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ISSN 2195-3171

Adventszeit, 2009

Adventszeit 20009, verfasst von Florian Wilk

„Wo Wahrheit und Freundschaft sich vereinen"

Orgelvorspiel: Johann Sebastian Bach, Fantasie in G-Dur

Votum und Begrüßung: Seht auf und erhebt Eure Häupter, weil sich Eure Erlösung naht (Lukas 21,28). ...

Lied 11 „Wie soll ich dich empfangen", Strophen 1. 3. 6

Gebet

Ewiger Gott, in die Dunkelheiten unserer Zeit hinein kündigst Du Dein Kommen an. Lass uns wach sein, dass wir in allem mit Dir rechnen und Dir vertrauen - durch Jesus Christus ...

Lesung aus dem Alten Testament: Jesaja 40,1-8

1 Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. 2 Redet mit Jerusalem freundlich und prediget ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden.
3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott!
4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat's geredet.
6 Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. 7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein.
Ja, Gras ist das Volk! 8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.

Lied 1 „Macht hoch die Tür", Strophen 1-3

Betrachtung (I)

„Ist es wahr?"  so beginnt ein kurzer Fragenkatalog, den Herbert Taylor 1932 entwickelte, um Maßstäbe für die Sanierung eines Unternehmens benennen zu können. Doch - was ist Wahrheit? Diese uralte Frage lässt sich nicht auf die Schnelle beantworten, schon gar nicht, wenn uns an einer einvernehmlichen Antwort gelegen ist. Ich möchte deshalb unsere Adventsandacht zum Anlass nehmen, die Frage in das Licht der Weihnachtsgeschichte zu rücken. Adventszeit ist ja eine Zeit der Vorbereitung, der kritische Überprüfung - auch der eigenen Position.

Aber liegt die Antwort nicht auf der Hand? Wahr ist doch, was richtig ist - eine Aussage, die das Gemeinte trifft, ein Tun, das Grundwerte des Menschseins zur Geltung bringt. In der Tat, gerade im öffentlichen Leben wäre schon viel gewonnen, wenn die Verpflichtung auf eine so verstandene Wahrheit selbstverständlich wäre. Da würde uns manches erspart: an Untersuchungsausschüssen, an verspäteten Eingeständnissen, an Kosten. Doch was die Bibel von der Heiligen Nacht erzählt, weist noch in eine andere Richtung. Mit bloßen Richtigkeiten gibt sie sich nicht zufrieden. Die Hirten bekommen nichts anderes zu sehen als ein Kind, in Windeln gewickelt. Dass sie aus der Krippe einer anstrahlt, „der Heil und Leben mit sich bringt", das lässt sich weder prüfen noch messen. Die Botschaft der Engel erweist sich darin als wahr, dass sie Glauben weckt und findet. Es geht ihr um Vertrauen; so wie bei einer Liebeserklärung. „Euch ist heute der Heiland geboren", das ist keine obskure Behauptung, die man für sachgemäß halten soll; dieser Zuruf stiftet Beziehung. Die Geschichte der Weihnacht wird wahr, indem durch sie Gott selbst sich den Menschen zuspricht, uns nahe kommt, mich froh macht. So heißt es in Psalm 36:

6 HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen. 7 Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes und dein Recht wie die große Tiefe. HERR, du hilfst Menschen und Tieren. 8 Wie köstlich ist deine Güte, Gott, dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben! 9 Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses, und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom. 10 Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht.

Musik (Orgel und Flöte): Jules Massenet, Meditation

 

Betrachtung (II)

„Wird es Freundschaft ... fördern?" fragt Herbert Taylor weiter. Der Freundschaft misst er besondere Bedeutung zu. Doch erneut muss ich fragen: Was meint Freundschaft? Gewiss ist sie seit jeher gepriesen worden. Aber vermutlich wird jeder und jedem von uns etwas anderes dazu einfallen. Robert Gilberts Lied „Ein Freund, ein guter Freund", Karl Mays Winnetou-Trilogie, Friedrich Schillers Ballade „Die Bürgschaft": Jedes Beispiel vermittelt ein eigenes Bild von Freundschaft. Selbst wenn wir uns auf eines davon konzentrieren, bleiben Differenzen - je nachdem, ob wir Gilberts Lied von Heinz Rühmann, Willy Fritsch und Oskar Karlweis hören oder von den Comedian Harmonists, ob wir als Winnetous Freund Old Shatterhand oder Old Firehand im Blick haben.

Vielleicht gelingt es, sich auf grundlegende Merkmale der Freundschaft zu verständigen. Aristoteles beschrieb sie als Tugendfreundschaft, die um ihrer selbst willen besteht: Sie ruht auf den Säulen Freiheit, Gleichheit und Gemeinsamkeit; sie wird bestimmt von wechselseitiger Kenntnis und gegenseitigem Vertrauen; sie ist geprägt von der Hoffnung auf eine bessere Welt. Aber erfasst man damit das Wesen der Freundschaft? Was schützt sie dann vor der Vereinnahmung durch aggressive Ideologien? Die Bibel entwirft ein anderes Bild. „Womit habe ich Gnade gefunden vor deinen Augen, dass du mir freundlich bist, die ich doch eine Fremde bin?" So fragt Ruth, eine Frau aus Moab, den Juden Boas, auf dessen Feldern sie Nahrung sucht und findet. Boas antwortet, gesteht, dass ihre Freundschaft zu ihrer jüdischen Schwiegermutter ihn überwältigt habe. Die hatte wegen einer Hungersnot in Israel mit ihrer Familie nach Moab fliehen - und nach dem Tod ihres Mannes und all ihrer Söhne wieder heimkehren müssen. Ruth begleitete sie, um ihr beizustehen - und verließ dafür ihre eigene Familie und Heimat. Nun findet sie in Boas ihrerseits einen Freund, mehr noch, den Mann fürs Leben. Freundschaft im Sinne der Bibel beruht also nicht auf Gleichheit - sie stiftet vielmehr Gemeinsamkeit über Gräben hinweg; überwindet Grenzen, zwischen Generationen und Kulturen. „Womit habe ich Gnade gefunden vor deinen Augen, dass du mir freundlich bist, die ich doch eine Fremde bin?" - diese erstaunte Frage weist auf das Geheimnis der Freundschaft. Ihr letzter und entscheidender Grund wird in der Heiligen Nacht offenbar. Gott selbst ist es, der sich aufmacht. Gott überschreitet die Grenze zwischen Himmel und Erde, macht sich zum „Freund der Sünder" und eröffnet ihnen den Weg ins Leben.

Im 3. Kapitel des Titusbriefs heißt es dazu:

3 Wir selbst waren einst unverständig und ungehorsam, liefen in die Irre, wurden von vielerlei Wünschen und Leidenschaf­ten beherrscht, lebten in Bosheit und Neid, waren hassenswert und hassten uns gegenseitig. 4 Aber dann erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Retters.
5 Wir selbst hatten keine guten Taten vorzuweisen, mit denen wir vor ihm hätten bestehen können. Aus reinem Erbarmen hat er uns gerettet ... 6 ... durch Jesus Christus, unseren Retter. 7 Durch dessen Gnade können wir vor Gott als gerecht bestehen, und darum sind wir auch eingesetzt zu Erben des ewigen Lebens, auf das wir nun hoffen dürfen.

Musik (Orgel und Flöte): Johann Sebastian Bach, Largo

 

Betrachtung (III)

Dass Wahrheit und Freundschaft zusammenkommen - das hielt Herbert Taylor für unabdingbar, wenn sein Sanierungs­plan gelingen sollte. Augenscheinlich ein hoher Anspruch! Schon das Ziel, wahrhaftig zu sein, liegt bisweilen in unerreichbarer Ferne. Die Sehnsucht nach Freundschaft droht ins Leere zu laufen, wo menschliche Beziehungen unter das Diktat von Effizienz und Verwertbarkeit geraten. Umso schwerer fällt es, beides zusammenzubringen: Welches Maß an Wahrheit verträgt eine Freundschaft? In welcher Freundschaft kann ich wahrhaftig sein - mir selbst und dem oder der anderen gegenüber?

Wie kann beides Wirklichkeit werden, ohne in kleinen Zirkeln Gleichgesinnter stecken zu bleiben? In der Adventszeit finden diese Fragen eine überraschende Antwort. Der Ausblick auf die Heilige Nacht rückt Freundschaft und Wahrheit in ein neues Licht. In ihm erscheinen sie nicht als hehre Ideale, die wir erstreben müssten und nur zum Teil erreichen können; in diesem Licht werden sie als Realitäten erkennbar, die Gott längst gesetzt hat. Wo Wahrheit und Freundschaft sich vereinen? Im Stall zu Bethlehem, wo Gottes Verlässlichkeit anschaulich wird, wo Gott den Sünder mit den Augen Jesu freundlich anblickt - und wo dieser Blick Hirten und Könige zusammenführt in wahrhaftiger Freundschaft und freundschaftlicher Wahrhaftigkeit. Amen.

Lied 8 „Es kommt ein Schiff geladen", Strophen 1-4

Fürbitten und Vater unser

Himmlischer Vater, wir bitten dich
für Menschen, die einsam sind: Sende ihnen Deinen Engel, der sie wahrnimmt, ihnen zuhört, sie tröstet;
für Menschen, die sich aufreiben in Unruhe und Stress: ..., der sie in die Stille führt und ins Gespräch;
für Menschen, die Angst haben vor dem Leben und dem Sterben: ..., der ihre Füße auf den Weg des Friedens lenkt;
für Menschen, die selbstsicher sind: ..., der sie vor Leichtsinn und Übermut bewahrt und empfindsam macht;
für Menschen, die traurig sind: ..., der ihnen Geduld schenkt und Hoffnung;
für Menschen, die Macht haben über andere: ..., der sie an ihre Verantwortung erinnert;
für Menschen, die Gewalt erleiden: ..., der den Gewalttätern Einhalt gebietet.

Stille

Vater unser ...

Lied 12 „Gott sei Dank durch alle Welt"

Abkündigungen und Segen

Orgelnachspiel: Felix Mendelssohn-Bartholdy,
Allegro maiestoso aus der 5. Sonate

 

 



Prof. Dr. Florian Wilk
Göttingen
E-Mail: Florian.Wilk@theologie.uni-goettingen.de

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