrieden, satt und träge und einverstanden mit dem Geschick und der Faktizität, unserer eigenen und noch viel mehr der der Welt? Doch gerade die Starken und Wohlhabenden können nur überleben wenn sie ihren eigenen Hunger spüren, die eigene Unvollkommenheit, die eigene Bedürftigkeit und die Zerbrechlichkeit all ihrer Kraft.

Die dritte Entdeckung: Wir kennen diese Seligkeiten: getröstet werden. Satt werden. Versöhnung. Die Welt wäre nicht lebensfähig und noch viel weniger lebenswert, wenn dies nicht wahr wäre; wir wären längst alle tot, wenn es all das nicht gäbe, ganz irdisch und real. Davon leben wir, dass da einer ist, oder einmal eine war, die uns die Tränen getrocknet und uns getröstet hat. Wir haben diese Stimme immer noch im Ohr, auch wenn es lange lange her ist: trockne deinen Tränen, Kleines. Wir erfahren, einmal vielleicht nur, dass die Sanftmütigen und Freundlichen nicht niedergemacht werden, sondern anderen wohl tun können. Gerechtigkeit geschieht nach vielen Jahren. Friedensstifter schaffen Frieden ohne Waffen. Und wir sind damit begabt, mit der Gabe zu trösten und barmherzig zu sein und - auch? wirklich? - reines Herzens, wenn auch nur in kostbaren Augenblicken bevor sich die Motive wieder verwirren. Wir sind liebesfähig. Wir sind begabt zu lieben, mitzuleiden - nicht nur als Gefühl, sondern ganz real und praktisch. Wir können die Seele anderer Menschen erreichen und bei ihnen sein.
Die acht Seligkeiten Jesu zeigen: Güte und Gerechtigkeit Gottes sind in der Welt, sogar in uns selbst verborgen, geheimnisvoll, selten und kostbar.

Sollte - das die vierte Entdeckung - aus all dem nicht die Sehnsucht und die Hoffnung und die Gewissheit wachsen, dass Menschen immer getröstet werden, wenn sie trauern, die Freundlichen Land und Leben gewinnen, die Armen die offenen Türen des Himmelreichs finden?

5. Warum ist das so? Wenn wir uns, diese Welt meistens und im großen Ganzen eben nicht so erleben? Was tun diese acht Worte, diese acht Seligkeiten Jesu? Sie reißen den problemverhangenen Horizont unserer Lebenswelt auf, sie lassen eine andere Welt aufscheinen, sie lassen uns blicken ins Reich der Himmel. Doch ist das keine andere Welt als die unsere Welt, - versöhnt, geheilt. Die Welt in Gottes Hand, in Gotte Augen, in Gottes Liebe, in Gottes Herz. Diese acht Sätze sind selig, weil sie uns in Gottes Herz blicken lassen. Denn er ist der, der die Tränen trocknet, jetzt und allezeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Er ist freundlich und barmherzig und versöhnt uns mit sich, mit uns, mit den anderen. Er ist, der ins Dunkel geht zu den Verlierern, um sie zu trösten und ihnen Licht zu bringen. Er kommt zu uns Menschen in der Nacht und entzündet das Feuer, im Leiden und Mitleiden. Und Menschen glauben ihm.

Deshalb: Selig sind diese. Selig seid ihr, im Leiden und Mitleiden. Denn ihr begegnet Gott.

Diese acht Seligkeiten lassen sich in keinen irdischen Lebensentwurf umsetzen. Die Seligkeit liegt nicht in der Ethik, nicht in der Moral, nicht in dem, was wir tun. Es handelt sich auch nicht um diakonische Leitlinien der Kirche. Die Wahrheit dieser Sätze liegt quer zu allen handhabbaren Lebensentwürfen, zu allen persönlichen oder politischen Strategien und Philosophien. Sie bringen eine Wahrheit jenseits aller Erfahrung, allen Wissens, jeder Vernunft und auch jeden Gefühls.  tiefer als alle Erfahrung. Aber gerade deshalb graben sie Furchen in diese Welt. Diese acht Worte verändern den Blick auf unsere Welt. Sie stellen sie auf den Kopf. Gott erwählt die Verlierer. Sie sind nicht verloren. Ihrer ist das Reich der Himmel wie die Erde. Und wir können sehen: Es sind die Friedensstifter, die Heilung in die Welt tragen, die reinen Herzens, weil ihr Herz nicht verhärtet ist, die Verletzten - denn sie haben noch etwas, das es wert ist verletzt zu werden. Und die Barmherzigen geben doch nur die Barmherzigkeit weiter, aus der sie selbst leben und die sie überreichlich empfangen haben.

Diese Worte Jesu zeigen uns etwas, das wir sonst nicht sehen könnten, sie haben etwas zu sagen, was sonst für uns nicht wäre. Es sind Worte, die uns hinüberziehen in die Welt Gottes, in der wir uns selbst anschauen können ohne Schrecken vor dem, was wir alles nicht sind und doch eigentlich sein sollten; in der wir nicht uns selbst vertrauen und dem was wir sehen, sondern allein Gott vertrauen, und im Herzen alles Gute und Wohlgefallen von ihm erwarten, wie es Martin Luther sagt. Diese Worte öffnen die Türen zum Reich der Himmel. Selig sind die diese Worte hören und bewahren. Selig seid, ihr, glückselig und noch viel mehr.

Kein Wunder, dass es am Ende der Bergpredigt heißt: Und es begab sich, als Jesus diese Rede vollendet hatte, dass sich das Volk entsetzte über seine Lehre.  Amen



KR Helmut Dopffel
Stuttgart
E-Mail: Helmut.Dopffel@elk-wue.de

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