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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Taufe, 2011

Kinderevangelium: Markus 10,13-16 für den Sonntag Invokavit, verfasst von Matthias Wolfes

 

Und sie brachten Kinder zu ihm, dass er sie anrühre. Die Jünger aber fuhren die an, die sie trugen. Da es aber Jesus sah, ward er unwillig und sprach zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solcher ist das Reich Gottes. Wahrlich ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie.


Liebe Gemeinde,

die Taufe markiert die Aufnahme des Täuflings in die Gemeinschaft mit Christus und aller Christen. Wenn wir uns während der diesjährigen Passionszeit der Taufe als Thema widmen, dann liegt schon in dieser zeitlichen Einbettung die Aufforderung, beiden Seiten - Aufnahme in die Gemeinschaft mit Christus und Aufnahme in die Gemeinschaft aller Christen - wirklich gerecht zu werden. Denn fast immer überwiegt eines der beiden Motive, und kirchengeschichtlich betrachtet war es gerade dieses Ungleichgewicht, das die Unterschiede zwischen den evangelischen Richtungen maßgeblich geprägt hat.

Den Ausgangspunkt soll für uns die Passage aus dem Markusevangelium, Kapitel 10, bilden. Jesus nimmt dort die berühmte Segnung der Kinder vor. Stets hat dabei seine Mahnung, „Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen", die Geister bewegt. Viel ist über dieses Wie-ein-Kind-Sein gesagt worden, und man könnte eine Menge auch aus der nichtreligiösen Literatur darüber zusammentragen. Ich möchte nun hier nicht versuchen, den Gedankenreichtum zu dieser Aussage noch zu mehren. Vielmehr soll das Augenmerk darauf gerichtet werden, dass auch in der Begegnung Jesu mit den Kindern das Wort im Mittelpunkt steht.

Ebenso verhält es sich mit jener Szene, in der Jesus selbst getauft wird. Als Jesus aus dem Wasser stieg, sah er, dass sich der Himmel auftat, und eine Stimme geschah vom Himmel „Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe" (Mk 1,10f). In beiden Szenen wird das Wesentliche von Taufe und Segnung in einer Folge gesprochener Worte dargestellt. Am Anfang war - nicht das Sein oder irgendetwas, sondern das Wort. Im Wort findet die wahre Tiefenberührung statt.

Worauf es ankommt, ist: Die Taufe ist das Grunddatum christlicher Freiheit. Freiheit muss aber, damit sie nicht nur im Reich der Ideen lebt, sondern sich auch im Alltag ausbreitet, eine konkrete Form haben. Es muss Anhaltspunkte, Orte der Bewahrheitung, geben, und solch ein Ort ist die Taufe. Sie soll die Erinnerung an meinen freien Ausgang bündeln.

Die Taufe bedeutet: Du gehörst zu Gott. Wer getauft ist, gehört zu Gott. Die Kindertaufe bleibt die bevorzugte Praxis. Wir sollten aber erwachsene Menschen, die sich zu diesem Schritt entschließen, mit allem Ernst unterstützen und bestärken. Nicht minder gilt es, sie dabei zu unterstützen, dass sie einen Ort im Leben der Gemeinde finden.

Wenn wir es in der Taufe immer auch mit einem Ritual zu tun haben, dann spiegelt das den Umstand wider, dass das Leben eben eine Formsache ist. Als den Urheber des Taufgeschehens aber betrachten wir Gott selbst. Und mit Recht. Es schlägt sich darin die Vorstellung nieder, dass alles, was da ist und Thema wird, jemandes Sorge sei. Es ist ein tief im menschlichen Streben angelegtes Bedürfnis, dass alles, was der Welt oder dem Seienden im Ganzen angehört, einen untilgbaren Sinn aufweisen möge. Man kann diese Vorstellung zurückweisen, aber wir tun es nicht. Für uns ist darin das Geheimnis Gottes geborgen ebenso wie das Geheimnis unseres Daseins in der Welt. Ein Christ kann deshalb seinem Schicksal nicht wie etwas Fremdem gegenüberstehen oder sich davon lossagen wollen. Er wird es - und sei es ganz am Ende - annehmen müssen; er wird es aber auch annehmen können, so unglaublich dies zu Lebzeiten scheinen mag.

Natürlich bilden wir uns nicht ein, wir könnten jemals alles aufnehmen, was uns widerfährt, und in seinem Rhythmus verstehen. Das wird uns genauso wenig gelingen wir einer Kirche, auch wenn sie noch so universal dächte und liebte. Wer könnte in der Illusion bestehen, er sei offen genug für alles, was eindringt, redet und begegnet? Die übergroße Mehrzahl der Sachverhalte, mit denen wir in unserem Leben konfrontiert werden, lässt sich nicht einbeziehen in ein geschlossenes Konzept oder in eine runde Welterklärung. Das wird so bleiben, wie alt und lebensweise wir auch werden.

Die humane Weisheit sucht den Zusammenhang von Wahrheit und Schicksal in der Zuflucht zum Zeitlosen. Für den frommen Menschen bildet er dagegen den inneren Kern seines Gottvertrauens. Nach unserer Überzeugung ist es erst die Bindung an Gott, der Glaube oder die Frömmigkeit, die uns den Mut zum Vielfältigen und zu den Vielen gibt. Sie befreit vom Zwang des Weitermachens, der großen, unablässigen Drehung und der steten Umwälzung des Seins. Zu glauben aber ist nur der in der Lage, der imstande ist, sich gegen die Autorität des Augenscheins zu entscheiden. Das betrifft insbesondere den Schein der Endlichkeit. Hierin liegt die „kindliche" Haltung, die Jesus für unabdingbar erklärt.

In der Taufe konzentriert sich die ganze mitgedachte und mitgetragene, neu anfangende Lebenskurve an einem Punkt. Die Welt wird so betrachtet, als hätte man noch einmal die Augen eines Kindes, dem alles erst versprochen ist. Die Taufe in dieser Bedeutung steht dafür, dass der Mensch seinem Leben vorgegeben ist.

Von daher können wir die Taufe wie einen Fixpunkt betrachten. Sie begründet ein ganz anderes Lebensmodell als jenes, demzufolge das Leben nichts anderes ist als ein immerwährendes Stehen im Nebel. Die Taufe markiert ein zentriertes Leben. Sie ist das große Schutzzeichen, das von der Verfallenheit entbindet, nur dasjenige Leben zu suchen, das ein gutes hätte sein können.

Am umfassendsten erfüllt sich dieser Sinn der Taufe dann, wenn ein Kind getauft wird. Deshalb ist auch das Festhalten an der Kindertaufe berechtigt. Im Falle der Taufe eines Neugeborenen erscheint die Feier als eine Begrüßungszeremonie. Das Kind gilt danach als grundsätzlich integriert und wird weiter keinen Begrüßungsregeln mehr unterworfen. Es ist zur Welt gekommen und darf auf seinem Wohnrecht beharren.

Das Kind wird getauft, damit es zur Kirche, zur Gemeinde gehört. Mit der Taufe erfolgt die Aufnahme in die Gemeinschaft der Gläubigen. Hierher gehört auch, dass in der Taufe die christlichen Eltern die Selbstverpflichtung übernehmen, den eigenen Glauben an die nächste Generation weiterzugeben. Ebenso aber gilt auch: Mit der Taufe wird ein Kind unter den Schutz Gottes gestellt.

Die Taufe ersetzt nicht den Prozess der Einübung und Einstimmung in die Gegebenheiten und Bedingtheiten des Lebens und der Welt. Oft macht dieser Prozess das ganze weitere Leben aus, und Erfolg oder Scheitern hängen davon ab, wie man sich mit diesen Gegebenheiten arrangiert. Die Taufe steht aber dafür und möchte davon überzeugen, dass der Mensch - der Übermacht des Tragischen zum Trotz, trotz des Schmerzes - in der Welt willkommen ist und sich mit der Tatsache des Daseins und des Miteinanderseins anfreunden kann.

Der Getaufte ist ein Gesegneter. Als Getaufte sind wir Gesegnete. Und auf diesen Segen mögen wir uns stützen unser ganzes Leben lang.

Amen



Pfarrer Dr. Dr. Matthias Wolfes
Berlin-Neukölln
E-Mail: wolfes@zedat.fu-berlin.de

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