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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Wetterleuchten, 2010

Hosea 8,7, verfasst von Ralf K. Wüstenberg

Immer, wenn durch mein Leben ein „Sturm" gezogen ist, habe ich mich gefragt: Was habe ich falsch gemacht? Immer wenn etwas schief gegangen ist, fragte ich mich unwillkürlich: Was hätte ich anders machen sollen, damit es dazu nicht kommt? - Heute frage ich: Sind solche Überlegungen nicht Relikte eines unaufgeklärten kindlichen Bewusstseins? Müsste nicht längst jene Stufe überwunden sein, in der Schicksalsschläge immer als Antwort auf eigenes Versagen gedeutet werden - nach dem Motto: Hätte ich keine Schuld auf mich geladen, wäre das alles nicht passiert? Eine ehrliche Antwort auf diese Fragen, würde vermutlich „Ja, zum Teil!" lauten. Denn an diesem Muster ist etwas dran! Auch heute noch, und nicht nur bei mir. Der Trost: Aller psychologischen Aufklärung zum Trotz, ist jenes vermeintliche Ernten der eigenen Früchte etwas sehr Biblisches. Es gibt eine ganze biblische Tradition, die von dem Zusammenhang zwischen dem eigenen Tun und dem, was einem daraufhin passiert, lebt. Es ist die so genannte Weisheit; vielen von Ihnen kennen Sprüche aus dem Buch Proverbia; viele dieser Weisheitssprüche reflektieren den Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen. Manche dieser Sprüche sind so eindrücklich, dass sie längst aus der Bibel in den täglichen Sprachgebrauch gewandert sind: „Hochmut kommt vor dem Fall" (Prov 16, 18b); oder: „Rühme dich nicht des morgigen Tages; denn du weißt nicht, was der Tag bringt" (Prov 27,1)

Aber nicht nur im Persönlichen, auch im Großen ist man nicht selten am Modell des Tun-Ergehen-Zusammenhangs geleitet. Wenn irgendwo Katastrophen passieren, fragt man sich - häufig metaphysisch unaufgeklärt und naiv: Ist das eine Strafe für Fehlverhalten? Auch dieses Modell ist ganz biblisch. So hat der Prophet Hosea die nationale Katastrophe des Untergangs Israels als Strafe für verfehltes Handeln interpretiert. Weil Israel immer wieder von Gott abgefallen sei und anderen Göttern gedient habe, ist es im 7. Jh. vor Chr. untergegangen und die Bevölkerung ins Babylonische Exil verschleppt worden.

In der Wirkungsgeschichte des Buches Hosea war immer das Ehedrama des Propheten von großer Bedeutung. Hosea hatte, wenn man der Überlieferung Glauben schenkt, eine untreue Ehefrau. Hosea spricht von der "Hochzeit mit der Hure", ja die Ehe Hoseas gilt wie die Benennung der Kinder als Zeichen: Der Hurerei jener Ehefrau entspricht, so die Botschaft, die Hurerei Israels, der Entfernung von Gott. Damit ist das wichtigste Thema des Buches angesprochen: Hosea kritisiert bestimmte kultische Praktiken Israels (weniger soziale oder politische Sünden wie der Prophet Amos), in denen er letztendlich einen Abfall von JHWH, eine Anbetung Ba'als sieht.

Kurzum: Die nationale Katastrophe des Untergangs hat sich Israel selbst zuzuschreiben. In einem Bild sagt der Prophet Hosea: „Denn sie säen Wind und werden Sturm ernten" (Hos 8,7).

Wenn wir heute die bildhafte Wendung vom Wind und vom Sturm hören, denken wir vermutlich eher an Naturkatastrophen. In diesen Wochen schaut die ganze Welt nach Pakistan, wo Wind und Wetter fast ein ganzes Land unter Wasser gesetzt haben und die Menschen unsagbar leiden, so sie überhaupt noch leben. „Denn sie säen Wind und werden Sturm ernten" (Hos 8,7)? Das weisheitliche Bild vom Ernten der eigenen Saat steht hier in mehrfacher Hinsicht völlig quer, ja wirkt zynisch, nicht nur, weil buchstäblich gar nichts mehr geerntet werden kann, wo die ganze Saat unter Wasser steht. Der weisheitliche Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen fehlt völlig. Die Menschen in Pakistan können gerade nichts für die Situation, die sie jetzt und in mittlere Zukunft erleiden müssen. Sie ernten Sturm und Flut, obwohl sie keinen Wind gesät haben, um im biblischen Bild zu bleiben. In manchem ist die Situation der Menschen in Pakistan eher typisch für einen anderen Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen, nämlich dass die Ursachen des Leidens für Menschen in anderen Ländern gerade nicht dort zu suchen sind, sondern woanders. Klimatische Veränderungen, die häufig Grund für Überschwemmungen und Naturkatastrophen sind, treffen mit brachialer Gewalt gerade nicht die Industrieländer, die Verursacher sind, sondern nicht selten sog. Drittweltländer, die gar nichts für die Klimaveränderung können. Um es im biblischen Bild pointiert zu sagen: Wir in den Industrieländern säen Wind und die in den Entwicklungsländern ernten Sturm. - So wird das weisheitliche Denken vom Zusammenhang von Tun und Ergehen ad absurdum geführt. Es ist in dieser Hinsicht nur ein kleiner Trost, dass der Prophet Hosea auch die Überlegung kennt, dass Gottes Treue im Untergang nicht aufgehoben wird (11,8). Wie später Jereremia (31,20) und Jesaja 63,15) betonte Hosea Gottes Leidenschaft für sein Volk und sein Mitleiden an dessen Schicksal bis hin zum „Schmerz" (Hos 11,8): „Mein Herz kehrt sich um in mir, all meine Barmherzigkeit ist entbrannt." Man kann in dieser Theologie vom mitleidenden Schmerz Gottes eine notwendige Korrektur eines einseitigen Gottesbildes erkennen, das Gottes Wesen starr nur als „Liebe" ohne innere Bewegung bestimmt. Gericht, Zorn, Verstoßung und erneute Annahme der geliebten Menschen seien untrennbare und unausweichliche Teilmomente dieser Liebe und machten ihren Realitätsgehalt in der Geschichtserfahrung Israels aus.

Um allerdings das prophetische Wort vom Wind und Sturm in den Kontext aktueller Fernsehbilder zu rücken, reichen diese Hinweise wohl kaum, höchstens der Gedanke von einem Gott, der einen auch im Schmerz und im Leid nicht verlässt.

Insgesamt ist aber eine fundamentale Kritik nötig, die ihrerseits nicht unbiblisch sein muss. Interessanter Weise hat ja auch die Bibel über die Weisheit hinaus ‚dazugelernt'. Die weisheitliche Literatur der Bibel ist gewissermaßen eine Etappe biblischen Denkens, nicht einfach der ganze Interpretationshorizont, den uns die Bibel anbietet. Es gibt ja bereits innerhalb der Bibel eine Kritik an der Weisheit. Man machte eben auch damals die Erfahrung von Katastrophen, deren Grund man nicht einfach im eigenen Fehlverhalten verankern konnte. Ein berühmtes Beispiel ist Hiob, dem alles mögliche Übel widerfährt, obwohl er doch ein frommer Mensch ist. Solche Kritik am Tun-Ergehen-Zusammenhang, erlaubt immer auch, dass die berühmte Frage nach dem Warum? unbeantwortet bleibt, ja unbeantwortet bleiben darf. Es wird Raum geschaffen für den Zweifel, Raum für Unerklärbares, auch Raum für Klage. Wo weder Gott, noch ein anderer Mensch, noch das eigene Fehlverhalten verantwortlich gemacht werden können, da ist im wahren Sinne Ohnmacht. Und diese Ohnmacht sollte nicht vorschnell überspielt werden mit dem sicher richtigen Hinweis auf die Liebe Gottes, die sich am Ende durchsetzt. Für Hiob und für alle, die unschuldig leiden erscheint die Zeit des Leidens ewig; und vergessen wir nicht: auch Jesus ist erst am dritten Tage auferweckt worden.

Es gibt Zeiten, in denen es in privaten wie globalen Katastrophen keine Antworten auf die Frage gibt: Warum ist das geschehen? Hier gilt Aushalten und Leiden, ja Mitleiden, auch durch Spenden und Anteilnahme (wie im Falle der Flutkatastrophe in Pakistan). Zugleich gibt es keine größere Hoffnung als die in biblischen Bildern verbürgte. Sie reicht über die Weisheit und die Kritik an der Weisheit hinaus und hält unbeirrt im Glauben an eine bessere Welt fest: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein" (Off. 21,4).  

 

 

 



Prof.Dr. Ralf K. Wüstenberg
Universität Flensburg
E-Mail: ralf.wuestenberg@uni-flensburg.de

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