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ISSN 2195-3171

Predigtreihe: Taufe, 2011

Taufbefehl: Matthäus 28,16-20 für den Sonntag Reminiszere, verfasst von Paul Kluge


Liebe Geschwister,

wahrscheinlich kennen Sie das: Sie treffen auf einen Menschen, den Sie sehr verehren - und dann sind Sie wie gelähmt. Kein vernünftiger Satz fällt Ihnen ein, und Sie wissen nicht, was Sie tun sollen oder können.

Wahrscheinlich kennen Sie auch das: Sie begegnen einem Menschen, dessen Begabung oder Glaubwürdigkeit Sie bezweifeln. Und auch dann sind Sie wie gelähmt. Kein vernünftiger Satz fällt Ihnen ein, und Sie wissen nicht, was Sie tun sollen oder können.

Ähnlich muss das den Jüngern gegangen sein. Das Matthäusevangelium berichtet (im 28. Kapitel):

16 Die elf Jünger aber gingen nach Galiläa, auf den Berg, wohin Jesus sie befohlen hatte. 17 Und als sie ihn sahen, warfen sie sich nieder; einige aber zweifelten. 18 Und Jesus trat zu ihnen und sprach: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. 19 Geht nun hin und macht alle Völker zu Jüngern: Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, 20 und lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe. Und seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende."

Mit diesem Satz endet das Matthäusevangelium ziemlich abrupt. Wie die Geschichte weiterging und über die Reaktion der Jünger können wir nur phantasieren. Dazu möchte ich Sie nun einladen.

„Und was jetzt?", fragt Philippus; er liegt weder ehrfürchtig am Boden noch ist er von Zweifeln zernagt. Ein bisschen Abenteuerlust hat ihn zu Jesus gebracht, und dadurch hat er sich immer ein wenig Distanz gewahrt. Hat, was er mit und bei Jesus erlebte, als Beobachter zur Kenntnis genommen. „Was jetzt?", fragt er noch einmal, „was liegt ihr platt vor Ehrfurcht am Boden und greift ins Leere? Jesus ist nicht mehr hier. Und ihr Bedenkenträger: Wieso bezweifelt ihr, was ihr gehört und gesehen habt? Jesus war da!"

Keiner der Angesprochenen reagiert. Jeder hält an seinem Jesusbild fest, hält sich daran fest. Die Verehrer wollen es nicht loslassen, die Zweifler sich nicht auf Jesus verlassen. Beide wollen ihr Bild, das sie selbst sich von Jesus gemacht haben, behalten, erhalten.

„Jetzt sind wir dran", beantwortet Philippus seine Frage selbst, „ihr habt es gehört: Hin zu den Leuten, sie taufen und lehren - in dieser Reihenfolge. Nur zu, er ist bei uns - immer und überall. Wenigstens, wenn wir seinem Befehl folgen und tun, was er uns gelehrt hat."

„Was redest du da?", lässt Andreas sich hören. Er ist wie sein Bruder Petrus ein glühender Verehrer Jesu. Aber einen eigenen Standpunkt, ein eigenes Profil hat er nie so richtig entwickeln können; zu sehr steht er im Schatten seines großen Bruders. „Du meinst doch wohl nicht, dass irgendeiner von uns fortsetzen könne, was Jesus begonnen hat!", fährt Andreas fort und schließt mit einem lauernden „Oder?"

„Dann können wir nun ja alle nach Hause gehen", wirft Thomas ein und verrät damit, was er vorhat. Was die Frauen da vom leeren Grab erzählt haben, kann er nicht recht glauben, und was er soeben erlebt hat, erklärt er sich als Halluzination, wie Trauernde sie gelegentlich haben. Beides sind für ihn keine plausiblen Gründe, seine Jesus-Episode fortzusetzen. Er sehnt sich nach einem festen Dach über dem Kopf, nach geregelter Arbeit und beschaulichem Familienleben. Auf fremde Leute zugehen, ihnen von seinem Glauben erzählen, sie gar taufen: Das ist nichts für ihn, das traut er sich nicht zu. Das ist ihm auch zu riskant, und darum fügt er hinzu: „Die Zeit mit Jesus möchte ich nicht missen, ich habe viel gelernt. Ihr sicherlich auch. Doch die Zeit ist vorbei, und wir sollten nicht so tun, als zöge sie mit uns weiter."

Da sei er ganz anderer Meinung, lässt Philippus sich vernehmen. Denn was er und sie alle miteinander mit Jesus erlebt hätten, sei zu kostbar, um in ihrer Erinnerung zu versickern. Es sei vielmehr geeignet, das Miteinander von Menschen liebevoller und friedlicher zu gestalten und mehr nach Gottes Wort und Willen auszurichten. „Ich habe von Jesus gelernt", führt Philippus aus, „dass jeder Mensch es wert ist, von Gottes Liebe zu erfahren. Weil nämlich Gott jeden Menschen liebt. Auch den Bettler, den Aussätzigen, den Besessenen - die Ausgestoßenen eben."

„Sogar Ausländer", ergänzt Andreas. Dem war es lange gegen den Strich gegangen, wenn Jesus sich den Fremden genau so zuwandte wie seinen Landsleuten. Besonders, dass Jesus auch römischen Besatzern half, konnte Andreas anfangs nicht gutheißen. Doch mit der Zeit hatte er begriffen: Es ging Jesus um den Menschen. Nationalität und Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht spielten für ihn keine Rolle, Bildung oder Vergangenheit erst recht nicht. Für Andreas, diesen ‚echten Israeliten ohne Falsch', war das ein ungewohntes Denken, bis Jesus ihm den engen Blick weitete. Dafür ist er seinem Herrn dankbar, traut sich selbst aber nicht zu, auch anderen Menschen den Blick zu weiten. Am liebsten nähme er den Vorschlag des Thomas auf und ginge zurück an den See Genezareth. Traut sich aber nicht, das zu sagen. Fragt stattdessen: „Maßen wir uns nicht etwas an, das uns nicht zusteht, wenn wir losziehen zu taufen und zu lehren?"

„Wenn ich euch beide, Andreas und Thomas, richtig verstehe, kommt ihr beide zu dem Ergebnis: Das war's, und jetzt führen wir wieder ein geruhsames, stilles Leben", stellt Philippus fest und fährt fort: „Ich aber sage euch: Das kann's nicht gewesen sein! Die Menschen überall in der Welt brauchen die Botschaft Jesu, warten vielleicht sogar darauf. Wir dürfen sie ihnen nicht vorenthalten!"

„Aber auch nicht aufdrängen oder gar aufzwingen", wirft Thomas ein, „das hat Jesus auch nicht getan. Er hat zum Glauben an Gott gerufen, und die Menschen sind gekommen oder nicht gekommen. Er hat zur Entscheidung für oder gegen ihn aufgefordert und die Entscheidungen akzeptiert. Und: Wenn ein Mensch Hilfe brauchte, war es Jesus egal, ob oder was dieser Mensch glaubte, da waren Pharisäer und Sünder ihm gleich lieb. Davon will ich gern erzählen."

„Das ist ja schon mal was", meint Philippus trocken und fragt Andreas, ob er noch etwas sagen möchte. Der zögert noch, tiefe Denkfalten auf der Stirn. Schließlich meint Andreas, so wie Thomas das gesagt habe, traue er sich das wohl auch zu. Er habe jedoch Angst, andere könnten ihn nicht verstehen und deshalb auslachen, wenn er von seiner persönlichen Beziehung zu Jesus erzähle, von seiner tiefen Verehrung für den Meister.

„Das musst du doch auch gar nicht", beruhigt Philippus ihn, „wir sollen erzählen, was Jesus uns gelehrt und befohlen hat. Leuchtende Vorbilder im Glauben müssen wir dafür nicht sein." „Na, wenn das so ist...", sagen Andreas und Thomas wie aus einem Munde.

Philippus schlägt vor, sich nun ein Nachtquartier zu suchen. Nach dem Essen wollen sie dann genauere Pläne schmieden, wie nun gemeinsam weitergehen könne, was mit Jesus begonnen hat.

So oder so ähnlich, liebe Geschwister, könnte es nach dem Missions-, Tauf- und Lehrbefehl Jesu weitergegangen sein. Und so kann es auch bei, mit und durch uns weitergehen. Zu schwer ist das für keinen von uns. Denn jede und jeder kann anderen davon erzählen, wie es ihr oder ihm seit der Taufe mit dem Glauben und mit der Kirche gegangen ist. Wie das im Konfirmandenunterricht war, was Spaß gemacht und was gelangweilt hat; kann vom Religionsunterricht in der Schule erzählen. Oder von Erlebnissen mit einer Pastorin, einem Pastoren bei fröhlichen oder traurigen Anlässen; kann einen Bibelspruch oder einen Gesangbuchvers nennen, der besondere Bedeutung bekommen hat; weiß vielleicht auch von Ärger oder Enttäuschung zu berichten - und dass sie oder er trotzdem dabei geblieben ist.

Das sind meist kleine, alltägliche Geschichten. Aber es sind persönliche Geschichten, und darum oft überzeugender als die eine oder andere Predigt. Mit solchen kleinen, alltäglichen Geschichten kann jede und jeder von uns dem Taufbefehl Jesu gehorchen. Denn solche kleinen, alltäglichen Geschichten sagen das gleiche, was in Frage und Antwort 1 des Heidelberger Katechismus steht:

Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?

Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre. Er hat mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst.

Und er bewahrt mich so, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupt fallen kann, ja, dass mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss. Darum macht er mich auch durch seinen heiligen Geist des ewigen Lebens gewiss und von Herzen willig und bereit, forthin ihm zu leben.

Amen



Landespfarrer a. D. Paul Kluge
Leer
E-Mail: Paul-Kluge@t-online.de

Bemerkung:
Liedvorschläge:
EG 455, 1-3; EG 279, 1-5; EG 502, 1-3; EG 181, 6; EG 607, 1-4



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