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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Der Galaterbrief, 2010

4) Lätare, 14.3.2010, Galater 3,23-29, verfasst von Klaus Schwarzwäller

Liebe Gemeinde,

Gottes Kinder – Gottes Kinder dank des Getauftseins in Christus. Dazu fällt uns wenig oder auch gar zuviel ein. Wenig, denn Worte und Begriff sind verbraucht, zu kleiner Münze heruntergeludert. Und nicht das allein, vielmehr: Dieses Vertun erwies und erweist sich als möglich. Kein Hahn kräht danach. Keine heiliges Donnerwetter vom Himmel, keine gewaltige Hand aus der Höhe hat deswegen eingegriffen. Ob wir damit Schindluder treiben oder ein Schlagersänger Maikäferbeine besingt oder ein Minister Wortkaskaden ausstößt – es mag geschehen, es mag nicht geschehen; was tut’s? Man mag von Taufe reden und von Jesus Christus und von Gotteskindschaft und von Gott, man mag Taufe feiern und Anlaß zu einem Familienfest nehmen – und? Wer guckt denn überhaupt hin, hört zu, merkt darauf? Es versinkt längst in der unendlichen und unsäglichen Gleichgültigkeit der alltäglichen Sensationen und des allgemeinen Geschnatters. Darum fällt uns zu den Stichwörtern immer weniger ein – und dies Wenige geht von vornherein unter oder wird weggeschwemmt im Spülicht der alltäglichen Sprachinflation. Kurzum, wir haben damit kaum noch etwas zu sagen. Ich frage mich zuweilen, ob man nicht möglicherweise nur noch so sich Gehör verschaffen könnte, daß man schwiege. Nur – das ist kein Weg. Wie es auch kein Weg ist, sich mit langen Erwägungen darüber aufzuhalten, ob und wie man überhaupt etwas sagen könne. Sondern das, was uns zuviel zu den Stichwörtern einfiele, zuviel, weil es in unseren üblichen Denkzusammenhängen nicht unterzubringen ist, das gilt es, aus dem Grau des Vergessens und der Bedeutungslosigkeit von Gerede hervorzuholen und uns daran zu erinnern.

Und so reden wir von der Gotteskindschaft und davon, daß wir kraft des Getauftseins in Christus Gottes Kinder sind – es sind, nicht sein sollen, nein: sind. Etwas, woran wir uns, vermute ich, selber erst einmal gewöhnen müssen: Ich BIN Gottes Kind – bin es einfach als der Mensch, der ich bin, wie ich bin, was immer ich mit mir herumschleppe. Ich bin es. Und was sagt das?

Schauen wir uns um in unserem Umfeld. Da sind natürlich alle möglichen Menschen anzutreffen. Doch von wem, von welchem von ihnen würden wir sagen, überzeugt und ohne Zögern sagen: Er/sie ist ein wahres Gotteskind? Ganz ohne Wenn und Aber – ein Gotteskind? Und blicken wir auf uns selber, stellen wir uns vor den Spiegel und gucken wir uns an: Ich – ein Gotteskind? Nicht im Sinne von Jesu Schäflein, nein, sondern als Gottes Tochter oder Gottes Sohn, die er lieb hat, die er gerne vorzeigt, mit denen er sich gerne sehen läßt, von denen er mit verhaltenem, doch deutlichem Stolz redet? Und von denen er weiß, sie stehen zur Familie, auch wenn sie gelegentlich sehr eigene Wege gehen? Doch auf die er sich verlassen kann: Sie wissen, was zu Hause gilt und was man dort tut und läßt. Gottes Söhne, Gottes Töchter – wer?

Offenkundig ergeben sich dabei Probleme, andere oder gar sich selbst als Gottes Tochter oder Sohn zu bezeichnen und anzusehen. Und wer auch nur etwas Kenntnis hat von der Kirche und ihrer Geschichte, der weiß, wieviel Schindluder man damit getrieben hat. Und wer nur einigermaßen vertraut ist mit der Bibel, der hat einen Eindruck davon, daß es das Leben nicht einfacher macht, Gottes Sohn oder Tochter zu sein – von den Israeliten und ihrem Auszug aus Ägypten und ihrer Wanderung durch die Wüste bis hin zum Hebräerbrief und seiner eindringlichen Vorhaltung, daß es zur Kindschaft gehöre, von Gott gezüchtigt zu werden (Hebr. 12, 4-11). Das alles klingt nicht so, als ob es erstrebenswert wäre, Gottes Kind zu sein. Ohne das geht’s leichter – und das lehrt auch die Erfahrung. Von manchen Grenz- und Extremsituationen abgesehen, lebt es sich als normales Weltkind doch erheblich einfacher, vor allem auch meistens vorteilhafter und einträglicher. Es ist leichter zu sagen und mit den Schultern zu zucken: „Dumm gelaufen, aber es ist halt so“, als Schuld überhaupt wahrzunehmen und dann nach ihren Folgen und nach ihrer Vergebung zu fragen. Ich deute das nur an. Jedenfalls scheint es am Tage zu sein: Gottes Kind, Gottes Tochter oder Gottes Sohn, das ist kein gängiger Titel, und wenn man’s in den Konsequenzen tatsächlich abschätzt, wagt man es vermutlich kaum, ihn anzustreben.

Somit könnte man jetzt sagen: Sind wir also nicht Gottes Kinder, dann – es gäbe vieles auszuführen, was dann nicht wäre und was für uns dann nicht gelten würde. Das freilich klänge auch nicht geradezu ermutigend; denn darüber würden wir im Innersten abhängig von Menschen, Ideologien, Tagesströmungen oder auch von Erfolg oder Geld. Am Ende käme man dann womöglich ins Wanken, ob’s vielleicht nicht doch besser wäre, Gottes Tochter oder Sohn zu sein und darum zumindest in diese Richtung zu streben: Man hätte eine gewisse innere Unabhängigkeit. Nur daß man dabei rasch merkte: Ohne Selbstbetrug kann ich das nicht erlangen; es ist sinnlos, danach zu streben. Es ist nicht machbar. Selbst wenn man’s anstrebt, Gottes Tochter oder Sohn zu werden: Es liegt außerhalb unserer Möglichkeiten.

Hier könnten wir also abbrechen, redlicherweise abbrechen: Gotteskindschaft – nicht machbar und nicht zu erreichen; das ist eben so. Das wäre klar, hätte Eindeutigkeit. Eine Eindeutigkeit freilich, die man weithin scheut. Man trifft immer wieder auf ein eigenartiges Schielen: Es erscheint als besser, mehrere Eisen im Feuer zu haben. Man kann ja schließlich nicht wissen...

Dem steht gegenüber die Eindeutigkeit Gottes, seines Wortes und seines Handelns. Und da stellt sich alles gänzlich anders dar, nämlich so:

Wir leben immer schon in verschiedenen Zusammenhängen. Das sei uns bewußt oder nicht, angenehm oder nicht; es ist Tatsache. Ihr können wir uns nicht entziehen, und wir bekommen das nicht aus der Welt. Bereits mit unseren schieren Namen – Elke Meier, Michael Schmidt – erweisen wir uns als in Zusammenhänge gehörig: sprachgeschichtliche, nationale, historische, auch soziologische – es muß nicht aufgelistet werden, was alles der schiere Name insoweit aussagt; nur ist es viel viel mehr, als uns ahnt. Ohne Namen aber wären wir nur mehr Nummern – und damit wäre unser Menschsein verloren. Und vor allem leben wir in Zusammenhängen der verschiedensten Art, die wir als einzelne selten wahrnehmen – etwa dem unserer Geschichte, dem unserer Kultur, dem unserer Technologie usw. Und demgemäß leben wir zumal im Zusammenhang der Geschichte Gottes mit uns Menschen. Diese Geschichte führt er durch, wir mögen das wissen oder nicht, uns darum bekümmern oder nicht, wir mögen das für gewichtig oder belanglos halten. Wir sind eingebunden in diese Geschichte – in eine Geschichte, in der Gott Weichen stellt für die Gleise, in denen unser Leben läuft – „still und unerkannt“, wie das Kinderlied so schlicht und zutreffend singt. Diese Geschichte wird in unserem Predigttext präzis markiert:

 

Ehe aber der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetz verwahrt und verschlossen auf den Glauben hin, der da sollte offenbart werden. So ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christus, damit wir durch Glauben gerecht würden. Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister. Denn ihr seid alle Gotteskinder...

 

Offenkundig ist hier ein wesentlicher Faktor das Gesetz. Welches? Das, das Gott  selbst erlassen hat und das uns von Gottes wegen dieses verbietet und jenes abverlangt. Das hatte seine Zeit, nämlich hin auf den Glauben und bis der Glaube kam. Klingt entsetzlich abstrakt; es sei konkretisiert.

Das Gesetz Gottes etwa gebietet und fordert zugleich: du sollst nicht stehlen. Nimmt man das ernst, dann geht es somit im und mit dem Leben darum, nur ja niemandem unrechtmäßig etwas wegzunehmen. Wir mögen denken: Prima! Wenn nur jeder sich einschlägig bemühte! Zu Recht! Nur – Gottes Gesetz will mehr, verlangt mehr, als daß man es möglichst gewissenhaft halte. Und das ist’s, was den Glauben kennzeichnet: Der Glaube eben als Glaube an den, in dem Gott selber das Gesetz erfüllt, an Jesus Christus nämlich; der Glaube an ihn also nimmt das Gesetz ernst, und das so, indem er nach dem fragt, was Gott hier positiv will, worauf er mit ihm zielt. Und das ist viel mehr und vor allem anderes, als daß man lediglich den Diebstahl vermeide – also daß man nicht nur nicht klaut oder im Zweifelsfall so verfährt, daß es nicht geradezu Diebstahl ist, aber... Nein! Der Glaube spielt sich auf Gottes Willen ein, und der ist: nicht allein, daß der Mitmensch nicht geradezu bestohlen werde, sondern vor und über allem, daß er Lebensmöglichkeiten habe, behalte und in diesen seinen Lebensmöglichkeiten von uns entsprechend gestärkt, unterstützt und gefördert werde. In seinem Kleinen Katechismus – meine Generation hat ihn noch auswendig lernen müssen – bringt Luther es prägnant auf den Punkt:

 

Du sollst nicht stehlen. Was ist das? Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unseres Nächsten Geld und Gut nicht nehmen noch mit falscher Ware oder Handel an uns bringen...

 

So weit hier das Gesetz, und es läßt durchaus aufhorchen: Bei falsche Ware oder Handel denke ich z.B. an manche Banken, und mir fallen dazu auch Namen und Gesichter ein. Doch Luther sagt: Das ist nicht alles, sondern es steckt darin mehr, anderes; darum fährt er fort:

…sondern ihm sein Gut und Nahrung helfen bessern und behüten.

 

Verstehen wir? Das schiere Gesetz markiert den Schutzwall um unser Leben. Wer ih mißachtet, vergreift sich am menschlichen Leben. Der Glaube jedoch geht hierüber hinaus und fragt nach dem, was Gott dabei will, worauf er zielt. Fragt also als Kind Gottes auf der Linie des Vaters, des Hauses, und das geht über das bloße Vermeiden hinaus. Es zielt vielmehr, mit einem Wort gesagt: auf Verantwortung, Verantwortung wahrnehmen für unsere Mitmenschen. Nein, nicht als „Prinzip Verantwortung“; das würde ins Uferlose gehen. Simple – doch gerade darin schwerer, weil man sich nicht entwinden kann – Verantwortung da, wo es nottut, wo wir zur Hilfe gebraucht werden, wo man sich auf uns muß verlassen können, wo man mit Grund auf uns baut, insbesondere wo wir erkennen: Hier muß eingegriffen, hier muß dies oder jenes getan werden. Es ist klar, worauf das hinausläuft: Im Blick steht dabei der Nächste, der Nächste, den Gott immer schon im Blick hat und an den er uns verweist; der Nächste und nicht länger ich. Nur – mich gibt es ja doch auch. Ist es denn unangemessen, danach zu fragen, wo ich dabei abbleibe?

Eine ernsthafte Frage. Wer Kinder hat, weiß aus eigener Erfahrung, daß ich zuweilen gerade darin ganz und gar ich selbst bin, daß ich nicht nach mir, sondern nach meinem Kind und seinem Ergehen frage und mich selber darüber schier vergesse. Wenn es uns ausfüllt, uns treibt, uns bewegt, von Gottes wegen und um seinetwillen für den Nächsten dazusein, für ihn gegebenenfalls auch das Eigene liegen zu lassen oder uns einen möglichen Gewinn entgehen zu lassen: Da, da sind wir dabei, uns als Gottes Kinder zu verhalten. Und wo wir Menschen erleben, die für ihre Nächsten glühen und sich einsetzen, da bekommen wir einen Eindruck dessen, was es bedeutet, Sohn oder Tochter Gottes zu sein. Seine Kinder aber, seine Töchter und Söhne, können sich und ihr Ergehen getrost in Gottes Hand legen. Denn er selber hat darauf acht, daß wir nicht zu kurz kommen. In diesem Zusammenhang aber werden wir dann auch darauf stoßen, daß dabei Glaube lebt, lebendig ist, einfach sich eingestellt hat. Ein Glaube, durch den Jesus Christus nicht mehr kirchliche Vokabel oder bloßer Name ist, sondern wo dieser sein Name Klang hat und uns auf die Spur bringt, die Gott will. Und die in dieser Spur gehen, ihr mit ihrem Leben folgen, die sind’s, die Gott zu seinen Kindern erhoben hat. Erhoben hat – denn er hat uns die Gültigkeit besiegelt: in der Taufe. Das ist Faktum. Niemand kann’s uns mehr nehmen, nicht einmal ein moderner Teufel in einer der modernen Höllen. Gottes Kind, sein Sohn, seine Tochter: Dank der Taufe steht das über allem, was wir sonst noch sind, und auch allem, was wir versäumt und vertan haben. Als gerade die sind wir getauft und damit zur Gotteskindschaft bestimmt. Niemand kriegt das wegradiert.

 

Amen.

 

 



Prof.Dr. Klaus Schwarzwäller
Munkbrarup bei Flensburg
E-Mail: hweissenfeldt@foni.net

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