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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Johann Peter Hebel, 2010

Hebräer 4,(4-6) 5-7 (10), verfasst von Dieter Splinter

Und niemand nimmt sich selbst die hohepriesterliche Würde, sondern er wird von Gott berufen wie auch Aaron. So hat auch Christus nicht sich selbst die Ehre beigelegt, Hoherpriester zu werden, sondern der, der zu ihm gesagt hat (Psalm 2,7): „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt." Wie er auch an anderer Stelle spricht (Psalm 110,4): Du bist ein Priester in der Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks." Und er hat in den Tages seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden, genannt von Gott ein Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks.

Liebe Gemeinde!

I.

Ein Geheimnis ist es nicht: Wir sind alle zur Schule gegangen. Oder wir tun es noch. Durch Bildung bereiten wir uns auf einen Beruf vor. Darum hört nach der Schule das Lernen nicht auf. Es folgt eine Ausbildung oder ein Studium. Haben wir den Beruf unserer Wahl schließlich erreicht, arbeiten wir an unserem Weiterkommen. Wenn wir dabei besonders auffallen, kann es sein, dass wir ohne uns zu bewerben auf einen besonderen Posten berufen werden - auf eine Stelle, die wir möglicherweise selber gar nicht im Blick gehabt haben. Johann Peter Hebel ist es so ergangen. Da sich sein Geburtstag zum 250. Mal jährt, wird in diesem Jahr in zahlreichen Veranstaltungen an ihn erinnert.

Johann Peter Hebel wurde am 10. Mai 1760 in Basel geboren. Sein Vater war Diener, seine Mutter Magd. Im Sommer des nächsten Jahres versuchte die Familie wahrscheinlich einer in Basel herrschenden Typhusepidemie zu entgehen und zog nach Hausen im Wiesental im Markgräfler Land. Es nützte nichts. Der Vater starb und ebenso Hebels Schwester. Sie war sieben Tage alt. Die Mutter war nun alleinerziehend. In den Sommermonaten arbeite sie weiterhin als Magd bei reichen Leuten in Basel, den Rest des Jahres verbrachte sie mir ihrem Sohn in Hausen. Für Johann Peter Hebel war es ein schwerer Schlag als auch seine Mutter starb. Er war nun mit 13 Jahren Vollwaise. Früh musste er, um es mit dem Worten aus dem Hebräerbrief zu sagen, „in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen darbringen".

Ein Jahr später, 1774, kam Hebel zum ersten Mal  nach Karlsruhe. Zuvor war er schon in Schopfheim und Basel als guter Schüler aufgefallen. In Karlsruhe besuchte er bis 1778 das „Gymnasium illustre". Dieses Gymnasium war Ende des 16. Jahrhunderts in Durlach gegründet worden. 1724 hatte Karl Wilhelm von Baden dieses Gymnasium in das von ihm 1715 gegründete Karlsruhe verlegt. Zugleich wurde eine Abteilung in Durlach beibehalten. Das heutige Markgrafen-Gymnasium ging daraus hervor. Als Johann Peter Hebel das „Gymnasium illustre" in Karlsruhe besuchte, befand es sich in einem langgestreckten Gebäude zwischen der Kleinen Kirche und dem heutigen Modehaus Schöpf, also in der Kaiserstraße, die damals übrigens „Lange Straße" hieß. Neben Fächern wie Geschichte, Geographie und Mathematik standen vor allem Griechisch, Latein und Religion auf dem Stundenplan. An diesem Gymnasium bestand Hebel erfolgreich sein Abschlussexamen. „Man bescheinigte ihm 'besonders gute Naturgaben'." (Franz Littmann: Johann Peter Hebel. Humanität und Lebensklugheit, Erfurt 2008, S. 32) Danach studierte Hebel Theologie in Erlangen, war Vikar und Lehrer im Südbadischen und wurde schließlich als Subdiakon an sein altes Gymnasium in Karlsruhe berufen.

Von da an ging es mit seiner  beruflichen Laufbahn stetig bergauf. Bald wurde er Professor und machte sich als Schriftsteller und alemannischer Mundartdichter einen Namen. Von 1808 bis 1814 wurde er Direktor des Gymnasiums, das inzwischen in den beiden Seitengebäuden der Stadtkirche untergebracht war. (Später zog das Gymnasium noch einmal um. Es ist das heutige Bismarck-Gymnasium. Am heutigen Sozialgericht erinnert eine Gedenktafel daran, dass Hebel dort auch wohnte.) Seinen Posten als Direktor gab Hebel 1814 auf als er Mitglied in der Kirchenabteilung der Landesverwaltung des Großherzogtums Baden wurde. Doch damit war noch nicht das Ende seiner Karriere erreicht. Fünf Jahre später berief ihn der Großherzog zum Prälaten, dem höchsten Kirchenamt. Es war 1819 eigens geschaffen worden, um die Kirchenleitung im badischen Landtag zu vertreten. In seiner Eigenschaft als Prälat setzte Hebel 1821 als erster seine Unterschrift unter die Unionsurkunde. Damit hatten sich die lutherischen und reformierten Christen des Großherzogtums zur Badischen Landeskirche vereinigt. Hebel war als Prälat der Leitende Geistliche dieser neuen Kirche. Die Vereinigungssynode hatte übrigens hier in der Stadtkirche getagt.

II.

Auch nach heutigen Maßstäben hat Johann Peter Hebel eine beachtliche Karriere gemacht. Aus einfachen Verhältnissen stammend, als Halbwaise und schließlich als Waise aufgewachsen, fand er durch Fleiß, Talent und vor allem Bildung zu einem Beruf und erfuhr schließlich Berufungen, die er als Heranwachsender sicherlich niemals für möglich gehalten hätte.

Das kann man auch heute noch erleben. Wer in seinem Beruf etwas leistet,  erarbeitet sich einen Namen. Ihm oder ihr eilt dann, wie man so sagt, ein guter Ruf voraus. Und wem ein solcher Ruf vorauseilt, der kann auch heute unter Umständen erleben, dass er auf eine Position berufen wird, an die er oder sie selber nicht gedacht hat: in Wissenschaft, Wirtschaft und Handwerk, in der Verwaltung, in der Politik, in Kirche und Kultur.

Der Hebräerbrief aber spricht noch von einer Berufung ganz anderer Art. Da spielt das eigene Können, die eigene Leistung keine Rolle: „Und niemand nimmt sich selbst die hohepriesterliche Würde, sondern er wird von Gott berufen wie auch Aaron. ... Du bist ein Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks." In einer kultischen Sprache, die uns fern gerückt ist, wird hier das souveräne Berufungshandeln Gottes geschildert. Er fragt nicht nach Leistung. Er beruft aus freiem Entschluss  und legt dem Berufenen eine Ehre bei, die jedes menschliche Berufen übersteigt: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt."

Letzteres gilt sicher für Christus. Mit und durch ihn aber werden wir hineingenommen in eine Berufung, die Menschen nicht geben können. Christus ist der Urheber dieser heilsamen Berufung: „Du bist mir recht!" hören wir da. „Ich will dich als meinen Mitarbeiter, meine Mitarbeiterin!" wird uns da gesagt. Es wird uns eine Würde beigelegt, die jenseits unserer Leistung liegt. Was könnte das für unser Leben bedeuten? Und wie ist das zu verstehen? „Und er, Christus, hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt."

III.

Christus hat, so der Hebräerbrief, sein Leiden nicht als Strafe empfunden. Für ihn war es nicht die Vergeltung für begangenes Unrecht, vielmehr hat er darin seine Sohnschaft entdeckt und sie im Leiden bewährt. Diese Art von Berufung führt ins Leiden und erst im Leiden merkt man, dass man von Gott berufen ist. Es kann also sehr weh tun auf seiner, auf Gottes  Seite zu stehen.

Wer nun meint, dass damit menschliches Leiden verklärt wird, irrt sich. Das Gegenteil ist der Fall. Nicht alles Leiden ist Ausdruck einer Berufung. Das Leiden der Hungernden dieser Erde hat keinen Sinn, sondern ist Ausdruck einer ungerechten Verteilung von Reichtum. Das Leiden derer, die in unserer Gesellschaft arbeiten wollen, aber keine Arbeit entsprechend ihrer Qualifikation finden, hat keinen Sinn. Angesichts solchen und anderen sinnlosen Leidens ist lautes Schreien durchaus angebracht. Es ist das Mitleiden angebracht, das Bildung und Können einsetzt, um gegen sinnloses Leiden anzugehen. Christen erinnern so an Gottes Berufung, die auch jenen gilt, denen die Würde genommen wird. Das ist sinnvoll. Und damit das Leiden an den elenden Zuständen in dieser Welt. Man darf sich mit ihnen nicht abfinden. (Zu den letzten beiden Abschnitten vgl. auch Manfred Josuttis; Über alle Engel. Politische Predigten zum Hebräerbrief, München 1990, S. 50)

Geht man diesen Weg, wird man nun allerdings feststellen, dass die elenden Zustände dieser Welt unter Umständen vor einem selber nicht Halt machen. Im frühen Tod seiner Eltern und seiner Schwester hat Johann Peter Hebel das  selber erfahren. So nimmt es nicht Wunder, dass er sich immer wieder mit dem Thema Tod auseinandersetzt - darunter auch in einer seiner bekanntesten Erzählungen „Kannitverstan". Darin schildert er wie ein armer und etwas einfältiger Handwerksbursche auf seiner Wanderschaft nach Amsterdam kommt und dort  über den vorhandenen Reichtum staunt. Auf die wiederholte Frage an Vorübergehende, wem denn der ganze Reichtum gehöre, bekommt er immer wieder zur Antwort: „Kannitverstan" - „Ich verstehe dich nicht!" Der Handwerksbursche aber meint, der reichste Mann in Amsterdam hieße so. Am Ende begegnet er einem Leichenzug und bekommt auch dort auf die Frage, wer denn da zu Grabe getragen werde, die Antwort „Kannitverstan". Das nun beruhigt den Handwerksburschen ungemein. Er tröstet sich mit dem Gedanken, dass am Ende für den Armen aber eben auch für den Reichen bloß ein Totenkleid übrigbleibt. Wohl sitzt der Handwerkbursche einem Missverständnis auf. Mit etwas mehr Bildung wäre ihm das nicht passiert - und doch stellt er in seiner Einfalt eine schlichte Wahrheit fest, die auch vor Hebel nicht Halt machte. Auf einer Dienstreise verstarb Johann Peter Hebel am 22. September 1826 in Schwetzingen und wurde dort ein Tag später bestattet.

Bildung, Beruf,  Berufungen - Hebel hat es weit gebracht. Das war neben seiner Tüchtigkeit auch der Tatsache zu verdanken, dass Karlsruhe damals eine aufstrebende Stadt war. Goethe hatte zwar einmal bei einem Besuch über Karlsruhe geschrieben: „Die Langeweile hat sich von Stunde zu Stunde verstärkt. Gott im Himmel, was ist Weimar für ein Paradies!" Hebel aber hielt dagegen: „Karlsruhe ist nicht so schlimm als mans verschreit." Hier war er zu Hause und hatte doch bisweilen große Sehnsucht nach seiner alemannischen Heimat. Und trotz allen Erfolges wurde er immer wieder von Schwermut und Trübsinnigkeit heimgesucht. Dann kroch auch in ihm, dem Hochgebildeten, das „Kannitverstan" hoch: „Ich verstehe es nicht." Das war die ganze andere Berufung von der der Hebräerbrief spricht und was auch wir kennen: Das Leiden an den Zuständen dieser Welt war im eigenen Leben ganz und gar angekommen.

Die Hoffnung aber, die die so Berufenen dann immer haben, ist Gott selber. Am Ende des Hebräerbriefes wird er der Gott des Friedens genannt, der tüchtig macht in allem Guten. Christus steht dafür. Denn „er hat in den Tages seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lauter Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tode erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt." Wir sind gut beraten, es ihm nachzutun. Und so bewahre der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle unsere Vernunft, unsere Herzen und Sinne in  Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

 



Pfarrer Dr. Dieter Splinter
Karlsruhe
E-Mail: Dieter.Splinter@googlemail.com

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